TE Vwgh Erkenntnis 2019/12/11 Ra 2017/05/0257

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Veröffentlicht am 11.12.2019
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Wien
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien
L82000 Bauordnung
L82009 Bauordnung Wien
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §52
AVG §56
BauO Wr §129
BauO Wr §129 Abs2
BauO Wr §129 Abs4
BauO Wr §60 Abs1 litd
BauRallg
B-VG Art18 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision des Magistrates der Stadt Wien gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 7. August 2017, VGW-111/V/075/8871/2016, betreffend eine Aufhebung und Zurückverweisung in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: L GmbH & Co KG in W, vertreten durch Dr. Martin Löffler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 14; weitere Partei:

Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Schreiben vom 3. Juli 2014 beantragte die mitbeteiligte Partei (im Folgenden: Abbruchwerberin) bei der revisionswerbenden Partei die Erteilung der Bewilligung zum Abbruch eines in einer Schutzzone gelegenen Gebäudes auf einer näher bezeichneten Liegenschaft in Wien auf Grund technischer Abbruchreife. 2 Mit Bescheid vom 20. April 2015 versagte die

revisionswerbende Partei gemäß § 70 Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO) die beantragte Bewilligung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Abbruchreife auf Grund der vorgelegten Unterlagen nicht habe festgestellt werden können und die Abbruchwerberin der Aufforderung, die vorgelegten Unterlagen dahingehend zu verbessern, dass das für die Beurteilung der horizontalen Aussteifung angesetzte Erdbeben gemäß "ÖNORM 1998-3" mit dem Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor abzumindern sei und die Bewertung der Bauteile mit den so ermittelten Ergebnissen zu erfolgen habe, nicht nachgekommen sei.

3 Mit Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien vom 24. Juni 2015 wurde der dagegen erhobenen Beschwerde der Abbruchwerberin Folge gegeben, der angefochtene Bescheid behoben und das Verfahren zur Durchführung des Ermittlungsverfahrens und Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die revisionswerbende Partei zurückverwiesen.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass von der revisionswerbenden Partei zur Beurteilung der technischen Abbruchreife kein Sachverständigengutachten eingeholt worden sei, zumal die beiden Stellungnahmen des Amtssachverständigen für Tragwerkstechnologie im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht als Gutachten gewertet werden könnten. Zudem liege "zur Frage der Störung des Orts- und Stadtbildes" kein durch Bildmaterial und Planskizzen untermauertes Amtssachverständigengutachten vor, zumal die von der revisionswerbenden Partei eingeholte Stellungnahme der Magistratsabteilung 19 nicht als Gutachten zu werten sei. 5 In der Folge erstattete die Amtssachverständige der Magistratsabteilung 19, Dipl.-Ing. K., das Gutachten vom 10. August 2015, in welchem sie nach erfolgter Befundaufnahme ausführte, dass das betreffende Wohngebäude ein für die Bauperiode des frühen 19. Jahrhunderts stilistisch gut erhaltenes Beispiel sei, das sich in die typische Parzellenstruktur wie auch charakteristisch in sein historisches Umfeld einfüge und gemeinsam mit den umliegenden Häusern ein kulturhistorisch wichtiges Ensemble der Schutzzone bilde. Infolgedessen gelangte sie zu dem Schluss, dass an der Erhaltung des Gebäudes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild Interesse bestehe und es seiner Ausführung, seinem Charakter und Stil nach den benachbarten Gebäuden in derselben oder gegenüberliegenden Häuserzeile angeglichen sei.

6 Weiters erstattete der Amtssachverständige der Magistratsabteilung 37, Dr. S., die gutachterliche Stellungnahme vom 10. März 2016 zu den von der Abbruchwerberin vorgelegten Unterlagen. Darin führte er aus, dass aus statischer Sicht die ermittelten Materialkennwerte sowie die durchgeführten Berechnungen und Bewertungen sowie die daraus resultierenden Schlussfolgerungen schlüssig und nachvollziehbar seien. Jedoch sei die Beurteilung der Bauteile aus statischer Sicht nach dem Merkblatt "Technische Abbruchreife" aus dem Jahr 2007 erfolgt und das aktuelle Merkblatt vom Jänner 2015, in welchem auf den sogenannten "Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor" der ÖNORM B 1998-3 abgestellt worden sei, nicht berücksichtigt worden. Durch diesen Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor werde eine durch die Alterung der Baustoffe bedingte, etwas höhere Versagenswahrscheinlichkeit für Bestandsgebäude volkswirtschaftlich akzeptiert, was den Vorteil habe, dass bei weiterer Nutzung des Gebäudes und etwaigen baulichen Maßnahmen nur ein abgemindertes Bemessungserdbeben anzusetzen sei und deshalb Bestandsbauten besser und länger nutzbar seien. In den vorliegenden Unterlagen der Abbruchwerberin sei die Beurteilung auf Basis der voll angesetzten Erdbebeneinwirkung gemäß ÖNORM EN 1998 1 erfolgt. Das gegenständliche Bauwerk sei auf Grund der festgestellten Baustoffkennwerte jedoch nicht in der Lage, die dabei auftretenden Horizontallasten ordnungsgemäß in den Untergrund abzuleiten, wodurch die horizontale Tragfähigkeit nicht gegeben und der Nachweis der technischen Abbruchreife gelungen wäre. Setze man hingegen die mit dem Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor abgeminderte Erdbebeneinwirkung an, sei die horizontale Tragfähigkeit des Bauwerkes gegeben und das Vorliegen der technischen Abbruchreife nicht nachgewiesen. Aus statischer Sicht könne daher das Vorliegen der technischen Abbruchreife nicht angenommen werden. 7 Mit Schreiben vom 20. April 2016 legte die Abbruchwerberin ein Gutachten des Ziviltechnikers Dipl.-Ing. P.B. vom 17. April 2016 vor, in welchem sich dieser mit den Bestimmungen zur technischen Abbruchreife in Wien und insbesondere mit der Frage der Anwendbarkeit der verschiedenen Merkblätter auseinandersetzt.

