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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines afghanischen Staatsangehörigen; keine eigenständige Auseinandersetzung mit dem entscheidungsrelevanten SachverhaltSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitisch-muslimischen Religion. Er stammt aus der Provinz Parwan. Der (zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige) Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in Österreich am 6. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, sein Onkel sei in einer aufständischen Gruppe aktiv gewesen und habe seinen Vater zwingen wollen, sich ebenfalls dieser Gruppe anzuschließen oder den Beschwerdeführer als seinen ältesten Sohn statt ihm zu schicken. Wenig später seien der Onkel des Beschwerdeführers und einige Mitglieder seiner Gruppierung von der Polizei festgenommen und teilweise getötet worden. Dem Onkel des Beschwerdeführers sei es jedoch gelungen, zu fliehen. Der Onkel des Beschwerdeführers habe daraufhin seinen Vater beschuldigt, er hätte ihn und seine aufständische Gruppierung an die Polizei verraten und habe dem Vater des Beschwerdeführers gedroht, ihn und den Beschwerdeführer zu töten. Der Onkel des Beschwerdeführers sei sehr mächtig und habe viel Geld, er könne den Beschwerdeführer und seine Familie im gesamten Herkunftsstaat finden. Die Familie des Beschwerdeführers sei daraufhin in den Iran und von dort weiter in die Türkei geflohen, wo der Beschwerdeführer seine Familie verloren habe. Er sei daraufhin weiter nach Österreich gereist.
2. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 im Hinblick auf die Gewährung von Asyl und gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Darüber hinaus erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG und stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 4. Juni 2019 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und auf Grund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat fest, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan auf Grund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung nicht verfolgt würde. Es könne – mangels Glaubhaftmachung – keine Bedrohung durch eine aufständische Gruppierung wegen seiner Weigerung zur Mitarbeit festgestellt werden. Zudem drohe dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung. Insbesondere sei in mehreren Landesteilen die Sicherheitslage ausreichend und die Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet, zB in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif.
4. Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Das Bundesverwaltungsgericht habe – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – allein auf Grund der Aktenlage, ohne nähere Prüfung des Vorbringens in der Beschwerde entschieden. Es habe keinerlei Ermittlungen durchgeführt und wesentliche Passagen des angefochtenen Bescheides in der Entscheidung wiedergegeben sowie überwiegend auf die Begründung im Bescheid verwiesen. Das Bundesverwaltungsgericht habe die "UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender" zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgelegt und die Frage, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Flucht- und Verfolgungsgründen glaubwürdig sei, in seinem Erkenntnis mit einem einzigen Satz abgehandelt.
5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und die Verwaltungsakten der belangten Behörde vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hierfür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Partei-vorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall unterlau-fen:
3.1. In der – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen – angefochtenen Entscheidung stützt sich das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen auf die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getroffenen Feststellungen sowie dessen Beweiswürdigung. Die ersten 34 Seiten des Erkenntnisses bestehen ausschließlich aus Auszügen aus dem angefochtenen Bescheid.
Die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes beschränken sich lediglich auf folgende Ausführungen:
"Das Bundesverwaltungsgericht folgt bei den maßgeblichen Feststellungen der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Demnach stellen sich insbesondere die Schilderungen der beschwerdeführenden Partei zu einer behaupteten Verfolgungsgefahr als unglaubwürdig dar, wie im angefochtenen Bescheid ausführlich erörtert wurde.
Vor allem aber vermochte die Beschwerde nicht die nach wie vor zutreffenden Feststellungen des angefochtenen Bescheides zum Vorhandensein einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative, etwa in Mazar-e Scharif, substanziiert zu bekämpfen. Die in der Beschwerde aufgezählten Mordanschläge in den letzten Jahren in verschiedenen afghanischen Städten, insbesondere gegen Schiiten, sind unstrittig. Inwiefern aber eine Person, die in ihrer Heimatprovinz von Taliban zur Mitarbeit aufgefordert wurde, landesweit in Afghanistan einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein sollte, wird auch mit den in der Beschwerde zitierten Berichten nicht plausibel dargelegt.
Insgesamt gesehen konnte somit von der beschwerdeführenden Partei eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht werden."
Auch in der rechtlichen Beurteilung beschränken sich die auf die behauptete Verfolgung des Beschwerdeführers konkret bezogenen Ausführungen (zum Spruchpunkt Asyl) auf folgende Formulierungen:
"Im vorliegenden Fall ist auf Grund der Sachverhaltsfeststellungen davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei eine drohende Verfolgung im Sinn der wiedergegebenen Gesetzesbestimmungen nicht glaubhaft machen konnte."
3.2. Mit Erkenntnis vom 26. Juni 2019, E967/2019, hob der Verfassungsgerichtshof eine – in ihrer Fehlerhaftigkeit der vorliegenden vergleichbare – Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wegen Verstoßes gegen das durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf, da sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung in der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördlichen Erhebungen erschöpfte und eine eigenständige Auseinandersetzung zu den entscheidungsrelevanten Umständen fehlte.
Auch im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht den nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes statuierten Anforderungen an eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht entsprochen. Da sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung in der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördlichen Erhebungen und Begründungen erschöpft und eine eigenständige Auseinandersetzung des Bundesverwaltungsgerichtes mit den entscheidungsrelevanten Umständen sowohl im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung wie mit der rechtlichen Beurteilung fehlt, wird den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichtes nicht entsprochen (vgl VfSlg 18.614/2008 sowie aus der jüngeren Rechtsprechung VfSlg 20.141/2017 und VfGH 9.6.2017, E3235/2016; 26.11.2018, E2786/2018, 26.6.2019, E967/2019). Da das Bundesverwaltungsgericht die gebotene eigene Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers vermissen lässt, ist seine Entscheidung mit Willkür belastet (vgl VfSlg 18.861/2009 mwN).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabegebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E2738.2019Zuletzt aktualisiert am
17.12.2019