Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache der Schuldnerin M***** S*****, über den Revisionsrekurs der Gläubigerin V***** AG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Johannes M. Mühllechner, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 11. April 2019, GZ 32 R 25/19f-52, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 21. Jänner 2019, GZ 26 S 143/11v-44, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit Beschluss vom 10. 8. 2011 eröffnete das Erstgericht das Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Nachdem der angebotene Zahlungsplan von den Gläubigern nicht angenommen worden war, wurde mit Beschluss vom 15. November 2011 über Antrag der Schuldnerin das Abschöpfungsverfahren eingeleitet.
Nach dem Schlussbericht des bestellten Treuhänders vom 7. 12. 2018 ergibt sich eine Nullquote. Darüber hinaus blieben Masseforderungen in Höhe von 1.772,99 EUR, die Treuhandvergütung von 996 EUR und Kontoabschlussspesen von 29,50 EUR offen.
Am 21. 12. 2018 stellte die Schuldnerin einen Antrag auf Restschuldbefreiung nach § 280 IO. Der daraufhin ergangenen Aufforderung des Erstgerichts, die offenen Massekosten binnen 14 Tagen zu bezahlen, leistete die Schuldnerin nicht Folge.
Mit Beschluss vom 21. 1. 2019 sprach das Erstgericht aus, dass das Abschöpfungsverfahren beendet und der Schuldnerin die Restschuldbefreiung erteilt werde. Im zweiten Absatz des Spruchs trug es der Schuldnerin auf, die offenen Masseforderungen von insgesamt 2.789,49 EUR „bei sonstiger Nichtigkeit der Restschuldbefreiung“ bis längstens 21. 1. 2022 an das Erstgericht zu zahlen.
Nach § 280 IO sei eine Restschuldbefreiung ohne Quotenerfordernis möglich, es müssten jedoch zumindest die Verfahrenskosten gedeckt sein. Zur Schließung der diesbezüglich nach dem IRÄG 2017 bestehenden Regelungslücke sei § 196 Abs 2 IO über die Begleichung der Masseforderungen im Zahlungsplanverfahren analog heranzuziehen. Der Schuldnerin sei die Nachzahlung der offenen Masseforderungen, bestehend aus Entlohnung des Masseverwalters, Treuhändervergütung und Kontoschließungsspesen, aufzutragen. Bei Nichteinhaltung der gesetzten Frist verfalle die Restschuldbefreiung gleich der Nichtigkeit beim Zahlungsplan.
Dem nur gegen den Auftrag zur Zahlung der Verfahrenskosten „bei sonstiger Nichtigkeit der Restschuldbefreiung“ gerichteten Rechtsmittel der Schuldnerin gab das Rekursgericht Folge und behob den angefochtenen Teil des Spruchs ersatzlos.
Die vollständige Zahlung der Masseforderungen werde weder in § 213 IO noch in § 280 IO als Voraussetzung für die Erteilung der Restschuldbefreiung erwähnt. Für die vom Erstgericht angenommene Gesetzeslücke bestünden keine ausreichenden Anhaltspunkte. Weder lasse sich aus den Materialien zum IRÄG 2017 eine Intention des Gesetzgebers erkennen, zwar die Mindestquote entfallen zu lassen, aber dafür die Kostendeckung als neues finanzielles Mindesterfordernis für die Erteilung der Restschuldbefreiung einzuführen, noch sprächen überzeugende teleologische Überlegungen für die analoge Anwendung des § 196 IO auf das Abschöpfungsverfahren.
Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs bei einem 5.000 EUR übersteigenden Streitwert für zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage vorliege, ob eine Restschuldbefreiung auch dann zu erteilen ist, wenn die Masseforderungen und die Entlohnung des Insolvenzverwalters vom Schuldner nicht beglichen wurden.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs einer Insolvenzgläubigerin, der die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Zur Rechtsmittellegitimation der Revisionsrekurswerberin ist festzuhalten, dass im Insolvenzverfahren jeder zum Rekurs und Revisionsrekurs befugt ist, der sich in seinem Recht gekränkt zu sein erachtet (RIS-Justiz RS0065135). Die erforderliche materielle Beschwer ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (vgl RS0041746).
Die Revisionsrekurswerberin ist hier, obwohl sie den erstgerichtlichen Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung unbekämpft gelassen hat, insofern beschwert, als ihr durch die Entscheidung des Rekursgerichts die Möglichkeit des Wiederauflebens ihrer Forderung formal endgültig entzogen wurde.
2. Mit dem erstinstanzlichen Beschluss wurde die Restschuldbefreiung unter einer auflösenden Bedingung ausgesprochen. Eine solche Entscheidungsform sieht das Gesetz hier nicht vor (vgl auch Deixler-Hübner in Fasching/Konecny3 III/2 Vor §§ 390 ff ZPO Rz 13/2).
Ein Widerruf der rechtskräftigen Restschuldbefreiung ist unter den Voraussetzungen des § 216 Abs 1 IO möglich. Dieser Widerruf bedarf eines Antrags und ist mit gesondertem, anfechtbarem Beschluss auszusprechen. Die Nichtentrichtung der nachträglich zur Zahlung auferlegten Verfahrenskosten ist kein unter § 216 Abs 1 IO genannter Widerrufsgrund.
