Entscheidungsdatum
08.11.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs4Spruch
W111 2212292-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den XXXX , sowie XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2018, Zl. 740816008-180767985, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8, 10
Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 55, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Dem Beschwerdeführer, einem zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Staatsangehörigen der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Bundeasylamtes vom 17.01.2005 in Stattgabe eines durch seine Mutter und damalige gesetzliche Vertreterin infolge gemeinsamer illegaler Einreise am 20.04.2004 eingebrachten Asylerstreckungsantrags gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung (bezogen auf das Verfahren seiner Mutter) in Österreich Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
2. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt.
3. Infolgedessen leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Aktenvermerk vom 14.08.2018 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wegen geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat ein, in welchem am 25.10.2018 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs stattgefunden hat. Der Beschwerdeführer gab (überwiegend auf Deutsch) zu Protokoll, er spreche Russisch, Tschetschenisch und Deutsch. Zu dem eingeleiteten Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten verwies der Beschwerdeführer im Wesentlichen darauf, dass seine strafgerichtliche Verurteilung zu Unrecht erfolgt sei. Der Beschwerdeführer sei mit 14 Jahren hierhergekommen und könne nicht alleine in der Russischen Föderation leben. Der Beschwerdeführer fühle sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage, sei gesund und nehme keine Medikamente. In Österreich hielten sich seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder auf. Der Beschwerdeführer lebe jetzt mit seiner Mutter, außerdem habe er drei kleine Kinder. Er sei mit einer namentlich genannten Frau nach islamischem Ritus verheiratet. Mit seinen Kindern und der Kindesmutter lebe er in keinem gemeinsamen Haushalt, jedoch lägen ihre Wohnungen nur zwei bis drei Minuten voneinander entfernt. Der Beschwerdeführer sehe seine Kinder, wenn er diese von Kindergarten und Schule abhole, manchmal schlafe er auch in deren Haushalt. Seine Frau und er würden einen Kurs besuchen. Der Beschwerdeführer zahle seinen Kindern EUR 80,- Unterhalt, er beziehe Arbeitslosengeld in der Höhe von EUR 840,- pro Monat. Auf Vorhalt, dass er laut vorliegendem Versicherungsdatenauszug in den letzten Jahren nur wenige Tage gearbeitet hätte, erklärte der Beschwerdeführer, früher jedes Jahr gearbeitet zu haben; 2013 und 2014 habe er geboxt, da habe er keine Zeit gehabt. Er habe nicht so wirklich arbeiten, sondern eine Boxkarriere machen, wollen. Dann habe er gesundheitliche Probleme bekommen, falsche Freunde kennengelernt und mit Drogen zu tun gehabt. Deshalb habe er in letzter Zeit nicht gearbeitet. In Österreich habe er ein Polytechnikum besucht, aber nicht abgeschlossen. Anschließend habe er eine HBLA besucht, welche er jedoch nach einem Jahr abgebrochen hätte. Er habe in Österreich keine Schule positiv abgeschlossen und sei in keinen Vereinen Mitglied. Er besuche nunmehr einen Deutschkurs und wolle seine Karriere als Profiboxer weiterverfolgen. In den letzten drei Monaten habe er keine Bewerbungen geschrieben. In letzter Zeit hätte er wirklich nichts gemacht. Er wolle jetzt den Führerschein machen und sich dann nach einer Stelle umsehen. Er sei immer zu Hause und schaue Filme, da alle seine Freunde Drogen nehmen würden und seine Mutter sehr krank sei. In Österreich habe er nur etwa vier Freunde. In der Russischen Föderation habe er noch viele Verwandte, zu denen er persönlich, außer zu einem Cousin in XXXX , jedoch keinen Kontakt pflege. Seine Mutter habe jedoch Kontakt zu den Verwandten. Der Beschwerdeführer habe sich zuletzt 2002 in Russland