8 Mit Bescheid vom 3. Juni 2016 versagte die revisionswerbende Partei gemäß § 70 BO neuerlich die beantragte Bewilligung. Begründend wurde unter Bezugnahme auf die gutachterliche Stellungnahme des Amtssachverständigen Dr. S. vom 10. März 2016 im Wesentlichen ausgeführt, dass bei der Beurteilung der horizontalen Tragfähigkeit der aussteifenden Wände das der Berechnung zugrunde liegende Bemessungserdbeben nicht mit dem Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor abgemindert worden sei (wie dies entsprechend dem Stand der Technik und dem aktuellen Merkblatt aus 2015 hätte geschehen müssen). Daher sei die Einwirkung auf die betrachteten Bauteile zu groß und daraus resultierend die Bewertung der Tragfähigkeit unzureichend ausgewiesen. 9 In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde bemängelte die Abbruchwerberin im Wesentlichen, dass es sich bei der Stellungnahme des Amtssachverständigen Dr. S. vom 10. März 2016 wiederum um kein Gutachten im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes handle. Zudem habe der Amtssachverständige darin zu Unrecht ausgeführt, dass sich die Rechtslage nach Einbringung des Antrages geändert habe, und zugestanden, die vorgelegten Unterlagen nur stichprobenartig auf ihre Schlüssigkeit und Vollständigkeit geprüft zu haben. An der für die Beurteilung der technischen Abbruchreife einzig maßgeblichen Bestimmung des § 60 Abs. 1 lit. d BO habe sich nichts geändert. Durch das Merkblatt 2015 seien die Bewertungskriterien der technischen Abbruchreife neu festgelegt worden, wodurch die revisionswerbende Partei in Wahrheit die gesetzlichen Kriterien und darüber hinaus ohne jegliche Begründung ihre Behördenpraxis geändert habe. Weiters wird dem im angefochtenen Bescheid abgedruckten Gutachten der Amtssachverständigen der Magistratsabteilung 19 entgegengetreten.

10 Mit Beschluss vom 1. September 2016 bestellte das Verwaltungsgericht Dipl.-Ing. B. zum bautechnischen Amtssachverständigen und beauftragte ihn mit der Erstattung eines Gutachtens "zu den in der Beschwerde geltend gemachten und zulässigen Beschwerdepunkte (siehe beiliegende Beschwerde)". 11 Nach Durchführung eines seitens des Verwaltungsgerichtes angesetzten Ortsaugenscheines am 19. Oktober 2016 erstattete der Amtssachverständige Dipl.-Ing. B. sein Gutachten vom 4. November 2016, in dessen Befund eine umfangreiche Darstellung der technischen Beurteilungsgrundlagen, eine konstruktive Beschreibung des gegenständlichen Gebäudes, eine allgemeine Beurteilung des vorhandenen Tragwerkes und eine Prüfung der vorgelegten Unterlagen erfolgten. Im Gutachten im engeren Sinn führte der Amtssachverständige im Wesentlichen aus, dass es sich im vorliegenden Fall gemäß der ÖNORM B 1998-3:2013 um ein Bestandsgebäude der Schadensfolgeklasse CC2 handle, weshalb der Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor ? = 0,25 betrage und das vertretbare, von der Gesellschaft akzeptierte Risiko für bestehende Gebäude im Fall eines Erdbebens jenem Sicherheitsniveau, das vor 20 Jahren Stand der Technik gewesen sei, entspreche. Nach den vorliegenden Unterlagen wiesen nahezu alle Wände im 1. bzw. 2. Obergeschoß im Fall des Bemessungserdbebens (ohne Abminderung durch den Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor) eine Ausnutzung von ca. 120 % bis 150 % auf und würden darin somit als nicht bzw. nur eingeschränkt tragfähig eingestuft. Bei Berücksichtigung des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors für das gegenständliche Gebäude werde die Größe der in der vorgelegten Statik verwendeten Erdbebenlasten auf 1/4 reduziert, wodurch sich im gleichen Maß die Ausnutzungsgrade der Wände verringerten. Dadurch seien die zuvor überlasteten Wände nunmehr tragsicher und nicht mehr abbruchreif. Daraus könne der Schluss gezogen werden, dass bei Berücksichtigung des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors der Nachweis der technischen Abbruchreife für das vorliegende Bestandsgebäude nicht erbracht werden könne. Der Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor sei beim vorliegenden Projekt bei der Beurteilung der technischen Abbruchreife zu berücksichtigen, weil dessen Verwendung seit 1. Mai 2013 Stand der Technik sei.

