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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des J O, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. August 2019, I403 2214774-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 3. Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte zusammengefasst vor, vor seiner Flucht aus Nigeria mit seinen Eltern in der Stadt Jos gelebt zu haben. Das dortige Haus seiner Familie sei von der islamistischen Gruppierung Boko Haram überfallen und die Eltern getötet worden. Den Revisionswerber hätten die Täter entführt, um ihn gegen seinen Willen zum Mitglied der Gruppierung zu machen; er habe aber fliehen können und fürchte bei Rückkehr nach Nigeria um sein Leben.
2 Im Laufe des verwaltungsbehördlichen Verfahrens legte der Revisionswerber medizinische Befunde vor, nach denen er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide.
3 Mit Bescheid vom 21. Jänner 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum psychischen Gesundheitszustand des Revisionswerbers mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
5 Begründend erachtete das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers für nicht glaubhaft. Dazu führte das Verwaltungsgericht in der Beweiswürdigung der angefochtenen Entscheidung zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche in der Aussage des Revisionswerbers an. So habe der Revisionswerber beispielsweise keine Angaben machen können, aufgrund derer angenommen werden könnte, dass er sich tatsächlich in der Stadt Jos aufgehalten habe. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass er in dieser Stadt nicht gelebt habe, sondern sich dieses falschen Wohnortes nur bedient habe, um die angeblichen Übergriffe durch Boko Haram zu erklären, zumal diese Gruppierung in seiner - unstrittigen - Geburtsregion (Enugu State) nicht aktiv sei. Auch weiche seine Aussage zu den behaupteten Überfällen durch Boko Haram in der Verhandlung vor dem BVwG vollkommen von jener ab, die der Revisionswerber vor dem BFA gemacht habe (was vom BVwG im Einzelnen näher erläutert wurde). Das BVwG gestand zwar zu, dass auch der gerichtlich bestellte psychiatrische Sachverständige beim Revisionswerber eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert habe. Dieser Umstand führe aber zu keinem anderen Ergebnis, weil die Erkrankung etwa die Schilderung von vollkommen unterschiedlichen Versionen der Fluchtgründe durch den Revisionswerber nicht nachvollziehbar mache. Der Gesundheitszustand des Revisionswerbers schließe eine Rückkehr nach Nigeria nicht aus, weil der Revisionswerber ungeachtet der Erkrankung erwerbsfähig sei, von einer Retraumatisierung - angesichts der Unglaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens - bei Rückkehr nicht ausgegangen werden könne und eine unmittelbare Verschlimmerung der Erkrankung, die einer Rückführung rechtlich entgegenstehen könnte, nicht zu erwarten sei. Es sei nicht hervorgekommen, dass die vorgebrachte Krankheit jene Schwere und Intensität aufweise, die vom EGMR in der Rechtssache Paposhvili gegen Belgien beschrieben worden seien und dazu führen könnten, dass bei einer Abschiebung die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten würde. Die Rückkehrentscheidung sei zu erlassen, weil der Revisionswerber in Österreich kein Familienleben führe und seine innerhalb des relativ kurzen Aufenthaltszeitraums in Österreich erlangte Integration nicht außergewöhnlich sei. 6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 3. Oktober 2019, E 3610/2019-5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
7 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht, das BVwG habe sich "mit den aktuellen Länderberichten zur Situation von Personen, die an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden und nach Nigeria zurückkehren, den konkreten Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria, deren Kostenpflichtigkeit sowie Verfügbarkeit in welchen Landesteilen für welche Zielgruppen nicht auseinandergesetzt". Sämtliche Ermittlungsschritte wären erforderlich gewesen, um den Sachverhalt abschließend zu erheben und eine Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK beurteilen zu können. Die Beweiswürdigung des BVwG sei insofern zu beanstanden, als die negativen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers in eklatantem Widerspruch zum Gutachten des beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen stünden, der die Angaben des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen nicht in Zweifel gezogen habe, sondern durch die beobachtete Symptomatik als bestätigt angesehen habe. Schließlich sei auch die Interessenabwägung des BVwG nach Art. 8 EMRK fehlerhaft, weil der Revisionswerber seine psychische Erkrankung seit mehreren Jahren in Österreich behandeln lasse, eine tragfähige Beziehung zu seinem behandelnden Arzt aufgebaut habe und diese Umstände zu einer maßgeblichen Verstärkung seiner persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet führen würden. 8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
9 Im vorliegenden Fall begründet die Revision ihre Zulässigkeit vor allem damit, dass dem BVwG Verfahrensfehler und eine eklatant unrichtige Beweiswürdigung vorzuwerfen seien. Rechtsfragen des Verfahrensrechts kommt aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechts auf dem Spiel stehen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, zu deren Überprüfung der Verwaltungsgerichtshof im Allgemeinen nicht berufen ist, nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. dazu etwa VwGH 9.10.2017, Ra 2017/18/0346, und 14.8.2019, Ra 2019/18/0251, jeweils mwN). 10 Der Revision gelingt es nicht darzustellen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben wären. So hat das BVwG in seiner Beweiswürdigung ausführlich dargestellt, warum es dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers keinen Glauben schenkte. Es ist dabei auch auf die Ergebnisse der psychiatrischen Begutachtung näher eingegangen und hat begründet, warum es ungeachtet der diagnostizierten posttraumatischen
Belastungsstörung die Aussagen des Revisionswerbers für nicht glaubhaft erachtete. Wenn die Revision argumentiert, der psychiatrische Sachverständige habe das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht in Zweifel gezogen, so ist darauf hinzuweisen, dass er insofern ausdrücklich einschränkte, diese Beurteilung nur aus psychiatrischer Sicht zu treffen. Die Beweiswürdigung obliegt aber dem Verwaltungsgericht, das im vorliegenden Fall - nachvollziehbar begründet - zum Ergebnis gelangte, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers entspreche nicht der Wahrheit.
11 Zur Frage der Rückkehrgefährdung infolge der psychischen Erkrankung des Revisionswerbers führte der Gutachter zwar aus, dass bei Abbruch der derzeitigen psychotherapeutischen Behandlung eine Zunahme der psychischen Instabilität und der
posttraumatischen Belastungssymptome zu erwarten seien, eine unmittelbare Zunahme der Eigen- oder Fremdgefährdung sei jedoch nicht zu erwarten und es könne nicht vorhergesagt werden, ob sich krisenhafte Verdichtungen von Suizidgedanken wieder entwickeln könnten. Bei dieser Sachlage ist nicht zu beanstanden, wenn das BVwG - auch unter Bedachtnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des EGMR (vgl. dazu etwa EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; aus der hg. Rechtsprechung etwa VwGH 26.9.2019, Ra 2019/18/0378, mwN) - die reale Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte des Revisionswerbers im Falle einer Rückkehr nach Nigeria verneinte, ohne dass auf die strittige Frage der Fortsetzung der Psychotherapie in Nigeria näher eingegangen werden müsste.
12 Soweit sich die Revision im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung gegen die Interessenabwägung des BVwG nach Art. 8 EMRK wendet, ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwirft (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2018/19/0583, mwN). Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten psychischen Erkrankung des Revisionswerbers kommt dem geltend gemachten Vertrauensverhältnis zwischen dem Revisionswerber und seinem behandelnden Psychotherapeuten in Österreich kein solches Gewicht für die Interessenabwägung zu, dass allein dadurch die Gesamtbeurteilung des BVwG unvertretbar und ein Verbleib des Revisionswerbers im Bundesgebiet gerechtfertigt wäre. 13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 18. November 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180439.L00Im RIS seit
18.12.2019Zuletzt aktualisiert am
18.12.2019