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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §8Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2019/05/0287 B 11.12.2019Ra 2019/05/0288 B 11.12.2019Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision des A O in E, vertreten durch die Lansky, Ganzger & partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Biberstraße 5, gegen das am 7. Mai 2018 mündlich verkündete und am 24. Mai 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, LVwG-AV-277/001-2018, betreffend Versagung der Parteistellung sowie Zurückweisung der Anträge auf Zustellung eines Bescheides und der Gewährung von Akteneinsicht in einer baurechtlichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde G, vertreten durch Dr. Franz Nistelberger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3; weitere Partei:
Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
4 Nach ständiger hg. Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2019/05/0084, mwN).
5 Mit dem im Devolutionsweg ergangenen Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde G. vom 5. Dezember 2017 wurden (unter Spruchpunkt I.) der Antrag des Revisionswerbers vom 17. Oktober 2016 auf Zuerkennung der Parteistellung in dem mit Bescheid des Bürgermeisters dieser Marktgemeinde vom 1. Oktober 2015 abgeschlossenen Baubewilligungsverfahren betreffend die Errichtung eines sakralen Gebäudes (Stupa) samt Nebenanlagen auf zwei (näher bezeichneten) Grundstücken als unbegründet abgewiesen sowie (unter Spruchpunkt II.) die Anträge des Revisionswerbers vom 17. Oktober 2016 auf Zustellung dieses Bescheides und Gewährung von Akteneinsicht in diesem Baubewilligungsverfahren als unzulässig zurückgewiesen.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde (unter Spruchpunkt 1.) die vom Revisionswerber gegen den genannten Bescheid vom 5. Dezember 2017 erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und (unter Spruchpunkt 2.) eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt.
7 Dazu führte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) im Wesentlichen aus, dass die Baugrundstücke und die im Eigentum des Revisionswerbers stehenden Nachbargrundstücke laut aufrechtem Flächenwidmungsplan im Grünland lägen, diese Nachbargrundstücke unbebaut seien und keine Baubewilligung für ein Gebäude mit Aufenthaltsräumen hinsichtlich dieser Nachbargrundstücke vorliege. Nach Hinweis (u.a.) auf § 6 Abs. 5 NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) - danach haben keine Parteistellung hinsichtlich des § 6 Abs. 2 Z 2 und 3 leg. cit. Eigentümer von Grundstücken im Grünland, die im Sinne des § 6 Abs. 1 leg. cit. an das Baugrundstück angrenzen, wenn für diese Grundstücke noch keine Baubewilligung für ein Gebäude mit Aufenthaltsräumen erteilt wurde - vertrat das Verwaltungsgericht die Auffassung, dass dem Revisionswerber baurechtlich weder ein Immissionsschutz noch ein Schutz vor Gefährdung eigener Gebäude zukomme und das einfache Gesetz daher keinen Raum für die Herleitung einer Parteistellung des Revisionswerbers lasse.
8 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss VfGH 12.6.2019, E 2706-2708/2018-16, deren Behandlung ablehnte und sie mit Beschluss VfGH 30.7.2019, E 2706-2708/2018-19, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
9 Die Revision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung (§ 28 Abs. 3 VwGG) im Wesentlichen vor, es gebe bislang keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur unionsrechtlich gebotenen Außerachtlassung des § 6 Abs. 5 NÖ BO 2014 in Fällen der Anwendbarkeit bzw. des Anwendungsvorranges des Art. 9 Abs. 2 und 3 iVm Art. 2 Z 5 des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten samt Erklärung (BGBl. III Nr. 88/2005 in der Fassung BGBl. III Nr. 58/2014; im Folgenden: AarhK) iVm Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389) wegen Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmung des § 6 Abs. 5 NÖ BO 2014. Hätte das Verwaltungsgericht unionsrechtskonform in Direktanwendung der Art. 9 Abs. 2 und 3 AarhK iVm Art. 47 GRC die Bestimmung des § 6 Abs. 5 NÖ BO 2014 unangewendet gelassen, wäre es rechtsrichtig zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Revisionswerber im Baubewilligungsverfahren Parteistellung zukomme, und hätte dessen Beschwerde stattgegeben werden müssen. Der Lösung dieser Rechtsfrage komme über den Einzelfall hinaus für alle gleich gelagerten Fälle Bedeutung zu, zumal es letztlich um die einheitliche Anwendung des Vorranges des Unionsrechtes sowie um die Außerachtlassung unionsrechtswidriger Bestimmungen (auch) im Baubewilligungsverfahren gehe, insbesondere um die Zuerkennung der Parteistellung von Nachbarn als Mitglieder der "betroffenen Öffentlichkeit" im Sinne der AarhK in Baubewilligungsverfahren für Bauwerke im Grünland.
