TE OGH 2019/12/17 2Ob75/19x

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Veröffentlicht am 17.12.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J***** A*****, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. G***** GmbH, *****, vertreten durch Summer Schertler Kaufmann Droop Larch Rechtsanwälte GmbH in Bregenz, 2. Ing. ***** S*****, sowie 3. M***** B*****, vertreten durch Mag. Heinz Koller, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Unterlassung, Feststellung, Einwilligung, Wiederherstellung, Beseitigung und Zahlung (Streitwert insgesamt 123.640 EUR), über die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei (Revisionsinteresse 31.000 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 19. Februar 2019, GZ 10 R 68/18b-236, womit infolge der Berufungen der klagenden und der erstbeklagten Partei das Teilurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 2. August 2018, GZ 8 Cg 56/12f-222, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im Umfang der Anfechtung aufgehoben, und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger und die Erstbeklagte waren bei Schluss der Verhandlung Eigentümer benachbarter Grundstücke. Das Grundstück des Klägers (in der Folge auch „Oberliegergrundstück“) ist höher gelegen. Dort befindet sich ein „Felsenkeller“, dessen Zufahrt über das Grundstück der Erstbeklagten (in der Folge auch „Unterliegergrundstück“) verläuft. Der Felsenkeller wird (auch) von der Erstbeklagten genutzt.

Der Eingangsbereich des Felsenkellers besteht aus einer Stützmauer, die „von Mauerfuß bis Mauerkrone“
– gemeint: jeweils die Vorderkante unten und oben – auf dem Grundstück der Erstbeklagten steht. Vom Volumen her befinden sich 3,3 % (5 m³)
auf dem Grundstück des Klägers und 96,7 % (147 m³) auf dem Grundstück der Erstbeklagten. Aus unstrittigen Urkunden ergibt sich, dass die Grundstücke ursprünglich zum selben Grundbuchskörper gehört hatten. Die Teilung erfolgte 1971 durch Verkauf des Unterliegergrundstücks samt Zuschreibung von 22 m2 aus dem Oberliegergrundstück an Rechtsvorgänger der Erstbeklagten. Zu diesem Zeitpunkt waren Felsenkeller und Stützmauer schon vorhanden.

Unstrittig ist, dass (auch) der Kläger ein Nutzungsrecht an zwei Parkplätzen im Felsenkeller hat; das wurde auch in einer Vereinbarung zwischen ihm und dem Rechtsvorgänger der Erstbeklagten festgehalten. Strittig und von bisher nicht erledigten Teilbegehren erfasst sind weitergehende Nutzungsrechte des Klägers am Felsenkeller und an der Zufahrt dazu, die sich aus einem Vertrag ergeben sollen. Der Kläger behauptet weiters eine Servitut an einem Parkplatz auf dem Grundstück der Erstbeklagten. Diese wurde zwar am 11. Mai 2002 vertraglich eingeräumt, der Kläger und der Rechtsvorgänger der Erstbeklagten hielten jedoch in einer weiteren Vereinbarung vom 16. Mai 2002 fest, dass die „Berechtigung“ des Klägers an diesem Parkplatz lediglich „prekarisch ausgeübt werden darf“.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich das Begehren des Klägers, die Erstbeklagte zu verpflichten,

„die an der Grenze der Grundstücke der klagenden Partei [...] und der erstbeklagten Partei [...] gelegene Stützmauer binnen sechs Monaten in Stand zu halten und die gebotenen Instandhaltungs- und Erhaltungsarbeiten an der Stützmauer durch Beseitigung der an der Stützmauer befindlichen Schäden, wie Lockermaterial, Pflanzenbewuchs und feuchte Schäden, durchzuführen.“

Er brachte – soweit für das Rechtsmittelverfahren relevant – vor, dass die Erstbeklagte die Instandhaltung der in ihrem Eigentum stehenden Stützmauer vernachlässigt habe, wodurch die Mauer ihre Standfestigkeit zu verlieren drohe. Dies begründe den geltend gemachten Anspruch nach § 858 ABGB oder § 364b ABGB. Zudem seien schon Steine aus der Mauer gebrochen, wodurch seine Dienstbarkeit des Parkplatzes am Unterliegergrundstück beeinträchtigt werde.

