TE Vwgh Beschluss 2019/12/11 Ra 2019/13/0025

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Veröffentlicht am 11.12.2019
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Index

E1E
E1P
E3L E09301000
E6J
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
20/03 Sachwalterschaft
32/04 Steuern vom Umsatz
59/04 EU - EWR

Norm

ABGB §21 Abs1
ABGB §268 Abs1
ABGB §276 Abs1
ABGB §276 Abs2
ABGB §278
ABGB §279 Abs4
ABGB §282
MRK Art4 Abs3 litd
UStG 1994 §6 Abs1 Z18
UStG 1994 §6 Abs1 Z25
UStG 1994 §6 Abs1 Z7
VSPBG 1990 §8 idF 2006/I/0092
VwGG §38b
12010E267 AEUV Art267
12010P/TXT Grundrechte Charta Art5
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Anh3 Z15
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art132 Abs1 litg
61993CJ0453 Bulthuis-Griffioen / Inspecteur der Omzetbelasting VORAB
61997CJ0216 Gregg VORAB
62000CJ0141 Kügler VORAB
62003CJ0498 Kingscrest Associates und Montecello VORAB
62004CJ0415 Kinderopvang Enschede VORAB
62008CJ0492 Kommission / Frankreich
62011CJ0174 Zimmermann VORAB
62013CJ0594 «go fair» Zeitarbeit VORAB
62014CJ0335 Les Jardins de Jouvence VORAB
62014CJ0543 Ordre des barreaux francophones und germanophone VORAB
62017CJ0416 Kommission / Frankreich

Beachte


Vorabentscheidungsverfahren:
* EU-Register: EU 2019/0007
* Vorabentscheidungsantrag mit Ra 2019/13/0025 B 05.05.2021 zurückgezogen

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des B in W, vertreten durch die Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 26. November 2018, Zl. RV/7101028/2017, betreffend Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 BAO (Umsatzsteuer 2014) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Wien 9/18/19 Klosterneuburg), den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 132 Abs. 1 Buchstabe g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin auszulegen, dass Dienstleistungen eines Rechtsanwaltes, die dieser als vom Gericht bestellter Sachwalter - soweit es sich nicht um anwaltstypische Leistungen handelt - erbringt, von der Mehrwertsteuer befreit sind?

Begründung

1        A. Sachverhalt und bisheriges Verfahren:

2        Der Revisionswerber ist Rechtsanwalt. Er macht geltend, er sei seit vielen Jahren im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit fast nur mehr als von Gerichten bestellter Sachwalter tätig. Auch in diesem Bereich habe er für die betroffenen Personen typisch anwaltliche Tätigkeiten zu verrichten, jedoch nur in ganz geringem Umfang. Frei gewählte Mandate übernehme er nicht mehr. Seine übrige Tätigkeit als Sachwalter bestehe aus sozialarbeiterischer Fürsorge (Personensorge) für die ihm von den Gerichten anvertrauten Personen. Die Bestellung erfolge für Personen, die psychisch krank oder geistig behindert und deshalb außerstande seien, alle oder einzelne Angelegenheiten zu erledigen, und derart in Gefahr gerieten, Nachteile zu erleiden. Die Tätigkeit eines Sachwalters sei eine, die der sozialen Sicherheit diene. Bei richtiger Umsetzung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG müssten Umsätze des Sachwalters im Zusammenhang mit seinen Betreuungs- und Vertretungshandlungen von der Umsatzsteuer ausgenommen werden.

3        In dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis behandelte das Bundesfinanzgericht - wie schon zuvor das Finanzamt - die Umsätze des Revisionswerbers aus Tätigkeiten als Sachwalter als steuerpflichtig.

4        Das Bundesfinanzgericht führte hiezu im Wesentlichen aus, der Revisionswerber übe den Beruf eines Rechtsanwaltes aus. Im Rahmen seines Unternehmens sei er auch vom Gericht als Sachwalter bestellt worden und habe aus dieser Tätigkeit Entschädigungen gemäß § 276 Abs. 1 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) bezogen. Die Berufsgruppe der Rechtsanwälte sei aber nicht als anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter anzusehen (Hinweis auf EuGH 28.7.2016, Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a., C-543/14). Die Umsätze des Revisionswerbers aus seiner Tätigkeit als Sachwalter seien daher nicht steuerbefreit. Soweit ein Verstoß gegen die gebotene Gleichbehandlung geltend gemacht werde, sei zu bemerken, dass Sachwalter-Vereine gemäß § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 von der Umsatzsteuer befreit seien. Diese seien jedoch - anders als Rechtsanwälte - nicht auf Gewinn ausgerichtet. Somit lägen aber auch keine vergleichbaren Dienstleistungen vor, die gleich behandelt werden müssten.

