TE Lvwg Erkenntnis 2019/11/22 VGW-151/091/7710/2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.11.2019
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Entscheidungsdatum

22.11.2019

Index

41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht
19/05 Menschenrechte

Norm

NAG §28 Abs1
NAG §45
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
EMRK Art. 8

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Mag. Gründel über die Beschwerde des Herrn A. B. (geb.: 1994, StA: Türkei), vertreten durch Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 24.04.2019, Zl. …, mit dem gemäß § 28 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) festgestellt wurde, dass das unbefristete Niederlassungsrecht beendet ist, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 22.11.2019, zu Recht:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang, Beschwerde:

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24.04.2019 wurde zur Zahl … festgestellt, dass das unbefristete Niederlassungsrecht des nunmehrigen Beschwerdeführers beendet ist.

Begründend führte die Behörde zusammengefasst sinngemäß aus, der Beschwerdeführer habe bislang über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt. Er sei in vier Fällen gerichtlich verurteilt worden, wobei er erstmalig am 28.05.2010 rechtskräftig zu 10 Monaten bedingter Freiheitsstrafe, beim zweiten Mal am 23.04.2012 rechtskräftig zu 10 Monaten bedingter Freiheiststrafe, zum dritten Mal rechtskräftig am 19.03.2013 zu einer sieben monatigen Freiheitsstrafe und zuletzt rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt worden sei.

Dagegen wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers form- und fristgerecht mit Schriftsatz vom 21.05.2019 Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde darin sinngemäß vorgebracht, dass auf Grund Art. 8 EMRK die Voraussetzungen für ein unbefristetes Niederlassungsrecht gegeben seien und wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides, sowie die Feststellung eines unbefristeten Niederlassungsrechtes beantragt.

Ergänzend wurde durch Schriftsatz vom 12.11.2019, durch die zwischenzeitlich einschreitende rechtsfreundliche Vertretung stark verkürzt sinngemäß vorgebracht, dass der angefochtene Bescheid weiters der ARB 1/80 widersprechen würde, deren Bestimmungen direkt und unmittelbar Anwendung finden würden. Dieses Vollmachtsverhältnis zum zweiteinschreitenden rechtsfreundlichen Vertreter wurde mit E-Mail vom 20.11.2019 aufgelöst.

Die belangte Behörde nahm von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien mit Einlaufdatum 07.06.2019 zur Entscheidung vor.

Das Verwaltungsgericht Wien nahm am 12.06.2019 und am 22.11.2019 Einsicht in öffentliche Register (Zentrales Melderegister, Zentrales Fremdenregister, Strafregister der Republik Österreich), sowie in die auf Grund der Anfrage vom 21.10.2019 am gleichen Tag von der LPD übermittelten verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen und wurde auf Grund des Beschwerdevorbringens und zur weiteren Abklärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes am 22.11.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, zu welcher neben dem Beschwerdeführer ein informierter Vertreter der belangten Behörde geladen war. Der Landeshauptmann von Wien nahm an der mündlichen Verhandlung nicht teil.

Sachverhalt:

Der 1994 geborene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde in Wien geboren, ist auch hier aufgewachsen, genoss seine gesamte Schulbildung in Wien und lebte nie in der Türkei und auch nicht in einem anderen Staat.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und ist derzeit teilzeitbeschäftigt als Kellner … tätig.

Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und seinen beiden leiblichen Kindern, sowie mit seinem Stiefsohn, der aus einer früheren Beziehung seiner Lebensgefährtin stammt, in Wien, C.-gasse, zusammen.

Die Eltern des Beschwerdeführers, sowie seine beiden leiblichen Schwestern leben ebenso in Wien und verfügen Letztgenannte über die österreichische Staatsbürgerschaft. Weiters hat er einen großen Verwandtenkreis von Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen, die allesamt in Wien wohnhaft sind. Die Großeltern des Beschwerdeführers wohnen in der Türkei.

Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt bis 24.04.2018 über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“. Er stellte am 11.04.2018 beim Landeshauptmann von Wien, Magistratsabteilung 35, den Antrag auf Feststellung des unbefristeten Niederlassungsrechtes und Verlängerung des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“.

Der Beschwerdeführer weist nachfolgende rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen auf:

1) LG für Strafsachen Wien … vom 28.05.2010, wegen §§ 142/1, 223/2, 224 StGB, Freiheitsstrafe 10 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre, Anordnung der Bewährungshilfe (Probezeit auf Grund in weiterer Folge auf 5 Jahr verlängert);

2) LG für Strafsachen Wien … vom 18.04.2012 (RK ab 23.04.2012), wegen § 83 Abs. 1 StGB, §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG, §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 3 SMG, § 15 StGB, Freiheitsstrafe 11 Monate, davon Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre;

3) LG für Strafsachen Wien … vom 15.03.2013 (RK 19.03.2013), wegen § 15 StGB § 299 Abs. 1 StGB, § 288 Abs. 1 StGB, Freiheitsstrafe 7 Monate;

4) LG für Strafsachen Wien … vom 12.04.2018 (RK 17.04.2018), wegen § 28 Abs. 1 1. Satz 2. Fall SMG, §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG, Freiheitsstrafe 12 Monate.

