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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrG 1993 §81 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des P M in Wien, vertreten durch Mag. Harald Schuster, Rechtsanwalt in Wien VIII, Wickenburggasse 3/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. März 1998, Zl. SD 1168/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 16. März 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und Z. 5 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer habe vom 15. Jänner bis Ende Februar 1986 aufgrund einer Verpflichtungserklärung über einen Sichtvermerk verfügt. Einen im April desselben Jahres gestellten Antrag (auf Erteilung eines Sichtvermerkes) habe er zurückgezogen. Aufgrund einer weiteren Verpflichtungserklärung habe er einen Sichtvermerk für die Zeit von November 1987 bis Ende März 1988 erhalten, sei aber bereits im Jänner 1988 wieder nach Jugoslawien zurückgereist. Erst Ende September 1988 sei er wieder nach Wien gekommen und habe ab Oktober 1988 Sichtvermerke und in der Folge Aufenthaltsbewilligungen, zuletzt gültig bis 4. November 2001, erhalten.
Eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien wegen der §§ 12, 127, 202 und 204 StGB sei gemäß § 90 StPO zurückgelegt worden. 1995 sei der Beschwerdeführer von der Bundespolizeidirektion Linz wegen des Verdachtes der Schlepperei angezeigt worden, weil er als Beifahrer eines Kraftfahrzeuges, in dem sich vier "illegale Personen" befunden hätten, angehalten worden sei. Dieses Verfahren habe im Zweifel eingestellt werden müssen. Am 10. Jänner 1997 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der gewerbsmäßigen Schlepperei gemäß § 81 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 des Fremdengesetzes aus 1992 sowie wegen des Vergehens nach § 36 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz rechtskräftig zu einer neunmonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dem sei zugrunde gelegen, daß der Beschwerdeführer im September 1996 gewerbsmäßig die rechtswidrige Ausreise von sechs jugoslawischen Staatsangehörigen nach Deutschland organisiert habe. Weiters habe er von 1993 bis 3. Dezember 1996 eine Pistole unbefugt besessen.
Der Beschwerdeführer erfülle daher die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 1 und Z. 5 FrG. Das ihm zur Last gelegte Verhalten stelle eine besonders schwerwiegende Gefährdung eines geordneten Fremdenwesens und damit der öffentlichen Ordnung im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG dar. In einem solchen Fall sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unter dem Vorbehalt der §§ 37 und 38 FrG gerechtfertigt.
Aufgrund des langjährigen inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers und der Tatsache, daß sich auch seine Gattin und seine beiden minderjährigen Kinder hier aufhielten, sei das Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur "Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens", somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, dringend geboten. Die im Hinblick auf die Integration des Beschwerdeführers, bei der allerdings die soziale Komponente durch die Straftaten erheblich beeinträchtigt sei, gegebenen Auswirkungen auf seine Lebenssituation und die seiner Familie seien angesichts der Bedeutung, die einer Bekämpfung des Schlepperunwesens zukomme, keineswegs so schwerwiegend wie die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.
Da sich der Beschwerdeführer erst seit Oktober 1988 - somit noch nicht zehn Jahre - durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung gefährde, stehe dem Aufenthaltsverbot weder § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG noch die Z. 3 dieser Bestimmung entgegen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. In der Beschwerde bleibt die auf der unbestrittenen Sachverhaltsannahme beruhende - unbedenkliche - Auffassung der belangten Behörde, daß die Tatbestände des § 36 Abs. 2 Z. 1 und Z. 5 FrG verwirklicht seien, unbekämpft.
1.2. Entgegen der Beschwerde teilt der Gerichtshof auch die Beurteilung der belangten Behörde, daß das der Verurteilung des Beschwerdeführers zugrundeliegende Fehlverhalten die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertige.
Der Beschwerdeführer bringt dazu vor, daß er nur einmal verurteilt worden sei, die neunmonatige Freiheitsstrafe "am unteren Ende der Bewertungsskala" liege und allein aus der bedingten Strafnachsicht zu ersehen sei, "daß das Gericht lediglich untergeordnete Rolle im gesamten Tatgeschehen zugebilligt hat".
Dem ist zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer sechs Personen gewerbsmäßig, d.h. mit der Absicht, sich durch wiederkehrende Schleppertätigkeit eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, geschleppt hat, ein Verhalten, das die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens erheblich gefährdet, und darüber hinaus drei Jahre hindurch eine Pistole unbefugt besessen hat. Dieses Fehlverhalten hatte die belangte Behörde eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und somit unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen für die Strafzumessung zu beurteilen (vgl. etwa das zum Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 (im folgenden: FrG 1992), ergangene, wegen der insoweit nicht geänderten Rechtslage auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1997, Zl. 97/18/0559).
2. Gegen die von der belangten Behörde getroffene Beurteilung nach § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG bestehen keine Bedenken. Die Behörde hat aufgrund der Aufenthaltsdauer und des inländischen Aufenthaltes der Familie zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers angenommen. Ebenso zutreffend ist sie aber zu dem Ergebnis gelangt, daß die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten sei, weil im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 MRK die Notwendigkeit eines Aufenthaltsverbotes in dem besonders großen öffentlichen Interesse an der Bekämpfung des Schlepperunwesens begründet sei (vgl. das zum FrG 1992 ergangene, wegen der insoweit nicht geänderten Rechtslage auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1997, Zl. 97/18/0577). Wenn die belangte Behörde bei der nach § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Interessenabwägung die Auffassung vertreten hat, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie weniger schwer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung, kann dies schon angesichts der nachhaltigen Gefährdung des genannten maßgeblichen öffentlichen Interesses durch die der gerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Schlepperei - es kann daher dahinstehen, ob die belangte Behörde auch die Taten, derentwegen der Beschwerdeführer nicht verurteilt wurde, miteinbezogen hat - selbst dann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn man zugunsten des Beschwerdeführers auch dessen Berufstätigkeit zur Zufriedenheit seines Arbeitgebers berücksichtigt. Was im übrigen die Integration des Beschwerdeführers betrifft, so wurde von der belangten Behörde zutreffend auf die Beeinträchtigung der sozialen Komponente durch das schwerwiegende Fehlverhalten hingewiesen.
