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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des H R in S, vertreten durch DDr. Rainer Lukits, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2018, W231 2133060- 1/26E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten richtet.
II. zu Recht erkannt:
In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Ghor, stellte am 3. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er gemeinsam mit seinen Eltern den Herkunftsstaat wegen der Taliban verlassen und seit seinem ersten Lebensjahr im Iran gelebt habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ergänzte der Revisionswerber sein Fluchtvorbringen dahingehend, dass sein Bruder ihm im Iran mit dem Tode gedroht habe, da er es abgelehnt habe, seine Cousine zu heiraten.
2 Mit Bescheid vom 28. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des BVwG vom 10. Dezember 2018 als unbegründet abgewiesen und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dass zwar glaubhaft sei, dass die Eltern des Revisionswerbers den Herkunftsstaat damals aufgrund der Taliban verlassen hätten, es jedoch keine konkrete und individuelle Verfolgung des Revisionswerbers durch die Taliban gegeben habe. Weiters sei auch das erstmals in der mündlichen Verhandlung erstattete Vorbringen, wonach der Bruder des Revisionswerbers diesem mit dem Tode gedroht habe, nicht glaubhaft und es fehle zudem ein Konnex zu den Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention. Es bestehe auch keine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder der westlichen Gesinnung des Revisionswerbers. Die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz begründete das BVwG damit, dass dem Revisionswerber, der aufgrund schlechter Infrastruktur und fehlender Erreichbarkeit nicht in seine Heimatprovinz Ghor zurückkehren könne, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif offen stehe. Der Revisionswerber sei ein erwerbsfähiger junger Mann, der im Iran drei Jahre lang unterrichtet worden sei und über Berufserfahrung als Hilfsarbeiter auf Baustellen sowie in der Landwirtschaft verfüge. Es sei ihm auch möglich, zu den in Afghanistan verbliebenen Verwandten wieder Kontakt aufzunehmen. Die vom Revisionswerber benötigten Medikamente seien in Herat und Mazar-e Sharif verfügbar. 5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche die Unvollständigkeit der Länderberichte und die Nichtberücksichtigung der UNHCR-Richtlinien moniert und zudem vorbringt, das BVwG habe bei der Beurteilung der innerstaatlichen Fluchtalternative die westliche Einstellung und die psychische Erkrankung des Revisionswerbers, sowie den Umstand, dass er schiitischer Hazara sei, der im Iran aufgewachsen sei, nicht ausreichend berücksichtigt.
6 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist teilweise zulässig und auch teilweise
begründet.
9 Zu Spruchpunkt I.:
Die Revision, die sich gegen das gesamte Erkenntnis wendet, bringt in ihrer Begründung keine Umstände vor, die sich gegen die Nichtgewährung des Status eines Asylberechtigten richten, weshalb ihr diesbezüglich kein Erfolg beschieden ist. Sie war daher in Bezug auf diesen Spruchpunkt zurückzuweisen.
10 Zu Spruchpunkt II.:
Berechtigung kommt der Revision jedoch insoweit zu, als sie sich gegen die Nichtgewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten richtet.
11 Diesbezüglich ging das BVwG in seiner Entscheidung davon aus, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghor nicht möglich sei. Stattdessen verwies das BVwG den Revisionswerber auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN).
13 Sofern das BVwG in seiner rechtlichen Beurteilung erwog, dass sich die Versorgungslage in den Gebieten Mazar-e Sharif und Herat nicht als derart unzureichend darstelle, dass dem Revisionswerber die Existenzgrundlage entzogen wäre, ist auszuführen, dass diese Ausführungen keine Deckung in den Feststellungen und der Beweiswürdigung finden, mangelt es doch den Länderfeststellungen an konkreten Feststellungen zur Nahrungsmittel- und Wassersituation in diesen Gebieten. Damit zeigt die Revision einen Begründungsmangel auf.
14 Diesem Verfahrensmangel kann auch nicht von vornherein die Relevanz abgesprochen werden, da die Revision zutreffend auf Berichte verweist, wonach die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen, insbesondere in den als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Gebieten, zusammenbreche.
15 Auch hat es das BVwG in diesem Zusammenhang verabsäumt, sich im Hinblick auf die angenommene innerstaatliche Fluchtalternative mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 in adäquater Weise auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN).
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit aufgrund Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten jedoch gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.
17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. November 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180034.L00Im RIS seit
03.01.2020Zuletzt aktualisiert am
03.01.2020