5        Der Revisionswerber erhob gegen die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts auch Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 23. September 2019, E 153/2019-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung dieser Beschwerde ab. In der Begründung verwies der Verfassungsgerichtshof insbesondere darauf, es sei dem Gesetzgeber im Rahmen seines weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes unbenommen, für die Tätigkeit von Rechtsanwälten als Sachwalter keine Umsatzsteuerbefreiung vorzusehen. Dies gelte selbst für den Fall, dass mit dem Bundesfinanzgericht davon auszugehen wäre, dass Vereine als gemeinnützige Rechtsträger mit ihren Leistungen gemäß § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 von der Umsatzsteuer befreit wären, da letztere - anders als Rechtsanwälte - die aus der Tätigkeit erzielten Einnahmen für die Förderung abgabenrechtlich begünstigter Zwecke zu verwenden hätten.

6        In der Revision legt der Revisionswerber - betreffend den tatsächlichen Sachverhalt vom Finanzamt in der Revisionsbeantwortung nicht bestritten - näher dar, er habe, um den Anforderungen als Sachwalter gerecht zu werden, Sozialarbeiterinnen angestellt und sein Personal sozialarbeiterisch geschult. Er verfüge auch über ein großes außerbetriebliches Netz, so über mehrere Personen, die Besuchsdienste erbringen. Seine Leistungen beschreibt er damit, dass es sich um Tätigkeiten handle, mit denen man üblicherweise keinen Anwalt beauftrage, auch wenn einzelne Tätigkeiten einen juristischen Bezug hätten. Dabei handle es sich etwa um das Stellen von Anträgen auf die Gewährung von diversen Beihilfen oder Befreiungen; um die „Organisation“ von sozialen Diensten, Arztterminen, Begleitung zu diesen Terminen; auch um die (Organisation der) Durchführung von Großreinigungen von „vermüllten“ Wohnungen, Beschaffung von Ersatzquartieren, Besorgung von Handwerkern und ähnlichem.

7        B. Maßgebende Bestimmungen

8        1. Nationales Recht

9        § 6 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994) lautet (in der hier anwendbaren Fassung BGBl. I Nr. 112/2012) auszugsweise:

„Steuerbefreiungen

§ 6. (1) Von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:

[...]

7.   die Umsätze der Träger der Sozialversicherung und ihrer Verbände, der Krankenfürsorgeeinrichtungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 2 des Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 200/1967, und der Träger des öffentlichen Fürsorgewesens untereinander und an die Versicherten, die mitversicherten Familienangehörigen, die Versorgungsberechtigten oder die Hilfeempfänger oder die zum Ersatz von Fürsorgekosten Verpflichteten;

[...]

18.  die Umsätze der Kranken- und Pflegeanstalten, der Alters-, Blinden- und Siechenheime sowie jener Anstalten, die eine Bewilligung als Kuranstalt oder Kureinrichtung nach den jeweils geltenden Rechtsvorschriften über natürliche Heilvorkommen und Kurorte besitzen, soweit sie von Körperschaften des öffentlichen Rechts bewirkt werden und es sich um Leistungen handelt, die unmittelbar mit der Kranken- oder Kurbehandlung oder unmittelbar mit der Betreuung der Pfleglinge im Zusammenhang stehen;

[...]

25.  die in den Ziffern 18, 23 und 24 genannten Leistungen, sofern sie von Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 34 bis 47 der Bundesabgabenordnung), bewirkt werden. Dies gilt nicht für Leistungen, die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes, eines Gewerbebetriebes oder eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes im Sinne des § 45 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung ausgeführt werden; [...]“

10       Die Bestimmungen der zitierten Ziffern 7 und 18 dienten, wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 (Stammfassung), hervorgeht (1715 der Beilagen 18. Gesetzgebungsperiode, Seiten 52 und 54), der Umsetzung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977.

11       Die Bestimmungen zum Sachwalterrecht (und zur hier nicht verfahrensgegenständlichen Bestellung von Kuratoren) im Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) lauteten im Streitjahr 2014 in der Fassung BGBl. I Nr. 15/2013 (u.a.) wie folgt:

„§ 268. (1) Vermag eine volljährige Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist (behinderte Person), alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, so ist ihr auf ihren Antrag oder von Amts wegen dazu ein Sachwalter zu bestellen. [...]

