TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/28 W250 2144544-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2019
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Entscheidungsdatum

28.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W250 2144544-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkhilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 04.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 05.11.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an im Iran geboren und aufgewachsen zu sein. Er habe keinen Bezug zu Afghanistan und könne dort nicht überleben. Zudem herrsche in Afghanistan Krieg, weshalb sein Leben in Gefahr sei. Den Iran habe er verlassen, weil er keine Aufenthaltsberechtigung besessen habe.

3. Im Zuge eines Termins beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) am 11.11.2015 kamen Zweifel an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers auf. Das vom Bundesamt in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung vom 26.05.2016 nennt betreffend den Beschwerdeführer den XXXX als spätestmöglichen "fiktiven" Geburtstag, sodass eine Minderjährigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Asylantragstellung nicht ausgeschlossen werden konnte.

Gestützt auf das Sachverständigengutachten setzte das Bundesamt mit Verfahrensanordnung vom 19.06.2016 als Geburtsdatum für das Mindestalter des Beschwerdeführers den XXXX fest. Die Vollendung des 18. Lebensjahres wurde anhand des errechneten ‚fiktiven' Geburtsdatums sohin am XXXX erreicht.

4. Am 28.09.2016 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass sein Vater im Alter von ca. 5 Jahren wegen des Krieges und dem Überfall durch die Sowjetunion in den Iran gekommen sei. Der Beschwerdeführer selber sei nie in Afghanistan gewesen. Den Iran habe er verlassen, weil er dort illegal gelebt und keine Dokumente gehabt habe.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht geltend gemacht habe und eine solche im Verfahren auch nicht hervorgekommen sei. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, weshalb davon auszugehen sei, dass er auch künftig in der Lage sein werde - erforderlichenfalls unter Inanspruchnahme des Familienverbandes - seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das Bundesamt unter Verletzung der Ermittlungspflicht keinerlei aktuelle Länderfeststellungen zur Situation der schiitischen Minderheit der Hazara in Afghanistan getroffen habe. Dem Beschwerdeführer drohe als schiitischen Hazara Verfolgung durch muslimische Extremisten, insbesondere die sunnitischen Taliban und den Islamischen Staat. Zudem sei er westlich orientiert und könne sich nicht vorstellen in der traditionalistischen afghanischen Gesellschaft zu leben. Er spreche Farsi und nicht Dari, weshalb er als Iraner eingeordnet werde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht, da der Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Verfolgung aufgrund seiner aufgeschlossenen politischen Gesinnung, seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit befürchten müsse. Darüber hinaus sei der afghanische Staat nicht in der Lage bzw. willens, dem Beschwerdeführer Schutz vor Verfolgung zu bieten. Der Beschwerdeführer könne in Kabul mangels notwendiger Unterstützung nicht Fuß fassen und sei er als vulnerabel zu bezeichnen, zumal er sehr jung und minderjährig aussehe und Angehöriger der schiitischen Hazara sei. Dem Beschwerdeführer sei jedenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen.

7. Zu der am 02.05.2017 anberaumten mündlichen Verhandlung ist der Beschwerdeführer unentschuldigt nicht erschienen.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.05.2017 wurde das Beschwerdeverfahren des Beschwerdeführers eingestellt, da sich der Beschwerdeführer iSd § 24 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (AsylG) dem Verfahren entzogen hat.

8. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 19.07.2017, GZ XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX verurteilt, wovon XXXX unter Bestimmung einer Probezeit von XXXX Jahren bedingt nachgesehen wurden.

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.01.2018 wurde das Beschwerdeverfahren fortgesetzt.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 27.04.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem Bundesamt übermittelt.

