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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofträtin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M M, vertreten durch Mag. Philipp Miller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Jänner 2018, W102 2130229-1/7E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Balkh, stellte am 19. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er als Kleinkind gemeinsam mit seinen Eltern wegen der Taliban aus Afghanistan in den Iran geflohen sei. Dort habe er die Schule besucht und eine Schneiderlehre absolviert. Als Afghane habe er jedoch keine Rechte gehabt. Als man ihn aufgefordert habe, am Krieg in Syrien teilzunehmen, habe er den Iran verlassen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei wegen des Krieges und des mangelnden Familienanschlusses nicht möglich.
2 Mit Bescheid vom 29. Juni 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest. 3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. Jänner 2018 als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 In seiner Begründung bezüglich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führte das BVwG zusammengefasst aus, dass der Revisionswerber kein asylrelevantes Vorbringen erstattet habe, sich die fluchtauslösenden Ereignisse auf den Iran bezögen und seine, erst in der Beschwerde erstatteten Ausführungen zur befürchteten Zwangsrekrutierung gänzlich unsubstantiiert geblieben seien. Bezüglich der Nichtgewährung subsidiären Schutzes legte das BVwG dar, dass keine reale Gefahr einer Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK drohe. Der Revisionswerber sei ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung sowie mit der Sprache und Kultur seines Heimatlandes vertraut. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat. Es sei ihm zumutbar, sich dort ohne Angehörige niederzulassen und sich ein ausreichendes Auskommen zu sichern.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 12. Juni 2019, E 642/2018-14, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Daraufhin erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe den Grundsatz des Amtswegigkeitsprinzips nicht beachtet, weil es keine aktuellen Länderberichte zur Situation in Afghanistan eingeholt habe. Des Weiteren habe es sich auf ein Gutachten des Sachverständigen Mag. M., dem zwischenzeitlich die Sachverständigeneigenschaft entzogen worden sei, gestützt. Das BVwG habe es unterlassen, weitere Gutachten und aktuelle Länderberichte heranzuziehen. Außerdem sei der Revisionswerber am 6. April 2019 in der evangelisch-lutherischen Kirche getauft worden.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den mit Asylverfahren befassten Behörden und Gerichten zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen. Folglich hatte auch das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lang zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. VwGH 20.8.2019, Ra 2019/18/0052, mwN).
12 Dem Revisionsvorbringen, dass sich die Entscheidung des BVwG auf veraltete Länderberichte stützt, ist entgegenzuhalten, dass sich das BVwG auf, zum Entscheidungszeitpunkt aktuelles Berichtsmaterial zur Lage in Afghanistan stützte, zumal insbesondere die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 im Entscheidungszeitpunkt des BVwG noch nicht vorlagen. 13 Werden Verfahrensmängel - wie hier hinsichtlich Berücksichtigung aktueller Berichte über die Lage im Herkunftsstaat - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung auch die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 29.5.2019, Ra 2019/20/0062, mwN). 14 Zwar führt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen mehrere Quellen an, die eine schwierige Sicherheitslage in Afghanistan dokumentieren. Eine Relevanz dieser Länderberichte wird damit - vor dem Hintergrund des spezifischen Prüfungskalküls von Art. 3 EMRK und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (vgl. VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095, mwN) und von § 11 AsylG 2005 (VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001) - aber noch nicht dargetan. Dass ein arbeitsfähiger, junger Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat - vorbehaltlich des Nachweises besonderer persönlicher Umstände - grundsätzlich eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative finde, entsprach zur damaligen Berichtslage vielmehr der insoweit einheitlichen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.8.2018, Ra 2018/18/0390;
2.8.2018, Ra 2017/19/0229; 23.1.2018, Ra 2018/18/0001;
VfGH 12.12.2017, E 2068/2017, jeweils mwN).
15 Sofern die Revision das vom BVwG herangezogene Gutachten des Sachverständigen Mag. M moniert, genügt der Hinweis, dass sich das BVwG insbesondere bei der Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten nicht nur auf dieses Gutachten stützte, sondern darüber hinaus weitere Länderberichte heranzog, auf die es seine Feststellungen gründete (vgl. VwGH 30.5.2018, Ra 2018/18/0085, mwN).
16 Wenn der Revisionswerber schließlich vorbringt, er habe sich am 6. April 2019, somit nach Erlassung des Erkenntnisses, in der evangelisch-lutherischen Kirche taufen lassen, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Vorbringen gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot verstößt und schon daher keine Beachtung finden kann (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2017/18/0291, mwN).
17 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 4. November 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018180102.L00Im RIS seit
17.12.2019Zuletzt aktualisiert am
17.12.2019