(3) Je nach Ausmaß der Behinderung sowie Art und Umfang der zu besorgenden Angelegenheiten ist der Sachwalter zu betrauen

1.   mit der Besorgung einzelner Angelegenheiten, etwa der Durchsetzung oder der Abwehr eines Anspruchs oder der Eingehung und der Abwicklung eines Rechtsgeschäfts,

2.   mit der Besorgung eines bestimmten Kreises von Angelegenheiten, etwa der Verwaltung eines Teiles oder des gesamten Vermögens, oder,

3.   soweit dies unvermeidlich ist, mit der Besorgung aller Angelegenheiten der behinderten Person. [...]“

„§ 274. (1) [...]

(2) Ein Rechtsanwalt oder Notar kann die Übernahme einer Sachwalterschaft (Kuratel) nur ablehnen, wenn ihm diese unter Berücksichtigung seiner persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnisse nicht zugemutet werden kann. Dies wird bei mehr als fünf Sachwalterschaften (Kuratelen) vermutet.“

„§ 275. (1) Die Sachwalterschaft (Kuratel) umfasst alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die dem Sachwalter (Kurator) übertragenen Angelegenheiten zu besorgen. Der Sachwalter (Kurator) hat dabei das Wohl des Pflegebefohlenen bestmöglich zu fördern. [...]“

„§ 276. (1) Dem Sachwalter (Kurator) gebührt unter Bedachtnahme auf Art und Umfang seiner Tätigkeit, insbesondere auch im Bereich der Personensorge, und des damit gewöhnlich verbundenen Aufwands an Zeit und Mühe eine jährliche Entschädigung. Diese beträgt fünf Prozent sämtlicher Einkünfte nach Abzug der hievon zu entrichtenden Steuern und Abgaben, wobei Bezüge, die kraft besonderer gesetzlicher Anordnung zur Deckung bestimmter Aufwendungen dienen, nicht als Einkünfte zu berücksichtigen sind; bei besonders umfangreichen und erfolgreichen Bemühungen des Sachwalters kann das Gericht die Entschädigung auch mit bis zu zehn Prozent dieser Einkünfte bemessen. Übersteigt der Wert des Vermögens des Pflegebefohlenen 10 000 Euro, so ist darüber hinaus pro Jahr zwei Prozent des Mehrbetrags an Entschädigung zu gewähren. Das Gericht hat die Entschädigung zu mindern, wenn es dies aus besonderen Gründen für angemessen hält.

(2) Nützt der Sachwalter (Kurator) für Angelegenheiten, deren Besorgung sonst einem Dritten entgeltlich übertragen werden müsste, seine besonderen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten, so hat er hiefür einen Anspruch auf angemessenes Entgelt. Dieser Anspruch besteht für die Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung jedoch nicht, soweit beim Pflegebefohlenen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe gegeben sind oder diese Kosten nach gesetzlichen Vorschriften vom Gegner ersetzt werden.

(3) Die zur zweckentsprechenden Ausübung der Sachwalterschaft (Kuratel) notwendigen Barauslagen, die tatsächlichen Aufwendungen und die Kosten einer zur Deckung der Haftung nach § 277 abgeschlossenen Haftpflichtversicherung sind dem Sachwalter vom Pflegebefohlenen jedenfalls zu erstatten, soweit sie nach gesetzlichen Vorschriften nicht unmittelbar von Dritten getragen werden.

(4) Ansprüche nach den vorstehenden Absätzen bestehen insoweit nicht, als durch sie die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Pflegebefohlenen gefährdet wäre.“

„§ 278. (1) Das Gericht hat die Sachwalterschaft (Kuratel) auf Antrag oder von Amts wegen einer anderen Person zu übertragen, wenn der Sachwalter (Kurator) stirbt, nicht die erforderliche Eignung aufweist, ihm die Ausübung des Amtes nicht zugemutet werden kann, einer der Umstände des § 273 Abs. 2 eintritt oder bekannt wird oder das Wohl des Pflegebefohlenen dies aus anderen Gründen erfordert. [...]

(3) Das Gericht hat in angemessenen, fünf Jahre nicht überschreitenden Zeitabständen zu prüfen, ob das Wohl des Pflegebefohlenen die Beendigung oder Änderung der Sachwalterschaft (Kuratel) erfordert.“

„§ 279. (1) Bei der Auswahl des Sachwalters ist besonders auf die Bedürfnisse der behinderten Person und darauf Bedacht zu nehmen, dass der Sachwalter nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis oder in einer anderen engen Beziehung zu einer Krankenanstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung steht, in der sich die behinderte Person aufhält oder von der sie betreut wird. Wünsche der behinderten Person, insbesondere solche, die sie vor Verlust der Geschäftsfähigkeit und Einsichts- und Urteilsfähigkeit geäußert hat (Sachwalterverfügung), und Anregungen nahe stehender Personen sind zu berücksichtigen, sofern sie dem Wohl der behinderten Person entsprechen.

