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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §9Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des Z M in D, vertreten durch Dr. Mario Züger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juli 2019, W153 2217774-1/5E, betreffend Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie rechtlich davon abhängende Aussprüche nach dem AsylG 2005 und nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 25. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, er sei in Afghanistan, in der Provinz Ghazni, geboren und habe seit seinem ersten Lebensjahr mit seiner Familie in Pakistan gelebt. Seine Familie und er seien in Pakistan immer wieder von Sunniten mit Bomben und anderen Waffen angegriffen worden. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben. 2 Mit Bescheid vom 4. März 2016 (berichtigt durch Bescheid vom 8. April 2016) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 4. März 2017, welche mit - nicht im Akt erliegenden - Bescheid des BFA vom 1. März 2017 verlängert wurde (laut dem Vorbringen der Revision: bis zum 4. März 2019).
3 Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA zusammengefasst damit, dass stichhaltige Gründe dafür vorlägen, dass der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr aufgrund der Sicherheitslage im Herkunftsstaat und ohne Familienanschluss sowie aufgrund seines jungen Alters der Gefahr ausgesetzt sein werde, in seinen Rechten gemäß Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
4 Der Revisionswerber wurde am 29. September 2018 wegen Urkundenfälschung gemäß § 223 StGB angezeigt und die Staatsanwaltschaft leitete eine diversionelle Erledigung gemäß § 200 Abs. 4 StPO ein.
5 Mit Eingabe vom 21. Jänner 2019 beantragte der Revisionswerber beim BFA die Verlängerung der ihm befristet erteilten Aufenthaltsberechtigung.
6 Mit Bescheid vom 4. März 2019 sprach das BFA aus, dass dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) von Amts wegen aberkannt, die ihm als subsidiär Schutzberechtigten erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt werde, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. 7 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in
nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer
außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Es habe bei seiner Beurteilung, ob sich die individuellen Umstände des Revisionswerbers geändert hätten und deswegen in einem relevanten Punkt ein neuer Sachverhalt entstanden sei, der einer rechtlichen Neubeurteilung und damit einer Durchbrechung der Rechtskraft dieser Vorentscheidungen nicht entgegenstehe, das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, unrichtig angewendet. Zudem bedürfe das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend einer Klarstellung, dass nicht irgendwelche nach Rechtskraft der ursprünglichen "Schutzentscheidung" neu entstandenen Sachverhaltselemente eine "neue Sache" begründen könnten, sondern nur eine Änderung jener Sachverhaltselemente, welche für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes tragend gewesen seien. 12 Weiters fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den aus dem Urteil des EuGH vom 23. Mai 2019, C-720/17, Bilali, zu ziehenden Konsequenzen für die Auslegung von § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, insbesondere in welchen Situationen die aus der Statusrichtlinie fließende unionsrechtliche Verpflichtung eines Mitgliedstaats, einen - rechtskräftig zuerkannten - Status des subsidiär Schutzberechtigten zu beenden, wenn die Voraussetzungen dafür nicht (mehr) vorliegen, die Durchbrechung der Rechtskraft der ursprünglichen Schutzentscheidung ermögliche.
13 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGG hat ein Revisionswerber einerseits konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte, und andererseits konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich beantwortet hat oder dass dazu Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes überhaupt fehlt (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0654, mwN).
14 Wird eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend gemacht, hat der Revisionswerber konkret darzulegen, dass der der gegenständlich angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt dem Sachverhalt der von ihm ins Treffen geführten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in entscheidungswesentlicher Hinsicht gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist (vgl. VwGH 1.7.2019, Ra 2019/14/0261, mwN).
15 Um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen, ist auf die vorliegende Rechtssache bezogen darzulegen, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zuständig (vgl. VwGH 4.3.2019, Ro 2018/14/0003, mwN).
16 Ausgehend von dieser Rechtslage zeigt die Revision nicht auf, dass im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorlägen.
17 Der Revisionswerber macht geltend, dass das BVwG von den im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 2019, Ra 2019/14/0153, enthaltenen Leitlinien abgewichen sei. Es wird aber in den Ausführungen zur Revisionszulässigkeit nicht dargelegt, auf welche nach Auffassung des Revisionswerbers irrelevanten neuen Umstände sich das BVwG bei seiner Entscheidung gestützt hätte. Schon deshalb ist nicht zu sehen, weshalb die Revision von den in ihr aufgeworfenen sich auf § 9 AsylG 2005 beziehenden Rechtsfragen, zu denen der Revisionswerber Rechtsprechung vermisst, abhinge.
18 Der Sache nach zielt der Revisionswerber mit seinem Vorbringen, dass wegen Fehlens von (weiterer) Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliege, aber - wie die Ausführungen in den darauf Bezug nehmenden Revisionsgründen zeigen - ohnedies auf die Überprüfung der vom BVwG im Einzelfall vorgenommenen Beurteilung ab. Vor diesem Hintergrund ist er auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0453, mwN). Dass Letzteres der Fall wäre, zeigt der Revisionswerber nicht auf. 19 Soweit sich der Revisionswerber auf das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Zulässigkeit einer auf § 9 Abs. 4 AsylG 2005 gestützten Entziehung einer "bereits abgelaufenen befristeten Aufenthaltsberechtigung" beruft, wird anhand der von ihm geltend gemachten Revisionspunkte zunächst schon nicht erkennbar, weshalb er durch die sich darauf beziehende angefochtene Entscheidung in den von ihm in der Revision geltend gemachten subjektiven Rechten verletzt sein könnte.
20 Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30. Oktober 2019, Ro 2019/14/0007, des Näheren mit der in § 9 Abs. 4 AsylG 2005 enthaltenen gesetzlichen Anordnung befasst hat. Es wird sohin gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
21 Vor dem Hintergrund der dort enthaltenen Ausführungen ist für den gegenständlichen Fall festzuhalten, dass dem Erkenntnis des BVwG keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Rechtswidrigkeit anhaftet. Zwar hätte es am Boden der in Ro 2019/14/0007 enthaltenen Erwägungen im vorliegenden Fall, in dem der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung offenbar vor Ablauf der bisher ausgesprochenen Gültigkeit eingebracht worden war, gesondert formulierter Spruchpunkte, mit denen die Entziehung der Aufenthaltsberechtigung und die Abweisung des Verlängerungsantrages ausgesprochen wird, nicht bedurft. Andererseits ist es der Behörde im Hinblick auf die von ihr nach dem Gesetz zu treffende Entscheidung aber auch nicht untersagt, diese in der hier gewählten Weise zum Ausdruck zu bringen. 22 Im Übrigen wendet sich der Revisionswerber gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung. Insoweit ist auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274, mwN). Eine diesbezüglich vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung wird vom Revisionswerber nicht aufgezeigt.
23 Wenn das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gerügt wird, zeigt die vorliegende Revision nicht auf, inwiefern das BVwG fallbezogen von den aufgestellten Leitlinien zur Verhandlungspflicht abgewichen wäre (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018).
24 Ebenso ist der vom BVwG vorgenommene Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan nicht rechtswidrig erfolgt, da das BVwG aufgezeigt hat, dass sich der Sachverhalt nach Erlassung der rechtskräftigen Entscheidung wesentlich geändert hat, sodass eine neue Sache vorliegt (vgl. dazu VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0238, mwN).
25 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 20. November 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200401.L01Im RIS seit
17.12.2019Zuletzt aktualisiert am
17.12.2019