TE Vwgh Beschluss 2019/11/27 Ra 2019/02/0164

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Veröffentlicht am 27.11.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

ASchG 1994 §130 Abs1 Z19
ASchG 1994 §60 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VStG §5 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Mag. Dr. U in E, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Künstlerhausgasse 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 28. Dezember 2018, Zl. LVwG-301991/11/Kl/Rd, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Gmunden), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurde der Revisionswerber als zur Vertretung nach außen berufenes, gemäß § 9 VStG strafrechtlich verantwortliches Organ der S. AG einer Übertretung des § 130 Abs. 1 Z 19 iVm § 60 Abs. 1 ASchG schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe von EUR 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 80 Stunden) verhängt. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

2 Das Verwaltungsgericht stellte zusammengefasst fest, am 25. September 2017 seien vom Arbeitnehmer H. B. mittels eines Frontgabelstaplers Verladearbeiten auf einen Waggon durchgeführt worden. An der äußeren Längsseite zwischen den auf dem Waggon aufgestellten Containern sei eine ungesicherte Absturzstelle von ca. 6 m gegeben gewesen, weil weder ein Sicherungsbügel noch eine Wehr angebracht gewesen seien. Absturzsicherungen seien vorhanden gewesen, jedoch sei die seitliche Absturzsicherung vom verunfallten Arbeitnehmer aus Praktikabilitätsgründen ausgehängt worden, um die letzten Paletten verladen zu können. Da es auf dem Waggon bzw. der Auffahrt sehr rutschig gewesen sei, seien vom Arbeitnehmer Kartons auf den nassen Boden aufgelegt worden. In der Folge habe sich der Stapler verdreht und sei seitlich vom Waggon abgestürzt, wobei sich der Arbeitnehmer den Fuß eingeklemmt habe. Trotz der Anweisung, dass bei Schwierigkeiten der Vorarbeiter zu verständigen sei, habe der Arbeitnehmer dies unterlassen. 3 Zum eingerichteten Kontrollsystem stellte das Verwaltungsgericht fest, dass regelmäßige Planquadrate und monatliche Revierboards eingerichtet seien, an denen Sicherheitsfachkräfte, Sicherheitsvertrauenspersonen und Abteilungsleiter teilnähmen. Es fänden regelmäßige Evaluierungen, Schulungen und unangekündigte Kontrollen durch Sicherheitskräfte und Abteilungsleiter statt. Diese Maßnahmen würden vom Revisionswerber überwacht. Unregelmäßigkeiten würden protokolliert, dokumentiert und Abmahnungen gegenüber den Arbeitnehmern ausgesprochen. Vom Teamleiter der Abteilung "Verladung" würden tägliche unangekündigte Kontrollgänge durchgeführt. Im Jahr 2017 seien 94 solcher Rundgänge erfolgt. Bei Schwierigkeiten bestehe die Anweisung, den Vorarbeiter zu verständigen. Die Staplerfahrer würden mindestens einmal jährlich einer Schulung betreffend Sicherheitsvorkehrungen unterzogen. Darüber hinaus würden die Staplerfahrer immer wieder vom Gruppenleiter auf die Sicherheitsvorkehrungen hingewiesen, wobei es auch Unterweisungen je Schicht gebe.

4 Diese Feststellungen stützte das Verwaltungsgericht beweiswürdigend auf den Akteninhalt sowie die Aussage des bei der mündlichen Verhandlung vernommenen Zeugen.

5 In rechtlicher Hinsicht hielt das Verwaltungsgericht fest, dass vom Revisionswerber die Verwaltungsübertretung in objektiver Hinsicht nicht bestritten worden sei. Zur subjektiven Tatseite führte das Verwaltungsgericht aus, es handle sich bei der angelasteten Tat um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG. Dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, den ihm obliegenden Entlastungsbeweis zu erbringen. Zwar weise das Unternehmen ein umfangreiches allgemeines Schulungsprogramm auf, allerdings würden nach der - in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts näher zitierten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes solche allgemeinen Schulungen und Anweisungen nicht ausreichen. Dem dargestellten Kontrollsystem habe die konkrete Umsetzung der Arbeitsvorgänge bzw. der Arbeitssicherheit bei den einzelnen Arbeitsschritten nicht entnommen werden können. Dies manifestiere sich in dem Umstand, dass der verunfallte Arbeitnehmer seine eigene "Vorstellung" der Sicherheitsvorkehrungen umgesetzt habe, indem er Pappkartons für eine bessere Befahrbarkeit der Rampe aufgelegt habe und er die Wehre zuvor habe entfernen müssen, um die Verladung der Paletten abschließen zu können. Es sei daher vom Verschulden des Revisionswerbers auszugehen. Schließlich traf das Verwaltungsgericht Ausführungen zur Strafbemessung. 6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 26. Juni 2019, E 567/2019-9, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichthof zur Entscheidung abtrat.