(2) Einer behinderten Person ist eine geeignete, ihr nahe stehende Person zum Sachwalter zu bestellen. Wird eine behinderte Person volljährig, so ist ein bisher mit der Obsorge betrauter Elternteil zum Sachwalter zu bestellen, sofern dies dem Wohl der behinderten Person nicht widerspricht.

(3) Ist eine geeignete, nahe stehende Person nicht verfügbar, so ist ein geeigneter Verein mit dessen Zustimmung zum Sachwalter zu bestellen. Kommt auch ein Verein nicht in Betracht, so ist nach Maßgabe des § 274 Abs. 2 ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) oder eine andere geeignete Person mit deren Zustimmung zu bestellen.

(4) Ein Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder Notar (Notariatskandidat) ist vor allem dann zum Sachwalter zu bestellen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert, ein geeigneter Verein vor allem dann, wenn sonst besondere Anforderungen mit der Sachwalterschaft verbunden sind.

(5) Eine Person darf nur so viele Sachwalterschaften übernehmen, wie sie unter Bedachtnahme auf die Pflichten eines Sachwalters, insbesondere jene zur persönlichen Kontaktnahme, ordnungsgemäß besorgen kann. Es wird vermutet, dass eine Person - ausgenommen ein geeigneter Verein - insgesamt nicht mehr als fünf, ein Rechtsanwalt oder Notar nicht mehr als 25 Sachwalterschaften übernehmen kann; Sachwalterschaften zur Besorgung einzelner Angelegenheiten bleiben dabei außer Betracht.“

„§ 282. Der Sachwalter hat mit der behinderten Person in dem nach den Umständen des Einzelfalls erforderlichen Ausmaß persönlichen Kontakt zu halten und sich darum zu bemühen, dass der behinderten Person die gebotene ärztliche und soziale Betreuung gewährt wird. Sofern der Sachwalter nicht bloß zur Besorgung einzelner Angelegenheiten bestellt ist, soll der Kontakt mindestens einmal im Monat stattfinden.“

12       Wie in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, BGBl. I Nr. 59/2017, 1461 der Beilagen 25. Gesetzgebungsperiode, Seite 45, ausgeführt wurde, verneint die (zivilgerichtliche) Rechtsprechung zur bisherigen - im vorliegenden Verfahren anwendbaren - Rechtslage einen Zuspruch der Umsatzsteuer zusätzlich zur Entschädigung; dies werde im Wesentlichen damit begründet, dass die in § 276 Abs. 1 ABGB normierten Prozentsätze Obergrenzen im Sinn von Belastungshöchstgrenzen seien, die nicht durch die zusätzliche Verrechnung einer Umsatzsteuer überschritten werden dürften. Künftig (nach der mit BGBl. I Nr. 59/2017 neu gestalteten, im vorliegenden Verfahren noch nicht anwendbaren Rechtslage) solle die Entschädigung ausdrücklich zuzüglich der allenfalls zu entrichtenden Umsatzsteuer gebühren. Ob Umsatzsteuer zu entrichten sei, richte sich aber nach den jeweiligen umsatzsteuerrechtlichen Bestimmungen.

13       § 130 Außerstreitgesetz (in der Fassung BGBl. I Nr. 92/2006) lautet:

„§ 130. Der Sachwalter hat dem Gericht in angemessenen Abständen, mindestens jedoch jährlich, über seine persönlichen Kontakte mit der betroffenen Person, deren Lebensverhältnisse sowie deren geistiges und körperliches Befinden zu berichten. Das Gericht kann dem Sachwalter auch einen Auftrag zu einem solchen Bericht erteilen.“

14       Der Grundgedanke des Sachwalterrechts liegt darin, dass einem psychisch kranken oder geistig behinderten Menschen, der wegen dieser Einschränkung zur eigenständigen Wahrnehmung seiner Angelegenheiten nicht ausreichend in der Lage ist, ein Sachwalter als gesetzlicher Vertreter in den von diesem Defizit betroffenen Bereichen an die Seite gegeben wird (vgl. Stabentheiner in Rummel/Lukas, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage, § 268 Rz 1).

15       2. Unionsrecht

16       Die folgenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind von Bedeutung:

„KAPITEL 2

Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten

Artikel 132

(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer: [...]

g)   eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden; [...]“

„Artikel 133

Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der Befreiungen nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einzelfall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen:

a)   Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.