Zu den Argumenten des Beschwerdeführers, seine Familie werde durch das Aufenthaltsverbot auseinandergerissen und verlöre den "Erhalter und Ernährer", ist auszuführen, daß Unterhaltszahlungen - allenfalls in vermindertem Umfang - auch vom Ausland aus erbracht werden können und ein eingeschränkter Kontakt zur Familie dadurch aufrecht erhalten werden kann, daß der Beschwerdeführer von seiner Frau und den Kindern im Ausland besucht wird.
3.1. Der Beschwerdeführer wendet gegen das Aufenthaltsverbot auch ein, daß ihm trotz Kenntnis der Behörde von seiner Verurteilung eine "Aufenthaltsbewilligung" erteilt worden sei.
Aus dem Akt ergibt sich dazu, daß ihm am 2. Februar 1998, also nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides im vorliegenden Aufenthaltsverbotsverfahren, eine - weitere (§ 112 FrG) - Niederlassungsbewilligung erteilt wurde.
3.2. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder 2 FrG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre.
Gemäß § 34 Abs. 1 FrG können Fremde, die sich aufgrund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn (u.a.)
1. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre oder
2. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.
Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (685 Blg.NR 20. GP) wird mit § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG dem Umstand Rechnung getragen, daß entweder die Behörde - aus welchem Grund auch immer - vom Bestehen eines Versagungsgrundes (erst nachträglich) Kenntnis erlangt hat, der der Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits zum Zeitpunkt der ursprünglichen Erteilung entgegen gestanden wäre, oder nachträglich ein Versagungsgrund eintritt, der die Versagung des Aufenthaltstitels rechtfertigt.
Die von der belangten Behörde als Grundlage für das Aufenthaltsverbot herangezogene Verurteilung stellt zweifellos einen Grund für die Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG dar. Dieser Versagungsgrund ist jedoch bereits vor Erteilung der weiteren Niederlassungsbewilligung eingetreten und der Behörde bekannt gewesen. Er ist somit weder nachträglich eingetreten noch nachträglich bekannt geworden, sodaß eine darauf gegründete Ausweisung nach § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG nicht zulässig wäre.
Mit der Bestimmung des § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG soll nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage normiert werden, daß ein weiterer Aufenthaltstitel nicht erteilt werden darf, wenn der Erteilung nunmehr Versagungsgründe entgegenstehen.
Diese Bestimmung ist im Zusammenhang mit § 15 FrG zu lesen, wonach die Behörde im Verfahren zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (Erlassung eines Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes durch die Fremdenpolizeibehörde) zu veranlassen hat, wenn sie von Versagungsgründen Kenntnis erlangt. In einem derartigen Fall kann die Fremdenpolizeibehörde - wenn auch ihrer Ansicht nach ein Versagungsgrund vorliegt - eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG erlassen. Diese Bestimmung ermöglicht es jedoch nicht, bei Vorliegen eines Versagungsgrundes eine Ausweisung immer auf § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG zu stützen, unabhängig davon, ob der Versagungsgrund bereits vor Erteilung des aktuellen Aufenthaltstitels bekannt war. Während der Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels und vor Befassung durch die für die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels zuständige Behörde kann die Fremdenpolizeibehörde eine Ausweisung aufgrund eines Versagungsgrundes vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG erlassen. Eine Ausweisung, weil "der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht" (§ 34 Abs. 1 Z. 2 FrG) kommt nur in Betracht, wenn der Fremde tatsächlich einen weiteren Aufenthaltstitel beantragt hat und die Fremdenpolizeibehörde gemäß § 15 FrG befaßt wurde. Der Gesetzgeber wollte einen Fremden, dem nach Verwirklichung eines der Behörde bekannten Versagungsgrundes dennoch ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, davor schützen, vor Ablauf der Geltungsdauer dieses Titels ausgewiesen zu werden.
Da dem Beschwerdeführer am 2. Februar 1998 eine bis 4. November 2001 gültige Niederlassungsbewilligung erteilt worden ist, wäre seine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 2 FrG nicht zulässig. Eine Ausweisung nach dieser Bestimmung käme erst in Frage, wenn aufgrund eines Antrages des Beschwerdeführers auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung die Fremdenpolizeibehörde gemäß § 15 FrG damit befaßt würde und der Versagungsgrund auch in diesem Zeitpunkt noch vorläge.
Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf daher gegen den Beschwerdeführer kein Aufenthaltsverbot erlassen werden, weil seine Ausweisung weder gemäß Z. 1 noch nach Z. 2 des § 34 Abs. 1 FrG zulässig wäre.
4. Da somit die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot in Verkennung der dargestellten Rechtslage erlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 24 Abs. 3 und 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 17. September 1998
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998180142.X00Im RIS seit
18.02.2002Zuletzt aktualisiert am
22.04.2010