TE Vwgh Beschluss 2019/11/13 Ra 2019/13/0102

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Veröffentlicht am 13.11.2019
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §303
BAO §303 Abs1
BAO §303 Abs1 litb

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski sowie die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des N in W, vertreten durch Dr. Erich Kafka und Dr. Manfred Palkovits, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rudolfsplatz 12/12, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 6. Juni 2019, Zl. RV/7101999/2015, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren (Einkommensteuer 2005 bis 2008) und Einkommensteuer 2005 bis 2008 sowie Anspruchszinsen 2005, 2007 und 2008, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheiden vom 26. November 2010 nahm das Finanzamt die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2005 bis 2008 wieder auf und setzte die Einkommensteuer für die Jahre 2005 bis 2008 neu fest. Zur Begründung verwies das Finanzamt auf den Prüfbericht bei der R GmbH. Der (vom Revisionswerber geltend gemachte) Verlustvortrag sei im Zuge der Einbringung der N KEG, an der der Revisionswerber beteiligt gewesen sei, auf die aufnehmende R GmbH übergegangen. Somit sei ein Verwerten des Verlustvortrags beim Gesellschafter (Revisionswerber) nicht mehr möglich. Mit weiteren Bescheiden vom 26. November 2010 setzte das Finanzamt Anspruchszinsen für die Jahre 2005, 2007 und 2008 fest.

2 Der Revisionswerber erhob gegen diese Bescheide Berufung. Er machte darin geltend, es liege kein Grund für eine Wiederaufnahme vor. Es seien vor allem keine Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen. Aufgrund der zum Stichtag 31. August 2004 durchgeführten Einbringung des Betriebes der N KEG in die R GmbH hätte die Abgabenbehörde bei richtiger rechtlicher Subsumtion bereits bei der Prüfung des Revisionswerbers im Jahr 2008 die Verluste nicht dem früheren Gesellschafter der gelöschten KEG, sondern der übernehmenden R GmbH zurechnen müssen (§ 21 UmgrStG). Der entsprechende Sachverhalt sei der Abgabenbehörde stets bekannt gewesen.

3 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 19. März 2014 wies das Finanzamt die (nunmehrige) Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Abgabenbehörde sei erst bei der Außenprüfung der R GmbH bekannt geworden, dass die aus den Einkünftefeststellungen der N KEG resultierenden Verlustvorträge weiterhin bei den ehemaligen Gesellschaftern verwertet worden seien.

4 Der Revisionswerber beantragte die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Nach Schilderung des Verfahrensgangs führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, in den (ursprünglichen) Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2005 bis 2008 (erlassen zwischen 30. Jänner 2008 und 26. Mai 2010) seien jeweils Verlustabzüge ausgewiesen.

7 Mit Stichtag 31. August 2004 sei der Betrieb der N KEG in die R GmbH gemäß Art. III UmgrStG eingebracht worden; der Revisionswerber sei Gesellschafter der KEG gewesen. 8 Beim Revisionswerber habe im Jahr 2007 eine Außenprüfung stattgefunden (Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2003 bis 2005; Nachschau für den Zeitraum 1-11/2006). Im Zuge dieser Prüfung sei es zu einer Korrektur der Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Jahr 2003 gekommen. Gestützt auf diese Korrektur sowie darauf, dass im geltend gemachten Verlustabzug auch negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 2003 und Sonderausgaben 2003 enthalten gewesen seien, sei der Verlustabzug für das Jahr 2004 korrigiert worden. Für das Jahr 2005 sowie für den Nachschauzeitraum seien keine Feststellungen getroffen worden.

9 Im Jahr 2007 habe auch eine Außenprüfung bei der R GmbH betreffend Umsatz- und Körperschaftsteuer für die Jahre 2003 bis 2005 stattgefunden. Diese Prüfung habe zu keinen Feststellungen geführt. Im Zuge dieser Prüfung seien Fragen der Unternehmensbewertung und der Berechnung der unbaren Entnahmen erörtert worden. Es sei festgehalten worden, dass der Umgründungsvorgang steuerlich ohne Änderung anzuerkennen sei. 10 Im Jahr 2010 (Schlussbesprechung am 9. November 2010) habe eine weitere Außenprüfung bei der R GmbH stattgefunden (betreffend Umsatz- und Körperschaftsteuer für die Jahre 2006 bis 2008). Im Zuge dieser Prüfung seien die bei der R GmbH geltend gemachten Verlustvorträge, die laut Erklärung einerseits aus der Einbringung des Betriebes der N KEG in die R GmbH und andererseits aus der Verschmelzung der W GmbH auf die R GmbH resultierten, überprüft worden. Dabei sei bekannt geworden, dass die Verluste aus der N KEG ab dem Jahr 2005 nicht bei der R GmbH, sondern nach wie vor bei den ehemaligen Gesellschaftern der N KEG geltend gemacht würden. Beim Revisionswerber sei daher mit Bescheiden jeweils vom 26. November 2010 eine Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2005 bis 2008 erfolgt. Die bisher u.a. beim Revisionswerber berücksichtigten Verluste seien nunmehr bei der R GmbH berücksichtigt worden.

