Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** B.V., *****, 2. P*****, beide vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, sowie deren Nebenintervenienten Dr. H*****, und Mag. C*****, beide vertreten durch Fischer, Walla & Matt Rechtsanwälte OG in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1. G*****, vertreten durch Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG in Wien, 2. G***** GmbH, *****, vertreten durch den Notgeschäftsführer Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, wegen Feststellung und Erbringung unvertretbarer Leistungen (Gesamtstreitwert 31.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien und der Nebenintervenienten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. September 2019, GZ 1 R 98/19z-43, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 7. März 2019, GZ 8 Cg 56/18i-36, sowie das vorangegangene erstinstanzliche Verfahren im Umfang der Entscheidung über das Feststellungsbegehren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Den Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Erstbeklagten die mit 1.317,77 EUR (darin 219,63 EUR USt) sowie der zweitbeklagten Partei die mit 1.317,77 EUR (darin 219,63 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Zur Vorgeschichte wird auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 28. 2. 2018, 6 Ob 167/17b, verwiesen.
Mit der am 30. 4. 2018 eingebrachten, zu 8 Cg 50/18g beim Erstgericht anhängigen Klage begehrt die hier zweitbeklagte Partei gegenüber den beiden hier klagenden Parteien und dem hier Erstbeklagten sowie den weiteren Vertragsparteien der Auseinandersetzungs-vereinbarung vom 3. 2. 2015 die Feststellung, dass der Notariatsakt rechtswirksam ist und P***** (der nunmehrige Zweitkläger) den Geschäftsanteil des G***** (nunmehriger Erstbeklagter) an der Gesellschaft mit einem Nennbetrag von 75.000 ATS um einen Kauf- und Abtretungspreis von 1 EUR gekauft hat, sodass im Rechtsverhältnis der österreichischen Gesellschaft der nunmehrige Zweitkläger P***** Gesellschafter und der nunmehrige Erstbeklagte G***** aus der österreichischen Gesellschaft als Gesellschafter ausgeschieden ist. In einem weiteren Begehren wird die Feststellung begehrt, wonach die nunmehrige zweitbeklagte Partei berechtigt sei, ein Firmenbuchgesuch zu unterfertigen und einzureichen, damit der Geschäftsanteil des G***** auf P***** übertragen werde.
Die Klage wurde an G***** (den dortigen Drittbeklagten) am 4. 5. 2018, an die dortige viertbeklagte Partei M***** GmbH am 7. 5. 2018 und an die dortige fünftbeklagte Partei B***** Anstalt am 17. 5. 2018 zugestellt. Die Klagszustellung an die ausländischen Vertragsparteien P***** und H***** B.V. (die nunmehrigen klagenden Parteien) erfolgte hingegen erst am 22. 6. 2018.
Zwischenzeitlich brachten die nunmehrigen klagenden Parteien am 18. 5. 2018 die vorliegende Klage auf Feststellung ein, wonach der Zweitkläger mit einem Geschäftsanteil von 75.000 ATS Gesellschafter der zweitbeklagten Partei ist und der Erstbeklagte kein Gesellschafter mehr ist. Zusätzlich begehrten die Kläger, die Zweitbeklagte zur Anmeldung des Gesellschafterwechsels im Firmenbuch zu verpflichten. Diese Klage wurde am 30. 5. 2018 an die zweitbeklagte Partei und am 12. 6. 2018 an den Erstbeklagten zugestellt.
Das Erstgericht gab dem als Hauptbegehren geltend gemachten Feststellungsbegehren statt, wies dagegen das gegenüber der zweitbeklagten Partei geltend gemachte Begehren auf Anmeldung des Gesellschafterwechsels ab. Die Auseinandersetzungsvereinbarung sei rechtswirksam abgeschlossen worden. Da der Abtretungspreis nicht gezahlt worden sei, sei der Geschäftsanteil des Erstbeklagten auf den Zweitkläger übergegangen. Die Einrede der Streitanhängigkeit sei nicht berechtigt. Die Parteien des gegenständlichen Rechtsstreits hätten sich in der Tagsatzung vom 21. 9. 2018 darauf verständigt, dass das hier geltend gemachte Klagebegehren weiterreichend sei als das Feststellungsbegehren im Verfahren 8 Cg 50/18g.
