TE Lvwg Erkenntnis 2019/11/19 VGW-151/065/8621/2019

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Veröffentlicht am 19.11.2019
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Entscheidungsdatum

19.11.2019

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

NAG §11 Abs3
NAG §21 Abs1
NAG §21 Abs3 Z2
NAG §21 Abs6
NAG §24 Abs1
NAG §24 Abs2
NAG §64 Abs1
NAG §64 Abs2
EMRK Art 8
AVG §71 Abs1 Z1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Eidlitz über die Beschwerde des Herrn A. B., geb. 1995, Staatsangehörigkeit: Türkei, vertreten durch Rechtsanwältin, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35 (belangte Behörde), vom 09.05.2019, Zahl …, betreffend Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 05.11.2019, unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache,

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid wird mit der Maßgabe bestätigt, dass die im Spruch angeführte Rechtsgrundlage wie folgt zu lauten hat: „§ 64 Abs. 1 iVm § 21 Abs. 1 NAG“.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

1.   Verfahrensgang und festgestellter Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer (BF), ein türkischer Staatsbürger, stellte erstmals am 07.01.2015 persönlich im Österreichischen Generalkonsulat in Istanbul einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für Studierende. Der Erstantrag und drei weiteren Verlängerungsanträge wurden von der belangten Behörde bewilligt, sodass sich der BF vom 17.03.2015 bis 20.03.2019 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Der gegenständliche Verlängerungsantrag wurde erst nach Ablauf der zuletzt erteilten Aufenthaltsbewilligung am 25.03.2019 bei der belangten Behörde eingebracht. Am selben Tag wurde der BF über die verspätete Antragstellung belehrt und niederschriftlich befragt, warum er den Verlängerungsantrag verspätet eingebracht habe. Der BF gab dazu an, dass er seine Studienunterlagen nicht rechtzeitig vorbereitet habe, auch sei er aufgrund seiner Übungsvorlesungen an der TU Wien verhindert gewesen. Er sei nicht durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis verhindert gewesen. Der BF brachte sofort einen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG ein, und begründete diesen damit, dass es ihm nicht möglich sei den Erstantrag im Heimatstaat zu stellen, da er viele Vorlesungen, Übungen und Prüfungen an der Uni demnächst haben werde, er müsse unbedingt an allen Vorlesungen teilnehmen, um die Prüfungen positiv abschließen zu können. Im behördlichen Verfahren ergänzte der BF seine Begründung für die verspätete Abgabe des Verlängerungsantrages damit, dass er gedacht habe, dass er die ECTS vom WS 2018 ebenfalls bei der Erteilung des Aufenthaltstitels in Betracht genommen werden würden und habe er deshalb auf diese (bzw. auf die Korrektur seiner Prüfung) gewartet. Erst später habe er erfahren, dass eigentlich nur die ECTS vom WS 2017 und SS 2018 zählen würden.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.05.2019 wertete die belangte Behörde den Verlängerungsantrag vom 25.03.2019 als Erstantrag und wies diesen nach einer Interessensabwägung wegen unzulässiger Inlandsantragstellung ab. Zudem nahm die belangte Behörde weitere Versagungsgründe mangels Vorlage eines aktuellen Führungszeugnisses aus der Türkei sowie mangels des Nachweises der Herkunft der Geldmittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes an.

In der frist- und formgerechten Beschwerde vom 17.06.2019 brachte der nun anwaltlich vertretene BF (erstmals) vor, die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung zu erfüllen. Im Übrigen seien sowohl die besonderen als auch die allgemeinen Voraussetzungen für die Verlängerung der begehrten Aufenthaltsbewilligung „Student“ erfüllt.

Die Beschwerde wurde am 02.07.2019 dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegt.

1.2. Der BF reiste am 10.03.2015 mit einem Visum D ins österreichische Bundesgebiet ein. Der BF verfügte vom 17.03.2015 bis 20.03.2019 über Aufenthaltsbewilligungen (nun „Student“).

1.3. Der BF besuchte ab 12.03.2015 den Universitätslehrgang für die Ergänzungsprüfung „Deutsch“ und schloss diesen per 22.02.2017 ab. Ab 24.02.2017 war der BF zum Bachelorstudium C. ab dem SS 2017 bis dato laufend als ordentlicher Student auf der TU Wien fortgemeldet.

Der BF wies bislang sieben bestandenen Prüfungen nach. Die Gesamtzahl der ECTS – Credits betrug am 08.10.2019 22,45 bzw. 16,5 Semesterstunden. Der Studienerfolg im zuletzt abgelaufenen Studienjahr 2018/2019 betrug 17,25 ECTS bzw. 13,5 Semesterstunden.

