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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2019/16/0130 E 28.10.2019Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des JG in S, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 6. September 2017, LVwG-151210/8/WP/MA, betreffend Erhaltungsbeiträge nach dem Oö. ROG 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Marktgemeinde Sattledt), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Marktgemeinde Sattledt hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber und seine Ehefrau sind Miteigentümer der Grundstücke Nr. 12, 14 und 16, allesamt EZ KG.
2 Zur Darstellung des Verwaltungsgeschehens wird zunächst in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 VwGG auf die die Ehefrau des Revisionswerbers betreffenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 2019, Ra 2018/16/0215, und vom 10. September 2019, Ra 2018/16/0213, verwiesen. 3 Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 24. Jänner 2017 hatte der Gemeinderat der Marktgemeinde Sattledt die Vorschreibung von Erhaltungsbeiträgen für Kanalisation und die Wasserversorgungsanlage nach dem Oö. ROG 1994 für die Parzelle 12 gegenüber dem Revisionswerber bestätigt, wogegen dieser Beschwerde erhob, in der er unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einvernahme seiner Ehefrau und seiner Person beantragte.
4 In der am 6. September 2017 in Abwesenheit des Revisionswerbers durchgeführten Verhandlung verkündete die Richterin des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich die Abweisung der Beschwerde als unbegründet und den Ausspruch, dass gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig sei. 5 In der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses vom selben Tag traf das Verwaltungsgericht zunächst folgende Feststellungen:
"Die Grundstücke Nr. 16, 14 sowie 12, allesamt EZ KG, befinden sich jeweils im Hälfteeigentum von GG und JG (Revisionswerber). Die beschwerdegegenständlichen Grundstücke sind zur Gänze aufgeschlossen. Das unbebaute Grundstück Nr. 12 umfasst 1305 m2 und grenzt unmittelbar an das bebaute Grundstück Nr. 14. Es ist nahezu rechteckig und großteils mit Bäumen und Sträuchern bewachsen und dient dem (Revisionswerber) zur Eigenversorgung mit Früchten und daraus erzeugten Folgeprodukten."
6 In rechtlicher Hinsicht gelangte das Gericht zu folgender Schlussfolgerung:
"4. In der Beschwerde wird vorgebracht, das Grundstück Nr. 12 stelle mit dem Grundstück Nr. 14 eine untrennbare wirtschaftliche Einheit dar, da es mit seinem parkähnlichen Baumbestand als zusätzliche Spiel-, Blumen- und Liegewiese verwendet werde, als Bio-Obst- und Gemüsegarten diene und die Grundeigentümer mit Früchten und daraus gewonnenen Folgeprodukten versorge.
Durch die festgestellte Nutzung des Grundstücks Nr. 12 lässt sich nicht erkennen, wodurch überhaupt eine wirtschaftliche Einheit entstanden wäre. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich in seinem Erkenntnis vom 28.2.2011, 2010/17/0246, der dortigen Meinung des Sachverständigen an, der unter einer wirtschaftliche Nutzung eines (Garten-)Grundstücks eine solche verstehe, mit der ein nachhaltiger Ertrag im Sinne eines wirtschaftlichen Ertrags durch Verkauf von Obst und Gemüse, vergleichbar mit der eines auf Gewinn gerichteten Betriebs, erwirtschaftet werden könne. Dies liegt im vorliegenden Fall nicht vor und wird vom (Revisionswerber) nicht einmal behauptet. Daher kann nicht von einer untrennbaren wirtschaftlichen Einheit die Rede sein, da es schon an der ‚wirtschaftlichen' Einheit fehlt.
5. Selbst wenn man das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit bejahen könnte, würde es an der Untrennbarkeit der wirtschaftlichen Einheit fehlen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist nämlich die Untrennbarkeit nach objektiven Kriterien zu beurteilen, subjektive Kriterien sind daher außer Acht zu lassen. Zu dieser (bloß) subjektiven Absicht des Grundeigentümers zählt auch die von ihm (derzeit und) in Zukunft geführte Lebensweise (VwGH 28.2.2011, 2010/17/0246). Der Anspruch, sich mit Bio-Obst und -gemüse selbst versorgen zu wollen, stellt ebenso eine subjektive Absicht des Grundeigentümers dar und ist daher kein objektives Kriterium für die Beurteilung der Untrennbarkeit einer wirtschaftlichen Einheit (vgl VwGH 28.2.2011, 2010/17/0246).
Das unbebaute Grundstück Nr. 12 bildet aus den genannten Gründen keine untrennbare wirtschaftliche Einheit mit dem Grundstück Nr. 14."
Anschließend begründete das Gericht seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision damit, dass zur Beurteilung des Vorliegens einer untrennbaren wirtschaftlichen Einheit im Sinn des § 25 Abs. 3 Z 3 Oö. ROG 1994 eine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliege.
7 Am 2. April 2019 brachte der - nunmehr rechtsfreundlich vertretene - Revisionswerber einen Schriftsatz ein, in dem er ergänzend umfangreich darlegte, dass die eingangs genannten Grundstücke eine wirtschaftliche Einheit im Sinn des § 25 Abs. 3 Z 3 Oö. ROG 1994 bildeten, und zu den bereits erhobenen Beschwerdeanträgen zum Beweis dafür, dass die Abtrennung des Grundstücks Nr. 12 vom Grundstück Nr. 14 dazu führte, dass das Liegenschaftsvermögen des Revisionswerbers durch Reduktion des Verkehrswertes des Grundstückes Nr. 14 (sowie Nr. 16) stärker sinke, als es dem (bloßen) Verkehrswert des Grundstückes Nr. 12 entspreche, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragte.