10 Mit diesem Vorbringen werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:
11 Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur (vgl. etwa VwGH 25.4.2019, Ra 2018/07/0410) unter Hinweis auf Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) ausgeführt hat, haben lediglich "Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen", die Rechte aus Art. 9 Abs. 3 AarhK. Demnach hat diese Bestimmung im Unionsrecht als solche keine unmittelbare Wirkung. In Verbindung mit Art. 47 GRC verpflichtet sie die Mitgliedstaaten jedoch dazu, einen wirksamen gerichtlichen Schutz der durch das Recht der Union garantierten Rechte, insbesondere der Vorschriften des Umweltrechtes, zu gewährleisten. Art. 9 Abs. 3 AarhK enthält somit keine unbedingte und hinreichend genaue Verpflichtung, die die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte. Daraus folgt, dass die Rechtsstellung einer Person zur Gewährleistung von Vorschriften des Umweltrechtes (als Verfahrenspartei) nicht aus Art. 9 Abs. 3 AarhK ableitbar ist, sondern dass es maßgeblich auf die Verbindung mit Art. 47 GRC ankommt und dass erst dadurch die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Gewährung eines wirksamen gerichtlichen Schutzes der durch das Recht der Union garantierten Rechte entsteht (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH 25.4.2019, Ra 2018/07/0410, mwN).
12 Ferner ist der Schutzbereich der europarechtlichen Grundfreiheiten nur bei einem Auslandsbezug des Sachverhaltes eröffnet und stellen rein interne Konstellationen als Binnensachverhalte eines Mitgliedsstaates einen von der Anwendung dieser Grundfreiheiten ausgenommenen Bereich dar (vgl. etwa VwGH 27.7.2016, Ra 2016/06/0003, und VwGH 30.1.2019, Ra 2018/06/0260).
13 Im Übrigen sind auch die Grundrechte der GRC im Verhältnis zu einer nationalen Regelung unanwendbar, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Sachbereich keine Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten im Hinblick auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalt schaffen (vgl. etwa VwGH 28.1.2016, Ra 2015/07/0146, mwN).
14 Im vorliegenden Revisionsfall ergeben sich weder aus dem angefochtenen Erkenntnis noch aus dem Zulässigkeitsvorbringen der Revision Anhaltspunkte für die Annahme, dass fallbezogen ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt, und es ist aufgrund dieses Zulässigkeitsvorbringens auch nicht ersichtlich, inwieweit die Regelungen der NÖ BO 2014 über die Parteistellung im Baubewilligungsverfahren (und baupolizeilichen Verfahren) die Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechtes bezwecken bzw. das Ergebnis einer aufgrund unionsrechtlicher Vorschriften bestehenden Verpflichtung der Mitgliedsstaaten darstellen sollten.
15 Auf dem Boden der genannten Judikatur wird vom Revisionswerber somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG dargelegt, weshalb die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war.
Wien, am 11. Dezember 2019
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht kein innerstaatlicher Anwendungsbereich EURallg7European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019050286.L00Im RIS seit
30.01.2020Zuletzt aktualisiert am
30.01.2020