1.4. Der BF bestreitet seinen Lebensunterhalt mit Unterstützung der in der Türkei lebenden Eltern. Auf Antrag der Firma D. KG wurde für den BF eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Aushilfskellner für die Zeit vom 24.09.2019 bis 23.09.2020 im Ausmaß von 20 Stunden pro Woche und mit einem monatlichen Entgelt von € 770,- brutto erteilt. Der BF ist bei der WGKK seit 14.10.2019 als Arbeiter der D. KG gemeldet. Zuvor war der BF bei der WGKK nach § 16 Abs. 2 ASVG selbstversichert. Der BF stellte keinen Zweckänderungsantrag, begehrt nach wie vor die Erteilung einer weiteren Aufenthaltsbewilligung für den Zweck „Student“. Per 08.10.2019 verfügte der BF über ein Guthaben auf seinem Konto … in der Höhe von € 3.918,68. Der BF lebt in einem Wohnheim in Wien, E.-gasse. Die Miete beträgt durchschnittlich € 330,-. 

1.5. Der BF hält sich seit 10.03.2015 zu Studienzwecken in Österreich auf. Der BF besuchte regelmäßig seine Eltern und Verwandten in der Türkei. Bis Sommer 2018 kehrte der BF etwa alle sechs Monate in die Türkei zurück. Das letzte Mal hielt sich der BF im Sommer 2018 in der Türkei auf. Dem BF ist möglich und zumutbar in die Türkei zurückzukehren. Der BF befindet sich seit Ablauf seiner Aufenthaltsbewilligung am 20.03.2019 ununterbrochen im Bundesgebiet.

1.6. Der BF führt in Österreich kein Familienleben. Seine Eltern und alle Verwandten leben in der Türkei.

1.7. Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

1.8. Der BF behauptet nun (erst im Beschwerdeverfahren) wegen einer im März 2019 unentdeckter bzw. unbehandelter Depression aufgrund familiärer Probleme den Verlängerungsantrag nicht rechtzeitig gestellt zu haben. Zum Beweis dafür beantragte der BF die Einvernahme eines Freundes und Mitbewohners als Zeugen.

1.9. Das erkennende Gericht geht davon aus, dass der BF nicht aufgrund einer massiven psychischen Krankheit, sondern vielmehr aus Sorglosigkeit den gegenständlichen Verlängerungsantrag verspätet bei der belangten Behörde einbrachte.

1.10 Der BF äußerte zum Zeitpunkt seiner (verspäteten) Antragstellung keine Erwerbsabsicht.

2.   Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den gesamten behördlichen Verwaltungsakt, die im Verwaltungsverfahren vor der belangten Behörde und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, Urkunden und ärztlichen Befund, auf die Wiederholung von Datenbankabfragen (ZMR, VDA, IZR, Strafregister-SA) und auf die Ergebnisse der öffentlichen mündlichen Verhandlungen durch Einvernahme des BF als Partei und des F. G. als Zeugen vor dem Verwaltungsgericht Wien.

Es blieb unstrittig, dass der BF seinen Verlängerungsantrag verspätet bei der belangten Behörde einreichte.

Der Aussagen des BF und des von ihm namhaftgemachten Zeugen, dass der BF in Folge einer unentdeckten Depression gehindert gewesen sei, seinen Verlängerungsantrag rechtzeitig zu stellen, konnte kein Glauben geschenkt werden. Beide Aussagen wirkten einstudiert und abgesprochen. Der BF gab an erstmals vor wenigen Wochen einen Arzt aufgesucht zu haben und legte die Kopie eines am 29.10.2019 von einem Allgemeinmediziner in Wien mit „Dient zur Vorlage bei der zuständigen Krankenkasse“ titulierten Schreibens vor, wonach als Diagnose bzw. Mitteilung an die Psychotherapeutin/den Psychotherapeuten folgende Krankheit festgehalten wurde: „Depression“. Für wen diese Diagnose gestellt wurde, konnte mangels Personalien auf dem Schreiben nicht festgestellt werden. Auf dem Schreiben ist weder der Name, noch das Geburtsdatum bzw. die Anschrift des BF angeführt. Der Zeuge vermochte nicht Mal das Jahr, in dem sich die behauptete depressive Phase ereignet haben soll, richtig zu benennen. Ein Nachweis darüber, dass der BF im März 2019 unter einer Depression litt, wurde nicht erbracht. Dem BF gelang der Beweis nicht, dass eine massive psychische Krankheit kausal für die nicht rechtzeitige Stellung des Verlängerungsantrages gewesen ist. Die Behauptung wird als Schutzbehauptung gewertet.