Auf Grund dieser Verurteilung befand sich der Beschwerdeführer von 20.12.2017 bis 29.05.2018 in Haft und in weiterer Folge von 29.05.2018 bis 03.12.2018 in stationärer Therapie im D.

Weiters weist der Beschwerdeführer 19 (!) ungetilgte verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen, wegen Verstößen nach der StVO, dem FSG, dem KFG, dem WLSG sowie dem SPG auf. Die jüngste Vormerkung ist rund zwei Monate her (Beginn der Tilgung: 18.09.2019) und betraf den Vorwurf des Fahrens ohne Führerscheins und der Beförderung eines Kindes ohne entsprechenden Kindersitz.

Zu diesen Feststellungen gelangte das Gericht auf Grund nachstehender Beweiswürdigung:

Die getätigten Feststellungen gründen sich auf den insoweit unbestritten gebliebenen und unbedenklichen Akteninhalt, insbesondere auf die Ausführungen des Einschreiters im Zuge der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien. Die Feststellungen hinsichtlich der Strafrechtlichen Verurteilungen ergeben sich aus dem Strafregisterauszug, jene hinsichtlich der verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen aus dem von der LPD übermittelten Auszug.

Rechtlich folgt daraus:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 2005/100, idF BGBl. I Nr. 25/2019, lauten auszugsweise wie folgt:

„Rückstufung und Entziehung eines Aufenthaltstitels

§ 28. (1) Liegen gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ (§ 45) die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor, kann diese Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden, hat die Behörde das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ auszustellen (Rückstufung).

(2) Drittstaatsangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels sind, kann dieser entzogen werden, wenn gegen sie eine rechtskräftige, vollstreckbare Rückführungsentscheidung (Aufenthaltsverbot) eines anderen EWR-Mitgliedstaates vorliegt, der mit einer akuten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder nationale Sicherheit begründet wird und das Aufenthaltsverbot

1.       auf der strafrechtlichen Verurteilung einer mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten vorsätzlichen Straftat beruht;

2.       erlassen wurde, weil ein begründeter Verdacht besteht, dass der Drittstaatsangehörige Straftaten nach Z 1 begangen habe oder konkrete Hinweise bestehen, dass er solche Straftaten im Hoheitsgebiet eines EWR-Mitgliedstaates plante, oder

3.       erlassen wurde, weil der Drittstaatsangehörige gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen des Entscheidungsstaates verstoßen hat.

(3) Die Entziehung des Aufenthaltstitels nach Abs. 2 ist unzulässig, wenn durch die Vollstreckung der Rückführungsentscheidung Art. 2 und 3 EMRK, das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985, oder das Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005, verletzt würde.

(4) Würde durch die Entziehung des Aufenthaltstitels nach Abs. 2 in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen werden, so ist diese Entziehung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(5) Aufenthaltstitel sind zu entziehen, wenn die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles nicht mehr vorliegen. Von einer Entziehung kann abgesehen werden, wenn ein Fall des § 27 Abs. 1 bis 3 vorliegt oder dem Fremden im Rahmen eines Zweckänderungsverfahrens (§ 26) ein anderer Aufenthaltstitel zu erteilen ist. § 10 Abs. 3 Z 1 gilt.

(6) Aufenthaltstitel gemäß §§ 41, 42, 43a Abs. 1 Z 1, 58 und 58a sind überdies zu entziehen, wenn die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der Behörde mitteilt, dass die jeweiligen Voraussetzungen gemäß §§ 12 bis 12c, 14 oder 18a AuslBG nicht länger vorliegen. Im Falle der Entziehung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 58 oder 58a ist der Bescheid auch der aufnehmenden Niederlassung gemäß § 2 Abs. 13 AuslBG zuzustellen.“

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG)

StF: BGBl. I Nr. 100/2005, idF BGBl. I Nr. 56/2018, lauten auszugsweise wie folgt:

„Rückkehrentscheidung

§ 52.

[...]

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Einreiseverbot

§ 53.

[...]

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

                                                                                          

1.       ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3.       ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

4.       ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5.       ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

7.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;

8.       ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder

9.       der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

[...]“

Gemäß § 28 Abs. 1 NAG hat die Behörde, wenn gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ (§ 45) die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, diese Maßnahme aber im Hinblick auf § 9 BFA-VG nicht verhängt werden kann, das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen einen befristeten Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ auszustellen (Rückstufung).

