Entscheidungsdatum
22.08.2019Index
41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
NAG §2 Abs3Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Trefil über die Beschwerde des A. B. gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 19.6.2019, Zl. …, mit dem der Zweckänderungsantrag vom 4.4.2019 auf Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels für den Zweck "Daueraufenthalt - EU" gemäß § 45 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, abgewiesen wurde,
zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 25a VwGG ist gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Das Verwaltungsgericht Wien sieht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Der Beschwerdeführer ist ein am … 1992 geborener türkischer Staatsangehöriger. Der ihm zuletzt ausgestellte Reisepass hat eine zehnjährige Gültigkeitsdauer vom 30.3.2017 bis 29.3.2027. Er ist seit dem 20.10.2010 mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet, seit 15.6.2011 durchgehend in der C.-gasse im … Wiener Gemeindebezirk.
Erstmals wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken mit einjähriger Gültigkeit vom 30.3.2011 bis 30.3.2012 erteilt und in der Folge jeweils anknüpfend verlängert. Die zuletzt erteilte Aufenthaltsbewilligung war vom 8.8.2018 bis 8.8.2019 gültig. Eine im Oktober 2016 beantragte Zweckänderung auf den Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot - Karte (plus) wurde im Jänner 2017 behördlich negativ entschieden und vom Beschwerdeführer nicht bekämpft.
Gerechnet bis zum Gültigkeitsende der zuletzt erteilten Aufenthaltsbewilligung am 8.8.2019 (also vor etwa zwei Wochen) hielt sich der Beschwerdeführer somit durchgehend acht Jahre und vier Monate zu Studienzwecken in Österreich auf. Bisher konnte er den für jede Verlängerung dieses Aufenthaltsrechts erforderlichen Studienerfolg nachweisen. Sein Studium hat er noch nicht abgeschlossen und ist im aktuellen Sommersemester 2019 nach wie vor als ordentlicher Student an der "D. Privatuniversität" inskribiert. Sein Aufenthaltszweck ist laut eigenen Angaben in seiner Antragsbegründung vom 4.4.2019 "mittlerweile die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, wobei das Studium erfolgreich fortgesetzt wird".
Während des Studiums war der Beschwerdeführer rechtmäßig erwerbstätig. Zu Anfang betrug die gesamte Dauer des Beschäftigungsverhältnisses bei zwei verschiedenen Dienstgebern mit einmonatiger Unterbrechung jeweils etwa sechs Monate (als geringfügig beschäftigter Arbeiter im Jahr 2013 und im ersten Halbjahr 2014). Seit dem 2.1.2015 ist er durchgehend bei der E.-gesellschaft mbH (Sitz in F., Landes- als Handelsgericht F., FN …) als Angestellter in laufend steigendem Beschäftigungsumfang, zunächst zehn und dann fünfzehn Wochenstunden, rechtmäßig beschäftigt (die genannte E. gehört zur Unternehmensgruppe der G. AG als konsolidierungspflichtige Muttergesellschaft). Anfang des Jahres 2019 wurde das Angestelltenverhältnis auf Vollzeit bei einem Gehalt von 1.845 Euro brutto pro Monat (bei vierzehn Bezügen) erweitert.
Der Beschwerdeführer verfügt über einen Befreiungsschein, der ihm auf Grund seines "Antrages vom 24.01.2019" und "von Amts wegen gemäß § 19 Abs. 7" AuslBG am 7.2.2019 mit Gültigkeit vom 7.2.2019 bis 6.2.2024 gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG erteilt worden war.
Am 4.4.2019 stellte der Beschwerdeführer persönlich bei der belangten Behörde den vorliegenden Zweckänderungsantrag mit gleichem Datum und beantragte die Erteilung des unbefristeten Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU". In dem der Antragstellung beiliegenden umfangreichen Schreiben beruft er sich mit näherer Begründung auf Art. 6 ARB 1/80 und die DaueraufenthaltsRL (wie weiter unten definiert und wiedergegeben). Diesem Antrag waren zahlreiche weitere - teilweise bereits in den Verlängerungsverfahren vorgelegte bzw. nunmehr aktualisierte - arbeits-, einkommens- und ausgaben- sowie studienbezogene Unterlagen beigefügt.
II. Das Verwaltungsgericht Wien hat sich bei der Beweiswürdigung von folgenden Erwägungen leiten lassen:
Die Feststellungen gründen sich auf die im Verwaltungsakt einliegenden, bei Antragstellung und im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen des Beschwerdeführers, die mit dem gesamten Aktenstand aus den früheren Verfahren im Einklang stehen, und auf sein umfassendes schriftliches Vorbringen einschließlich seiner in rechtlicher Hinsicht unverändert gebliebenen Beschwerdeausführungen. Der festgestellte Sachverhalt ist insoweit gänzlich unstrittig.
III. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
III.1. Rechtlicher Rahmen
Das NAG wurde zuletzt durch die am 25.3.2019 kundgemachte Novelle des Brexit-Begleitgesetzes 2019 – BreBeG 2019, BGBl. I Nr. 25/2019, geändert.
§ 2 Abs. 2 und 3 NAG regelt gesetzliche Begriffsbestimmungen näher wie folgt:
"(2) Niederlassung ist der tatsächliche oder zukünftig beabsichtigte Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck
1. der Begründung eines Wohnsitzes, der länger als sechs Monate im Jahr tatsächlich besteht;
2. der Begründung eines Mittelpunktes der Lebensinteressen oder
3. der Aufnahme einer nicht bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit.
(3) Der rechtmäßige Aufenthalt eines Fremden auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 Abs. 1 Z 12) gilt nicht als Niederlassung im Sinne des Abs. 2."
Der zuletzt verwiesene § 8 NAG mit der Überschrift "Arten und Form der Aufenthaltstitel" hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
"§ 8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:
…
12. 'Aufenthaltsbewilligung' für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69)."
§ 26 NAG mit der Überschrift "Zweckänderungsverfahren" lautet:
"§ 26. Wenn der Fremde den Aufenthaltszweck während seines Aufenthalts in Österreich ändern will, hat er dies der Behörde im Inland unverzüglich bekannt zu geben. Eine Zweckänderung ist nur zulässig, wenn der Fremde die Voraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel erfüllt und ein gegebenenfalls erforderlicher Quotenplatz zur Verfügung steht. Sind alle Voraussetzungen gegeben, hat der Fremde einen Rechtsanspruch auf Erteilung dieses Aufenthaltstitels. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist der Antrag abzuweisen; die Abweisung hat keine Auswirkung auf das bestehende Aufenthaltsrecht."
§ 45 Abs. 1 und 2 NAG in der heute geltenden Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2017 - FrÄG 2017, BGBl. I Nr. 145/2017, bestimmt auszugsweise:
"Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EU'
§ 45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, kann ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EU' erteilt werden, wenn sie
1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 10 IntG) erfüllt haben.
(2) Zur Niederlassung berechtigten Drittstaatsangehörigen ist die Zeit eines unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 Abs. 1 Z 12) oder eines Aufenthaltstitels 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' (§ 57 AsylG 2005) zur Hälfte auf die Fünfjahresfrist gemäß Abs. 1 anzurechnen. …
…"
§ 64 NAG in der heute geltenden Fassung des FrÄG 2018, BGBl. I Nr. 56/2018, regelt unter der Überschrift "Studenten" den inhaltlichen Gegenstand dieses Aufenthaltsrechts (Absolvierung bzw. Durchführung eines Studiums) und die Voraussetzungen für die erstmalige (Abs. 1) und die weitere (Abs. 2) Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als Student oder Studentin.
Die Richtlinie 2003/109/EG vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, ABl. Nr. L 16 vom 23.1.2004 S. 44, soweit hier relevant in ihrer unverändert geltenden Stammfassung, enthält auszugsweise folgende an die Mitgliedstaaten gerichtete Regelungen (wie schon bisher und auch noch im Folgenden: DaueraufenthaltsRL):
"Artikel 1
Gegenstand
Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung
a) der Bedingungen, unter denen ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig in seinem Hoheitsgebiet aufhält, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erteilen oder entziehen kann, sowie der mit dieser Rechtsstellung verbundenen Rechte und
…
Artikel 3
Anwendungsbereich
(1) Diese Richtlinie findet auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten.
(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Drittstaatsangehörige,
a) die sich zwecks Studiums oder Berufsausbildung aufhalten;
…
e) die sich ausschließlich vorübergehend wie etwa als Au-pair oder Saisonarbeitnehmer, als von einem Dienstleistungserbringer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen entsendete Arbeitnehmer oder als Erbringer grenzüberschreitender Dienstleistungen aufhalten oder deren Aufenthaltsgenehmigung förmlich begrenzt wurde;
…
Artikel 4
Dauer des Aufenthalts
(1) Die Mitgliedstaaten erteilen Drittstaatsangehörigen, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten.