aufgehalten, er wisse nicht, wie es jetzt dort sei. Früher habe es Krieg gegeben, über die jetzige Lage wisse er nicht Bescheid. Der Beschwerdeführer sei hier aufgewachsen, in Russland habe er keine Chance, dort brauche ihn keiner und er hätte dort niemanden. Der Asylstatus sei ihm wegen seines Bruders zuerkannt worden, es habe Krieg geherrscht und sein Bruder hätte gekämpft. Aus diesem Grund seien die tschetschenischen Behörden zu ihnen nach Hause gekommen. Diese würden meinen, dass der Beschwerdeführer genauso eingestellt wäre, wie sein Bruder. Man werde unter Beobachtung gestellt. Im Falle einer Rückkehr fürchte er, vom FSB in XXXX empfangen und von diesem dem tschetschenischen FSB übergeben zu werden. Dort werde man dann in Empfang genommen. Zuerst werde man ordentlich verprügelt, dann werde man auf eine Liste genommen, man werde befragt und es werde einem vorgeworfen, weggefahren zu sein. Über Vorhalt, dass es laut vorliegenden Informationen zuletzt keine Verfolgungshandlungen mehr gegen Veteranen der Tschetschenienkriege oder deren Angehörige mehr gegeben hätte und eine Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund der Tschetschenienkriege daher nicht lebensnah sei, erwiderte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass die vorliegenden Informationen unrichtig seien, tatsächlich würden in Tschetschenien jeden Tag fünf bis sechs junge Männer verschwinden, dies sei in Österreich nicht bekannt. Diese Handlungen gingen nicht von Russland, sondern von der tschetschenischen Regierung aus. Auf die Frage, ob er außerhalb Tschetscheniens sicher sein würde, gab der Beschwerdeführer an, Russland sei sicherer als Tschetschenien. Die Informationen über die täglich in Tschetschenien stattfindenden Verfolgungshandlungen seien ihm aus der tschetschenischen Community in Österreich bekannt. Auf entsprechenden Vorhalt gab der Beschwerdeführer an, ihm sei bekannt, dass zahlreiche Tschetschenen freiwillig in die Heimat zurückkehren würden; dabei handle es sich jedoch um Personen, deren Verwandte Kadyrow dienen und die daher nichts zu befürchten hätten. Seine Zukunft in Österreich stelle er sich normal vor; er wolle mit seiner Familie zusammenleben, Arbeit finden und seine Sportkarriere vorantreiben; jetzt wolle er wirklich etwas machen.
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.11.2018 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Bescheid vom 17.01.2005, Zahl: 04 08.160-BAS, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei und in Spruchpunkt IV, ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zudem wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen.
Die Entscheidung über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde darauf gestützt, dass die Umstände, aufgrund derer der Beschwerdeführer als Flüchtling anerkannt worden wäre, weggefallen seien und dieser es nicht mehr ablehnen könne, den Schutz seines Heimatlandes in Anspruch zu nehmen. Die Lage im Heimatland des Beschwerdeführers habe sich zwischenzeitlich maßgeblich und nachhaltig geändert, dieser müsste nicht mehr befürchten, Opfer etwaiger gegen ihn persönlich gerichteter Verfolgungshandlungen zu werden; im Übrigen sei ihm der Schutzstatus lediglich im Wege der Erstreckung zuerkannt worden. Aus den Länderinformationen ginge hervor, dass sich die russischen bzw. tschetschenischen Sicherheitsbehörden mittlerweile auf IS-Kämpfer und deren Unterstützter sowie auf Personen, die im Nordkaukasus gegen Sicherheitskräfte kämpfen würden, konzentrieren würden und Veteranen der Tschetschenienkriege und deren Angehörigen demnach keine behördlichen Verfolgungshandlungen mehr drohen würden. Ungeachtet dessen sei nicht nachvollziehbar, welches Interesse die tschetschenischen Behörden an der Person des Beschwerdeführers, der keine herausragende Stellung innehätte und das Land als Minderjähriger verlassen hätte, aufweisen sollten. Da der Beschwerdeführer von einem österreichischen Strafgericht verurteilt worden sei, komme ihm die Ablaufhemmung nach § 7 Abs. 3 AsylG nicht zugute.