[...]“

„Artikel 134

In folgenden Fällen sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Artikels 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n ausgeschlossen:

a)   sie sind für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich;

b)   sie sind im Wesentlichen dazu bestimmt, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden.“

17       C. Erläuterungen zur Vorlagefrage

18       1. Relevanz der Vorlagefrage

19       Im Verfahren ist nicht strittig, dass Leistungen, die der Revisionswerber als Anwalt erbringt, und auch jene Leistungen, die er als vom Gericht für behinderte Personen (§ 268 Abs. 1 ABGB) bestellter Sachwalter unter Nutzung seiner besonderen beruflichen Kenntnisse erbringt und hiefür Anspruch auf Entgelt nach § 276 Abs. 2 ABGB hat, der Umsatzsteuer unterliegen.

20       Der Revisionswerber macht aber - abweichend von der Ansicht des Finanzamtes und des Bundesfinanzgerichts - geltend, jene Leistungen, die er als vom Gericht bestellter Sachwalter erbringe und für die eine „Entschädigung“ im Sinne des § 276 Abs. 1 ABGB zustehe, seien steuerfrei zu behandeln. Insoweit ist aber ebenfalls unbestritten, dass diese Leistungen ausgehend nur vom nationalen (österreichischen) Recht steuerpflichtig sind, da das nationale Recht für diese Leistungen keine Befreiungsbestimmung vorsieht. Insbesondere die oben zitierten Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Z 7 und Z 18 UStG 1994 erstrecken sich im Verfahren unbestritten nicht (auch) auf die Leistungen eines Rechtsanwalts als Sachwalter. Auch scheidet eine Einschränkung der Steuerfreiheit auf gemeinnützige Rechtsträger, wie sie in § 6 Abs. 1 Z 25 UStG 1994 vorgesehen ist, (anders als etwa bei Pflegeheimen; hiezu Verwaltungsgerichtshof [VwGH] 23.9.2005, 2005/15/0070, VwSlg. 8069/F) aus, da sich diese Einschränkung nur auf die dort näher genannten Steuerbefreiungen bezieht. Die Beschränkung der Befreiungsregel durch Art. 13 Teil A Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 133 der Richtlinie 2006/112/EG) hat nur Eventualcharakter (vgl. EuGH 10.9.2002, Kügler, C-141/00, Rn. 60).

21       Der Revisionswerber stützt sich darauf, dass diese Leistungen aufgrund der unmittelbar anwendbaren (vgl. neuerlich - zur Vorgängerbestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie - EuGH 10.9.2002, Kügler, C-141/00) Bestimmung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG steuerfrei seien. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes hängt daher davon ab, ob das Unionsrecht für diese Leistungen eine Befreiung von der Steuer normiert.

22       2. Zur Vorlagefrage

23       Nach der Rechtsprechung des EuGH müssen für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung des (damals) Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie zwei Voraussetzungen vorliegen: Es muss sich zum einen um Leistungen handeln, die entweder mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind; zum anderen müssen diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden (vgl. EuGH 26.5.2005, Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, Rn. 34). Diese beiden Voraussetzungen gelten auch für die hier zu beurteilende Regelung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG (vgl. EuGH 12.3.2015, „go fairZeitarbeit, C-594/13, Rn. 18, wobei anzumerken ist, dass die deutsche Sprachfassung, die diese Schlussfolgerung nicht auf den ersten Blick nahe legen würde, etwa von der französischen oder englischen Sprachfassung abzuweichen scheint).

24       a) Leistungen, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind:

25       Die Bestellung eines Sachwalters setzt voraus, dass eine volljährige Person an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist und ihre Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen vermag. Personen, die ihre Angelegenheiten nicht selbst gehörig zu besorgen vermögen, stehen nach § 21 Abs. 1 ABGB „unter dem besonderen Schutz der Gesetze“. Der Sachwalter ist im Allgemeinen auch zur Personensorge verpflichtet und hat sich etwa darum zu bemühen, dass der behinderten Person die gebotene ärztliche und soziale Betreuung gewährt wird. Im Allgemeinen soll mindestens einmal im Monat ein Kontakt stattfinden. Die vom Gericht festzusetzende Entlohnung ist insbesondere abhängig von den Einkünften und vom Vermögen der behinderten Person. Der Sachwalter unterliegt einer Überprüfung durch das Gericht.