12 Zu diesem Gutachten erstattete die Abbruchwerberin mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2016 eine Stellungnahme und legte die gutachterliche Stellungnahme des Ingenieurkonsulenten für Bauwesen und Baumanagement, Dipl.-Ing. H. sowie die von diesem aktualisierte technische Gebäudebewertung und statische Bemessung jeweils vom 2. Dezember 2016 vor.

13 Mit Schreiben vom 19. Jänner 2017 ersuchte das Verwaltungsgericht den Amtssachverständigen Dipl.-Ing. B. um Ergänzung seines Gutachtens, wobei es insbesondere den Auftrag erteilte, die Beurteilung der Frage der technischen Abbruchreife ohne Rückgriff auf etwaige Merkblätter der revisionswerbenden Partei vorzunehmen. In seinem Gutachten vom 16. März 2017 erläuterte der Amtssachverständige Dipl.-Ing. B. zunächst umfangreich die sich aus bautechnischer Sicht ergebenden Anforderungen an das Vorliegen technischer Abbruchreife, indem er etwa ausführte, dass zur Beurteilung der Instandsetzungsmaßnahmen all jene Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Tragwerkes, sofern sie über die bloßen Maßnahmen der Bauwerksunterhaltung hinausgingen, im Hinblick darauf untersucht würden, ob das Gebäude, das ihm zugrunde liegende Tragwerk und dessen Bauteile nach den erforderlichen Eingriffen technisch als andere angesehen werden müssten. Die Maßnahmen und ihre Auswirkungen müssten dabei für die Instandsetzung unumgänglich sein, sie dürften aber auch nicht exzessiv sein (also das erforderliche Maß überschreiten). Ausgehend davon wurde im Gutachten der Zustand der einzelnen Bauteile untersucht, Überlegungen zu deren Anforderungen (Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit) angestellt, sowie festgestellt, ob im Zuge einer Instandsetzung Eingriffe erforderlich seien, welche Bauteile davon betroffen seien und ob die jeweiligen Bauteile bzw. eine Ebene (ein Geschoss) nach ihrer Instandsetzung technisch als andere angesehen werden müssten. Zum Zustand der Wände führte der Amtssachverständige unter anderem aus, dass ein in der Statik der Abbruchwerberin angegebener Ausnutzungsgrad kleiner oder gleich 400 % unter Berücksichtigung des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors ?min,cc2 = 0,25 einem tatsächlichen Ausnutzungsgrad von kleiner oder gleich 100 % (=400 x 0,25) entspreche; zur Steigerung der Erdbebensicherheit seien somit keine Eingriffe nötig. Ein in der Statik der Abbruchwerberin angegebener Ausnutzungsgrad von mehr als 400 % entspreche unter Berücksichtigung des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors ?min,cc2 = 0,25 einem tatsächlichen Ausnutzungsgrad von mehr als 100 % (=400 x 0,25); zur Steigerung der Erdbebensicherheit seien Eingriffe nötig.

14 Im Gutachten im engeren Sinn führte der Amtssachverständige unter Bezugnahme auf die im Befund getroffenen Feststellungen im Wesentlichen aus, dass auf Grund der Betrachtung der einzelnen Bauteile (Kapitel 5.4 - Bestandsgebäude - Untersuchung der Wände, Kapitel 5.5 - Bestandsgebäude - Untersuchung der Decken, Kapitel 5.6 - Bestandsgebäude - Untersuchung des Dachbodens) und den in den Kapiteln 5.7 - Bestandsgebäude - Untersuchung der einzelnen Bauwerksebenen und 5.8 - Bestandsgebäude - Untersuchung des Tragwerks getroffenen Feststellungen sowie der im Kapitel 5.9 - Bewertung des Bestandsgebäudes zusammengefassten Beurteilungen Folgendes festgestellt werden könne: Bei den erforderlichen Eingriffen handle es sich zumeist um "lokale Sanierungen", "lokale Verstärkungen" und um "lokalen vollständigen Ersatz". Im Fall der Fundierung könnten diese Eingriffe als "Hinzufügen neuer tragender Bauteile" bzw. eine auf den Keller beschränkte "Veränderung des tragenden Systems" gewertet werden. Größere, das gesamte Gebäude betreffende Eingriffe wie beispielsweise das "Hinzufügen eines neuen Tragsystems" oder die "Einführung passiver Schutzvorrichtungen" seien nicht erforderlich. In keinem der Geschosse seien die notwendigen Eingriffe und deren Auswirkungen dermaßen umfangreich, dass das Stockwerk nach seiner Instandsetzung technisch als ein anderes angesehen werden müsse. Die Bauteile, an denen Eingriffe notwendig seien, ergäben in Summe kein eigenständiges das Gebäude umfassende Tragsystem. Somit sei der Zustand des gegenständlichen Objektes nicht derart schlecht, dass das Bauwerk nach der Instandsetzung technisch als ein anderes angesehen werden müsse.