Die Abweisung des Leistungsbegehrens erwuchs mangels Anfechtung in Rechtskraft.
Über Berufung der beklagten Parteien, die das Berufungsgericht teilweise als Rekurs wertete, hob das Berufungsgericht das Urteil und das vorangegangene Verfahren hinsichtlich des Feststellungsbegehrens als nichtig auf und wies die Klage zurück. Bei einer einheitlichen Streitpartei sei für den Eintritt der Streitanhängigkeit die Zustellung an den ersten Streitgenossen entscheidend. Daher stünde der nunmehrigen Klage das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit entgegen.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ab welchem Zeitpunkt bei unterschiedlichen Klagszustellungen an notwendige Streitgenossen bei zwei hintereinander eingebrachten Klagen das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit wirksam sei, eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
1.1. Die Streitanhängigkeit bildet eine negative Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens auf Antrag oder von Amts wegen wahrzunehmen ist (Mayr in Fasching/Konecny³ § 233 ZPO Rz 1). Das Prozesshindernis führt zur Zurückweisung aller weiteren Klagen bezüglich desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien (Mayr aaO Rz 34). Die Nichtbeachtung der Streitanhängigkeit behaftet das später anhängig gemachte Verfahren mit einem Nichtigkeitsgrund (Mayr aaO Rz 1).
1.2. Die Streitanhängigkeit ist der Disposition der Parteien entzogen. Die Rechtsfolgen des § 233 ZPO können daher nicht dadurch vermieden werden, dass sich die Parteien darüber einigen, dass die zweite (oder eine weitere) Klage vorrangig behandelt werden soll. Vielmehr ist die Unzulässigkeit weiterer Verfahren in § 233 ZPO zwingend angeordnete Rechtsfolge der Streitanhängigkeit. Den Parteien steht hier eine Dispositionsmöglichkeit nur insofern zu, als sie das erste Verfahren durch Klagsrückziehung beenden könnten. Ein bloßes Ruhen des Verfahrens ändert demgegenüber am Vorliegen eines anhängigen Verfahrens nichts (Mayr in Fasching/Konecny³ § 233 ZPO Rz 11).
2. Zum Vorliegen einer einheitlichen Streitpartei im konkreten Fall hat der erkennende Senat bereits in der Entscheidung 6 Ob 167/17b Stellung genommen. An der Identität der Begehren ändert auch nichts, dass im vorliegenden Verfahren ursprünglich neben dem (in beiden Verfahren geltend gemachten) Feststellungsbegehren auch ein Leistungsbegehren erhoben wurde. Die Prozessvoraussetzungen sind nämlich für jedes Begehren selbständig zu prüfen.
3.1. Im vorliegenden Verfahren ist daher lediglich zu klären, ob für das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit bei einer einheitlichen Streitpartei die Zustellung an den ersten oder an den letzten Streitgenossen entscheidend ist. Diese Frage wird – soweit ersichtlich – in der Literatur nur von Mayr (in Fasching/Konecny3 § 233 ZPO Rz 5) erörtert. Demnach muss bei einer einheitlichen Streitpartei die Streitanhängigkeit gegenüber der gesamten einheitlichen Streitpartei wirken. Hier folge aus der Einheitlichkeit des identen Streitgegenstands und der Unteilbarkeit der Urteilswirkung, dass die Streitanhängigkeit bezüglich auch nur eines Teilgenossen einer einheitlichen Streitpartei auch auf die anderen Teilgenossen wirke. Dieser, schon in der Vorauflage vertretenen Auffassung ist das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien in der Entscheidung MietSlg 67.648 (2015) gefolgt.
