Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des N, vertreten durch Dr. Christian Falkner, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Pergerstraße 12, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Dezember 1995, Zl. 4.339.077/10-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein albanischer Staatsangehöriger, der am 25. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am folgenden Tag einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 11. Juni 1992 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen folgendes angegeben:
Er habe nach Absolvierung des "Politechnikums" die Absicht gehabt, an der Universität eine Ingenieurausbildung zu absolvieren. Er sei jedoch von "der damaligen kommunistischen Regierung" gezwungen worden, anstatt dessen die Militärakademie zu besuchen. "Aus Trotz" habe er am 9. Juli 1987 diese Ausbildung abgebrochen und in der Folge demokratische Parolen an die Wände von öffentlichen Gebäuden geschrieben. Bei einer solchen Schmieraktion sei er am 17. Dezember 1987 betreten und in der Folge am 20. Dezember 1987 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, welche er bis 25. November 1988 verbüßt habe. Nach der Haftentlassung habe er aufgrund der Vorstrafe weder eine Arbeit gefunden noch seine Schulausbildung fortsetzen könne. Ab Ende 1990 habe er an "demokratischen Demonstrationen" gegen die kommunistische Regierung teilgenommen. Am 12. Dezember 1991 sei er anläßlich einer solchen Demonstration von der Miliz festgenommen und vier Tage festgehalten worden. Danach habe er als Sympathisant der Demokratischen Partei an der Vorbereitung für die ersten demokratischen Wahlen teilgenommen. Im Jänner 1992 hätten die Demokraten auch gewonnen, allerdings seien wieder dieselben Machthaber - die "alten Kommunisten" - in die Regierung gekommen und hätte sich die Lage in seiner Heimat nicht verbessert, sondern sogar noch drastisch verschlechtert. Weil er dagegen etwas unternehmen habe wollen, habe er sich öffentlich gegen die neuen Machthaber ausgesprochen. Danach sei er "von verschiedenen Seiten" mit dem Umbringen bedroht worden. Er habe mitbekommen, daß viele seiner Freunde, die sich ebenfalls gegen die Regierung ausgesprochen hätten, so arg geprügelt worden seien, daß sie anschließend monatelang in Spitälern verbringen hätten müssen und fast gestorben seien. Aus diesem Grund habe er es mit der Angst zu tun bekommen und beschlossen, nach Österreich zu fliehen.
Mit Bescheid vom 2. Juli 1992 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.
In seiner dagegen gerichteten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine niederschriftlichen Angaben.
Der Bescheid der belangten Behörde vom 3. September 1992, mit welchem diese Berufung abgewiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 4. September 1993, Zl. 93/01/0281, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Die belangte Behörde habe zu Unrecht anstelle des anzuwendenden Asylgesetzes (1968) bereits das Asylgesetz 1991 angewendet. Dies stelle keine Rechtsverletzung dar, weil sich die belangte Behörde ausschließlich mit dem Flüchtlingsbegriff nach § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 auseinandergesetzt habe und dieser mit dem Flüchtlingsbegriff nach der Genfer Flüchtlingskonvention, welche nach dem Asylgesetz (1968) maßgeblich sei, übereinstimme. Die belangte Behörde habe jedoch die Abweisung des Asylantrages lediglich darauf gestützt, daß sich die Verfassungsrechtslage in Albanien entscheidend geändert habe, ohne sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich nicht geändert, auseinanderzusetzen. Überdies habe sie dem Beschwerdeführer nicht Gelegenheit gegeben, zu den festgestellten Änderungen in Albanien Stellung zu nehmen.
Der Bescheid der belangten Behörde vom 30. Dezember 1993, mit welchem die Berufung neuerlich abgewiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1994, Zl. 94/01/0656, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil die belangte Behörde neuerlich anstelle des anzuwendenden Asylgesetzes (1968) bereits das Asylgesetz 1991 angewendet hatte und die Abweisung des Asylantrages ausschließlich auf den im Asylgesetz (1968) nicht enthaltenen Asylausschließungsgrund der "Verfolgungssicherheit" gestützt hatte.
Im fortgesetzten Verfahren hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer am 27. November 1995 ergänzend einvernommen und ihm dabei unter anderem vorgehalten, daß sich die politischen Verhältnisse in Albanien geändert hätten. Albanien sei von allen Ländern des ehemaligen Ostblocks am konsequentesten gegen frühere Funktionäre der kommunistischen Partei vorgegangen, die sich auf Kosten des Volkes bereichert hätten bzw. denen Menschenrechtsverletzungen nachgewiesen hätten werden können. Die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung sei daher bei objektiver Betrachtung nicht mehr nachvollziehbar.