Die Erstbeklagte wandte ein, dass sie ihre „Erhaltungspflichten“ immer erfüllt habe und (daher) keine Gefahr bestehe, dass die Mauer ihre Stützfunktion verliere. Weiters bestehe Miteigentum an der Stützmauer. Allfällige Ansprüche gehörten daher in das Außerstreitverfahren. Die Nutzung des Parkplatzes erfolge prekaristisch, wobei sie das Prekarium widerrufen habe,

Das Erstgericht gab dem im Revisionsverfahren strittigen Begehren mit Teilurteil statt. Weiters wies es unbekämpft ein gegen die Erstbeklagte und die Drittbeklagte erhobenes Unterlassungsbegehren ab, das gegen die Beeinträchtigung der angeblichen Parkplatzservitut durch Aufstellen von Containern gerichtet war.

Das Erstgericht stellte neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest, dass die Stützmauer erforderlich sei, um ein Abrutschen des Grundstücks des Klägers zu verhindern. Aufgrund mangelhafter Sanierung bestehe die Gefahr, dass sich einzelne Steine und der Fugenmörtel aus dem Gesamtverbund lösten; die Gesamtstabilität sei zwar „derzeit“ gegeben, ohne Sanierungsmaßnahmen würde die Mauer aber „irgendwann zerfallen“. Die Gefahr eines „gesamten Stützverlusts“ sei „derzeit“ nicht gegeben, wohl aber bestehe die Gefahr von „punktuellen Versagenserscheinungen“. Der Voreigentümer der Erstbeklagten habe sich im Jahr 2000 im Zuge eines Prozesses mit dem Kläger verpflichtet, die Stützmauer binnen fünf Jahren zu sanieren. Im Jahr 2002 habe der Kläger bestätigt, dass die Sanierung „sach- und fachgerecht“ durchgeführt worden sei.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass die Erstbeklagte aufgrund der Vermutung des § 857 ABGB Alleineigentümerin der Stützmauer sei. Ihre Erhaltungspflicht folge aus § 858 Satz 1 ABGB. Das Unterlassungsbegehren in Bezug auf die (in ihrem Bestand nicht hinterfragte) Parkplatzservitut sei abzuweisen, weil eine Störung nicht erwiesen sei.

Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in der Hauptsache, bewertete seinen Entscheidungsgegenstand mit über 30.000 EUR und ließ die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zu.

In Bezug auf das im Revisionsverfahren strittige Begehren teilte es die Auffassung des Erstgerichts, dass die Erstbeklagte Alleineigentümerin der Stützmauer sei und sich ihre Instandhaltungspflicht aus § 858 Satz 1 ABGB ergebe. Das Alleineigentum ergebe sich daraus, dass keine Anhaltspunkte bestünden, dass die Mauer von beiden Nachbarn errichtet worden sei oder dass sie gemeinsam benutzt würde. Daher sei die Vermutung des § 854 ABGB durch die Gegenvermutung des § 857 ABGB widerlegt. Aufgrund der Feststellungen zur Schadhaftigkeit der Mauer lägen die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 858 ABGB vor. Das konkrete Begehren sei ausreichend bestimmt. Die Abweisung des Unterlassungsbegehrens in Bezug auf die Beeinträchtigung der (behaupteten) Dienstbarkeit des Klägers am Grundstück der Erstbeklagten treffe zu, weil keine Störungshandlungen erwiesen seien.

Nur die Erstbeklagte erhob eine außerordentliche Revision. Sie strebt eine Abweisung des strittigen Teilbegehrens an, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Schon wegen der teilweisen Lage auf dem Grundstück des Klägers liege nach der Zweifelsregel des § 854 ABGB Miteigentum an der Stützmauer vor. § 857 ABGB greife nicht, weil auch der Kläger die Mauer als Eingang zum Felsenkeller und zur Stütze seines Grundstücks benutze. § 858 ABGB bilde keine Grundlage für die Verpflichtung zur Sanierung einer Stützmauer; zudem bestehe derzeit ohnehin keine Gefahr des Verlusts der Stützfunktion.

In der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Aufgrund einer ausführlichen, auch rechtshistorisch begründeten Analyse gesteht er im Ergebnis zu, dass § 858 ABGB im konkreten Fall nicht anwendbar sei. Sein Begehren sei aber nach § 364b ABGB begründet.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil § 858 ABGB im konkreten Fall nicht anzuwenden ist. Sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Die Auffassung der Vorinstanzen, die Erstbeklagte sei Alleineigentümerin der Stützmauer, trifft nicht zu. Daher trägt auch deren Begründung für die Bejahung des Anspruchs nicht.