(1a) …
(2) In die Berechnung des Zeitraums gemäß Absatz 1 fließen die Zeiten nicht ein, in denen sich der Drittstaatsangehörige aus den in Artikel 3 Absatz 2 Buchstaben e) und f) genannten Gründen im betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten hat.
In den in Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe a) genannten Fällen, in denen dem betreffenden Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel gewährt wurde, auf dessen Grundlage ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt werden kann, fließen die Zeiten, in denen er sich zwecks Studiums oder Berufsausbildung in dem Mitgliedstaat aufgehalten hat, nur zur Hälfte in die Berechnung des Zeitraums gemäß Absatz 1 ein.
…"
Der Beschluss Nr. 1/80 vom 19.9.1980 des - durch das (am 12.9.1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnete und durch den Beschluss 64/732/EWG vom 23.12.1963, ABl. Nr. 217/1964, S. 3685, im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte) Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrats über die Entwicklung der Assoziation (wie bisher und nachfolgend: ARB 1/80) hat in Art. 6 folgenden Wortlaut:
"Artikel 6
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."
III.2. Unionsrecht
Nach ihrem Regelungsziel (Art. 1 lit. a) und Anwendungsbereich (Art. 3 Abs. 1) findet die DaueraufenthaltsRL auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Der erste Ausnahmetatbestand von ihrem Geltungsbereich sieht vor, dass die Richtlinie keine Anwendung auf solche Drittstaatsangehörigen findet, die sich zwecks Studiums in einem Mitgliedstaat aufhalten (Art. 3 Abs. 2 lit. a erster Fall DaueraufenthaltsRL).
Nach dem Wortlaut dieser Ausnahme führt somit ein Aufenthalt zwecks Studiums dazu, dass der Anwendungsbereich der DaueraufenthaltsRL studierenden Drittstaatsangehörigen verschlossen bleibt. Das Studium muss dabei nicht den einzigen oder ausschließlichen Aufenthaltszweck darstellen, damit diese Ausnahmebestimmung gilt. Es kommt also nicht darauf an, ob ein Drittstaatsangehöriger zusätzlich ein Aufenthaltsrecht aus einem anderen Titel oder Rechtsgrund (bzw. für einen anderen Zweck) beanspruchen könnte, oder dass ihm ein Aufenthaltsrecht schon unmittelbar kraft Gesetzes zukommt (bzw. es ihm während seines Aufenthalts ohne zuerkennenden Rechtsakt erwächst).
Findet die DaueraufenthaltsRL aber auf Studienaufenthalte keine Anwendung, sind die entsprechenden Zeiträume dieses Aufenthalts in der Berechnung der fünfjährigen Frist gemäß Art. 4 Abs. 1 DaueraufenthaltsRL nicht zu berücksichtigen.
In diesem Kontext legt auch Art. 4 Abs. 2 DaueraufenthaltsRL betreffend (Ausschluss der) Anrechnung bestimmter Zeiten eines rechtmäßigen vorangehenden Aufenthalts in die Fünfjahresfrist keine andere Auslegung der Richtlinie nahe: Für Studienzeiten ist zwar eine Hälfteanrechnung vorgesehen, allerdings nur unter der weiteren Voraussetzung, dass "dem betreffenden Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel gewährt wurde, auf dessen Grundlage ihm die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zuerkannt werden kann" (Art. 4 Abs. 2 zweiter Unterabsatz DaueraufenthaltsRL). Ein Aufenthaltstitel zu Studienzwecken verleiht aber weder nach der DaueraufenthaltsRL selbst noch nach nationalem österreichischem Recht eine Rechtsposition, auf deren Grundlage eine "langfristige Aufenthaltsberechtigung" zuerkannt werden könnte. Maßgeblich für die Anrechnung von Zeiten eines Studienaufenthalts ist somit, ob dem Drittstaatsangehörigen in der Folge zusätzlich ein solcher über den Studienzweck hinausgehender "Aufenthaltstitel gewährt" worden war. Insoweit behalten also die Mitgliedstaaten das Recht, über den erstmaligen (Wechsel auf einen) dauerhaften Zuzug von studierenden Drittstaatsangehörigen in ihr Hoheitsgebiet zu entscheiden und ihnen den Weg für eine langfristige Aufenthaltsberechtigung zu eröffnen.