Dazu hat der Beschwerdeführer ausgeführt, daß die Behörden in seiner Heimat nach wie vor von ehemaligen Kommunisten "besetzt" seien. Dort wo ein Austausch stattgefunden hätte, seien wieder ehemalige Kommunisten eingesetzt worden. Gegenteilige Meldungen seien nur "Propaganda der heutigen Zeitungen und des albanischen Rundfunks". Niemand wisse, was genau geschehe, er wisse die Wahrheit auch nicht. Die Tatsache, daß nach wie vor ehemalige Kommunisten an der Macht seien, wisse er von anderen Albanern und von Telefonaten mit seinen Eltern. Im Sommer 1994 hätten Polizisten seine Mutter nach seinem Aufenthalt gefragt und dabei geäußert: "Wo ist der Hurensohn versteckt? Wenn wir ihn fangen, wird er das Schlimmste erleben."
Mit Bescheid vom 14. Dezember 1995 hat der Bundesminister für Inneres die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich abgewiesen und festgestellt daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn des Asylgesetzes (1968) sei.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, daß den Aussagen des Beschwerdeführers insgesamt kein Glaube geschenkt werden könne. Die politischen Verhältnisse in seiner Heimat hätten sich seit seiner Ausreise im Jahr 1992 in "geradezu spektakulärer und dramatischer Weise" geändert. Die derzeit auch effektiv in Kraft stehende Verfassung vom 29. April 1992 gewähre die liberalen Grundrechte wie Glaubens-, Presse- und Versammlungsfreiheit, das Streikrecht, Freizügigkeit und Privateigentum und sichere deren Beachtung durch Institutionen der gewaltenteilenden parlamentarisch-pluralistischen Demokratie. Bereits im Lauf des Jahres 1991 seien sämtliche politischen Häftlinge freigelassen und keine Fälle staatlicher Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sonstigen sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung mehr bekannt geworden. Albanien sei am 13. Juli 1995 als
36. Mitglied in den Europarat aufgenommen worden und habe sich verpflichtet, die Todesstrafe binnen drei Jahren abzuschaffen und bis dahin die Vollstreckung von Hinrichtungen zu suspendieren sowie die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren. Dieser Sachverhalt ergebe sich aus allgemein zugänglichen internationalen Medienberichten. Demgegenüber habe der Beschwerdeführer nur unsubstantiiert behauptet, daß es solche Änderungen nicht gegeben habe, wobei er gleichzeitig erklärt habe, nicht genau zu wissen, was geschehen sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die gegenüber seiner Mutter im Sommer 1994 ausgesprochene Bedrohung stelle eine "unüberprüfbare und lapidare" Behauptung dar und sei überdies deshalb unglaubwürdig, weil nicht anzunehmen sei, daß die Polizei gegenüber Angehörigen einer gesuchten Person solche Drohungen ausstoße und dadurch die Ergreifung des - auf diese Weise gewarnten - Gesuchten erschwere. Darüber hinaus sei der Eindruck entstanden, daß der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vom 27. November 1995 versucht habe, durch nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmende Angaben seine Chancen auf Asylgewährung zu wahren bzw. zu erhöhen. So habe er behauptet, daß ihm das Protokoll der Niederschrift vom 11. Juni 1992 nicht übersetzt und vorgelesen worden sei. Tatsächlich habe er diesem Protokoll eigenhändig in albanischer Sprache beigefügt, alles verstanden zu haben, was niedergeschrieben worden sei.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß dem § 45 Abs. 3 AVG hat die Behörde den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Die Behörde hat demzufolge alle Feststellungen des Ermittlungsverfahrens, welche bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, den Parteien von Amts wegen und unter Angabe der Beweismittel zur Kenntnis zu bringen (vgl. etwa Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verfahrens5, Seite 294, Anm. 10 zu § 45 AVG). Diesem Gebot hat die belangte Behörde insofern nicht entsprochen, als sie dem Beschwerdeführer zwar vorgehalten hat, daß sich die Verhältnisse in seiner Heimat grundlegend geändert hätten, jedoch im Verwaltungsverfahren nicht offen gelegt hat, worauf sich dieses Wissen stützt. Erst im angefochtenen Bescheid hat sie angeführt, daß sich dieser Sachverhalt aus "allgemein zugänglichen internationalen Medienberichten" ergebe. Der Beschwerdeführer hatte daher im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit, den von der belangten Behörde herangezogenen Beweismitteln in konkreter Weise entgegenzutreten. Nur wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer auch die Quellen für ihr Wissen um die allgemeinen Verhältnisse in Albanien bekanntgegeben hätte, wäre sie berechtigt gewesen, das dagegen gerichtete - allgemein gehaltene - Vorbringen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig abzutun.
Da somit das bei Gesamtbetrachtung des Inhaltes des angefochtenen Bescheides wesentlichste Argument der belangten Behörde gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers aufgrund eines unterlaufenen Verfahrensmangels nicht stichhältig ist und nicht ohne weiteres gesagt werden kann, ob die belangte Behörde auch ohne Berücksichtigung dieses Elements zum Ergebnis gelangt wäre, daß die gesamte Aussage des Beschwerdeführers unglaubwürdig ist, wurden Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 23. September 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996010620.X00Im RIS seit
20.11.2000