11. Mit Stellungnahme vom 16.05.2018 wurde vorgebracht, dass die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14.12.2017 die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan bestätige sowie vor einer humanitären Krise warne und die Regierungen auffordere von Rückführungen nach Afghanistan Abstand zu halten, weil diese einen unmittelbaren Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht darstellen würden. Selbst wenn die Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart schlecht eingeschätzt werde, dass der Beschwerdeführer dort dem innerstaatlichen Konflikt zum Opfer fallen würde, sei die sichere Erreichbarkeit nicht gegeben. Da der Beschwerdeführer seine prägenden Jahre außerhalb Afghanistans verbracht habe, sei er weder mit den afghanischen Traditionen noch mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten genügend vertraut. Er halte sich auch nicht an die islamischen Regeln, zumal er während des Ramadans nicht faste, was nachweislich zu einer schlechten Behandlung durch die Gesellschaft bzw. zur polizeilichen Willkür führen würde. Selbst die Großstädte Afghanistans könnten dem Beschwerdeführer nicht die notwendige Infrastruktur im Fall der Rückkehr bieten und sei die Sicherheitslage auch dort prekär, sodass auch dort eine Neuansiedlung des Beschwerdeführers nicht zumutbar sei.

12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.07.2019 unter Wiedereröffnung des Beweisverfahrens in Anwesenheit eines Dolmetschers sowie im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers und eines Vertreters des Bundesamtes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

13. Mit Stellungnahme vom 22.07.2019 wurde vorgebracht, dass es in Afghanistan bei Vergewaltigungsopfern zu einer Opfer-Täter-Umkehr komme, weshalb der Beschwerdeführer aufgrund der Teilnahme an gleichgeschlechtlichem Geschlechtsverkehr sowohl strafrechtlich als auch gesellschaftlich verfolgt werden würde. Zudem sei die Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen in Kabul nicht gewährleistet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Sadat (auch Sayeed genannt), einer Untergruppe der Hazara, an, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache sowie die Sprache Farsi. Er ist ledig und hat keine Kinder (Protokoll vom 27.04.2018 - OZ 21, S. 3, 5 ff; Protokoll vom 09.07.2019 - OZ 31, S. 5).

Der Vater des Beschwerdeführers stammt aus der afghanischen Provinz Ghazni. Er verließ Afghanistan aufgrund des Krieges (AS 143; OZ 21, S. 9, 17). Die Mutter des Beschwerdeführers stammt aus Pakistan (OZ 21, S. 9, 11).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni geboren. Er ist im Iran, in XXXX im Dorf XXXX gemeinsam mit seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern (zwei Brüdern und drei Schwestern) aufgewachsen (AS 31, 143; OZ 21, S. 5 f). Er hat fünf Jahre lang eine afghanische Privatschule im Iran besucht und danach als Hilfsarbeiter im Iran gearbeitet (AS 31, 144 f; OZ 21, S. 7 f, 10 f). Ca. im Jahr 2014 ist der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie wieder zurück nach Afghanistan gezogen.

Der Beschwerdeführer ist mit der afghanischen Kultur und Tradition vertraut (OZ 21, S. 9).

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 04.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 31 ff).

Die Familie des Beschwerdeführers (bestehend aus seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern) lebt in Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie. Der älteste Bruder des Beschwerdeführers ist nicht im Gefängnis. Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet als Hilfsarbeiter auf Baustellen in Afghanistan, seine Mutter ist Hausfrau (AS 144; OZ 21, S. 10 ff).

Darüber hinaus leben vier Onkel sowie zwei Tanten väterlicherseits im Iran. Seine Onkel arbeiten auf Baustellen im Iran (OZ 21, S. 11 f).

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund und arbeitsfähig. Er hat am 02.07.2019 ein Erstgespräch für eine psychotherapeutische Behandlung wahrgenommen (OZ 31 - Beilage ./C).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Aus den Gründen, die zur Ausreise des Vaters des Beschwerdeführers aus Afghanistan geführt haben, kann keine Gefahr von physischer und/oder psychischer Gewalt für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan abgeleitet werden.

1.2.2. Darüber hinaus droht dem Beschwerdeführer keine konkrete und individuelle physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan wegen seiner ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara. Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Religions-gemeinschaft der Schiiten oder der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.

