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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
IntG 2017 §2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Magistrates der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 18. September 2018, VGW-001/076/4571/2018-4, betreffend Bestrafung nach dem Integrationsgesetz (mitbeteiligte Partei: D G in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom 14. März 2018 wurde gegen die Mitbeteiligte, eine serbische Staatsangehörige, wegen Nichterfüllung der Verpflichtung nach § 9 Integrationsgesetz (IntG), nämlich binnen zwei Jahren nach Erteilung des Aufenthaltstitels mit der Gültigkeit ab 19. Dezember 2013 bis 19. Dezember 2014, somit spätestens bis zum 19. Dezember 2016 der Integrationsvereinbarung nachzukommen, bestraft, weil sie in der Zeit vom 20. Dezember 2016 bis zumindest 2. Jänner 2018 die Integrationsvereinbarung aus Gründen, die ausschließlich der Mitbeteiligten zuzurechnen seien, nicht nachgewiesen habe.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde der dagegen erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten gemäß § 50 VwGVG Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG in Verbindung mit § 31 Abs. 1 VStG wegen Verfolgungsverjährung eingestellt. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Mitbeteiligten erstmalig am 20. Jänner 2014 ein Aufenthaltstitel mit der Gültigkeit von 19. Dezember 2013 bis 19. Dezember 2014 nach dem NAG erteilt worden sei. Die Mitbeteiligte habe die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung weder bis zum 19. Dezember 2016 „noch bis dato“ nachgewiesen, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen sei. Die erste Verfolgungshandlung sei mit Strafverfügung vom 3. Jänner 2018 - der Mitbeteiligten am 5. Jänner 2018 zugestellt - erfolgt.
4 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass nach § 23 Abs. 1 IntG ausschließlich die Verletzung der fristgebundenen Pflicht, nämlich den Nachweis der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung zu erbringen, pönalisiert sei. Die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes im Sinn eines Dauerdeliktes sei von der Strafdrohung nicht umfasst. Die der Mitbeteiligten zur Last gelegte Verwaltungsübertretung sei daher mit Ablauf des 19. Dezembers 2016 beendet gewesen. Die Frist der Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 VStG habe somit am 20. Dezember 2016 begonnen und am 20. Dezember 2017 geendet. Die erste Verfolgungshandlung mit Strafverfügung vom 3. Jänner 2018 sei somit zu einem Zeitpunkt nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist gesetzt worden. Das angefochtene Straferkenntnis sei somit wegen Verfolgungsverjährung der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung aufzuheben und das Verfahren einzustellen gewesen.
5 Zum Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision führte das Verwaltungsgericht aus, dass Rechtsprechung zur Frage, ob es sich bei der vorliegenden Verwaltungsübertretung tatsächlich um ein Dauerdelikt handle, fehle.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision. Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.
7 Nach Ansicht des Revisionswerbers handle es sich bei dem Delikt des § 9 iVm § 23 Abs. 1 IntG um ein Dauerdelikt, das erst mit dem Nachweis der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung ende und bei welchem die Verfolgungsverjährungsfrist erst nach dem Zeitpunkt dieses Nachweises zu laufen beginne.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision erweist im Hinblick auf das in Rn. 7 (vgl. auch Rn. 5) dargestellte Vorbringen als zulässig. Sie ist aus folgenden Gründen auch begründet.
10 Die relevanten Bestimmungen des IntG, BGBl. I Nr. 68/2017 in der Fassung BGBl. I Nr. 86/2017, lauten auszugsweise:
„Ziel
§ 1. (1) Das Ziel dieses Bundesgesetzes besteht in der raschen Integration rechtmäßig in Österreich aufhältiger Personen in die österreichische Gesellschaft durch das systematische Anbieten von Integrationsmaßnahmen (Integrationsförderung) sowie durch die Verpflichtung, aktiv am Integrationsprozess mitzuwirken (Integrationspflicht).
...
Integrationsbegriff
§ 2. (1) Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller in Österreich lebenden Menschen abhängt und auf persönlicher Interaktion beruht. Integration erfordert insbesondere, dass die Zugewanderten aktiv an diesem Prozess mitwirken, die angebotenen Integrationsmaßnahmen wahrnehmen und die Grundwerte eines europäischen demokratischen Staates anerkennen und respektieren.
...