Die Feststellung, dass dem BF möglich und zumutbar ist (zwecks neuerlicher Antragstellung) in sein Heimatland zurückzukehren, ergibt sich aus der eigener Aussage des BF in der mündlichen Verhandlung und der Einsicht seines türkischen Reisedokumentes.

3.   Rechtsgrundlagen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) idgF lauten:

„Studenten

§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen ist eine Aufenthaltsbewilligung als Student auszustellen, wenn sie

1.       die Voraussetzungen des 1. Teiles mit Ausnahme des § 11 Abs. 2 Z 2 erfüllen und

2.       ein ordentliches Studium an einer Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, öffentlichen oder privaten Pädagogischen Hochschule gemäß dem Hochschulgesetz 2005, BGBl. I Nr. 30/2006, absolvieren,

3. - 7. .. .

Eine Haftungserklärung ist zulässig.

(2) Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen der Durchführung eines ordentlichen oder außerordentlichen Studiums, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung für diesen Zweck nur zulässig, wenn dieser nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften einen Studienerfolgsnachweis der Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität oder Pädagogischen Hochschule erbringt und […]. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Studienerfolges oder Ausbildungsfortschrittes eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden.

„Verlängerungsverfahren

§ 24. (1) Verlängerungsanträge (§ 2 Abs. 1 Z 11) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; § 23 gilt. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur visumfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(2) Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn

1.

der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, und

2.

der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird; § 71 Abs. 5 AVG gilt.

Der Zeitraum zwischen Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels und der Stellung des Antrages, der die Voraussetzungen der Z 1 und 2 erfüllt, gilt nach Maßgabe des bisher innegehabten Aufenthaltstitels als rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt.

(3) Fremden ist im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens ein Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu erteilen, wenn die Voraussetzungen für diesen weiterhin vorliegen.

(4) Mit einem Verlängerungsantrag (Abs. 1) kann bis zur Erlassung des Bescheides ein Antrag auf Änderung des Aufenthaltszwecks des bisher innegehabten Aufenthaltstitels oder auf Änderung des Aufenthaltstitels verbunden werden. Sind die Voraussetzungen für den beantragten anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt, ist darüber gesondert mit Bescheid abzusprechen und der bisherige Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu verlängern, soweit die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen.

(5) Stellt der Fremde entgegen § 9 Abs. 5 Z 3 IntG einen weiteren Verlängerungsantrag, hat die Behörde den Antrag ohne weiteres abzuweisen.“

„Verfahren bei Erstanträgen

§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

1.

Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

2.

Fremde bis längstens sechs Monate nach Ende ihrer rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet, wenn sie für diese Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben;

3.

Fremde bis längstens sechs Monate nach Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, oder der Staatsangehörigkeit der Schweiz oder eines EWR-Staates;

4.

Kinder im Fall der Familienzusammenführung binnen sechs Monaten nach der Geburt, soweit der Zusammenführende, dem die Pflege und Erziehung zukommt, rechtmäßig aufhältig ist;

5.

Fremde, die zur visumfreien Einreise berechtigt sind, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

6.

Fremde, die eine Niederlassungsbewilligung – Forscher“ (§ 43c) beantragen, und deren Familienangehörige sowie Fremde, die eine Aufenthaltsbewilligung „Student“ oder eine Aufenthaltsbewilligung „Freiwilliger“ beantragen, jeweils nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

7.

Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 beantragen, während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet mit einem Visum gemäß § 24a FPG;

8.

Drittstaatsangehörige, die gemäß § 1 Abs. 2 lit. i oder j AuslBG oder § 1 Z 5, 7 oder 9 AuslBVO vom Anwendungsbereich des AuslBG ausgenommen sind oder die unter § 1 Z 4 Personengruppenverordnung 2014 – PersGV 2014, BGBl. II Nr. 340/2013, fallen und die eine „Niederlassungsbewilligung – Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ oder eine Aufenthaltsbewilligung „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ beantragen, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

9.

Drittstaatsangehörige, die über ein österreichisches Reife-, Reifeprüfungs- oder Diplomprüfungszeugnis einer in- oder ausländischen Schule verfügen, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts und

10.

Drittstaatsangehörige, die über einen gültigen Aufenthaltstitel „ICT“ eines anderen Mitgliedstaates (§ 58a) oder einen gültigen Aufenthaltstitel „Forscher“ eines anderen Mitgliedstaates (§ 61) verfügen.