1.1. Nach der Vermutung des § 854 ABGB werden

„Erdfurchen, Zäune, Hecken, Planken, Mauern, Privat-Bäche, Canäle, Plätze und andere dergleichen Scheidewände, die sich zwischen benachbarten Grundstücken befinden, […] für ein gemeinschaftliches Eigenthum angesehen, wenn nicht Wappen, Auf- oder Inschriften, oder andere Kennzeichen und Behelfe das Gegentheil beweisen.“

Diese Regelung erfasst Einrichtungen, die sich jeweils zum Teil auf den angrenzenden Grundstücken befinden (RS0128837; Parapatits in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 854 Rz 2; Egglmeier-Schmolke in Schwimann/Kodek5 § 854 Rz 2 f). Das trifft hier nach den Feststellungen zur Lage der Mauer und zum Grenzverlauf zu. Dass die Mauer nur zu einem geringen Teil am Grundstück des Klägers liegt, kann daran nichts ändern.

1.2. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen lässt sich Gegenteiliges auch nicht aus § 857 ABGB ableiten.

(a) Nach § 857 Satz 1 Halbsatz 1 bis 3 ABGB wird zwar Alleineigentum vermutet, wenn „Ziegel, Latten oder Steine nur auf einer Seite vorlaufen oder abhängen; oder die Pfeiler, Säulen, Ständer, Bachställe auf einer Seite eingegraben“ sind. Dies könnte hier angenommen werden, weil sich die Fundamente der Mauer offenkundig auf dem Grundstück der Erstbeklagten befinden. Allerdings fällt diese Vermutung nach § 857 Satz 1 Halbsatz 4 ABGB weg, wenn „aus einer beiderseitigen Belastung, Einfügung, aus anderen Kennzeichen oder sonstigen Beweisen das Gegentheil erhellt“. Eine solche „beiderseitige Belastung“ liegt etwa bei einer Trennmauer vor, die beide angrenzenden Häuser stützt; in diesem Fall wird bis zum Beweis des Gegenteils Gemeinschaftlichkeit vermutet (5 Ob 141/72).

(b) Gleiches muss gelten, wenn eine im Grenzbereich liegende Mauer, für die grundsätzlich die Vermutung des § 857 Satz 1 Halbsatz 1 bis 3 ABGB zuträfe, aufgrund der konkreten Verhältnisse das Abrutschen eines höher liegenden Grundstücks verhindert. In diesem Fall stützt sie dieses Grundstück, weswegen aufgrund § 857 Satz 1 Halbsatz 4 ABGB die Vermutung des Alleineigentums nicht greift. Damit ist wieder nach § 854 ABGB gemeinschaftliches Eigentum anzunehmen.

1.3. Auf dieser Grundlage besteht schon mangels Alleineigentums der Erstbeklagten kein Anspruch nach § 858 ABGB. Es kann daher offen bleiben, ob diese Bestimmung nicht ohnehin nur drohende Schäden wegen des Verlusts der Abgrenzungsfunktion erfasst, sodass Ansprüche wegen des Verlusts einer Stützfunktion – wie auch in der Revisionsbeantwortung vertreten – nur nach § 364b ABGB zu beurteilen wären (so Parapatits in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 858 Rz 4; Egglmeier-Schmolke in Schwimann/Kodek5 § 858 Rz 2 f; vgl auch 5 Ob 79/63 [mit nicht ganz klarer Unterscheidung zwischen Grenz- und Stützmauern]).

2. Ob § 364b ABGB anwendbar ist, kann nicht abschließend beurteilt werden.

2.1. Liegt eine gemeinschaftliche Grenzmauer vor, so ist die Anwendung nachbarrechtlicher Bestimmungen nach der Rechtsprechung ausgeschlossen (3 Ob 201/15b; Egglmeier-Schmolke in Schwimann/Kodek5 § 854 Rz 6). Das lässt sich damit rechtfertigen, dass aufgrund der Gemeinschaftlichkeit des Eigentums an der Grenzmauer ein besonderes Verhältnis zwischen den Beteiligten besteht, das der Anwendung sachenrechtlicher Grundsätze im Regelfall vorgeht. Ansprüche oder Regelungsbegehren aus diesem besonderen Verhältnis wären zudem im Außerstreitverfahren zu verfolgen (§ 838a ABGB).