15 In der Folge führte das Verwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an welcher unter anderem der Amtssachverständige Dipl.-Ing. B. sowie die von der Abbruchwerberin herangezogenen Sachverständigen Dipl.-Ing. P.B. und Dipl.-Ing. H. teilnahmen. Im Zuge der Verhandlung wurde eine weitere gutachterliche Stellungnahme des Dipl.-Ing. H. vom 19. Mai 2017 vorgelegt. Weiters wurden Unklarheiten ausgeräumt und seitens des Amtssachverständigen zu den von der Abbruchwerberin im Verfahren vorgelegten Unterlagen ausgeführt, dass nunmehr keine Unterlagen mehr fehlten und die Berechnungen nachvollziehbar seien. In Bezug auf den Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor führte der Amtssachverständige aus, dass er die Statikunterlagen von Dipl.-Ing. H. übernommen und den Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor von 0,25 selbst berücksichtigt habe, indem er die Ergebnisse durch die Zahl 4 dividiert habe. Die Unterlagen seien nachvollziehbar, dies nicht nur unter der Annahme, dass ein Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor nicht berücksichtigt werde, sondern auch unter der Annahme, dass ein Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor von 0,25 Berücksichtigung finde, sofern die Ergebnisse durch 4 dividiert würden. Es seien sohin sämtliche Unterlagen vorhanden, um die Beurteilung vorzunehmen.

16 In weiterer Folge erging der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichtes, mit welchem der Beschwerde der Abbruchwerberin Folge gegeben, der Bescheid vom 3. Juni 2016 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und das Verfahren zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die revisionswerbende Partei zurückverwiesen wurde. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen diesen Beschluss eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei. 17 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es stelle sich die rechtliche Frage, ob ein Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor laut ÖNORM B 1998-3 berücksichtigt und sohin das Schutzniveau des Bestandsgebäudes abgemindert werden müsse. Bei einer ÖNORM handle es sich um eine unverbindliche Empfehlung des Normungsinstitutes, der nur dann normative Wirkung zukomme, wenn sie der Gesetzgeber als verbindlich erkläre. Das Fehlen einer solchen normativen Wirkung einer ÖNORM hindere nicht, dass diese als einschlägiges Regelwerk und objektiviertes, generelles Gutachten von einem Sachverständigen als Grundlage in seinem Gutachten etwa für die Beurteilung des Standes der Technik herangezogen werden könne (Hinweis auf VwGH 17.6.2010, 2009/07/0037). Der Inhalt der ÖNORM und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen müssten jedoch dann als Teile einer nachvollziehbaren Begründung des Gutachtens näher dargestellt werden (Hinweis auf VwGH 26.6.2013, 2012/05/0187). Die OIB-Richtlinie 1 ÖNORM B 1998-3 "Eurocode 8 - Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben - Teil 3: Beurteilung und Ertüchtigung von Gebäuden - Nationale Festlegung zu ÖNORM EN 1998-3 und nationale Erläuterungen" vom 1. Mai 2013 sei erst mit der Wiener Bautechnikverordnung 2015 in der Fassung LGBl. Nr. 35/2015 in der Anlage vorgesehen worden, wobei nach § 5 Abs. 2 leg. cit. für alle zur Zeit des Inkrafttretens dieser Verordnung anhängigen Verfahren die bisherige Rechtslage gelte. Die beschriebene ÖNORM sei daher für das gegenständliche Verfahren nicht verbindlich. 18 Die Einführung des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors bei der Beurteilung eines Bauvorhabens diene dazu, ein Gebäude nicht gemäß § 129 Abs. 2 BO erhalten zu müssen, wenn es das erforderliche Sicherheitsniveau zum Zeitpunkt der Bewilligung nicht oder nicht mehr aufweise und es daher technisch abbruchreif sei. Das erforderliche Sicherheitsniveau sei nach dem Stand der Technik im Zeitpunkt der Baubewilligung zu erschließen. Eine Nachrüstpflicht hinsichtlich der Tragsicherheit auf moderne Sicherheitsstandards bestehe daher nicht. Die Berücksichtigung des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors solle vielmehr dazu führen, die Verfügungsmacht in jenen Fällen zu gewährleisten, in denen bei Bestandsgebäuden nicht das gleiche Sicherheitsniveau verlangt werde wie bei Neubauten, sondern abhängig von der Schadensfolgeklasse eine Abwertung des Sicherheitsniveaus als zulässig erachtet werde. Es sei sohin möglich, eine Abminderung des Sicherheitsniveaus für Bestandsgebäude mit Hilfe des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors vorzunehmen, um doch noch das Haus aufstocken oder den Dachboden ausbauen zu können. Eine verbindliche Berücksichtigung des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors

und damit die verpflichtende Herabsetzung des Schutzniveaus bei einem Bestandsgebäude seien nicht vorgesehen, auch nicht bei der Beurteilung der technischen Abbruchreife.

19 Selbst unter der Annahme, dass die ÖNORM B 1998-3 im gegenständlichen Fall anzuwenden sei, erfolge keine andere rechtliche Beurteilung, da aus deren Punkt A.1 hervorgehe, dass ohne Zustimmung des Bauherrn eine Herabsetzung des Schutzniveaus keinesfalls zulässig sei.