Ob es innerhalb der Grenzen des Entscheidungswillens des Erstgerichts möglich gewesen wäre, dem Spruch gemäß § 405 ZPO eine verfahrensrechtskonforme Fassung zu geben, indem etwa die Entscheidung über die Restschuldbefreiung bis zum Ablauf der Zahlungsfrist vorbehalten würde (vgl RS0041254), kann hier dahingestellt werden. Dem Ergebnis des Rekursgerichts ist schon aus den nachfolgenden Gründen zuzustimmen.
4. Der Revisionsrekurs macht geltend, das Vorliegen einer die Analogie zu § 196 IO rechtfertigenden Gesetzeslücke sei evident, weil das Verfahren nach § 202 Abs 1 IO überhaupt nur bei voraussichtlicher Deckung der Kosten des Treuhänders eingeleitet werden dürfe. Sollte das Einkommen des Schuldners dazu voraussichtlich nicht ausreichen, könne er eine Abweisung seines Eröffnungsantrags nur dadurch verhindern, dass er diese voraussichtlichen Kosten von dritter Seite aufbringen lasse. Daraus sei abzuleiten, dass die Kosten des Abschöpfungsverfahrens nach dem Willen des Gesetzgebers wie beim Zahlungsplan jedenfalls zu decken seien.
5. Diese Ausführungen treffen insoweit zu, als die gesetzliche Entwicklung des Konkursverfahrens in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich stets vom Prinzip der Kostendeckung für die Eröffnung und von der Bezahlung von Masseforderungen als Voraussetzung für die Schuldbefreiung ausgegangen ist (vgl Krenn, Zum Verhältnis von Treuhänderkosten und Restschuldbefreiung im Lichte des IRÄG 2017, RZ 2017, 233 [234]). Für das Abschöpfungsverfahren bestand zwar keine ausdrückliche Anordnung, jedoch war vor dem Inkrafttreten des IRÄG 2017 wegen des Quotenerfordernisses und der Verteilungsreihenfolge des § 203 Abs 1 IO eine Restschuldbefreiung ohne Zahlung der Masseforderungen und Verfahrenskosten nicht denkbar.
Nach den Materialien zum IRÄG 2017 sollte die Entschuldung von wirtschaftlich gescheiterten Menschen erleichtert werden, um ihnen eine rasche Chance auf Neustart zu ermöglichen. Schwerpunkte dafür sind die Verkürzung des Abschöpfungsverfahrens und der Entfall der bisherigen Mindestquote. Eine Erhöhung des finanziellen Verfahrensaufwands des Bundes sollte damit nicht eintreten (ErlRV 1588 BlgNR 25. GP, 2 f). Diese Erwartung war im Hinblick auf § 184 IO insofern zweifelhaft, als das neue Abschöpfungsverfahren nicht nur auf die Zielgruppe der hochverschuldeten gescheiterten Unternehmer, sondern vor allem auch auf Personen abzielt (aaO, 1), denen früher trotz geringerer Verschuldung mangels jedweden pfändbaren Einkommens eine Aussicht auf Restschuldbefreiung verwehrt war.
Fehlt es einem Schuldner bei Antragstellung auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an einem zur Deckung der Kosten voraussichtlich hinreichenden Vermögen, ist der Antrag nach § 183 Abs 1 IO aus diesem Grund nicht abzuweisen, wenn der Schuldner ein genaues, vollständiges und unterfertigtes Vermögensverzeichnis und einen zulässige Zahlungsplan vorlegt, dessen Annahme beantragt und bescheinigt, dass er ihn erfüllen wird und seine Einkünfte die Kosten des Verfahrens voraussichtlich decken werden.
Die letztgenannte Hürde ist niedrig, weil nach § 194 Abs 1 IO ausdrücklich auch Personen Zugang zum Verfahren haben sollen, die kein pfändbares Einkommen beziehen. Es soll daher schon ausreichen, wenn der Schuldner nur glaubwürdig angibt, die Verfahrenskosten aus seinem unpfändbaren Einkommen zu tragen (Mohr, Neuerungen im Privatinsolvenzrecht, ZIK 2017, 97 [98]), auch wenn eine solche Selbstverpflichtung bei Nichtbefolgung letztlich nicht durchsetzbar wäre.
Soweit die Kosten, sobald sie feststehen und fällig sind, nicht aus der Masse bezahlt werden können, sind sie nach § 184 Abs 1 IO vorläufig aus Amtsgeldern zu zahlen. Soweit die aus Amtsgeldern gezahlten Beträge dem Bund nicht aus der Masse oder den während des Abschöpfungsverfahrens erzielten Eingängen ersetzt wurden, ist der Schuldner mit Beschluss zur Nachzahlung zu verpflichten, soweit und sobald er ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts dazu imstande ist. Drei Jahre nach Beendigung oder Einstellung des Abschöpfungsverfahrens kann die Verpflichtung zur Nachzahlung nicht mehr auferlegt werden (§ 184 Abs 3 IO).