1.2.3. Der Beschwerdeführer gilt aufgrund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat, in Afghanistan weder als westlich orientiert noch ist er psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt. Afghanischen Staatsangehörigen, die aus dem Iran bzw. Europa nach Afghanistan zurückkehren, droht in Afghanistan allein aufgrund ihres Aufenthaltes außerhalb Afghanistans keine psychische und/oder physische Gewalt.

1.2.4. Dem Beschwerdeführer droht aufgrund einer allenfalls stattgefundenen Vergewaltigung durch seinen Mitbewohner in der Unterkunft in Österreich weder eine staatliche noch gesellschaftliche Verfolgung in Afghanistan. Familienmitgliedern des Beschwerdeführers oder anderen Personen in Afghanistan ist nicht bekannt, dass der Beschwerdeführer in Österreich allenfalls vergewaltigt wurde.

1.2.5. Der Beschwerdeführer verließ den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort illegal aufhältige Afghanen. Der Beschwerdeführer hat im Iran keine Handlungen gesetzt, die ihn in Afghanistan einer Verfolgungsgefahr aussetzen.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Dem Beschwerdeführer ist es jedoch möglich und zumutbar sich in der Stadt Mazar-e Sharif anzusiedeln. Die Wohnraum- und Versorgungslage in Mazar-e Sharif ist zwar sehr angespannt, der Beschwerdeführer kann jedoch bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer ist mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut. Er hat keine Unterhaltspflichten. Er kann zumindest anfänglich mit finanzieller Unterstützung seiner Verwandten rechnen und dann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist seit seiner Antragsstellung am 04.11.2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung in Österreich nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat an Deutschkursen teilgenommen (OZ 21 - Beilage ./A und ./B), jedoch noch keine Deutschprüfung abgelegt. Er verfügt über ausreichende Deutschkenntnisse. Er hat an einer 12-teiligen Dialogreihe von XXXX bis XXXX teilgenommen (OZ 31 - Beilage ./A).

Der Beschwerdeführer hat mit XXXX begonnen am Projekt " XXXX " an der beruflichen Qualifizierung im Ausbildungsbereich Gastronomie teilzunehmen. Nach einem Monat wechselte er im Rahmen des Projekts in den Vorbereitungslehrgang und kehrte ab dem XXXX wieder in den Qualifizierungsbereich Gastronomie zurück. Die Qualifizierung im Projekt endet mit XXXX . Inhaltlich ist das Projekt am ersten Lehrjahr für den Beruf des Kochs orientiert und besteht aus vier Arbeits- sowie einem Unterrichtstag pro Woche (OZ 31 - Beilage ./B; OZ 21 - Beilage ./C).

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil eines Landesgerichtes vom 19.07.2017 wegen des Vergehens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX verurteilt, wovon XXXX unter Bestimmung einer Probezeit von XXXX Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung. Er verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019, wiedergegeben:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 04.06.2019 - LIB 04.06.2019, S.65).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (LIB 04.06.2019, S.13).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (LIB 04.06.2019, S.13).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (LIB 04.06.2019, S.13 f).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst ca. 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 04.06.2019, S.23).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 04.06.2019, S.69).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 04.06.2019, S.69). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 04.06.2019, S.69 ff).

Provinz Ghazni

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni ist die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird. Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (LIB 04.06.2019, S.129).

Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (LIB 04.06.2019, S.129).

Die Provinz Ghazni zählt zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv. In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (LIB 04.06.2019, S.130).

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (LIB 04.06.2019, S.130).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (LIB 04.06.2019, S.130).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 04.06.2019, S.131).

Sowohl das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (LIB 04.06.2019, S.132).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 04.06.2019, S. 108 f).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 04.06.2019, S. 109, 266).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 04.06.2019, S. 109).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 04.06.2019, S. 109).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84,7-89,7% Sunniten. Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus (LIB 04.06.2019, S.309).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (LIB 04.06.2019, S.311).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 04.06.2019, S.312).

Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (LIB 04.06.2019, S.312).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB 04.06.2019, S.312).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 04.06.2019, S.312 f).

Es wurde zwar eine steigende Anzahl von Angriffen gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige registriert, wovon ein Großteil der zivilen Opfer schiitische Muslime waren. Die Angriffe haben sich jedoch nicht ausschließlich gegen schiitische Muslime, sondern auch gegen sunnitische Moscheen und religiöse Führer gerichtet (LIB 04.06.2019, S.69 ff).

Angehörige der Schiiten sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (LIB 04.06.2019, S.319).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet.". Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es werden keine bestimmten sozialen Gruppen ausgeschlossen. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 04.06.2019, S.319 f).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 04.06.2019, S.320).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB 04.06.2019, S.321).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 04.06.2019, S.322).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (LIB 04.06.2019, S.322).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. In der afghanischen Gesellschaft existiert die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Mitglieder der Hazara-Ethnie beschweren sich über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. Die Arbeitsplatzanwerbung erfolgt hauptsächlich über persönliche Netzwerke; Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (LIB 04.06.2019, S.322 f).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB 04.06.2019, S.323).

Angehörige der Hazara sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 04.06.2019, S.362 f).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan. (LIB 04.06.2019, S.364 f).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 04.06.2019, S.358).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 04.06.2019, S.358 f).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 04.06.2019, S.371).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 04.06.2019, S.372 f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 04.06.2019, S.373 f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 04.06.2019, S.374).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 04.06.2019, S.375 f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 04.06.2019, S.376).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 04.06.2019, S.376).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Rückkehrer allein aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt sind.

1.5.2. Auszug aus dem Artikel "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann in Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff:

"[...] I. Politische Rahmenbedingungen

I.1. Allgemeine ökonomische Lage

Genauso wie die Dunkelziffer zu Opfern von Krieg und Gewalt in Afghanistan immens ist, können auch aktuelle Wirtschaftsdaten in Afghanistan nur dazu dienen, Tendenzen nachzuzeichnen. Große Teile des Landes sind aufgrund der Sicherheitslage für internationale Akteure nicht mehr ausreichend zugänglich und von Seiten der afghanischen Regierung besteht kein Interesse daran, mit schlechten Nachrichten Schlagzeilen zu machen. Daten wie Arbeitslosenrate oder Bruttoinlandsprodukt wurden so im letzten Jahr gar nicht mehr erhoben. Selbst die Einwohnerzahl Afghanistans oder von Städten wie Kabul beruht auf Schätzungen. Noch viel weniger weiß man, wie viele Menschen tatsächlich im Land auf der Flucht sind, wie viele akut humanitäre Hilfe bräuchten oder wie viele letztes Jahr an vermeidbaren Krankheiten gestorben sind. Was die verfügbaren Daten jedoch deutlich belegen, ist ein massiver Einbruch der Wirtschaft seit 2012. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts ist von 14,4% in 2012 auf 0,8% in 2015 gesunken. Schon im Jahr 2015 hat UNHCR die Zahl der "Persons of Concern" (also der Personen, die unter das Mandat der Organisation fallen, im Fall Afghanistan vor allem Binnenvertriebene und Rückkehrende) mit 1,77 Millionen veranschlagt. Für 2017 geht das UNOCHA davon aus, dass 9,3 Millionen Afghanen akut von humanitärer Hilfe abhängig sein werden, was einen Zuwachs von 13% im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Für den wirtschaftlichen Einbruch ist zunächst der Abzug der internationalen Truppen, als dem größten singulären Auftraggeber und Dienstleistungsempfänger, verantwortlich. Die sich konstant verschlechternde Sicherheitslage und fehlende Rechtsstaatlichkeit reduzieren Investitionen durch private Akteure, aber auch durch Staaten und Organisationen im Rahmen internationaler Entwicklungshilfe, auf ein Minimum. Von den verfügbaren Mitteln zieht Korruption große Teile ab und sorgt dafür, dass Gelder, die dem Wiederaufbau Afghanistans zugutekommen sollten, stattdessen den Krieg befeuern.