20 Die Abbruchwerberin habe die Unterlagen anhand des Merkblattes vom 18. Jänner 2007 eingereicht. Da sämtliche darin geforderten Unterlagen vorlägen und die Nachweise für die technische Abbruchreife erbracht worden seien, lägen die Voraussetzungen für die Erteilung der Abbruchbewilligung vor. 21 Darüber hinaus bestehe an der Erhaltung des

gegenständlichen Hauses infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse und sei das gegenständliche Haus seiner Ausführung, seinem Charakter und seinem Stil nach den benachbarten Bauwerken in derselben oder gegenüberliegenden Häuserzeile nicht angeglichen. Ein einheitliches charakteristisches Erscheinungsbild oder ein kulturhistorisch wichtiges Ensemble - wie die Amtssachverständige Dipl.-Ing. K in ihrem Gutachten ausführe - des gegenständlichen und der benachbarten Gebäude habe gerade nicht aus dem Befund ihres Gutachtens geschlossen werden können, sodass an der Erhaltung des gegenständlichen Gebäudes infolge der Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse bestehe.

22 Da sohin der Bauzustand nachweislich derart schlecht sei, dass das Gebäude nach der Instandsetzung als ein technisch anderes angesehen werden müsse, zumal auch die Instandsetzung seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild nach nicht gerechtfertigt erscheine, lägen die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Abbruchbewilligung vor.

23 Die beantragte Abbruchbewilligung sei daher von der Behörde nach entsprechenden Erhebungen gleichzeitig mit der Vorschreibung der für die Ausführung der bewilligten Maßnahme vorzuschreibenden Auflagen zu erteilen, da diese in einem untrennbaren Zusammenhang stünde und nicht isoliert von den mit ihr verknüpften Auflagen bestehen könne (Hinweis auf VwGH 16.12.2002, 2002/06/0169, und VwGH 26.9.2002, 2001/06/0033). Da noch "Erhebungen von der Behörde - rascher und kostengünstiger - durchzuführen sind, um die entsprechenden Auflagen für die Durchführung des Abbruchs gleichzeitig mit der Bewilligung vorzuschreiben, ist die Behörde nach Behebung des bekämpften Bescheides verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln, und zwar gem. § 28 Abs. 5 VwGVG unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts Wien entsprechenden Rechtszustand herzustellen".

24 Die Behörde habe daher gemäß § 70 BO die beantragte baubehördliche Bewilligung zum Abbruch des gegenständlichen Gebäudes "nach Maßgabe der Erhebungen und danach festzusetzenden Auflagen sowie die zum Bescheidbestandteil zu erklärenden Baupläne unverzüglich nach Zustellung des gegenständlichen den bekämpften Bescheid behebenden Erkenntnisses zu erteilen".

25 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben. 26 Die Abbruchwerberin erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- in eventu Abweisung der Revision beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

27 Die Revision erweist sich angesichts ihres Vorbringens zum Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der hg. Rechtsprechung in Bezug auf die erfolgte Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG als zulässig.

28 § 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"4. Abschnitt

Erkenntnisse und Beschlüsse Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.

der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

..."

29 Die revisionswerbende Partei führt dazu aus, das Verwaltungsgericht habe die Obliegenheit verletzt, in der Sache selbst zu entscheiden. Den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes sei nicht schlüssig zu entnehmen, ob die von ihm als notwendig und offenbar als sehr umfangreich erachteten Erhebungen zur Bestimmung der Auflagen oder zur Erteilung der Abbruchbewilligung notwendig seien. In der ständigen Verwaltungspraxis würden bei Abbruchbewilligungen standardisierte Vorschreibungen getroffen werden. Demnach seien auch im gegenständlichen Fall hierfür keine weiteren gesonderten umfangreichen Erhebungen erforderlich. Da die BO keine Regelung über Auflagen treffe, hätten derartige Vorschreibungen auch nur den Charakter des Hinweises auf Rechtsvorschriften. Wären die erforderlichen umfangreichen Erhebungen jedoch nicht zur Verfassung der Vorschreibungen, sondern zur Erteilung der Abbruchbewilligung erforderlich, erscheine die vom Verwaltungsgericht bereits getroffene Rechtsauffassung, wonach seitens der belangten Behörde nunmehr eine Bewilligung zu erteilen sei, nicht schlüssig, da das Ergebnis der Erhebungen ja nicht vorweggenommen werden könne.

Bereits mit diesem Vorbringen zeigt die revisionswerbende Partei eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses auf:

30 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Beschluss des Verwaltungsgerichtes, mit welchem dieses den verwaltungsbehördlichen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen hat, eine Rechtsverletzung dadurch bewirken, dass das Verwaltungsgericht entweder von der Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung getroffen hat oder von einer für die betroffene Partei nachteiligen, jedoch für das weitere Verfahren bindenden unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen ist (vgl. VwGH 2.8.2018, Ra 2018/05/0050 bis 0053, mwN). 31 Zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis VwGH 26.6.2014,

Ro 2014/03/0063, verwiesen werden.

32 Demnach ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht an die Verwaltungsbehörde kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Auch die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. etwa VwGH 30.10.2018, Ra 2016/05/0073, mwN).

33 Im Revisionsfall begründete das Verwaltungsgericht die mit dem angefochtenen Beschluss vorgenommene Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG damit, dass die beantragte Abbruchbewilligung nach entsprechenden Erhebungen gleichzeitig mit der Vorschreibung von Auflagen zu erteilen sei, da die Bewilligung nicht isoliert von den mit ihr verknüpften Auflagen bestehen könne. Die Erhebungen seien von der Behörde rascher und kostengünstiger durchzuführen.