26       Nach der Rechtsprechung des (österreichischen) Verfassungsgerichtshofes (VfGH 6.10.2011, G 38/11 u.a., VfSlg. 19.532) handelt es sich bei der Verpflichtung zur Übernahme der Tätigkeit eines Sachwalters durch Rechtsanwälte um eine aus der sozialen Verantwortung der Gesellschaft für besonders schutzbedürftige Personen abgeleitete Bürgerpflicht im Sinne des Art. 4 Abs. 3 lit. d der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. hiezu auch Art. 5 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und hiezu die - auch auf Art. 4 Abs. 3 lit. d EMRK verweisenden - Erläuterungen in ABl. 2007, C 303, 17).

27       Der Sachwalter hat neben rechtsgeschäftlichen Tätigkeiten insbesondere organisatorische Tätigkeiten zu erbringen, etwa einen geeigneten Betreuungs- und Pflegedienst zu suchen (vgl. Stabentheiner in Rummel/Lukas, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage, § 282 Rz 4). Soweit die Tätigkeiten des Sachwalters in diesem Zusammenhang im Sinne einer (bloßen) Vermittlung von Leistungen der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit zu beurteilen wären, scheint dies der Steuerfreiheit dieser Leistungen nicht entgegen zu stehen (vgl. EuGH 9.2.2006, Stichting Kinderopvang Enschede, C-415/04).

28       Die Befreiung zielt dadurch, dass sie für bestimmte im sozialen Sektor erbrachte Leistungen, die dem Gemeinwohl dienen, eine günstigere Mehrwertsteuerbehandlung gewährt, darauf ab, die Kosten dieser Leistungen zu senken und dadurch diese Leistungen dem Einzelnen, der sie in Anspruch nehmen könnte, zugänglicher zu machen (vgl. EuGH 21.1.2016, Les Jardins de Jouvence, C-335/14, Rn. 41). Im Hinblick auf die oben geschilderte Rechtsprechung der österreichischen Zivilgerichte, wonach die Umsatzsteuer nicht zusätzlich zu der Entlohnung des Sachwalters zugesprochen (und damit auf die behinderte Person überwälzt) werden kann, ist freilich eine Befreiung zur Erreichung dieses Ziels nach der hier noch vorliegenden Rechtslage nicht erforderlich (die allfällige Umsatzsteuer vermindert vielmehr die dem Rechtsanwalt als bestelltem Sachwalter verbleibende Entlohnung).

29       b) Einrichtung, die vom Mitgliedstaat als Einrichtung mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden ist:

30       Der EuGH hat - zur Vorgängerbestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 - entschieden, dass diese Befreiungsbestimmung im Hinblick auf die Verwendung des Begriffes „Einrichtung“ allein von juristischen Personen in Anspruch genommen werden kann. Natürliche Personen fielen nicht in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Befreiungsbestimmung (vgl. EuGH 11.8.1995, Bulthuis-Griffioen, C-453/93, Rn. 20 f). Mit Urteil vom 7.9.1999, Gregg, C-216/97, ging der EuGH von dieser Ansicht aber ausdrücklich ab und führte aus, der Begriff der Einrichtung sei grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen zu erfassen. Der Begriff der Einrichtung lege zwar die Existenz einer abgegrenzten Einheit nahe, die eine bestimmte Funktion erfülle. Dieses Merkmal treffe aber nicht nur auf juristische Personen zu, sondern auch auf eine oder mehrere natürliche Personen, die ein Unternehmen betrieben (Rn. 15 ff).

31       Dieser Begriff umfasst auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht. Die Mitgliedstaaten sind insoweit ermächtigt, aber nicht verpflichtet, die Inanspruchnahme dieser Steuerbefreiung Einrichtungen (die keine Einrichtungen der öffentlichen Hand sind) vorzubehalten, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben (vgl. EuGH 26.5.2005, Kingscrest Associates und Montecello, C-498/03, Rn. 35 und 38).

32       Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es Sache der nationalen Behörden, nach dem Unionsrecht und unter Kontrolle der nationalen Gerichte zu bestimmen, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter anzuerkennen sind. Zu den dabei zu berücksichtigenden Gesichtspunkten können das Bestehen spezifischer Vorschriften, das mit den Tätigkeiten verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Steuerbefreiung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der erbrachten Leistungen von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (vgl. EuGH 15.11.2012, Zimmermann, C-174/11, Rn. 31; EuGH 21.1.2016, Les Jardins de Jouvence, C-335/14, Rn. 35).