I.2. Binnenvertreibung und Landflucht

Insbesondere die Städte sind zudem mit immenser Zuwanderung konfrontiert. Dies ist mehreren Faktoren geschuldet: Der Hauptgrund sind akute Kampfhandlungen, da diese nicht nur eine Gefahr für Leib und Leben darstellen und für viele persönliche Verfolgung begründen, sondern auch die sensiblen landwirtschaftlichen Abläufe stören. Nur wenige Bauern können eine ausgefallene Ernte wirtschaftlich verkraften und haben dann häufig keine andere Wahl, als ihr Land zu verkaufen. Die Landflucht ist aber auch dem Versagen der Institutionen geschuldet, die für die Aufrechterhaltung rechtsstaatlicher Strukturen relevant sind, sowie der Macht krimineller Organisationen und ihrer Verquickung mit politisch machtvollen Akteuren. Land wird so zur leichten und, aufgrund seines hohen Wertes, zur willkommenen Beute für Raub. Vom Land in die Städte müssen auch viele derer fliehen, die aufgrund von Naturkatastrophen, wie zum Beispiel Erdbeben, Überschwemmungen, Dürren, Lawinen oder Erdrutschen, ihre Lebensgrundlage verlieren. Laut UNOCHA waren in den letzten zehn Jahren jährlich im Schnitt 235.000 Menschen in Afghanistan von Naturkatastrophen betroffen. Amnesty International hat schon im April 2016 die Zahl intern Vertriebener auf 1,2 Millionen geschätzt. Bis Jahresende wurden 2016 zudem insgesamt 623.345 Menschen kriegsbedingt vertrieben. Das sind dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012,15 wobei das nur diejenigen sind, die offiziell registriert wurden. UNOCHA betont auch, dass der eingeschränkte Zugang humanitärer Organisationen nicht nur die Versorgung, sondern auch die generelle Beurteilung der Lage und somit auch die Aussagekraft dieser Zahlen einschränkt.

I.3. Vertreibung aus Nachbarländern

Dazu kommen all jene, die zwangsweise aus den Nachbarländern nach Afghanistan zurückkehren müssen. Nicht nur Iran schiebt vermehrt afghanische Staatsangehörige ab, auch Pakistan hat im letzten Herbst entschieden, ab April 2017 keine afghanischen Personen mehr im Land zu dulden. Der Termin ist so nicht zu halten und wurde inzwischen auch vertagt. An dem Druck auf afghanische Staatsangehörige, der unter anderem mittels Drohungen, Inhaftierung, Erpressung und unrechtmäßige Verhaftung etabliert wird, das Land zu verlassen, wird das aller Voraussicht nach nichts ändern. Zusätzlich zu den 1,6 Millionen afghanischen Staatsangehörigen, die in Pakistan bisher einen Flüchtlingsstatus hatten, betrifft diese Entscheidung nach Schätzungen der pakistanischen Regierung zumindest eine weitere Million illegal dort lebender afghanischer Personen. Allein 2016 sind so 1.034.000 Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei als "Rückkehrende" auch jene gelten, deren Eltern schon in Pakistan geboren wurden. Diese erzwungene Rückkehr wird nicht nur aufgrund der akut drohenden Gefahren durch Krieg und Verfolgung von vielen verurteilt. Die immensen Zahlen von Rückkehrenden verschärfen auch weiter die schon bestehende humanitäre Notsituation.