Der Beschwerdeführer, welcher die ersten fünfzehn Lebensjahre in der Russischen Föderation verbracht hätte, beherrsche die russische und tschetschenische Sprache, leide an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankungen und sei arbeitsfähig. Dieser sei in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, er sei in die russische bzw. tschetschenische Gesellschaft integriert. Er verfüge über zahlreiche Angehörige auf dem russischen Staatsgebiet. Dem Beschwerdeführer drohe im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation keine aussichtslose Lage oder eine Verletzung in seinen Rechten auf Leben oder körperliche Unversehrtheit, auch würden ihm im russischen Staatsgebiet weder Folter, noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen. Dieser sei keinen Verfolgungshandlungen von Seiten der russischen Behörden oder Dritter ausgesetzt. Es seien keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsbürger bei ihrer Rückkehr nach Russland alleine deshalb staatlich verfolgt worden seien, da sie im Ausland einen Asylantrag gestellt hätten.
Der Beschwerdeführer sei ledig; ob dieser Kinder habe, könne nicht festgestellt werden, zumal dieser der Aufforderung, die Geburtsurkunden seiner Kinder zu übermitteln, nicht nachgekommen sei. Dieser habe in Österreich keine beruflichen, schulischen oder allgemeinen Fortbildungen absolviert. Der Beschwerdeführer sei seit dem Jahr 2004 in Österreich aufhältig, im Bundesgebiet hielten sich zudem seine Mutter, sein Bruder und seine Schwester auf. Der Beschwerdeführer lebe bei seiner Mutter und sei mit einer namentlich genannten Frau nach islamischem Ritus, nicht jedoch standesamtlich, verheiratet. Seine Deutschkenntnisse seien unzureichend und er habe keine nennenswerte Integration in die österreichische Gesellschaft ersichtlich gemacht. Der Beschwerdeführer sei in Österreich gerichtlich vorbestraft, darüber hinaus sei er wiederholt von Verwaltungsbehörden angezeigt und bestraft worden. Angesichts dessen stünde fest, dass eine Fortsetzung seines Aufenthaltes eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens und der Lebensumstände des Beschwerdeführers habe ergeben, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der ausgesprochenen Dauer notwendig und gerechtfertigt sei.
5. Mit am 05.12.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sein Heimatland im Jahr 2004 aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen und sei stets daran interessiert gewesen, am Verfahren mitzuwirken. Im Bundesgebiet befänden sich die Frau, die drei gemeinsamen minderjährigen Kinder sowie sämtliche weitere Familienangehörige des Beschwerdeführers. Er bereue seine strafrechtswidrigen Taten und wolle eine regelmäßige Arbeit finden. Der Beschwerdeführer habe keine Familie im Heimatland und pflege zu niemandem dort Kontakt. Dauer und Umfang des ausgesprochenen Einreiseverbotes seien nicht ausreichend begründet worden. Vom Beschwerdeführer ginge keine Gefährdung aus, welche die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von sechs Jahren rechtfertigen würde.
Am 12.12.2018 wurde durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt ein weiterer Beschwerdeschriftsatz eingebracht.
6. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 07.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Der damals minderjährige Beschwerdeführer reiste im April 2004 gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte durch seine damalige gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf Asylerstreckung, dem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.01.2005, Zahl 04 08.160-BAS, stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 (bezogen auf das Verfahren seiner Mutter) durch Erstreckung Asyl in Österreich gewährt wurde.
1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.
Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, zudem spricht er Russisch und verfügt über zahlreiche Angehörige im Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer, welcher sein Heimatland im Alter von 14 Jahren verlassen hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.
1.3. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Mai 2017 im Bundesgebiet einem namentlich genannten Mann ein Gramm Heroin weggenommen hat, um sich selbst zu bereichern, nachdem er diesen zunächst zur Herausgabe des Suchtgifts aufgefordert und ihm nach dessen Weigerung einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hatte, wodurch der Genannte dem Beschwerdeführer das Heroin aushändigte.
Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen.
1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig und es konnte nicht festgestellt werden, dass dieser aktuell in einer Lebensgemeinschaft lebt. Seinen unbelegten Angaben zufolge ist er Vater dreier im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigter minderjähriger Kinder. In Österreich lebt der Beschwerdeführer in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter, zu der kein persönliches oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis vorliegt. Weiters befinden sich in Österreich ein Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers. Zu keinem der genannten Angehörigen liegt ein besonders enger familiärer Kontakt vor. Der Beschwerdeführer hat sich während seines langjährigen Aufenthaltes Deutschkenntnisse angeeignet, er hat keine Schule abgeschlossen oder eine sonstige Ausbildung absolviert und war während seines Aufenthalts zum überwiegenden Teil auf fremde respektive staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen. Der Beschwerdeführer lebte zuletzt vom Bezug von Notstandshilfe, er ist während seines rund fünfzehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keiner längerfristigen legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. In den letzten fünf Jahren ging dieser laut Versicherungsdatenauszug lediglich im Zeitraum 08.09.2014 bis 08.09.2014 und 18.05.2018 bis 23.05.2018 einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach, eigenen Angaben zufolge hat er auch keine maßgeblichen Bemühungen hinsichtlich einer Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt gezeigt. Der Beschwerdeführer hat sich in keinen Vereinen betätigt und ist keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der vorbestrafte Beschwerdeführer die Dauer seines Aufenthalts hinsichtlich einer Integration in beruflicher, sprachlicher oder gesellschaftlicher Hinsicht genutzt hätte.
Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.
1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:
...
1. SICHERHEITSLAGE
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d).
Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51%
zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).
Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertigesamt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018
-
BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/,Zugriff 28.8.2018
-
Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,
https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.
-
724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018
-
EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/ russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,
https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018
-
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.
org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018
1.1. Nordkaukasus
Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).
Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische
Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in
Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).
Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).
Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2
Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
-
Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018
-
Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018
-
DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018
-
ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
-
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018
-
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.
org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018
1.2. Tschetschenien
Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).
Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).
Quellen:
-
Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018
-
Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018
-
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:
Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018
-
SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.
org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018
2. ALLGEMEINE MENSCHENRECHTSLAGE
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems."
Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:
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Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
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Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
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Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
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Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
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Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
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Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
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Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 21.5.2018).
Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).
Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018).
Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen.
Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018).
Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018).
Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland ist derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt. Laut einer Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%). Der Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Unter Druck steht auch die Freiheit der Kunst, wie etwa die jüngsten Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2017).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen.
(AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino- Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017).
Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 8.8.2018
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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 8.8.2018
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichtestaat/#c17836, Zugriff 8.8.2018
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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation
2.1. Tschetschenien
NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Die unabhängige Novaya Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen (ÖB Moskau 12.2017).
Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien herausgebracht werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ende 2015 wurden nach Angaben von Memorial mehrere hundert Menschen aufgrund oberflächlicher "Verdachtsmerkmale" wie zu kurzer Bärte tagelang in Behördengewahrsam genommen, ohne dass den Angehörigen hierzu Auskunft erteilt wurde (AA 21.5.2018). 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 21.5.2018, vgl. HRW 18.1.2018), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (HRW 18.1.2018).
Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Novaya Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Novaya Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht. Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018).
In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozioökonomischen
Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer
deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax behauptete Kadyrow am 21. November 2017, dass der Terrorismus in Tschetschenien komplett besiegt sei, es gebe aber Versuche zur Rekrutierung junger Menschen, für welche er die subversive Arbeit westlicher Geheimdienste im Internet verantwortlich machte (ÖB Moskau 12.2017).
Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter Memorial und Human Rights Watch, prangern die seitens der regionalen Behörden praktizierte Sippenhaft von Familienangehörigen in Tschetschenien an. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 21.5.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation