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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
BAO §217Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der G AG in B (Deutschland), vertreten durch die PwC PricewaterhouseCoopers Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung GmbH in 1220 Wien, Donau-City-Straße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 15. Dezember 2016, Zl. RV/7101138/2015, betreffend Festsetzung erster Säumniszuschläge gemäß § 217 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine in Deutschland ansässige Aktiengesellschaft, überließ ab 1. Jänner 2014 zwei Dienstnehmer an ihre österreichische Tochtergesellschaft.
2 Mit zwei Bescheiden vom 9. Juli 2014 und vom 11. Juli 2016 setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin aufgrund der nicht fristgerechten Entrichtung der Lohnsteuer für die Monate Jänner bis März 2014 bzw. April 2015 erste Säumniszuschläge fest. 3 In den dagegen erhobenen Beschwerden vom 1. August 2014 und vom 10. August 2016 brachte die Revisionswerberin vor, sie habe (mangels Betriebsstätte in Österreich) entsprechend dem BMF-Erlass vom 12. Juni 2014, BMF-010221/0362-VI/8/2014, lediglich freiwillig den Lohnsteuerabzug für die an ihre österreichische Tochtergesellschaft entsendeten Mitarbeiter vorgenommen. Mangels gesetzlicher Verpflichtung zur Lohnsteuerabfuhr komme eine Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen nicht in Betracht. 4 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 10. November 2014 und vom 29. September 2016 wies das Finanzamt die Beschwerden der Revisionswerberin ab. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, die Ausübung der im BMF-Erlass vom 12. Juni 2014 eingeräumten Option zum (freiwilligen) Lohnsteuerabzug entsprechend der Rz 927 der Lohnsteuerrichtlinien 2002 bewirke zwangsläufig die Verpflichtung zur Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer nach §§ 78 und 79 EStG 1988. Die Ausübung der Option könne nicht dazu führen, dass der Zeitpunkt der Entrichtung der Lohnsteuer willkürlich gewählt werden könne.
5 Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Beschwerden an das Bundesfinanzgericht. Ergänzend brachte die Revisionswerberin vor, die Verhängung eines Säumniszuschlags nach § 217 BAO setze voraus, dass eine Abgabe nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet werde. Die Fälligkeit einer Abgabe setze das Bestehen einer Abgabenschuld voraus. Ohne Abgabenschuld könne keine Fälligkeit eintreten. Mangels rechtlicher Grundlage schulde die Revisionswerberin die den festgesetzten Säumniszuschlägen zugrundeliegenden Lohnsteuerbeträge nicht, sodass diese auch nicht zu bestimmten Fälligkeitsterminen entrichtet werden müssten. 6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerden der Revisionswerberin ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
7 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, dass die Pflicht zur Entrichtung eines Säumniszuschlags nur den Bestand einer formellen Abgabenzahlungsschuld voraussetze (Hinweis auf VwGH 23.3.2001, 2000/16/0080). Diese Verpflichtung ergebe sich bereits aus der Selbstbemessung der Lohnsteuerbeträge durch die Revisionswerberin. § 79 EStG 1988 gelte auch, wenn ein befugter Vertreter im Inland die Lohnkonten für den ausländischen Arbeitgeber, der keine Betriebsstätte im Inland habe, führe, die Einkommensteuer im Abzugsweg einbehalte und an das Betriebsstättenfinanzamt des befugten Vertreters abführe (Hinweis u. a. auf Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG, § 79 Anm 5). 8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der vorgebracht wird, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob es sich bei einem freiwillig vorgenommenen Lohnsteuerabzug, der auf keiner rechtlichen Grundlage, sondern lediglich auf einem BMF-Erlass bzw. den Lohnsteuerrichtlinien 2002 beruhe, dem Wesen nach tatsächlich um vom Arbeitslohn einbehaltene Lohnsteuerbeträge iSd § 47 EStG 1988 handle, auf welche die Bestimmungen betreffend die Fälligkeit (§ 79 EStG 1988) sowie betreffend die Haftung für die Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer (§ 82 EStG 1988) anzuwenden seien.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch das Finanzamt - erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und begründet.
11 Nach § 217 Abs. 1 BAO sind Säumniszuschläge (nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen) zu entrichten, wenn eine Abgabe nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet wird.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Säumniszuschlagspflicht das Bestehen eines formellen Abgabenzahlungsanspruchs (bzw. eine formelle Abgabenzahlungsschuld) voraus (vgl. etwa VwGH 18.9.2003, 2002/16/0072; 23.3.2001, 2000/16/0080; 17.9.1990, 90/15/0028). 13 Der Abgabenzahlungsanspruch ist die Verpflichtung, einen Abgabenbetrag bestimmter Höhe bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu entrichten (vgl. etwa VwGH 23.3.2001, 2000/16/0080; Ritz, BAO6, § 4 Tz 3).
14 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis die Ansicht vertreten, dass durch die freiwillige Selbstberechnung der Lohnsteuerbeträge für vergangene Zeiträume rückwirkend eine Abgabenzahlungsschuld der Revisionswerberin entstanden sei. 15 Im revisionsgegenständlichen Fall kann dahingestellt bleiben, ob die freiwillige Selbstberechnung der Lohnsteuerbeträge zum Entstehen eines Abgabenzahlungsanspruchs ab Bekanntgabe der Selbstberechnung führt. Eine Säumnis für die Zeit davor, wie vom Finanzamt und vom Bundesfinanzgericht angenommen, vermag ein freiwilliges Tätigwerden der Revisionswerberin jedenfalls nicht zu begründen (vgl. zu ähnlich gelagerten Sachverhalten bei der Umsatzsteuer Ritz, BAO6, § 217 Tz 40, sowie Ellinger/Sutter/Urtz, BAO9, § 217 Anm 14, jeweils mit Hinweis auf Rz 917 der Richtlinien für die Abgabeneinhebung).
16 Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 17 Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 13. November 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017130022.L00Im RIS seit
30.12.2019Zuletzt aktualisiert am
30.12.2019