34 Aus dem angefochtenen Beschluss ist schon nicht ersichtlich, welche Erhebungen das Verwaltungsgericht als notwendig erachtet hat, aus welchem Grund das Verwaltungsgericht diese Erhebungen nicht selbst durchführen konnte und inwiefern die Vornahme dieser Erhebungen durch die revisionswerbende Partei rascher oder kostengünstiger sei. Krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken, wie die Unterlassung jeglicher erforderlicher Ermittlungstätigkeit, das Setzen völlig ungeeigneter Ermittlungsschritte oder eine bloß ansatzweise Ermittlung zeigt die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht auf.

35 Dazu kommt, dass Auflagen als Nebenbestimmungen zum Hauptinhalt des Bescheides gehören und, wie der übrige Inhalt eines Bescheides, dem Legalitätsgebot unterliegen. Die Beisetzung einer Nebenbestimmung eines Verwaltungsaktes ist nur dann zulässig, wenn dies das Gesetz bestimmt. Eine Auflage kommt daher nur dann in Frage, wenn dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen oder mit dem Sinn der zu treffenden Hauptentscheidung in untrennbarer Weise verbunden ist oder dem Antrag der Partei entspricht (vgl. zum Ganzen VwGH 25.9.2018, Ra 2017/05/0267, mwN). Da für die Erteilung einer Abbruchbewilligung die Vorschreibung von Auflagen gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen ist und ein entsprechender Antrag der Abbruchwerberin nicht vorliegt, käme die Vorschreibung von Auflagen im Revisionsfall somit nur dann in Betracht, wenn diese mit dem Sinn der zu treffenden Hauptentscheidung in untrennbarer Weise verbunden sind, wofür sich im angefochtenen Beschluss keinerlei Begründung findet. 36 Das Verwaltungsgericht hat somit von der Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine

Sachentscheidung getroffen, weshalb sich der angefochtene Beschluss schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig erweist. 37 Darüber hinaus bekämpft die revisionswerbende Partei auch die die Aufhebung tragende Rechtsansicht, wonach im Revisionsfall die Voraussetzungen für die Erteilung der Abbruchbewilligung vorlägen, und führt in diesem Zusammenhang zunächst aus, dass entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes der Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor anzuwenden und bei der Beurteilung zu berücksichtigen sei. Das Gutachten des Amtssachverständigen erweise sich als schlüssige, nachvollziehbare und geeignete Beurteilungsgrundlage. Gemäß diesem Gutachten sei die technische Abbruchreife unter Heranziehung des Merkblattes mit Stand vom Jänner 2015 wie auch unter Außerachtlassung desselben nicht schlüssig und zweifelsfrei nachgewiesen.

38 Der Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor bilde das gesellschaftlich akzeptierte minimale Sicherheitsniveau für Bestandsgebäude im Erdbebenfall. Die Änderung im 5. Satz des § 129 Abs. 4 BO durch die Bauordnungsnovelle 2014, wonach die Räumung oder der Abbruch von Bauwerken anzuordnen sei, wenn die technische Unmöglichkeit der Behebung der Baugebrechen erwiesen sei, sei am 16. Juli 2014 in Kraft getreten und sei auch auf bereits anhängige Verfahren anzuwenden gewesen. In den Erläuternden Bemerkungen der Bauordnungsnovelle 2014 werde zu § 129 Abs. 4 BO auch auf § 60 Abs. 1 lit. d BO Bezug genommen und insbesondere ausgeführt, dass es nach der alten Rechtslage leicht gewesen sei, für Gebäude in Schutzzonen einen Abbruchauftrag zu provozieren bzw. eine Abbruchbewilligung zu erwirken, auch wenn das Gebäude saniert und damit erhalten werden könnte. Abs. 4 werde daher in der Weise geändert, dass die rein quantitative Betrachtung der erforderlichen Substanzveränderung entfalle. Die Änderung der für die Erstellung des Merkblattes maßgeblichen gesetzlichen Grundlage (§ 129 Abs. 4 BO) im Zuge der Bauordnungsnovelle 2014 sowie diverse Änderungen des zugrunde liegenden Normenstandes (ÖNORMEN) hätten eine Überarbeitung notwendig gemacht. Das aktualisierte Merkblatt sei am 29. Jänner 2015 veröffentlicht worden. Bei den Merkblättern sei jener Stand maßgeblich, der bei der behördlichen Entscheidung Gültigkeit habe. Daher sei das Merkblatt von Jänner 2015 zur Beurteilung heranzuziehen gewesen. Eine Vereinbarung mit dem Bauherrn sei nur dann denkbar, wenn "mit dem Zulässigkeitsniveau der ONR" nicht das Auslangen gefunden werden könne. Dies sei weder behauptet worden noch zutreffend. Außerdem könne eine privatrechtliche Vereinbarung keine Beurteilungsgrundlage einer behördlichen Prüfung der technischen Abbruchreife bilden.

39 Das Verwaltungsgericht habe darüber hinaus aus der von ihm angenommenen Unschlüssigkeit des Gutachtens der Amtssachverständigen der Magistratsabteilung 19 das darin ausgesprochene Beweisergebnis nicht nur als nicht erwiesen angenommen, sondern darüber hinaus das Gegenteil als erwiesen angenommen. Damit habe es jedoch letztlich eine Feststellung ohne entsprechende fachliche Expertise getroffen.