3.2. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Der „Beklagte“ im Sinne des § 232 Abs 1 ZPO ist im Fall der einheitlichen Streitpartei die einheitliche Streitpartei als solche. Dies rechtfertigt es, die Wirkungen der Streitanhängigkeit bereits mit dem Zeitpunkt eintreten zu lassen, zu dem dem ersten Streitgenossen die Klage zugestellt wird. Zutreffend verweist Mayr (aaO) in diesem Zusammenhang auf die Einheitlichkeit des Streitgegenstands und die – damit zusammenhängende – Unteilbarkeit der Urteilswirkung. Der erste Streitgenosse kann bereits für alle anderen Streitgenossen handeln. Dies rechtfertigt es, für die Frage der Streitanhängigkeit auf die erste Zustellung abzustellen. Der vorliegende Fall zeigt zudem, dass die Gegenauffassung Manipulationsmöglichkeiten eröffnen würde. Dann hätte nämlich eine belangte einheitliche Streitpartei es in der Hand, vor Zustellung an den letzten Streitgenossen noch ihrerseits eine Klage einzubringen und damit die Wirkungen des § 233 ZPO zu unterlaufen.
3.3. Die Entscheidung 7 Ob 316/00x steht
– entgegen dem Rechtsstandpunkt der Revisionsrekurs-
werber – dem nicht entgegen. Der Oberste Gerichtshof behandelte darin nämlich den Sonderfall der Immunität eines von mehreren Streitgenossen einer einheitlichen Streitpartei. In der Begründung stellt die Entscheidung ausdrücklich darauf ab, dass es sich dabei um eine nur diese Person allein betreffende Prozessvoraussetzung handelt, sodass die Klagszurückweisungs- und damit Nichtigkeitssanktion nicht auf die anderen Mitglieder der einheitlichen Streitpartei zu erstrecken ist. Auf den vorliegenden Fall, nämlich das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit, lässt sich diese Argumentation aber nicht übertragen. Vielmehr kann das Vorliegen der Streitanhängigkeit für alle Streitgenossen einheitlich beurteilt werden.
3.4. Die Aussage von Fucik (in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 14 ZPO Rz 6), wonach Fristen für alle erst mit der Zustellung an den letzten Streitgenossen zu laufen beginnen, bezieht sich ausschließlich auf den Beginn des Fristenlaufs. Für die hier zu beurteilende Frage ist daraus nichts abzuleiten. Dies gilt auch für die im Revisionsrekurs zitierten Ausführungen von Holzhammer (Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei [1966] 144 ff). Holzhammer betont dort nämlich lediglich die Notwendigkeit der Zustellung an alle Streitgenossen, sofern eine Verfahrenshandlung wirksam sein soll. Daher müsse ein Termin erstreckt werden, zu dem auch nur ein Streitgenosse nicht gehörig geladen sei. Diese Ausführungen beziehen sich jedoch auf die Notwendigkeit der Gewährung rechtlichen Gehörs und den Fristenlauf, wiederum nicht auf die Frage des Zeitpunkts des Eintritts der Streitanhängigkeit.
3.5. Die Ausführungen bei Fasching (Zivilprozessrecht2 Rz 373), auf die sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 316/00x beruft, behandeln nur persönliche Prozessvoraussetzungen und lassen sich daher gleichfalls nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen.
3.6. Aus der Kommentierung von Fasching in der ersten Auflage seines Kommentars (Band II [1962] 199), wonach der Einwand der Streitanhängigkeit auch nur eines Streitgenossen nicht nur für ihn, sondern für alle anderen Teilgenossen wirke, ist – entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs – nicht der Schluss zu ziehen, dass die Streitanhängigkeit erst eintritt, wenn allen Streitgenossen zugestellt wurde.
4. Zusammenfassend erweist sich die angefochtene Entscheidung daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Streitwert betrug jedoch – im Gegensatz zum Kostenverzeichnis der Zweitbeklagten – lediglich 15.500 EUR, weil die Abweisung des Leistungsbegehrens unangefochten in Rechtskraft erwuchs.
Textnummer
E126905European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00212.19Y.1127.000Im RIS seit
02.01.2020Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021