11 Die abgabenfestsetzende Stelle sei zum Zeitpunkt der Erlassung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 2005 am 30. Jänner 2008 nicht in Kenntnis der Tatsache der Einbringung der N KEG in die R GmbH gewesen. Der Revisionswerber selbst habe nach wie vor die Verluste, die ab dem dem Einbringungsstichtag folgenden Veranlagungszeitraum der übernehmenden R GmbH zuzurechnen seien, weiterhin in seinen Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2005 bis 2008 geltend gemacht. Dass der Prüfer im Jahr 2008 im Zuge der Prüfung der R GmbH für die Jahre 2003 bis 2008 Kenntnis vom Einbringungsvertrag gehabt habe, stehe einer Wiederaufnahme der Verfahren betreffend den Revisionswerber nicht entgegen.

12 Auch im Zeitpunkt der Erlassung der Erstbescheide für die Jahre 2006 bis 2008 sei der abgabenfestsetzenden Stelle aus den Abgabenerklärungen nicht bekannt gewesen, dass die N KEG in die R GmbH eingebracht worden sei. Erst im Zuge der Außenprüfung der R GmbH im Jahr 2010 sei bekannt geworden, dass die Verlustvorträge, resultierend aus den Einkünftefeststellungen der N KEG, nicht beim Rechtsnachfolger, sondern bei den ehemaligen Gesellschaftern verwertet worden seien.

13 Ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel im Erstverfahren schließe eine Wiederaufnahme von Amts wegen nicht aus.

14 Die steuerlichen Auswirkungen seien nicht bloß geringfügig; im Rahmen der Ermessensprüfung sei dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit zu geben.

15 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision. 16 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 18 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 19 Zur Zulässigkeit wird in der Revision geltend gemacht, es sei unrichtig, dass das Finanzamt zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung (30. Jänner 2008) noch nicht davon in Kenntnis gewesen sei, dass die Verluste ab dem Jahr 2005 der R GmbH zuzurechnen seien. Der Umstand der Einbringung ergebe sich schon aus dem Firmenbuch. Beim Blick in das Firmenbuch hätte dem Finanzamt auffallen müssen, dass die N KEG in die R GmbH eingebracht worden sei. Die relevanten Unterlagen seien auch vom Revisionswerber vorgelegt worden. Die entsprechenden Rechtsfolgen ergäben sich aus dem Gesetz und müssten dem Finanzamt selbstverständlich bekannt sein. Nur weil in der ersten Instanz möglicherweise nicht mit der gebotenen Genauigkeit gearbeitet worden sei, könne nicht ein Jahrzehnt später mit einer Wiederaufnahme argumentiert werden. Der Revisionswerber müsse sich darauf verlassen können, dass rechtskräftige Bescheide von Finanzbehörden Bestandskraft hätten. Es widerspreche jeglichen Prinzipien der Rechtssicherheit, wenn die öffentliche Hand zuerst einen Sachverhalt auf eine Weise beurteile und sich die Rechtssubjekte auf eine rechtskräftige Entscheidung verließen und aufgrund dieser wirtschaftliche Dispositionen träfen. In weiterer Folge werde dasselbe Verfahren Jahre später neu aufgerollt und würden dem Rechtssubjekt erhebliche Vermögensmittel entzogen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Rechtsgrundlage das Bundesfinanzgericht zu den Erwägungen gelange, es sei auf das Wissen einzelner Sachbearbeiter abzustellen. Weiters dürfe nicht übersehen werden, dass der Gesetzgeber für den gegenständlichen Fall mit § 293b BAO eine eigene Bestimmung geschaffen habe. Diese Norm wäre vollkommen "zahnlos", könnte die Behörde ohnehin mit Wiederaufnahme vorgehen. Auch die Frage des Ermessens sei vom Bundesfinanzgericht unrichtig beurteilt worden. Es müsse darauf Bedacht genommen werden, dass dem Revisionswerber ein Bescheid zugestellt worden sei und er die zukünftige Lebensplanung finanziell auf diesen abgestimmt habe. Er hätte zahlreiche wirtschaftliche Entscheidungen anders getroffen oder tatsächlich anders treffen müssen, wäre ihm bekannt gewesen, dass ihm weniger Vermögensmittel zur Verfügung stünden. Diese Umstände hätte das Bundesfinanzgericht bei der Ermessensfrage erwägen müssen. 20 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht aufgezeigt.