2.2. Anderes muss allerdings gelten, wenn das Miteigentumsverhältnis an der Grenzmauer keinen Schutz gegen den Verlust einer Stützfunktion (§ 364b ABGB) oder gegen eine andere davon ausgehende Immission (§ 364 ABGB) bieten kann. Denn der Betroffene kann im Fall seines Miteigentums an der Emissionsquelle – also bei einer an sich stärkeren Rechtsstellung – in Bezug auf Immissionen jedenfalls nicht schlechter stehen als bei Alleineigentum seines Gegners. Dieses Ergebnis kann auch der Entscheidung 3 Ob 201/15b nicht unterstellt werden.

2.3. Ein solcher Fall könnte hier vorliegen, weil der Kläger als offenkundiger Minderheitseigentümer der Stützmauer – außer bei Vorliegen einer auf die Erhaltung bezogenen Vereinbarung, die ebenfalls im Außerstreitverfahren geltend zu machen wäre (RS0013563 [T15]) – keine Möglichkeit hat, Erhaltungsmaßnahmen durchzusetzen. Denn die Minderheit kann eine Verwaltungsmaßnahme, die von der Mehrheit abgelehnt wird, nicht über eine richterliche Entscheidung iSv § 835 ABGB erzwingen (RS0013711). Diese Frage wurde bisher von keiner Seite beachtet, sodass insofern auch jedes Vorbringen fehlt. Da auch der Oberste Gerichtshof die Parteien nicht mit einer Rechtsansicht überraschen darf (RS0037300 [T9]), führt das zur Aufhebung in die erste Instanz.

3. Sollte sich ergeben, dass die Gemeinschaftlichkeit der Stützmauer einem Anspruch nach § 364b ABGB grundsätzlich nicht entgegensteht, gilt Folgendes:

3.1. Hat jemand eine Stützmauer errichtet, um die „Vertiefung“ seines Grundstücks (dh das Abgraben zum Herstellen einer ebenen Fläche) zu ermöglichen, richtet sich seine Verpflichtung zu deren Wiederherstellung nach § 364b ABGB (5 Ob 123/68 SZ 41/74; RS0011948). Das gilt richtigerweise auch dann, wenn – wie hier – ursprünglich ein einziges Grundstück vorlag, das dann entlang der Mauer geteilt wurde. Denn auch in diesem Fall hat der Unterlieger ein Interesse daran, dass die nun in seinem (zumindest Mit-)Eigentum stehende Mauer eine „Vertiefung“, dh eine ebene Gestaltung seines Grundstücks ermöglicht. Damit treffen ihn aber auch die Pflichten nach § 364b ABGB.

3.2. Im konkreten Fall erfüllt die Mauer nach den Feststellungen „derzeit“ ihre Stützfunktion. Die Frage einer Wiederherstellung stellt sich daher nicht. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Kläger präventive Erhaltungsmaßnahmen verlangen kann.

(a) Grundsätzlich kann der Grundeigentümer eine vorbeugende Unterlassungsklage erheben, wenn die Gefahr einer unzulässigen Vertiefung des Nachbargrundes besteht und konkret erkennbar ist (RS0010710). Dies ist eine Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes, dass ein Unterlassungsanspruch auch dann besteht, wenn zwar noch nicht gegen eine Norm verstoßen wurde, aber ein solcher Verstoß unmittelbar droht (RS0037661, RS0012061, RS0010479). Dabei hat der Kläger Umstände zu behaupten und zu beweisen, die auf die unmittelbar bevorstehende Gefahr eines Verstoßes schließen lassen; die bloß theoretische Möglichkeit genügt nicht (RS0037661 [T6]).

(b) Auf dieser Grundlage kann das Begehren des Klägers von vornherein nur dann begründet sein, wenn ein Stützverlust unmittelbar droht. Ob das zutrifft, kann den Feststellungen nicht mit der nötigen Sicherheit entnommen werden. Denn das Erstgericht nahm einerseits als erwiesen an, dass die „Gesamtstabilität“ derzeit gegeben sei, was gegen eine konkrete Gefahr spricht. Andererseits stellte es aber auch fest, dass die Gefahr von „punktuellen Versagenserscheinungen“ bestehe. Sollten diese „punktuellen Versagenserscheinungen“ die Stabilität des Oberliegergrundstücks in einer Weise gefährden, dass zur Abwehr der Gefahr unverzüglich Maßnahmen zu treffen sind, bestünde der Anspruch nach § 364b ABGB dem Grunde nach zu Recht. Dazu bedarf es aber näherer Feststellungen zu Wesen und Ausmaß der „punktuellen Versagenserscheinungen“ sowie zu deren möglichen Auswirkungen auf das Oberliegergrundstück. Demgegenüber reichte es für die Begründung des Anspruchs nicht aus, dass Erhaltungsmaßnahmen bloß nützlich wären, um die Stabilität der Mauer auch für die weitere Zukunft zu gewährleisten.

