TE Vwgh Erkenntnis 2019/11/13 Ra 2019/18/0274

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Veröffentlicht am 13.11.2019
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des A A K in W, vertreten durch Mag. Elisabeth Peck, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Wagramer Straße 19 IZD-Tower, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 2019, W176 2135496-1/11E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein 27jähriger syrischer Staatsangehöriger, beantragte am 16. Juni 2015 internationalen Schutz und brachte zusammengefasst vor, er sei vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen und wolle nicht in der syrischen Armee kämpfen. Ihm sei zwar vor seiner Ausreise ein Aufschub vom Militärdienst gewährt worden, dieser sei jedoch mittlerweile abgelaufen. Er gelte nun als Deserteur und es werde ihm von staatlicher Seite eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. 2 Mit Bescheid vom 9. September 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz in Bezug auf den begehrten Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I), erteilte dem Revisionswerber jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III).

3 Die gegen Spruchpunkt I des Bescheides erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 4 Begründend stützte sich das BVwG im Wesentlichen darauf, dass dem Revisionswerber in der Vergangenheit mehrfach befristete Befreiungen vom Wehrdienst gewährt worden seien, weil er der einzige Sohn seiner Mutter sei. Das Gericht gehe davon aus, dass er diesen Befreiungsgrund weiterhin geltend machen könne. Aus dem Umstand, dass die dem Revisionswerber befristet gewährte Befreiung vom Militärdienst inzwischen abgelaufen sei, könne nicht gefolgert werden, dass ihm von den syrischen Behörden eine oppositionelle Gesinnung unterstellt würde; denn sogar im Fall, dass eine Person den Wehrdienst verweigere und ins Ausland fliehe, bestehe nach den Länderfeststellungen die Möglichkeit, den Status zu "regularisieren". Es sei daher nicht anzunehmen, dass der Revisionswerber bei Rückkehr nach Syrien asylrelevanter Verfolgung von hinreichender Intensität ausgesetzt wäre.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit wird unter anderem geltend gemacht, das BVwG gehe nicht darauf ein, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers durch die getroffenen Länderfeststellungen bestätigt werde, wobei ausdrücklich auf das Risiko der willkürlichen Rekrutierung verwiesen werde. Männliche Personen würden immer Gefahr laufen, sofort rekrutiert zu werden. Soldaten würden außerdem gezwungen, auf unbewaffnete Zivilisten zu schießen. Bei Weigerung drohe die Gefahr, selbst erschossen zu werden.

6 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision ist zulässig und begründet.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch einer Wehrdienstverweigerung Asylrelevanz zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstverweigerung vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa bei Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Würde der Wehrdienst dazu zwingen, an völkerrechtswidrigen Militäraktionen teilzunehmen, kann nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung auch schon eine Bestrafung mit einer "bloßen" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. dazu etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0705, mwN).

9 Im vorliegenden Fall lehnte das BVwG asylrechtlichen Schutz für den Revisionswerber zunächst mit der Begründung ab, dem Revisionswerber drohe überhaupt keine Einberufung in die syrische Armee. Diese Schlussfolgerung zog das BVwG vor allem aus dem Umstand, dass dem Revisionswerber in der Vergangenheit (befristete) Befreiungen vom Wehrdienst gewährt worden seien, weil er der "einzige Sohn seiner Mutter" sei. Davon könne auch in Zukunft ausgegangen werden.

10 Zu Recht macht die Revision geltend, dass diese Tatsachenannahme des BVwG in einem unaufgeklärten Widerspruch zu den Länderfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis steht, in denen es zur Lage in Syrien wörtlich heißt:

"Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert ... Das Risiko der Willkür ist immer gegeben ...."

11 Allein aus dem Umstand, dass dem Revisionswerber in der Vergangenheit befristete Befreiungen vom Wehrdienst gegeben wurden, weil er der einzige Sohn einer Familie gewesen ist, lässt sich im Lichte der zitierten Länderfeststellungen (insbesondere aufgrund der Unklarheit der derzeitigen Handhabung von Wehrdienstaufschüben) nicht ableiten, dass dem Revisionswerber eine solche Befreiung nach Rückkehr wiederum gewährt werden würde. Die Annahme des BVwG, der Revisionswerber werde auch weiterhin Aufschub vom Wehrdienst erhalten, ist daher mangelhaft begründet. 12 Dieser Begründungsmangel ist auch relevant, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Revisionswerber im Falle einer künftigen Rekrutierung und der weiterhin aufrechten Ablehnung des Wehrdienstes mit staatlichen Sanktionen belegt werden könnte, die nach den zuvor dargestellten rechtlichen Leitlinien aus der höchstgerichtlichen Judikatur Asyl rechtfertigen würden. Überlegungen dazu hat das BVwG im bisherigen Verfahren nicht angestellt.

13 Abgesehen davon machte der Revisionswerber auch geltend, ihm drohe im Falle der Rückkehr nach Syrien schon jetzt eine asylrelevante Bestrafung wegen "Desertion", weil der ihm gewährte Aufschub bereits vor längerer Zeit abgelaufen sei. Diesem Vorbringen hielt das BVwG entgegen, es gehe davon aus, dass der Revisionswerber seinen Status nach den Länderfeststellungen "regularisieren" könne, womit offenbar gemeint ist, dass er einem Strafverfahren in Syrien durch Bezahlung einer entsprechenden Geldsumme entgehen könnte.

14 In den Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses heißt es dazu wörtlich:

"Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden. Die Konsequenzen hängen

jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab ... Wenn

jemand Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu 'regularisieren', wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche 'Regularisierung' schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. ..."

15 Vor dem Hintergrund dieser Länderfeststellungen reichen die Überlegungen des BVwG nicht aus, um für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine (möglicherweise asylrelevante) Verfolgung des Revisionswerbers wegen Wehrdienstverweigerung zu verneinen. Vorrangig wäre zu klären gewesen, ob allein das Ablaufen der befristeten Befreiung vom Wehrdienst schon eine Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung zur Folge haben könnte oder ob es dazu noch weiterer Voraussetzungen (wie etwa der Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls) bedürfen würde. Wenn bereits der Ablauf der befristeten Befreiung in Verbindung mit dem Auslandsaufenthalt des Revisionswerbers zu einer Strafverfolgung führen könnte, hätte es überdies nachvollziehbarer Feststellungen bedurft, welche Sanktionen der Revisionswerber zu erwarten hätte bzw. ob es ihm tatsächlich möglich wäre, einer (möglicherweise asylrelevanten) Bestrafung durch die Bezahlung einer für ihn leistbaren Summe zu entgehen. Die Tatsachenannahme des BVwG, der Revisionswerber könne - gemeint offenbar jedenfalls - einer (möglicherweise asylrelevanten) Bestrafung durch eine "Regularisierung" seines Status entgehen, ist daher mit einem relevanten Begründungsmangel behaftet.

16 Das angefochtene Erkenntnis war deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. 17 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 13. November 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180274.L01

Im RIS seit

07.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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