Integrationsvereinbarung
§ 7. (1) Die Integrationsvereinbarung dient der Integration rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassener Drittstaatsangehöriger (§ 3 Z 3) und zielt darauf ab, sie zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich zu befähigen. Im Rahmen dieser Vereinbarung sind Drittstaatsangehörige verpflichtet, Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der demokratischen Ordnung und der daraus ableitbaren Grundprinzipien zu erwerben. Der Bund gewährt nach Maßgabe des Gesetzes (§ 14) eine Kostenbeteiligung.
(2) Die Integrationsvereinbarung besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Modulen:
1. das Modul 1 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und der Vermittlung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung;
2. das Modul 2 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung auf dem Sprachniveau B1 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und der vertieften Vermittlung der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung.
(3) Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres durch Verordnung festzulegen.
...
Modul 1 der Integrationsvereinbarung
§ 9. (1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.
(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.
...
(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)
3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,
4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder
5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung - Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.
Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.
...
Strafbestimmungen
§ 23. (1) Wer zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet ist und den Nachweis zwei Jahre nach Erteilung des Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz bzw. im Falle, dass eine Verlängerung gemäß § 9 Abs. 2 gewährt wurde, nach Ablauf dieses Zeitraums, aus Gründen, die ausschließlich ihm zuzurechnen sind, nicht erbringt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 500 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen.
...“
11 Gemäß § 31 Abs. 1 erster Satz VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung gemäß § 32 Abs. 3 VStG vorgenommen worden ist. Diese Frist ist - nach dem zweiten Satz des § 31 Abs. 1 VStG - von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat (auf den Sonderfall des Erfolgseintritts kommt es vorliegend nicht an).
12 Nach der maßgeblichen Strafbestimmung des § 23 Abs. 1 IntG ist mit Geldstrafe bis zu 500 Euro zu bestrafen, wer zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet ist und (ua.) den Nachweis zwei Jahre nach Erteilung des Aufenthaltstitels nach dem NAG nicht erbringt.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beginnt die Verfolgungsverjährungsfrist im Falle von Unterlassungen erst mit der Nachholung der unterlassenen Handlung zu laufen; eine etwaige Erfüllungsfrist ist im Zusammenhang mit der Verfolgungsverjährung ohne Bedeutung. Bei Unterlassungsdelikten beginnt die Verjährungsfrist somit erst mit dem Zeitpunkt, in dem die gebotene, jedoch bis dahin unterlassene Handlung gesetzt worden oder die Verpflichtung zur Vornahme der Handlung weggefallen ist. Die Verjährung beginnt bei Unterlassungsdelikten solange nicht, als die Verpflichtung zum Handeln besteht und die Handlung noch nachgeholt werden kann (vgl. VwGH 27.2.2019, Ra 2018/04/0134, Rn. 23, mwN).
14 Vorliegend wird die Nichteinhaltung einer Verpflichtung, konkret zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung, unter Strafe gestellt. Es handelt sich somit um ein Unterlassungsdelikt.
15 Der Umstand, dass in § 9 Abs. 2 und § 23 Abs. 1 IntG eine Frist von zwei Jahren ab der erstmaligen Erteilung des Aufenthaltstitels nach dem NAG vorgesehen ist, bedeutet nicht, dass nach Ablauf dieser Frist die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung nicht mehr geboten wäre. Aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 IntG, wonach der Drittstaatsangehörige mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet ist, ergibt sich, dass die angeführte Pflicht nicht nach Ablauf von zwei Jahren erlischt. Darüber hinaus ist die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichtes auch mit der in § 2 und § 7 IntG normierten Zielsetzung, wonach die Integrationsvereinbarung der Integration rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassener Drittstaatsangehöriger dient und darauf abzielt, sie zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich zu befähigen, nicht in Einklang zu bringen.
16 Das Verwaltungsgericht ist somit rechtsirrig davon ausgegangen, dass es sich beim gegenständlichen Verwaltungsstraftatbestand um ein Unterlassungsdelikt, das die Nichtvornahme einer Handlung zu einem bestimmten Stichtag unter Strafe stellt, handle. Vielmehr begründet die gegenständliche Unterlassung ein Dauerdelikt, bei dem die Frist für die Verfolgungsverjährung nicht bereits mit dem Ablauf der vom Gesetz zugestandenen Frist zu laufen beginnt, sondern erst mit der Nachholung der gebotenen Maßnahme, sodass im vorliegenden Fall die Verfolgungsverjährungsfrist gewahrt worden ist.
17 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 14. November 2019
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Dauerdelikt "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Unterlassungsdelikt Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019220002.J00Im RIS seit
02.09.2020Zuletzt aktualisiert am
03.09.2020