33       Nach den bisherigen Verfahrensergebnissen ist davon auszugehen, dass betreffend die Sachwalterschaft in Österreich spezifische Vorschriften bestehen. Dass mit der Sachwaltertätigkeit Gemeinwohlinteresse verbunden ist, ist evident und unstrittig. Andere Steuerpflichtige, nämlich Vereine, die zu Sachwaltern bestellt werden, sind - wie aus einer Stellungnahme des Bundesministers für Finanzen in einem anderen Verfahren, auf welche das Finanzamt in seiner Revisionsbeantwortung im vorliegenden Verfahren aber verweist, hervorgeht - in der Regel nicht auf Gewinn ausgerichtet; das Bundesfinanzgericht schließt daraus im angefochtenen Erkenntnis, dass (vergleichbare) Leistungen der Vereine demnach als steuerfrei behandelt werden (in einem anderen Verfahren kam das Bundesfinanzgericht aber zu dem Ergebnis, dass die Leistungen im Hinblick auf die Gemeinnützigkeit mit einem reduzierten Steuersatz zu besteuern wären). Eine Übernahme von Kosten durch Krankenkassen oder Einrichtungen der sozialen Sicherheit liegt im Allgemeinen nicht vor. Gemäß § 8 des Erwachsenenschutzvereinsgesetzes, BGBl. Nr. 156/1990 (in der Fassung BGBl. I Nr. 92/2006), hatte allerdings die Bundesministerin für Justiz den Vereinen den Aufwand, der mit den durch ihre Mitarbeiter erbrachten Vertretungs- und Beratungsleistungen im Zusammenhang steht, im Rahmen der jeweils im Bundesfinanzgesetz für diese Zwecke verfügbaren Geldmittel zu ersetzen. Damit wird jedenfalls ein Teil des Aufwandes dieser Vereine für (vergleichbare) Tätigkeiten aus öffentlichen Mitteln abgedeckt.

34       Insgesamt könnte eine Gesamtabwägung dieser Umstände zum Ergebnis führen, dass Rechtsanwälte, die vom Gericht als Sachwalter bestellt werden, Einrichtungen sind, die vom Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind.

35       Der EuGH hat aber ausgesprochen, dass die Berufsgruppe der Rechtsanwälte als solche im Hinblick auf ihr Gesamtziel und die fehlende Dauerhaftigkeit eines etwaigen sozialen Engagements nicht als gemeinnützig angesehen werden könne (EuGH 28.7.2016, Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a., C-543/14, Rn. 62, unter Verweis auf EuGH 17.6.2010, Kommission/Frankreich, C-492/08, Rn. 45 und 46; auch hiezu sei angemerkt, dass die deutsche Sprachfassung in der Anlage III Nr. 15 der Richtlinie 2006/112/EG zum Teil andere Begriffe verwendet als in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g dieser Richtlinie). Dienstleistungen, die Rechtsanwälte im Rahmen des dort zu beurteilenden nationalen Systems der Gerichtskostenhilfe erbringen, sind daher nicht gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG von der Mehrwertsteuer befreit (EuGH 28.7.2016, Rn. 65).

36       Fraglich erscheint, ob damit ganz generell sämtliche Tätigkeiten aller Rechtsanwälte von dieser Befreiungsbestimmung ausgeschlossen sind.

37       Zunächst ist zu bemerken, dass nach § 279 Abs. 4 ABGB ein Rechtsanwalt oder Notar vor allem dann zum Sachwalter zu bestellen ist, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert. Daraus ist aber nur ableitbar, dass in derartigen Fällen von vornherein ein Rechtsanwalt oder Notar zum Sachwalter zu bestellen ist. Diese Bestimmung steht aber der Bestellung eines Rechtsanwalts oder Notars zum Sachwalter nicht entgegen, wenn die Besorgung der Angelegenheiten nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert (vgl. etwa Oberster Gerichtshof 9.6.2009, 5 Ob 92/09d). Rechtsanwälte oder Notare sind insbesondere auch dann als Sachwalter zu bestellen, wenn andere Personen (Nahestehende oder ein Sachwalterverein, der nur mit dessen Zustimmung - vgl. § 279 Abs. 3 ABGB - bestellt werden kann) nicht verfügbar sind.

38       Die in § 279 Abs. 5 ABGB - in Form einer widerleglichen Vermutung - geregelte Höchstzahl an zu übernehmenden Sachwalterschaften (im Allgemeinen bis zu fünf; bei Rechtsanwälten oder Notaren bis zu 25) beruht nach der Absicht des Gesetzgebers darauf, dass die Sachwalterschaft - abgesehen von Angehörigen der freien Rechtsberufe und den Mitarbeitern von Sachwaltervereinen - nicht gewerbsmäßig ausgeübt werden soll (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006, BGBl. I Nr. 92/2006, 1420 der Beilagen 22. Gesetzgebungsperiode, Seite 5). Spezialisierte Vertreter der Rechtsberufe führen aber auch zum Teil Hunderte von Sachwalterschaften (vgl. Stabentheiner in Rummel/Lukas, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Auflage, § 279 Rz 7).