III.3. Nationales Recht
Ausgangspunkt der Umsetzung der DaueraufenthaltsRL ins nationale österreichische Recht ist der Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck "Daueraufenthalt - EU" gemäß § 45 NAG. Nach dessen Abs. 1 erster Halbsatz ist hierfür eine Voraussetzung, dass der Drittstaatsangehörige in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen war. Im Einklang mit Art. 3 Abs. 2 lit. a DaueraufenthaltsRL, die auf Aufenthalte zwecks Studiums keine Anwendung findet, gelten nach dem NAG drittstaatsangehörige Studenten mit einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 64 NAG nicht als niedergelassen (§ 2 Abs. 3 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Z 12 NAG). Somit bleibt - wiederum im Einklang mit Unionsrecht - die gesamte Dauer des Aufenthalts als Student mangels Niederlassung für die Frist von fünf Jahren gemäß § 45 Abs. 1 erster Halbsatz NAG außer Betracht.
Der rechtmäßige Aufenthalt eines studierenden Drittstaatsangehörigen bleibt auch dann zur Gänze unberücksichtigt, wenn (allenfalls erst während des Studiums) die Voraussetzungen für eine Zweckänderung auf einen zur Niederlassung berechtigenden Aufenthaltstitel vorlägen oder ein weiteres Aufenthaltsrecht aus einem anderen Rechtsgrund ex lege ergänzend hinzutritt. Die DaueraufenthaltsRL verlangt nämlich keine im nationalen Recht vorzusehende Gegenausnahme. Eine Aufenthaltsbewilligung als "Student" steht somit einer Zweckänderung auf den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" jedenfalls entgegen.
Schließlich besteht nach den Vorgaben der DaueraufenthaltsRL für eine Anrechnung des Aufenthalts aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken in der halben Dauer überdies die gesetzliche Voraussetzung, dass zuvor ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, der zur Niederlassung berechtigt. § 45 Abs. 2 erster Halbsatz NAG stellt richtlinienkonform auf einen zur "Niederlassung berechtigten Drittstaatsangehörigen" ab. Das ist bei einem zum Studium aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen nicht der Fall (§ 2 Abs. 3 NAG). Auch sonst sieht das NAG keinen (anknüpfbaren) spezifischen Aufenthaltstitel für türkische Staatsangehörige vor, die Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 ableiten (VwGH 9.8.2018, Ro 2017/22/0015, Rz. 21).
III.4. Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerdeführer war seit der erstmaligen Erteilung eines Aufenthaltstitels am 30.3.2011 zwecks Studiums im Inland aufhältig, und zwar bis zum Gültigkeitsende der ihm zuletzt erteilten Aufenthaltsbewilligung vor etwa zwei Wochen am 8.8.2019, bis dahin somit acht Jahre und vier Monate. Auch danach hält er sich im Verlängerungsverfahren unverändert rechtmäßig im Bundesgebiet auf (§ 24 Abs. 1 und Abs. 4 NAG sowie dazu VwGH 27.7.2017, Ra 2017/?22/?0060, Pkt. 7.2 ff und insbesondere Rz. 23). Der Beschwerdeführer hat sein Studium noch nicht abgeschlossen und nach eigenen Angaben seine Studienabsicht auch nicht aufgegeben. Er ist im Sommersemester 2019 inskribiert und setzt sein Studium weiterhin fort. Seit Anfang des Jahres 2019 steht jedoch nach einer Erweiterung seiner Teilzeit- in eine Vollzeitbeschäftigung die Ausübung der Erwerbstätigkeit im Vordergrund.
Der Beschwerdeführer hält sich im Inland aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken auf, was gemäß § 2 Abs. 3 NAG nicht als Niederlassung gilt. Er ist also nicht niedergelassen. Die Erteilungsvoraussetzung des § 45 Abs. 1 erster Halbsatz NAG ist damit nicht erfüllt. Auf Aufenthalte zwecks Studiums findet die DaueraufenthaltsRL gemäß ihrem Art. 3 Abs. 2 lit. a keine Anwendung, sodass insoweit keine andere Auslegung des nationalen Rechts geboten ist.
Seit dem 2.1.2015 war der Beschwerdeführer neben dem Studium durchgehend bei derselben Dienstgeberin in steigendem Beschäftigungsumfang rechtmäßig beschäftigt. Nach einem Jahr, somit ab dem 2.1.2016, kam ihm das von dieser Beschäftigung abgeleitete Aufenthaltsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 zu, nach zwei weiteren Jahren, also in Summe nach drei Jahren und somit ab dem 2.1.2018, verfestigte sich diese aufenthaltsrechtliche Situation entsprechend Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80, und ein weiteres Jahr später, also nach insgesamt vier Jahren am 2.1.2019, erreichte der Beschwerdeführer die höchste Integrationsstufe nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 (zu dem dieser Situation entsprechenden Aufenthaltsrecht vgl. EuGH 20.9.1990, Rs C-192/89, Sevince, Rz. 29). Dieses Beschäftigungs- oder Aufenthaltsrecht eines türkischen Staatsangehörigen wird aber nicht durch die Erteilung einer Arbeits- bzw. Aufenthaltserlaubnis begründet; vielmehr stehen ihm diese Rechte unmittelbar aufgrund des ARB 1/80 unabhängig davon zu, ob die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats diese Papiere ausstellen; für die Anerkennung dieser Rechte haben sie nur deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion (VwGH 17.6.2019, Ro 2019/22/0001, Rz. 9).