I.4. Begrenzte Niederlassungsoptionen für Rückkehrende

Die wenigsten Rückkehrenden werden in die Orte zurückkehren können, aus denen ihre Familien stammen und welche sie häufig vor Jahrzehnten verlassen haben. Nicht nur, dass alte Häuser zerstört sind; vor allem ist die Verteidigung alter Besitztitel und damit der Zugang zu Land nach Jahrzehnten praktisch kaum realisierbar. Auch das Gesetz zur Zuweisung von Land an Rückkehrende und Binnenvertriebene (IDPs) hat sich als ineffektiv erwiesen. Sich an einem fremden Ort niederzulassen und Zugang zu Land zu erlangen, was insbesondere im ländlichen Raum eine Vorbedingung der Existenzsicherung darstellt, ist nur in extremen Ausnahmefällen möglich. Sofern Land nicht vererbt wird, ist ein Besitzwechsel Ausdruck veränderter Machtverhältnisse, sei es innerhalb oder zwischen Gemeinschaften. Neue Machtverhältnisse wurden und werden erfahrungsgemäß häufig durch Landraub und Vertreibung durchgesetzt. Aufgrund dieser Erfahrung haben lokale Gemeinschaften ein großes Interesse, sich gegen die Ansiedlung konkurrierender Gruppierungen oder Fremder zur Wehr zu setzen. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass eine Privatperson ohne Kontakte zu einer machtvollen Elite in einer fremden Region praktisch die Möglichkeit bekommen wird, Landbesitz zu erwerben. Das gilt selbst für Angehörige der gleichen ethnischen Gruppe, wie Tadschiken im Pandjir-Tal, ist aber insbesondere dann der Fall, wenn die dominante Mehrheitsbevölkerung entlang alter oder neue Frontlinien auch politisch zum Gegner geworden ist, wie etwa Hazara gegenüber Paschtunen in Bamyan. Die meisten Rückkehrenden hätten aber sowieso nicht die finanziellen Mittel, die nötig wären, um Land zu erwerben. Die über 600.000 kriegsbedingt Binnenvertriebenen im Jahr 2016 illustrieren zudem eindrücklich, dass selbst viele derer, die ihr Land bisher nicht verloren hatten und vor Ort sozial eingebunden waren, es kriegsbedingt nicht schaffen, in ihren Heimatorten zu überleben. Die Mehrheit der Rückkehrenden hat daher keine andere Wahl als in Städten Zuflucht zu suchen, wobei die Situation in Kabul als Beispiel dienen kann. Als Hauptzielort der größten Rückkehrbewegung der Geschichte ist die Stadt seit 2001 von 500.000 auf geschätzte 5-7 Millionen Einwohner angewachsen, ohne dass der Aufbau der Infrastruktur auch nur annähernd damit hätte Schritt halten können. Eine Analyse von Amnesty International vom Mai 2016 belegt eindrücklich das Scheitern der afghanischen Regierung und der internationalen Organisationen, die Regierungspläne von 2014 zum Schutz der Binnenvertriebenen umzusetzen und Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen in den Slums zu gewährleisten. Humanitäre Organisationen sowie internationale Medien warnen, dass die humanitäre Katastrophe mit den derzeit verfügbaren Mitteln nicht abzuwenden sei.

II. Notwendigkeit sozialer Netzwerke

Unter den Rückkehrenden, aber auch unter den Binnenvertriebenen, sind insbesondere jene akut in ihrem Überleben gefährdet, die keine verlässliche Unterstützung durch bestehende soziale Netzwerke haben. Es ist kein neues Phänomen, dass Zugang zu Arbeit, Wohnraum und überlebenswichtigen Ressourcen in Afghanistan in der Regel über bestehende Kontakte und klientelistische Netzwerke funktioniert. Das wird in Bescheiden des Bundesamts auch so anerkannt. Was jedoch bisher dort kaum Anerkennung findet, sind die Konsequenzen des Einbruchs der Wirtschaft und des massiven Anstiegs von Rückkehrenden und Binnenvertriebenen für den Zugang zu existenziellen Ressourcen.