21 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nur aus der Sicht der jeweiligen Verfahren derart zu beurteilen ist, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Dabei ist das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens und nicht aus anderen Verfahren, bei denen diese Tatsachen möglicherweise erkennbar waren, zu beurteilen. Das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln im Sinne des § 303 BAO bezieht sich damit auf den Wissensstand (auf Grund der Abgabenerklärungen und ihrer Beilagen) des jeweiligen Veranlagungsjahres. Entscheidend ist, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren. Dass die Prüfungsabteilung in einem ein anderes Prüfungsjahr betreffenden Prüfungsverfahren oder im Abgabenverfahren eines anderen Steuerpflichtigen von den maßgeblichen Tatsachen Kenntnis hatte, steht der Wiederaufnahme nicht entgegen (vgl. VwGH 24.6.2009, 2007/15/0045; 28.10.2009, 2008/15/0049, VwSlg. 8482/F; 27.2.2014, 2011/15/0106; 20.10.2016, Ro 2014/13/0034, je mwN).

22 Ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen oder Beweismittel im Erstverfahren schließt die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht aus (vgl. VwGH 27.2.2019, Ra 2017/15/0015, mwN).

23 Nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts war die abgabenfestsetzende Stelle zum Zeitpunkt der Erlassung der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 bis 2008 nicht in Kenntnis der Tatsache der Einbringung der N KEG in die R GmbH; insbesondere sei dies auch aus den Abgabenerklärungen des Revisionswerbers, in denen weiterhin Verluste geltend gemacht worden seien, nicht ersichtlich gewesen. Erst im Zuge der Außenprüfung bei der R GmbH im Jahr 2010 sei bekannt geworden, dass aus den Einkünftefeststellungen der N KEG resultierende Verlustvorträge bei den ehemaligen Gesellschaftern geltend gemacht worden seien.

24 Auf Basis dieser Feststellungen lag aber für die abgabenfestsetzende Stelle eine neu hervorgekommene Tatsache (Einbringung des Betriebes der N KEG in die R GmbH), nicht bloß eine abweichende rechtliche Beurteilung (zu den Rechtsfolgen dieser Einbringung: Übergang des Verlustabzugs - freilich nur bei Vorliegen näher genannter Voraussetzungen - gemäß § 21 UmgrStG) eines bereits bekannten Sachverhalts vor. Dass es der abgabenfestsetzenden Stelle bei näherer Prüfung - etwa auch (wie in der Revision geltend gemacht) bei Einsichtnahme in das Firmenbuch - möglich gewesen wäre, diesen Sachverhalt bereits im Erstverfahren aufzuklären, steht der Verfügung der Wiederaufnahme nicht entgegen. Dass sich - wie in der Revision weiter behauptet - der Sachverhalt nicht geändert hat, ist gerade Voraussetzung der vom Revisionswerber bekämpften Wiederaufnahme im Hinblick auf einen neu hervorgekommenen, nicht neu entstandenen Sachverhalt. Dass der Sachverhalt einem Prüfer im Abgabenverfahren eines anderen Steuerpflichtigen bekannt war, steht der Wiederaufnahme nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen.

25 Ob eine Berichtigung der im Erstverfahren erlassenen Bescheide nach § 293b BAO im vorliegenden Fall (ebenfalls) möglich gewesen wäre, ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen; die Möglichkeit einer Wiederaufnahme von Amts wegen würde dadurch nicht ausgeschlossen werden, ein (entscheidungspflichtiger) Antrag im Sinne des § 293b BAO wurde nicht gestellt.

26 Auch betreffend die Ermessensübung kann die Revision einen die Zulässigkeit der Revision begründenden Mangel nicht aufzeigen. Dass der Revisionswerber, wie er in der Revision erstmals vorbringt, im Hinblick auf die in den jeweiligen Erstverfahren erlassenen Bescheide wirtschaftliche Entscheidungen getroffen habe, die er bei Kenntnis der nunmehrigen Bescheide hätte anders treffen müssen, ist eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtliche Neuerung (§ 41 VwGG) und schon deswegen nicht geeignet, einen derartigen Mangel darzulegen. 27 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. November 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019130102.L00

Im RIS seit

30.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

30.12.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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