39       Vor allem aber ist darauf zu verweisen, dass es sich bei der Tätigkeit als Sachwalter - auch wenn ein Rechtsanwalt zum Sachwalter bestellt wurde - im vorliegenden Fall zum weit überwiegenden Teil um keine anwaltstypische Tätigkeit handelt. Wie oben ausgeführt betrifft dies Tätigkeiten, mit denen üblicherweise kein Anwalt beauftragt wird, auch wenn einzelne Tätigkeiten einen juristischen Bezug haben, wie etwa die Stellung von Anträgen auf die Gewährung von Beihilfen. Im Übrigen handelt es sich aber vor allem um organisatorische Tätigkeiten zur Sicherung der (tatsächlichen) Betreuung und Pflege. Diese Tätigkeit ist - anders als die Prozesskostenhilfe im Falle der Entscheidung EuGH C-543/14 - auch als dauerhaft anzusehen: Die Bestellung zum Sachwalter erfolgt nach § 278 ABGB an sich unbefristet; das Gericht hat in fünf Jahre nicht überschreitenden Zeitabständen zu überprüfen, ob eine Beendigung oder Änderung der Sachwalterschaft vorzunehmen ist.

40       Soweit es sich hingegen um anwaltstypische Leistungen handelt (etwa Erstellung eines Vertrages betreffend Vermögen der behinderten Person mit einer dritten Person), wofür Anspruch auf angemessenes Entgelt zusteht (§ 276 Abs. 2 ABGB), besteht - wie oben bereits ausgeführt - unbestritten Steuerpflicht.

41       Bei der gebotenen einheitlichen Auslegung der Befreiungsbestimmungen (vgl. etwa EuGH 10.6.2010, CopyGene, C-262/08, Rn. 24) ist, auch wenn den Mitgliedstaaten betreffend die „Anerkennung“ von Einrichtungen Ermessen zusteht (vgl. neuerlich EuGH CopyGene, Rn. 66), schließlich auch darauf zu verweisen, dass der deutsche Bundesfinanzhof zu der im deutschen Recht vergleichbaren Tätigkeit eines Berufsbetreuers im Sinne des § 1896 deutsches BGB zum Ergebnis gelangte, dass sich dieser Berufsbetreuer auf die Steuerfreiheit des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG stützen könne, es sei denn es handle sich um Leistungen, die etwa einem als Betreuer tätigen Rechtsanwalt für eine anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Betreuung vergütet werden (deutscher Bundesfinanzhof 25.4.2013, V R 7/11). Diese Rechtsprechung wurde vom deutschen Gesetzgeber zum Anlass genommen, für diese Leistungen eine gesonderte Befreiungsbestimmung vorzusehen (§ 4 Nummer 16 Buchstabe k des deutschen Umsatzsteuergesetzes: „Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei: [...] die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von [...] Einrichtungen, die als Betreuer nach § 1896 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestellt worden sind, sofern es sich nicht um Leistungen handelt, die nach § 1908i Absatz 1 in Verbindung mit § 1835 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vergütet werden, [...] erbracht werden“).

42       Insgesamt scheint die richtige Auslegung des Unionsrechts bei Bedachtnahme auf das (spätere) Urteil des EuGH in der Rechtssache Ordre des barreaux francophones et germanophone u.a. aber nicht derart offenkundig zu sein, dass für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH 4.10.2018, Kommission/Französische Republik, C-416/17, Rn. 110).

43       Die Frage wird daher dem EuGH mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt.

Wien, am 11. Dezember 2019

Gerichtsentscheidung

EuGH 61993CJ0453 Bulthuis-Griffioen / Inspecteur der Omzetbelasting VORAB
EuGH 61997CJ0216 Gregg VORAB
EuGH 62000CJ0141 Kügler VORAB
EuGH 62003CJ0498 Kingscrest Associates und Montecello VORAB
EuGH 62004CJ0415 Kinderopvang Enschede VORAB
EuGH 62011CJ0174 Zimmermann VORAB
EuGH 62013CJ0594 «go fair» Zeitarbeit VORAB
EuGH 62014CJ0335 Les Jardins de Jouvence VORAB
EuGH 62014CJ0543 Ordre des barreaux francophones und germanophone VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019130025.L00

Im RIS seit

03.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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