II.1. Arbeits- und Wohnungsmarkt

Angesichts fehlender sozialstaatlicher Sicherheiten stellt der Zugang zum Arbeitsmarkt die Grundbedingung für sozio-ökonomische Sicherung dar. Schon 2015 lag die landesweite Arbeitslosenquote jedoch bei offiziell 40%, wobei der Anteil in den Städten deutlich höher liegt, da die Landwirtschaft, in der 60% der erwerbstätigen Bevölkerung tätig sind, weiterhin der stabilste Beschäftigungssektor ist. Zudem betrifft der weitgehende Abzug internationaler Truppen, der Einbruch von Investitionen und die Verringerung der Entwicklungshilfe vor allem das Baugewerbe und den Dienstleistungssektor. Der allgemeine Niedergang der Wirtschaft trifft somit insbesondere die Stadtbevölkerung, die im Gegensatz zur Landbevölkerung keine Chance auf subsistenzbasierten Lebensunterhalt hat. Eine Erhebung von Democracy International hat eine Jugendarbeitslosigkeit von 82% ergeben, und das österreichische Bundesverwaltungsgericht beruft sich auf ein Gutachten vom September 2014, das für Mazar-e Sharif von einer Arbeitslosenquote von 70% ausgeht. Nicht nur für die traditionellen Familienbetriebe, die die Privatwirtschaft prägen, sondern auch für den Staatsdienst gilt, dass Arbeitsplätze nur über Beziehungen zu erlangen sind. Schulische und berufliche Qualifikationen sind demgegenüber auf dem Arbeitsmarkt von geringer Bedeutung. Auch die gezielte Beratung von Rückkehrenden in Kabul stößt hier an ihre Grenzen, denn wo es keine Arbeitsplätze gibt, können auch keine vermittelt werden. Die Auswertung der Erfahrung mit weitergehender Rückkehrförderung abgelehnter Asylsuchender durch Großbritannien, wie zum Beispiel zur beruflichen Qualifizierung oder der Förderung eines eigenen Gewerbes, hat ebenfalls ergeben, dass dies ohne unterstützende Netzwerke und lokalen Schutz keine nachhaltige Perspektive eröffnet. Die zunehmende Alltagskriminalität und insbesondere die Bedrohung, denen privatwirtschaftliche Betriebe gerade in den Städten durch kriminelle Banden ausgesetzt sind, versetzt Einzelpersonen in Fällen von Raub, Schutzgelderpressung oder Entführungen in eine noch ungeschütztere Lage als sie für jene besteht, die zumindest über soziale Netzwerke verfügen. Fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt schränkt in der Konsequenz auch den Zugang zum Wohnungsmarkt ein, soweit dieser angesichts des immensen Zuzugs in die Städte noch als "Markt" bezeichnet werden kann. Schon der "Afghan Living Conditions Survey 2013-2014" hat ergeben, dass 73,8% der städtischen Bevölkerung in Slums leben. Die Kaltmiete für eine Wohnung liegt laut IOM zwischen 400 und 600 US-$ pro Monat, was mit durchschnittlichen afghanischen Löhnen von 80-120US-$ offensichtlich nicht bezahlbar ist. Sofern überhaupt noch Wohnraum auf dem freien Markt verfügbar ist, haben allerdings in aller Regel nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Man benötigt also sowohl soziale Netzwerke, als auch außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben.