Die mit dem IRÄG 2017 geschaffene Gesetzeslage stellt sich entgegen der Argumentation des Revisionsrekurses daher so dar, dass die Deckung der Verfahrenskosten durch Einkünfte des Schuldners während des Verfahrens zwar voraussichtlich gegeben, aber nicht gesichert sein muss. Ähnlich der Verfahrenshilfe ist dafür eine zumindest vorläufige, in den Fällen des § 184 Abs 3 IO aber endgültige Zahlung der Verfahrenskosten aus Amtsgeldern vorgesehen. Das Gleiche gilt für die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens nach Scheitern des Zahlungsplans, auch hier begnügt sich § 202 Abs 1 IO mit der lediglich voraussichtlichen Kostendeckung.
5. Hinzu kommt, dass die in § 211 IO normierten Gründe für eine vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens keinen dem § 123a IO entsprechenden Tatbestand der nicht kostendeckenden Einkünfte umfassen. Stellt sich während des Abschöpfungsverfahrens heraus, dass die Vergütung des Treuhänders nicht durch die Einnahmen gedeckt ist, so ist das Verfahren deswegen nach herrschender Ansicht nicht einzustellen (Mohr, aaO [99]; Kodek, Privatkonkurs² Rz 553).
Es kann dem Gesetzgeber aber schwer die Absicht unterstellt werden, das Abschöpfungsverfahren jahrelang fortlaufen zu lassen, wenn der Schuldner bei gleichbleibenden Verhältnissen mangels Fähigkeit zur Zahlung der Kosten dann ohnehin keine Restschuldbefreiung erreichen könnte.
In einem solchen Verfahren werden in der Regel die Voraussetzungen der §§ 183, 184 Abs 3 IO vorliegen und die Kosten endgültig aus Amtsgeldern zu zahlen sein, weil der Schuldner ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts dazu nicht imstande ist. Auch in diesem Fall ist dem Schuldner aber die Restschuldbefreiung zu erteilen (idS wohl auch zu verstehen: Mohr aaO [100]).
Mit der Existenz der bedingten Einleitungsvoraussetzung des § 202 Abs 1 IO lässt sich entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin keine unbedingte Voraussetzung für die Restschuldbefreiung begründen.
6. Für das von der Rechtsmittelwerberin angestrebte Ergebnis fehlt aber auch deswegen eine hinreichende Grundlage, weil zwischen dem bestätigten Zahlungsplan und der Restschuldbefreiung im Abschöpfungsverfahren wesentliche Unterschiede bestehen.
Der Zahlungsplan ist im Wesen eine Vereinbarung zwischen Gläubigern und Schuldner, dessen Bestätigung durch das Gericht sich auf das ordnungsgemäße Zustandekommen unter Einhaltung aller gesetzlichen Voraussetzungen bezieht (RS0108376). Da die Zahlung der Massekosten – im Unterschied zum Abschöpfungsverfahren – zu den zwingenden Zulässigkeitsvoraussetzungen des Zahlungsplans gehört, ist es erforderlich, dass ihre qualifizierte Nichterfüllung auch nach Rechtskraft der Bestätigung noch aufgreifbar sein muss. Diese Funktion erfüllt die Bestimmung des § 196 IO.
Die Erteilung der Restschuldbefreiung beruht im Gegensatz dazu auf einer konstitutiven, rechtsgestaltenden Entscheidung des Gerichts, die der Rechtskraft fähig ist (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ III/2 § 425 ZPO Rz 2). Das mit der Entscheidung des Erstgerichts eingeführte Modell einer ex lege aufgrund späterer außerprozessualer Ereignisse eintretenden Nichtigkeit der in Rechtskraft erwachsenen Gerichtsentscheidung ist aber hier dem Verfahrensrecht fremd.
Auch im Abschöpfungsverfahren hat der Gesetzgeber die Möglichkeit bedacht, dass nach Rechtskraft der Restschuldbefreiung noch wesentliche Umstände hervorkommen könnten, die eine nachträgliche Abänderung der getroffenen Entscheidung rechtfertigen. Diese Möglichkeit bietet der Widerruf der Restschuldbefreiung (§ 216 IO), zu dessen Tatbeständen das ungenützte Verstreichen der Frist zur nachträglichen Zahlung aber nicht gehört.
7. Mit den Bestimmungen der §§ 183 und 184 IO über die Deckung der Verfahrenskosten in Verbindung mit der unbedingten Verfahrensbeendigung nach § 213 IO und den Widerrufsgründen des § 216 IO liegt ein in sich geschlossenes Regelungssystem vor. Dieses weist keine eindeutig als planwidrig zu identifizierende Lücke auf. Es fehlt damit an der Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 196 IO auf die Restschuldbefreiung (vgl RS0008866 [T1, T6]).
Dem Rekurs war daher keine Folge zu geben.
Textnummer
E126878European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00063.19A.1025.000Im RIS seit
02.01.2020Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021