40 § 60 BO, LGBl. Nr. 11/1930 in der Fassung

LGBl. Nr. 25/2014, lautet auszugsweise:

"7. Teil

Formelle Erfordernisse bei Bauvorhaben

Ansuchen um Baubewilligung

§ 60. (1) Bei folgenden Bauvorhaben ist, soweit nicht die §§ 62, 62a oder 70a zur Anwendung kommen, vor Beginn die Bewilligung der Behörde zu erwirken:

...

d) Der Abbruch von Bauwerken in Schutzzonen und Gebieten mit Bausperre. In Schutzzonen darf die Abbruchbewilligung nur erteilt werden, wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht und es seiner Ausführung, seinem Charakter oder seinem Stil nach den benachbarten Bauwerken in derselben oder gegenüberliegenden Häuserzeile nicht angeglichen ist oder sein Bauzustand derart schlecht ist, dass die Instandsetzung seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild nach nicht gerechtfertigt erscheint oder das Bauwerk nach der Instandsetzung technisch als ein anderes angesehen werden muss.

..."

41 § 129 BO, LGBl. Nr. 11/1930 in der Fassung

LGBl. Nr. 25/2014, lautet auszugsweise:

"Benützung und Erhaltung der Gebäude; vorschriftswidrige Bauwerke

§ 129. ...

(2) Der Eigentümer (jeder Miteigentümer) hat dafür zu sorgen, dass die Bauwerke (Gärten, Hofanlagen, Einfriedungen u. dgl.) in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften dieser Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten werden. Für Gebäude in Schutzzonen besteht darüber hinaus die Verpflichtung, das Gebäude, die dazugehörigen Anlagen und die baulichen Ziergegenstände in stilgerechtem Zustand und nach den Bestimmungen des Bebauungsplanes zu erhalten. Instandhaltungsmaßnahmen, durch die öffentliche Interessen berührt werden können, sind vom Eigentümer (jedem Miteigentümer) eines Gebäudes mit mehr als zwei Hauptgeschoßen zu dokumentieren. Diese Dokumentation ist, gegebenenfalls in elektronischer Form, aufzubewahren und muss der Behörde auf Verlangen zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden.

...

(4) Die Behörde hat nötigenfalls die Behebung von Baugebrechen unter Gewährung einer angemessenen Frist anzuordnen. Sie ordnet die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen an und verfügt die aus öffentlichen Rücksichten notwendige Beseitigung von Baugebrechen entsprechend dem Stand der Technik im Zeitpunkt der Erteilung des Bauauftrages. Ist das Bauwerk aus öffentlichen Interessen, wie etwa solchen des Denkmalschutzes, entsprechend dem Stand der Technik im Zeitpunkt seiner Errichtung zu erhalten, ist es in den der Baubewilligung entsprechenden Zustand zu versetzen, sofern keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen besteht. Aufträge sind an den Eigentümer (jeden Miteigentümer) des Bauwerkes zu richten; im Falle des Wohnungseigentums sind sie gegebenenfalls an den Wohnungseigentümer der betroffenen Nutzungseinheit zu richten. Die Räumung oder der Abbruch von Bauwerken oder Bauwerksteilen ist anzuordnen, wenn die technische Unmöglichkeit der Behebung der Baugebrechen erwiesen ist. Die Räumung oder der Abbruch von Bauwerken oder Bauwerksteilen ist weiters auch dann anzuordnen, wenn durch die Art, die Vielfalt und das Ausmaß der bestehenden Baugebrechen sich die Bauwerke oder Bauwerksteile in einem solchen gefährlichen Bauzustand befinden, dass die Sicherheit der Bewohner und Benützer des Gebäudes bedroht ist und auch durch einfache Sicherungsmaßnahmen auf längere Zeit nicht hergestellt und gewährleistet werden kann. In allen Fällen steht dem Eigentümer (Miteigentümer) des Bauwerkes oder der Bauwerksteile die Möglichkeit offen, innerhalb der Erfüllungsfrist den der Baubewilligung und den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechenden Zustand wiederherzustellen. Für Bauwerke oder Bauwerksteile in Schutzzonen hat die Behörde darüber hinaus die Behebung von Schäden aufzutragen, die das äußere Erscheinungsbild beeinträchtigen; im Zuge der Instandsetzung des Baukörpers eines Bauwerks oder Bauwerksteiles kann die Behörde dessen Ausgestaltung nach den Bebauungsbestimmungen gemäß § 5 Abs. 4 und § 7 Abs. 3 oder entsprechend dem § 85 Abs. 5 verfügen.

... "

42 Zunächst ist zu klären, welche Instandsetzungsmaßnahmen bei

der Beurteilung der Frage iSd §60 Abs. 1 lit. d BO, ob das Bauwerk nach der Instandsetzung technisch als ein anderes angesehen werden muss (technische Abbruchreife) oder nicht, zu berücksichtigen sind. Dabei ist auf die Bestimmung des § 129 BO Bedacht zu nehmen, welche in Abs. 2 die Verpflichtung des Eigentümers unter anderem zur Instandsetzung festlegt und in Abs. 4 der Behörde - bei Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen - die Verpflichtung zur Erlassung von Instandsetzungsaufträgen für den Fall, dass der Eigentümer seiner Pflicht zur Beseitigung von Baugebrechen nicht nachkommt, auferlegt (vgl. dazu auch die erläuternden Bemerkungen zur BO-Novelle 2014, Blg. LT 9/2014). Dabei hat sie neben den allenfalls erforderlichen Sicherungsmaßnahmen die aus öffentlichen Rücksichten notwendige Beseitigung von Baugebrechen entsprechend dem Stand der Technik im Zeitpunkt der Erteilung des Bauauftrages zu verfügen, es sei denn, die technische Unmöglichkeit der Behebung der Baugebrechen ist erwiesen; diesfalls hat sie die Räumung oder den Abbruch des Bauwerkes (oder Bauwerksteilen) anzuordnen.