II.2. Gesundheitsversorgung

Ohne Perspektive auf Arbeit oder Wohnraum zu sein, ist nicht nur im harschen afghanischen Winter lebensbedrohlich. UNOCHA warnt eindringlich, dass die katastrophalen sanitären und hygienischen Bedingungen, der fehlende Zugang zu Trinkwasser und die Enge in den Slums die akute Gefahr der unkontrollierten Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen begründet. Unter- und Mangelernährung und die schlechte Qualität der medizinischen Versorgung, so es sie denn gibt, potenzieren diese Gefahr. Die in den Städten verfügbare, jedoch weitgehend kommerzielle, medizinische Versorgung zwingt Betroffene zudem häufig in die Verschuldung, welche die gesundheitlichen Gefahren von Unterernährung und Obdachlosigkeit nach sich zieht. Nicht nur für Kinder, Alte und Kranke, sondern auch für junge, gesunde Erwachsene sind diese Umstände lebensgefährlich. Selbst Hilfe in Notfällen ist mit den 15 verfügbaren Krankenwagen in der Millionenstadt Kabul offensichtlich nicht gewährleistet. Doch mit dem Transport ins Krankenhaus alleine wäre Notfallversorgung auch noch nicht gesichert, denn es bedarf wiederum privater Hilfe, um die Medikamente und häufig auch die Ärztinnen und Ärzte zu bezahlen, Essen gebracht zu bekommen, gepflegt zu werden und nicht zuletzt muss jemand Hab und Gut der verletzten Person schützen. Viele der einfachen Krankenstationen sind zudem nicht für komplexere notfallmedizinische Behandlungen ausgerüstet. [...]

II.3. Überleben aus eigener Kraft?

Einschätzungen zur allgemeinen ökonomischen Lage, die sich weiterhin auf Daten von 2012 beziehungsweise auf noch ältere Urteile beziehen, wie sie häufig in Bescheiden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu finden sind, können weder den Zusammenbruch der afghanische Wirtschaft seither, noch die grundlegend infrage gestellten Überlebenschancen angesichts der sich abzeichnenden humanitären Katastrophe berücksichtigen. Die Annahme, dass zumindest alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern können, ist durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen jedoch grundlegend infrage gestellt. Selbst wer vom Land in die Städte flieht und dort keine Angehörigen hat, die in der Lage und bereit sind, Arbeit und Wohnraum zu bieten, hat auf dieser Grundlage keine Chance mehr, sich oder seine Familie zu ernähren. Das trifft jedoch umso mehr diejenigen, die aus langjährigem Exil zurückkehren oder dort sogar aufgewachsen sind, denn sie hatten auch keine Chance, alternative Unterstützungsnetzwerke aufzubauen oder die komplexen Regeln des alltäglichen Überlebens in Afghanistan zu lernen. Manche derer, die aus den Nachbarländern zurückkehren, werden noch ein paar Monate von Erspartem leben oder von den Einmalzahlungen von UNHCR ein paar Wochen lang Lebensmittel kaufen können. Eine nachhaltige Lösung oder Aussicht auf Arbeit oder Wohnraum wird damit aber nicht geschaffen. Dasselbe gilt für diejenigen, die finanzielle Rückkehr- oder Wiedereingliederungshilfen im Zuge einer Abschiebung aus Europa erhalten, sich aber nicht auf die Unterstützung eines vertrauenswürdigen, ökonomisch abgesicherten Netzwerks verlassen können. [...]".

1.5.3. Auszug aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD vom 12.06.2015 zur Situation von afghanischen Staatsangehörigen (insbesondere Angehörigen der Volksgruppe der Hazara), die aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehren (a-9219):

"[...] In der im Mai 2014 veröffentlichten Ausgabe der Forced Migration Review (FMR), einer Publikation des Refugee Studies Centre der Universität Oxford, findet sich ein Artikel von Armando Geller und Maciej M. Latek, Mitbegründer von Scensei, einem Unternehmen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung und Durchführung von Analysen. Darin gehen die Autoren auf die Motivationen und die Lage von afghanischen Flüchtlingen im Iran ein, die nach Afghanistan zurückkehren. Wie der Artikel anführt, würden RückkehrerInnen bei ihrer Ankunft in Afghanistan nach einer Abwesenheit von sieben bis 30 Jahren bemerken, dass sie weitgehend von den Verwandtschafts-, Geschäfts- und Patronage-Beziehungen, die sich in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hätten, ausgeschlossen seien. So würden RückkehrerInnen beispielsweise berichten, dass sie kein

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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