(3) Abweichend von Abs. 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

1.

im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls oder

2.

zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.

(4) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 3 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

(5) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Staatsangehörige bestimmter Staaten durch Verordnung zur Inlandsantragsstellung zuzulassen, soweit Gegenseitigkeit gegeben ist oder dies im öffentlichen Interesse liegt.

(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1, Z 4 bis 9, Abs. 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

(7) Abs. 2 bis 6 gelten nicht für Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung als unternehmensintern transferierter Arbeitnehmer (§ 58) beantragen.“

„Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.

gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

2.

gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3.

gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4.

eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5.

eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6.

er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.

der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2.

der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.

der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4.

der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5.

durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6.

der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7.

in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.

der Grad der Integration;

5.

die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.

die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1.

sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2.

der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(5) .. (7).“

4.   Rechtliche Beurteilung:

4.1. Ein verspätet eingebrachter Verlängerungsantrag nach § 24 Abs. 1 NAG kann gemäß § 24 Abs. 2 NAG bei Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen und bei deren rechtzeitiger Geltendmachung noch als Verlängerungsantrag qualifiziert werden (vgl. etwa VwGH 11.06.2014, 2012/22/0034).

Die Bestimmung des § 24 Abs. 2 NAG 2005 (idF BGBl. I Nr. 29/2009) ist § 71 Abs. 1 Z 1 AVG nachgebildet und soll der Sache nach eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Fall der Versäumung der materiellrechtlichen Frist des § 24 Abs. 1 NAG 2005 ermöglichen. Die Judikatur zu § 71 Abs. 1 Z 1 AVG kann daher auch für die Auslegung des § 24 Abs. 2 NAG 2005 herangezogen werden, worauf auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (88 BlgNR 24. GP) ausdrücklich hinweisen (vgl. VwGH 04.10.2018, Ra2018/22/0191).

Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd § 24 Abs. 2 NAG 2005 – wie in der Beschwerde richtig vorgebracht – kann auch in einem inneren, psychischen Geschehen (etwa Vergessen bzw. Versehen) liegen. Parteien dürfen jedoch nicht auffallend sorglos handeln, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihnen nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht lassen. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist ein fallbezogener Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (vgl. etwa VwGH 18.01.2017, Ra 2016/22/0096).

Der in der Beschwerde erstmals vertretene Rechtsansicht, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 24 Abs. 2 NAG (in Anlehnung an § 71 Abs. 1 Z 1 AVG) im Fall des BF vorliegen würden, muss widersprochen werden, zumal mit Einbringung des gegenständlichen Verlängerungsantrages – trotz Hinweis und Befragung durch die belangten Behörde – keine Wiedereinsetzungsgründe durch den BF geltend gemacht worden sind. Im Übrigen mangelte es dem BF weder an Rechtskundigkeit noch an Erfahrung mit der belangten Behörde, zumal er gegenständlich seinen vierten Verlängerungsantrag gestellt hatte und somit den Ablauf genügend kennen musste. Dem Vorbringen, dass eine unentdeckte Depression ursächlich für die verspätete Antragstellung gewesen sein soll, konnte nicht gefolgt werden.

4.2. Vielmehr wurde vom BF ein Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG eingebracht (zumal er zur Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 2 NAG nicht berechtigt war), um seinen von der belangten Behörde zu Recht als Erstantrag qualifizierten Antrag im Inland stellen zu dürfen bzw. den Ausgang des Verfahrens im Inland abwarten zu dürfen.

Aus § 21 Abs. 3 Z 2 NAG 2005 ergibt sich, dass die Inlandsantragstellung auf begründeten Antrag dann zugelassen werden kann, wenn - ausnahmsweise, nämlich für den Fall der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Ausreise des Fremden - ein aus Art. 8 MRK direkt abzuleitender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht (vgl. VwGH 29.02.2012, 2010/21/0219).

Gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG ist die "Inlandsantragstellung" zuzulassen, wenn keines der angeführten Erteilungshindernisse vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet "zum Zweck der Antragstellung" - worunter auch der an die Antragstellung anschließende Auslandsaufenthalt fällt - im Hinblick auf die gebotene Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 MRK "nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist" (vgl. etwa VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0123).

Bei der gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG 2005 vorzunehmenden Beurteilung nach Art. 8 MRK ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 11 Abs. 3 NAG 2005 genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 10.05.2016, Ra 2015/22/0158).