(c) Ist der Anspruch nach den oben angestellten Erwägungen dem Grunde nach zu bejahen, so ist in einem weiteren Schritt sein Inhalt zu prüfen. Da § 364b ABGB eine Sonderregel für (negative) Immissionen ist (Eccher/Riss in KBB5 § 364b Rz 1; Winner in Rummel/Lukas4 § 364b Rz 1), sind insofern die zu § 364 ABGB entwickelten Grundsätze anzuwenden. Daher richtet sich der Anspruch – wenn nicht wegen einer schon eingetretenen Vertiefung Wiederherstellung begehrt wird – auf Unterlassung des Eingriffs; die Auswahl der dafür erforderlichen Maßnahmen ist grundsätzlich dem Verpflichteten überlassen (8 Ob 135/06w SZ 2007/106 = wobl 2007/124 [Vonkilch] = RdU 2008, 68 [Kerschner] mwN; RS0010566; RS0010526 [jeweils zu § 364 ABGB]). Insofern können ihm „geeignete Vorkehrungen“ aufgetragen werden (Winner in Rummel/Lukas4 § 364 Rz 41 mwN; vgl insb 1 Ob 17/78 SZ 52/55). Konkrete Maßnahmen können nur dann verlangt werden, wenn sie das einzige Mittel zur Verhinderung des Erfolgs sind (5 Ob 86/03p; 5 Ob 2/11x; 4 Ob 99/12f; 6 Ob 98/17f). Ob Letzteres hier zutrifft, wäre mit den Parteien zu erörtern: gegebenenfalls wären auch dazu Feststellungen zu treffen.

4. Soweit der Kläger seinen Anspruch auf die angebliche Dienstbarkeit des Parkens auf dem Grundstück der Erstbeklagten gründet, stützt er sich offenkundig auf § 364 ABGB (unzulässige Immission durch Herabfallen von Mauerbestandteilen auf die Servitutsfläche). Das ist nicht von vornherein ausgeschlossen, weil neben dem Eigentümer auch andere dinglich Berechtigte einen Abwehranspruch nach § 364 ABGB geltend machen können (RS0010603).

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht allerdings eine Vereinbarung festgestellt, wonach der Kläger den Parkplatz am Unterliegergrundstück nur „prekarisch“ nutzen darf. Darin liegt nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens eine Abänderung der – kurz davor geschlossenen – Dienstbarkeitsvereinbarung. Weshalb die Vorinstanzen (anscheinend) dennoch von einer Dienstbarkeit ausgehen, ist nicht erkennbar. Auch das wird im fortgesetzten Verfahren zu klären sein. In Bezug auf das Prekarium hat die Erstbeklagte einen Widerruf behauptet (ON 208); dazu fehlen Feststellungen.

Sollten die Vorinstanzen nach Erörterung aufgrund einer verbreiterten Tatsachengrundlage vom Bestehen einer Dienstbarkeit ausgehen, stellen sich grundsätzlich dieselben Fragen wie beim Anspruch nach § 364b ABGB (oben 3.). Ein Anspruch kann von vornherein nur bestehen, wenn der Kläger allenfalls erforderliche Erhaltungsmaßnahmen nicht im Miteigentumsverhältnis durchsetzen kann. Die Immission, dh das Herabfallen von Mauerteilen, müsste zumindest konkret bevorstehen; bestimmte Maßnahmen könnten auch in diesem Fall nur dann gefordert werden, wenn sie tatsächlich das einzige Mittel zur Abwendung des Erfolgs wären.

5. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht zunächst die in Punkt 2.3. dargestellten Fragen zu erörtern haben. Sollte das danach erstattete Vorbringen zum Ergebnis führen, dass ein Anspruch nach § 364b ABGB bestehen könnte, wäre das Verfahren im Sinn von Punkt 3.2. (b) und (c) zu ergänzen. Sollte sich der Kläger weiterhin auf den Eingriff in seine Dienstbarkeit des Parkens auf dem Unterliegergrundstück berufen, wäre deren Bestehen und – ebenso wie in Bezug auf die Stützfunktion – Grund und Inhalt des Anspruchs zu prüfen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.

Textnummer

E127070

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00075.19X.1217.000

Im RIS seit

21.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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