§ 28 Abs. 1 NAG kommt sohin nur zur Anwendung, wenn die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen. In einem ersten Schritt war daher zunächst zu prüfen, ob vom Beschwerdeführer eine Gefährdung im Sinne des § 52 Abs. 5 iVm § 53 Abs. 3 FPG ausgeht:

Gemäß § 52 Abs. 5 FPG 2005 ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen bestimmte Drittstaatsangehörige nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG 2005 die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden (VwGH 22.03.2018, Ra 2017/22/0194). Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit) gerechtfertigt ist (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.08.2017, Ra 2017/21/0120). Dabei ist auch auf ein Wohlverhalten seit Begehung der zugrundeliegenden Straftat Bedacht zu nehmen (VwGH 31. März 2008, Zl. 2007/21/0533).

Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in bestimmten Fällen auch unbefristet, zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 1).

         

Weiters sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass an der Hintanhaltung von strafbaren Handlungen gegen die körperliche Integrität von Personen ein besonderes öffentliches Interesse besteht (vgl. sinngemäß VwGH 24. September 2009, Zl. 2008/18/0782). Die Verhinderung von vorsätzlichen oder fahrlässigen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit von Personen stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar (VwGH, 9. November 2009, Zl. 2006/18/0318). Auch die Unterbindung von Angriffen auf fremdes Vermögen berührt ein Grundinteresse der Gesellschaft (vgl. VwGH, 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0004). Zur Suchtgiftkriminalität führte der Verwaltungsgerichtshof weiters wiederholt aus, dass in Anbetracht der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und des großen öffentlichen Interesses an der Bekämpfung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit als auch anderer in Art. 8 Abs. 2 MRK genannter öffentlicher Interessen – insbesondere der Schutz der Gesundheit – die Tatbestandsvoraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes jedenfalls gegeben seien und die Behörde ihre Beurteilung eigenständig unabhängig von den gerichtlichen Strafzumessungsgründen unter dem Blickwinkel fremdenrechtlicher Aspekte vorzunehmen hat (vgl. VwGH, 7. Mai 1999, Zl. 99/18/0130).

Es ist erwiesen, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil vom 28.05.2010 nach den §§ 142/1, sowie 223 Abs. 2 und 224 StGB verurteilt wurde, zum einen, weil der das Verbrechen des Raubes begangen hat, in dem er einer Person eine goldene Halskette vom Hals riss und diese Person, als sie die Kette zurückverlangte, bedrohte. Sowie das Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden begangen hat, weshalb zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt wurde.

Weiters steht fest, dass der Beschwerdeführer im Jahre 2012 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 des Suchtmittelgesetzes verurteilt wurde, wobei er insbesondere auch versuchte, Suchtgift gewerbsmäßig und gewinnbringend an Dritte weiterzugeben. Auch verletzte er eine andere Person durch Versetzten von Faustschlägen und Fußtritten schwer am Körper. Hierfür wurde er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.04.2012 … zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von elf Monaten verurteilt, wobei der Vollzug von zehn Monaten dieser Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 15.03.2013b wurde er ferner wegen der Vergehen der falschen Beweisaussage gemäß § 288 Abs. 1 StGB und der versuchten Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und erhielt dafür eine 7 monatige Freiheitsstrafe verhängt.

Weder die Verurteilungen noch die Verhängung der Probezeit sowie die Anordnung der Bewährungshilfe konnten den Beschwerdeführer dauerhaft von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abhalten.

Nach einer darauffolgenden längeren Phase des Wohlverhaltens wurde der Beschwerdeführer erneut straffällig, als er nicht einmal fünf Jahre später wieder Vergehen nach dem SMG verwirklichte und wurde er mit Urteil vom 12.04.2018 der Vergehen der Vorbereitung des Suchtgifthandels und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. In Folge dessen verbrachte er den Zeitraum vom 20.12.2017 bis 29.05.2018 in Haft und war in weiterer Folge von 29.05.2018 bis 03.12.2018 in stationärer Therapie im D.

Zum Zwecke der Erstellung einer entsprechenden Zukunftsprognose wurde durch das Verwaltungsgericht Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und wurde dem Einschreiter im Zuge dieser Verhandlung insbesondere die Möglichkeit eröffnet, sich zu den gegenständlichen strafgerichtlichen Urteilen zu äußern. Hierbei fiel auf, dass sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen mit seinem jugendlichen Alter rechtfertigte und dahingehend verantwortete, er sei zu Unrecht verurteilt worden. Der Beschwerdeführer versuchte, sich als unschuldig und letztlich als Opfer der Justiz darzustellen, was problemlos den Schluss zulässt, dass dem Einschreiter ein wie auch immer geartetes Unrechtsbewusstsein völlig fehlt. Eine bejahende Auseinandersetzung mit den in Österreich geltenden Normen und Werten oder gar eine Identifikation des Beschwerdeführers mit diesen war anhand der durch ihn zum Besten gebrachten Darlegungen nicht ansatzweise zu erkennen.

