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19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am 6. Mai 2019 verkündete (und am 21. Mai 2019 schriftlich ausgefertigte) Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2019, Zl. W248 2184667-1/11E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: E K in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A) II. und A) III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 15. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte dazu im Wesentlichen vor, er sei im Iran geboren und aufgewachsen und sei nach Europa gekommen, weil es dort bessere Möglichkeiten für eine Schul- beziehungsweise Berufsausbildung gäbe.
2 Mit Bescheid vom 6. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen (Spruchpunkt II.) ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan fest (Spruchpunkt IV.) und setzte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt V.).
3 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 6. Mai 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet ab (Spruchpunkt A) I.), erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt A) II.), erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 6. Mai 2020 (Spruchpunkt A) III.) und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B)).
4 Das BVwG führte zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, der Mitbeteiligte stamme aus dem Iran, sei dort aufgewachsen, noch nie in Afghanistan gewesen und habe dort auch keinerlei Anknüpfungspunkte mehr, weshalb er über keine "Heimatprovinz" verfüge. Der Mitbeteiligte laufe Gefahr, bei einer Rückkehr etwa in die Heimatprovinz seiner Eltern (Bamyan), nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat mangels Unterstützungsmöglichkeite n sowie aufgrund seiner individuellen Umstände, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Mitbeteiligte sei zwar ein arbeitsfähiger, junger Mann mit Berufserfahrung, bei dem eine Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, jedoch könne er aufgrund individueller Umstände, eines fehlenden sozialen Netzes, der optisch deutlich erkennbaren Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit in Afghanistan, eines eindeutigen Farsi-Akzents, einer fehlenden Sozialisation in Afghanistan sowie einer Tätowierung eines Kreuzsymbols nicht in zumutbarer Weise in einen anderen Landesteil Afghanistans verwiesen werden. Die Familie des Mitbeteiligten könne ihn auch nicht finanziell unterstützen und er wäre daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan vorerst auf sich alleine gestellt und gezwungen, allenfalls in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat nach einem Wohnraum zu suchen, ohne über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten zu verfügen.
5 Gegen die Spruchpunkte A) II. und A) III. des angefochtenen Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision. Sie bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Erkenntnis des BVwG weiche von den Leitlinien der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (IFA) ab. Darüber hinaus weiche das BVwG auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach eine Rückkehr des Mitbeteiligten unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK und nicht nach dem Zumutbarkeitskalkül des § 11 AsylG 2005 zu prüfen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet - erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und sie ist auch begründet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit
dem Kriterium nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 einer realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch eine Rückkehr nach Afghanistan auseinandergesetzt (vgl. etwa VwGH 28.3.2019, Ra 2018/14/0067; 18.7.2019, Ra 2019/19/0197; 30.9.2019, Ra 2018/01/0068, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. ausführlich zu Art. 3 EMRK als Prüfmaßstab für § 8 Abs. 1 AsylG 2005 VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, insb. Rn. 27).
8 Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof u.a. auf die ständige Judikatur des EGMR verwiesen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. etwa jüngst VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0068; sowie aus der ständigen Rechtsprechung des EGMR 8.10.2019, R.K./Russland, 30.261/17, Z 46; s. aber auch EGMR (GK) 23.3.2016, F.G./Schweden, 43.611/11, Z 120; (GK) 23.8.2016, J.K./Schweden, 59.116/12, Z 91 f, jeweils mwN). 9 Weiters bezieht sich der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur auch auf die Rechtsprechung des EGMR, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (vgl. etwa jüngst VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372; s. auch EGMR 5.7.2016, A.M./Niederlande, 29.094/09, Z 87, jeweils mwN; im Übrigen auch das dt. BVerwG im Beschluss vom 13.2.2019, BVerwG 1 B 2.19).
10 Im Rahmen der Behandlung von Amtsrevisionen gegen die Gewährung von subsidiärem Schutz (durch das BVwG betreffend Afghanistan) hielt der Verwaltungsgerichtshof wiederholt fest, dass bei Prüfung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. etwa VwGH Ra 2018/01/0068; 6.11.2018, Ra 2018/01/0106, jeweils mwN).
11 Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH - zum Vorliegen eines realen Risikos iSd Art. 3 EMRK ausgesprochen, dass diese Voraussetzung nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") erfüllt ist. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa erneut VwGH Ra 2018/01/0068; und jüngst EGMR 19.11.2019, T.K. and S.R./Russland, 28.492/15, 49.975/15, Z 79).
12 Das BVwG hat zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den Mitbeteiligten bei einer Rückführung nach Afghanistan aufgezeigt, nicht jedoch, dass damit im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung des Mitbeteiligten vorliegen würde. 13 Das weitere Argument des BVwG, der Mitbeteiligte sei als Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara weitreichenden Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt, zeigt nicht auf, dass damit im Sinn der oben zitierten ständigen Rechtsprechung die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung vorliegen würde (vgl. hierzu etwa VwGH 28.3.2019, Ra 2018/14/0428; mit Verweis auf EGMR 5.7.2016, A.M./Niederlande, 29.094/09).
14 Liegt aber keine Verletzung des Art. 3 EMRK vor, so kommt es auf die Frage der Möglichkeit einer IFA nicht mehr an (vgl. hierzu wiederum VwGH Ra 2018/01/0068; 5.11.2019, Ra 2018/01/0188; zu Art. 3 EMRK als Maßstab für subsidiären Schutz nach § 8 AsylG 2005 VwGH Ro 2019/19/0006, insb. Rn. 27, jeweils mwN).
15 Im Übrigen übersieht das BVwG mit seinen Ausführungen zur Unzumutbarkeit einer IFA, dass sich die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bereits mit dieser Fallgruppe befasst und insoweit festgehalten haben, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative grundsätzlich zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen sei (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; 5.2.2018, Ra 2017/18/0457; 22.2.2018, Ra 2017/18/0351; 7.3.2018, Ra 2018/18/0103; 19.4.2018, Ra 2017/18/0436; 20.4.2018, Ra 2018/18/0194; 30.5.2018, Ra 2018/18/0228; 2.8.2018, Ra 2017/19/0229; 10.9.2018, Ra 2018/19/0411; 17.9.2018, Ra 2018/20/0397; 28.3.2019, Ra 2018/14/0067; 29.4.2019, Ra 2019/20/0175; 7.6.2019, Ra 2019/14/0114; 18.7.2019, Ra 2019/19/0197; 28.8.2019, Ra 2018/14/0308; 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, sowie
VfGH 12.12.2017, E 2068/2017, jeweils mwN). Daraus folgt, dass eine spezifische Vulnerabilität nach der zitierten Rechtsprechung auch nicht allein dadurch begründet wird, dass der Mitbeteiligte im Iran aufgewachsen ist (vgl. VwGH 7.3.2018, Ra 2018/18/0103; 29.5.2018, Ra 2018/20/0146; 10.9.2018, Ra 2018/19/0312; 28.3.2019, Ra 2018/14/0067; 7.5.2019, Ra 2019/20/0144; 27.5.2019, Ra 2019/14/0153; 17.6.2019, Ra 2018/20/0500; mwN).
16 Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in unvertretbarer Weise abgewichen. Daher war die angefochtene Entscheidung sowohl hinsichtlich des Spruchpunktes A.) II. als auch hinsichtlich des Spruchpunktes A.) III., weil dieser mit der Aufhebung des Spruchpunktes A.) II. seine rechtliche Grundlage verliert, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben (vgl. VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0068).
Wien, am 12. Dezember 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019010243.L00Im RIS seit
30.01.2020Zuletzt aktualisiert am
30.01.2020