43 Seitens des Verwaltungsgerichtes wäre somit im Rahmen der Prüfung der seitens der Abbruchwerberin behaupteten technischen Abbruchreife zunächst festzustellen gewesen, welche Instandsetzungsmaßnahmen (vgl. § 129 Abs. 4 BO) im Zeitpunkt seiner Entscheidung notwendig wären. Der seitens des Verwaltungsgerichtes bestellte Amtssachverständige Dipl.-Ing. B. hat dazu in seinem Gutachten vom 4. November 2016 und in seinem ergänzenden Gutachten vom 16. März 2017 umfangreiche Ausführungen erstattet und insbesondere auch auf den in der ÖNORM B 1998-3 festgelegten Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktor Bezug genommen, wobei er die nach dieser ÖNORM entscheidenden Faktoren für die Berechnung der Erdbebensicherheit und insbesondere die in diesem Zusammenhang maßgebliche Schadensfolgeklasse eingehend dargestellt sowie die an die Tragfähigkeit der Wände mit und ohne Einbeziehung des Mindest-Erdbebenerfüllungsfaktors gestellten Anforderungen detailliert erläutert hat. Dazu kommt, dass es einem Amtssachverständigen entgegen der vom Verwaltungsgericht offenbar vertretenen Auffassung nach der hg. Judikatur nicht verwehrt ist, auf von ihm als plausibel erachtete Teile eines Einreichoperates bzw. diesem beiliegende fachkundige Ausführungen zu verweisen und diese solcherart zum Teil seines eigenen Gutachtens zu machen (vgl. VwGH 16.2.2017, Ra 2016/05/0026, mwN). Auf eine in der ÖNORM allenfalls vorgesehene Vereinbarung kommt es im vorliegenden Zusammenhang entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes ebenso wenig an wie auf die Angaben in einem von der belangten Behörde aufgelegten Merkblatt, weil es für die Beurteilung der Frage, welche Instandsetzungsmaßnahmen bei der Beurteilung der technischen Abbruchreife zu berücksichtigen sind, darauf ankommt, welche Maßnahmen von der Behörde nach § 129 Abs. 4 BO verlangt werden müssten. Das Verwaltungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, sich mit dem Gutachten des Amtssachverständigen Dipl.- Ing. B. vom 4. November 2016 und seinem ergänzenden Gutachten vom 16. März 2017 auseinanderzusetzen.

44 Soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss darüber hinaus entgegen dem Gutachten der Amtssachverständigen Dipl.-Ing. K. vom 10. August 2015 davon ausging, dass an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse bestehe und es seiner Ausführung, seinem Charakter oder seinem Stil nach den benachbarten Bauwerken in derselben oder gegenüberliegenden Häuserzeile nicht angeglichen sei, ist festzuhalten, dass die Aufgabe des (Amts-)Sachverständigen darin zu sehen ist, der entscheidenden Behörde bzw. dem erkennenden Verwaltungsgericht auf Grund besonderer Fachkenntnisse die Entscheidungsgrundlage im Rahmen des maßgebenden Sachverhaltes zu liefern. Die Mitwirkung bei der Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes durch den Sachverständigen besteht darin, dass er Tatsachen erhebt (Befund) und aus diesen Tatsachen auf Grund besonderer Fachkunde Schlussfolgerungen zieht (Gutachten im engeren Sinn) (vgl. etwa VwGH 20.9.2018, Ra 2018/11/0077, mwN).

45 Das Verwaltungsgericht hat nun aus dem von der Amtssachverständigen Dipl.-Ing. K. in ihrem Gutachten vom 10. August 2015 erhobenen Befund eigenständige (gegenteilige) Schlussfolgerungen gezogen, was nur zulässig wäre, wenn die erkennende Richterin des Verwaltungsgerichtes selbst über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen verfügte, die für eine selbständige fachliche Beurteilung von Fragen dieses Wissensgebietes vorausgesetzt werden müssen (vgl. etwa VwGH 21.12.2011, 2010/04/0046, mwN), was aber im angefochtenen Beschluss nicht dargetan wurde.

46 Im Übrigen enthält der angefochtene Beschluss auch keinerlei Feststellungen zum Vorliegen der vom Verwaltungsgericht angenommenen wirtschaftlichen Unzumutbarkeit der Instandsetzung des Gebäudes.

Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 11. Dezember 2019

Schlagworte

Auflagen BauRallg7Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Beweismittel SachverständigenbeweisBeweismittel Sachverständigenbeweis Besonderes FachgebietBeweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärterGutachten Auswertung fremder BefundeRechtsgrundsätze Auflagen und Bedingungen VwRallg6/4Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017050257.L00

Im RIS seit

21.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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