7 In der nunmehr erhobenen außerordentlichen Revision wird zu deren Zulässigkeit vorgebracht, das Verwaltungsgericht weiche von der hg. Rechtsprechung zum Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems ab. Subsumiere man den vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt unter die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, gelange man zum Ergebnis, dass im gegenständlichen Fall ein funktionierendes und ausreichendes Kontrollsystem im Unternehmen gegeben gewesen sei. Das Verwaltungsgericht gehe hingegen zu Unrecht davon aus, dass ein unzureichendes Kontrollsystem immer dann vorliege, wenn ein Arbeitsunfall durch Missachtung von Sicherheitsvorschriften passiere, was jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehre. 8 Mit diesem Vorbringen gelingt es dem Revisionswerber nicht, eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen:

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 12 Der Revisionswerber wendet sich in der vorliegenden außerordentlichen Revision nicht gegen den festgestellten Sachverhalt, sondern lediglich gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, wonach im gegenständlichen Fall kein wirksames Kontrollsystem vorgelegen sei.

13 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegen betriebliche Kontrollsysteme, die sich in der Regel nicht gleichen, einer einzelfallbezogenen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht. Eine grundsätzliche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis führen würde (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/11/0083; 25.3.2019, Ra 2019/02/0043; 31.1.2019, Ra 2018/02/0305, jeweils mwN).

14 Für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems ist es erforderlich, unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden (vgl. für viele VwGH 20.3.2018, Ra 2017/03/0092; 9.6.2017, Ra 2017/02/0068; 7.12.2016, Ra 2016/02/0239, 0240, jeweils mwN). Ein wirksames Kontrollsystem liegt dann vor, wenn dadurch die Überwachung der Einhaltung von Rechtsnormen, wie sie der Übertretung des Revisionswerbers zu Grunde gelegt wurden, jederzeit sichergestellt werden kann (vgl. erneut VwGH 20.3.2018, Ra 2017/03/0092, mwN). 15 Unter Zugrundelegung dieser hg. Rechtsprechung gelingt es der vorliegenden Revision nicht, aufzuzeigen, welche konkreten Maßnahmen im Unternehmen im Hinblick auf die hier erfolgten Arbeitsvorgänge im Einzelnen vorgesehen wurden, um gerade eine solche Übertretung des Arbeitnehmerschutzes, wie sie im Revisionsfall vorgekommen ist, zu verhindern. Schulungen und Betriebsanweisungen vermögen nach der hg. Rechtsprechung gegebenenfalls ein Kontrollsystem zu unterstützen, nicht aber zu ersetzen. Ebenso reichen Belehrungen, Arbeitsanweisungen oder stichprobenartige Kontrollen nicht aus, die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems glaubhaft zu machen (vgl. VwGH 4.7.2018, Ra 2017/02/0240, mwN). Sofern in der Revision auf die eigenmächtig erfolgte Aushängung der Absturzsicherung des verunfallten Arbeitnehmers hingewiesen wird, ist auszuführen, dass selbst das Hinzutreten eines - allenfalls auch krassen - Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers, das in der Folge zum Arbeitsunfall geführt hat, am Verschulden des Arbeitgebers an einer nicht erfolgten Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems nichts zu ändern vermag (vgl. erneut VwGH 9.6.2017, Ra 2017/02/0068, mwN). Gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern muss ein entsprechendes Kontrollsystem Platz greifen, kann doch nicht völlig darauf vertraut werden, dass eingewiesene, laufend geschulte und ordnungsgemäß ausgerüstete Arbeitnehmer jedenfalls den Rechtsvorschriften Genüge leisten (vgl. erneut VwGH 20.3.2018, Ra 2017/03/0092; 9.6.2017, Ra 2017/02/0068, jeweils mwN). 16 Das Verwaltungsgericht hat im gegenständlichen Fall ausreichende Feststellungen zum eingerichteten Kontrollsystem getroffen, welche vom Revisionswerber nicht bestritten werden. Dass die daraus abgeleitete rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts zur Wirksamkeit des konkreten Kontrollsystems grob fehlerhaft erfolgt und daher vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen wäre, wird in der Revision hingegen nicht aufgezeigt. 17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 27. November 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020164.L00

Im RIS seit

10.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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