Hinsichtlich der verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen zeigte sich der Beschwerdeführer verwundert, dass das Verwaltungsgericht über diese Informationen verfügt und brachte vor, dass das alles weit zurückliegen würde, obgleich seit dem jüngsten Vorfall weniger als drei Monate verstrichen sind.

Somit zeigte sich bei der Erörterung der Straftaten eindrucksvoll, dass sich der Beschwerdeführer nicht ansatzweise selbstkritisch mit seinen Tathandlungen auseinandersetzte oder diese aufrichtig bedauere, obgleich er mehrfach ausführte, dass ihm seine Taten Leid täten. Auch zeigt die jüngste Verwaltungsübertretung, des Fahrens ohne Führerschein mit einen nicht vorschriftsmäßig gesicherten Kleinkind im Wagen keinesfalls glaubhaft das Vorbringen eines geläuterten, verantwortungsbewussten Familienvaters.

Aus diesen Erwägungen heraus ist somit davon auszugehen, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt und seine Zukunftsprognose wie dargestellt negativ ausfällt.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach aus, dass die Behörde beim Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen zu beurteilen hat, ob eine solche einen Eingriff in die durch Art 8 EMRK garantierten Rechte bedeutet. Bejahendenfalls hat sie das Vorliegen der Eingriffsermächtigung des Art. 8 Abs. 2 EMRK (nunmehr § 9 Abs. 2 BFA-VG) zu prüfen. Weiterhin hat die Behörde bei vorliegendem Eingriff in ein bestehendes Privat- oder Familienleben letztlich eine individuelle, nach den Umständen des Einzelfalles orientierte Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und den Interessen des Betroffenen vorzunehmen und sich dabei an den im Gesetz ausdrücklich angeführten Kriterien zu orientieren. Würde durch eine Ausweisung (oder nunmehr Rückkehrentscheidung) in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in Abs. 2 der gegenständlichen Regelung genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH, 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348).

Wie oben bereits festgestellt liegen die Voraussetzungen zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den Beschwerdeführer auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen zweifelsohne vor. Allerdings steht auch fest, dass der Beschwerdeführer in Wien geboren wurde und nie woanders wohnhaft war. Weiters lebt er mit seiner Lebensgefährtin und seinen leiblichen Kindern (geb. 5/17 und 6/19) zusammen. Zusätzlich lebt auch der Großteil seiner Familie, nämlich seine Eltern, zwei Schwestern, Tanten und Onkel sowie Cousins und Cousinen in Österreich. Lediglich seine Großeltern leben in der Türkei. Der Einschreiter hat seine gesamte Schulbildung in Österreich genossen. Er ist hier erwerbstätig, beherrscht die deutsche Sprache fließend und ist auch sozial in Österreich weitgehend integriert. Eine Abwägung wie vom Verwaltungsgerichtshof gefordert ergibt daher, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen den Einschreiter aus den Rücksichten des Art 8 EMRK bzw. des § 9 Abs. 2 BFA-VG nicht zulässig wäre.

Somit steht fest, dass eine Rückkehrentscheidung im Sinne des § 52 Abs. 5 NAG gegen den Beschwerdeführer, welcher bislang einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ innehatte, jedenfalls deshalb nicht erlassen werden durfte, weil dies aus den Rücksichten des Art. 8 EMRK bzw. des § 9 Abs. 2 BFA-VG wegen überwiegender privater Interessen und damit einhergehend eines unrechtmäßigen Eingriffes in die durch Art. 8 EMRK verbrieften Rechte des Einschreiters nicht zulässig wäre. Mangels Zulässigkeit der Erlassung einer derartigen Maßnahme lediglich aus den Rücksichten des § 9 BFA-VG erfolgte die durch die Behörde getätigte Feststellung zu Recht und war der angefochtene Bescheid vollinhaltlich zu bestätigen.

Zum Vorbringen, die Rückstufung eines Aufenthaltstitels widerspreche der Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 (ARB 1/80) wird auf die eindeutige Entscheidung des VwGH vom 21.06.2018, Ra 2016/22/0101 verwiesen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Rückstufung; Rückkehrentscheidung; Prognosebeurteilung; Zukunftsprognose; Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit; Interessenabwägung; öffentliches Interesse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.151.091.7710.2019

Zuletzt aktualisiert am

17.12.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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