Eine allfällige Unterbrechung des Studiums und ein damit einhergehender finanzieller Aufwand im Zusammenhang mit Verfahren betreffend Aufenthaltsbewilligungen nach § 64 NAG 2005 sind für sich genommen nicht als Umstände anzusehen, auf Grund derer eine Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 3 Z 2 NAG 2005 zuzulassen wäre (vgl. VwGH 10.5.2016, Ra 2015/22/0158).

Dem Interesse des BF an der Fortsetzung seines Studiums – wie in der Beschwerde vorgebracht – kommt für sich genommen keine entscheidungserhebliche Bedeutung bei der vorzunehmenden Abwägung zu. Daran vermag der im zuletzt abgelaufenen Studienjahr 2018/19 erzielte Studienerfolg nichts zu ändern. Selbst in Verbindung mit den Aspekten der ausreichenden finanziellen Mittel, der Unbescholtenheit und der guten Deutschkenntnisse wäre es nicht geboten gewesen, dem Fremden, der über keine familiären Bindungen in Österreich verfügte, einen aus Art. 8 MRK resultierenden Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels einzuräumen und somit die Inlandsantragstellung zuzulassen (vgl. VwGH 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; VwGH 04.10.2018, Ra 2018/22/0126).

Die Gründe für die Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Ausreise des BF in die Türkei zwecks gesetzmäßiger Einbringung eines (neuerlichen) Erstantrages bzw. Abwarten des Ausgangs des Verfahrens im Ausland blieben unsubstantiell, sodass der Zusatzantrag nach § 21 Abs. 3 NAG nicht mit Erfolg beschieden war bzw. erreichten diese nicht jene durch Artikel 8 EMRK definierte Schwelle, welche die ausnahmsweise Zulassung einer Inlandsantragstellung rechtfertigen vermochte.

Der BF war somit zur Inlandsantragstellung nicht berechtigt und muss seinen Erstantrag vom Ausland (Türkei) aus einbringen.

4.3. Eine nähere Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 11 NAG konnte unterbleiben.

4.4. Der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsansicht, dass aufgrund der jüngst aufgenommenen Erwerbstätigkeit dem BF - mit Verweis auf die Stillhalteklausel nach Art. 13 des ARB 1/80 - ein Aufenthaltsrecht zukäme, sodass er dadurch nach der günstigeren Rechtslage nach dem FrG zu einer Inlandsantragstellung auch nach einem verspäteten Verlängerungsantrag berechtigt gewesen sei, kann nicht gefolgt werden.

Das ARB 1/80 schützt nur jenen türkischen Staatsangehörigen, der im Zeitpunkt der Einreise in einen Mitgliedsstaat die Absicht hat, dort (dauerhaft oder zeitlich befristet) einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Nichts anderes kann für jenen türkischen Staatsangehörigen gelten, welcher sich bereits in einem Mitgliedsstaat befindet.

Der BF ist mit einem Visum D am 12.03.2015 rechtmäßig ins österreichische Bundesgebiet eingereist, er hielt sich in Folge vom 17.03.2015 laufend bis 20.03.2019 mit gültigen Aufenthaltsbewilligungen ausschließlich zum Zweck des Studiums hier auf. Der BF hat zum Zeitpunkt seiner (verspäteten und auch davor) Antragstellung weder nachgewiesen noch behauptet einer Erwerbstätigkeit in Österreich nachzugehen zu beabsichtigen. Erst im Beschwerdeverfahren vor dem erkennenden Gericht wurde die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit vorgebracht. Damit will der BF mit allen Mitteln seine verspätete Antragstellung (bzw. den davor liegenden mangelnden Studienerfolg) sanieren und verhindern das österreichische Bundesgebiet verlassen zu müssen. Überdies ist der Aufenthalt des BF seit Ablauf seiner letzten Aufenthaltsbewilligung am 20.03.2019 auch nicht mehr „ordnungsgemäß“ im Sinne von Art 13 ARB 1/80. Die Stellung des Zusatzantrages gemäß § 21 Abs. 3 NAG verschaffte dem BF keinen legalen Aufenthalt. Aus den genannten Gründen kommt die sog. Stillhalteklausel gegenständlich nicht zur Anwendung. Der BF kann sich auf die Stillhalteklausel nach Art. 13 des ARB 1/80 nicht berufen.

4.5. Die Beschwerde war als unbegründet abzuweisen.

4.6. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Verlängerungsantrag; verspätet; Erstantrag; Zusatzantrag; Wiedereinsetzungsgrund; Inlandsantragstellung; Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.151.065.8621.2019

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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