Zwar verfügt der Beschwerdeführer damit über ein weiteres Aufenthaltsrecht für Österreich (abermals VwGH 9.8.2018, Ro 2017/22/0015, Rz. 25). Dies ändert aber nichts daran, dass die DaueraufenthaltsRL für Studenten (ebenso wie Aupair und Saisonarbeitnehmer) aufgrund ihrer Ausnahmebestimmung in Art. 3 Abs. 2 lit. a (und lit. e) keine Anwendung findet. Eine Einschränkung dahingehend, dass diese Ausnahme nicht zum Tragen kommt, wenn dem Drittstaatsangehörigen ein weiterer Titel oder Rechtsgrund zum (unbefristeten) Aufenthalt zukommt, ist dem Wortlaut der DaueraufenthaltsRL nicht zu entnehmen. Dementsprechend ist - grundsätzlich richtlinienkonform - allein auf die nationale Definition der Niederlassung gemäß § 2 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit § 45 Abs. 1 NAG abzustellen.
Bei einem Aufenthalt aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken liegt eine Niederlassung ausdrücklich nicht vor. Während eine solche Aufenthaltsbewilligung Gültigkeit hat, bleibt zwar das Beschäftigungs- oder Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 ARB 1/80 unberührt, jedoch ohne seine Rechtsposition im Hinblick auf § 45 NAG in irgendeine Richtung zu beeinflussen. Die (auch im Verlängerungsverfahren nach ihrem Gültigkeitsende in Fortwirkung noch relevante) Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken steht somit der beantragten Zweckänderung entgegen, weil der Beschwerdeführer insoweit bisher nicht als niedergelassen im Sinne des § 45 Abs. 1 erster Halbsatz NAG angesehen werden kann. Zudem war dem Beschwerdeführer in der Vergangenheit auch kein konstitutiver Aufenthaltstitel zur Niederlassung nach dem NAG (wie etwa eine Rot-Weiß-Rot - Karte) erteilt worden. Somit ist die Voraussetzung des § 45 Abs. 2 erster Halbsatz NAG nicht erfüllt.
Im Ergebnis fehlen dem Beschwerdeführer (mit oder ohne Anrechnung) die erforderlichen Zeiten, um eine fünfjährige Niederlassung als Voraussetzung für die Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 45 Abs. 1 NAG vorzuweisen. Diese besondere Erteilungsvoraussetzung für den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" liegt damit nicht vor. Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen sind diesfalls nicht zu prüfen.
III.5. Ergebnis
Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid über die Abweisung des Zweckänderungsantrags erweist sich somit als unbegründet und ist daher abzuweisen.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden, weil der Sachverhalt nicht strittig ist und die im Vordergrund stehenden Rechtsfragen und insbesondere der Standpunkt des Beschwerdeführers umfassend schriftlich dargelegt wurde, sodass die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
Im Hinblick auf den kürzlich erfolgten Ablauf der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers zu Studienzwecken am 8.8.2019 ist sein Zweckänderungsantrag vom 4.4.2019 nunmehr auch als verbundener Verlängerungsantrag gemäß § 24 Abs. 4 NAG zu werten (abermals VwGH 27.7.2017, Ra 2017/?22/?0060, Rz. 23), über den die belangte Behörde zu entscheiden hat.
Die ordentliche Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Zweckänderung von türkischen Staatsangehörigen, die sich im Inland zu Studienzwecken aufhalten, aber zwischenzeitlich auch Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 ableiten können und zuletzt freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis erlangt haben, auf den unbefristeten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" gemäß § 45 NAG fehlt.
Schlagworte
Zweckänderungsantrag; Richtlinie 2003/109/EG; Daueraufenthalts-RL; Anwendungsbereich; NiederlassungAnmerkung
VfGH v. 28.11.2019, E 3723/2019; AblehnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.151.082.9945.2019Zuletzt aktualisiert am
30.07.2020