8 Auf Ersuchen des Rechtsfreundes des Revisionswerbers übermittelte daraufhin das Verwaltungsgericht am 26. April 2019 den Rückschein über die Hinterlegung des Erkenntnisses vom 6. September 2017 sowie weitere Aktenteile.
9 In seinem Schriftsatz vom 29. April 2019 brachte der Revisionswerber zunächst zusammengefasst vor, dass er sich von 10. Juli bis Ende September 2017 nicht an seiner Abgabestelle aufgehalten habe und er deshalb ein "Urlaubsfach" habe einrichten lassen. Der Zusteller habe trotzdem versucht, das Erkenntnis vom 6. September 2017 zuzustellen. Eine Zustellung durch Hinterlegung habe mangels Ortsanwesenheit nicht stattgefunden. Erst am 26. April 2019 sei das Erkenntnis dem Rechtsfreund des Revisionswerbers zugesandt worden. Eine Zustellung sei frühestens zu diesem Zeitpunkt eingetreten. Der Revisionswerber stelle sohin den Antrag, das zuständige Gericht wolle ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist gegen das Erkenntnis vom 6. September 2017 bewilligen.
Unter einem erhob der Revisionswerber in diesem Schriftsatz Revision gegen das genannte Erkenntnis, in dem er sein umfangreiches Vorbringen zur behaupteten wirtschaftlichen Einheit der in Rede stehenden Grundstücke wiederholte und die Unterlassung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der wirtschaftlichen Einheit rügte. Das Verwaltungsgericht habe mit dem angefochtenen Erkenntnis in entscheidungswesentlicher Weise Verfahrensvorschriften und tragende Verfahrensgrundsätze verletzt, weil es zwar eine mündliche Verhandlung durchgeführt habe, die an sich der Klärung des Sachverhaltes und der Einräumung von Parteiengehör zu diesem sowie auch zu dem Rechtsgespräch und der Erörterung der Rechtsfrage diene; in dieser sowie im angefochtenen Erkenntnis habe das Gericht jedoch nicht beachtet, dass der Revisionswerber mangels bewirkter Zustellung der Ladung zur Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen gewesen sei. Der Revisionswerber hätte in dieser Verhandlung das mit Schriftsatz vom 2. April erstattete Vorbringen vorgetragen und den darin erhobenen Beweisantrag gestellt, was das Verwaltungsgericht zum Anlass hätte nehmen müssen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Dieses hätte die behauptete wirtschaftliche Einheit der in Rede stehenden Grundstücke unter Beweis gestellt, weshalb das Verwaltungsgericht ein anderslautendes Erkenntnis erlassen hätte, nämlich der Bescheidbeschwerde des Revisionswerbers gegen den angefochtenen Bescheid vom 24. Jänner 2017 zur Gänze stattzugeben.
10 Mit Beschluss vom 11. Juni 2019 wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig zurück und sprach aus, dass gegen diese Entscheidung eine Revision unzulässig sei. Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, dass der Versuch, dem Revisionswerber das Erkenntnis vom 6. September 2017 an seiner Abgabestelle am
14. d.M. zuzustellen, gescheitert sei. Das Erkenntnis sei ihm erst am 26. April 2019 zur Kenntnis gelangt.
Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht daraus, das angefochtene Erkenntnis vom 6. September 2017 sei zwar in Anwesenheit der geladenen belangten Behörde mündlich verkündet worden und damit rechtlich existent; mangels wirksamer Zustellung des Erkenntnisses habe die Revisionsfrist für den Revisionswerber nicht zu laufen begonnen und habe damit auch nicht versäumt werden können. Mangels Versäumung einer Frist fehle es im gegenständlichen Fall an der prozessualen Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weshalb der Antrag zurückzuweisen gewesen sei. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat gemäß § 36 VwGG über diese Revision das Vorverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde und die Oberösterreichische Landesregierung Revisionsbeantwortungen erstatteten, die die Fragen der Ladung des Revisionswerbers zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht und der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses im September 2017 unberührt lassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Zur Darstellung der materiell-rechtlichen Rechtslage wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse vom 10. Juni 2002, 2001/17/0206, vom 29. Mai 2006, 2002/17/0042, und vom 31. März 2008, 2004/17/0210, verwiesen.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch einer Frage des Verfahrensrechts grundsätzliche Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Eine verfahrensrechtliche Frage von solcher Bedeutung liegt bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze vor (VwGH 30.6.2016, Ra 2016/16/0025, mwN).
14 Unbestritten ist, dass der Revisionswerber trotz seines ausdrücklichen Antrages auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht und auf Aufnahme von Beweisen nicht zur Verhandlung geladen worden war. Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ziehen auch die Relevanz des vom Revisionswerber in seinem Schriftsatz vom 2. April 2019 erstatteten Vorbringens, insbesondere des Antrages auf Beiziehung eines Sachverständigen zum Beweis der wirtschaftlichen Einheit der in Rede stehenden Grundstücke, nicht in Zweifel. Schließlich ziehen sie auch nicht in Zweifel, dass die Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses frühestens am 26. April 2019 erfolgte. 15 Ausgehend davon ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht unter Beachtung des Vorbringens des Revisionswerbers einschließlich seines ergänzenden Schriftsatzes vom 2. April 2019 und unter Aufnahme der beantragten Beweise sodann in seinem Erkenntnis zu einem anderen, für den Revisionswerber günstigeren Ergebnis gelangt wäre, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben ist.
16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 28. Oktober 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019160129.L00Im RIS seit
16.12.2019Zuletzt aktualisiert am
16.12.2019