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L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des M in Wien, vertreten durch Dr. Christine Fädler, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Josefstädterstraße 76, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Oktober 1997, Zl. MA 61/IV-A 920/94, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Oktober 1997 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 5. Oktober 1994 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10 und 11 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) abgewiesen.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides ging die belangte Behörde von folgendem Sachverhalt aus:
Der Beschwerdeführer sei am 27. Dezember 1922 in Taschkent geboren und besitze derzeit die israelische Staatsbürgerschaft. Er sei geschieden, lebe seit 1980 in Österreich und sei hier nie einer Beschäftigung nachgegangen. Seinen Lebensunterhalt bestreite er seit seiner Einreise nach Österreich aus jederzeit widerruflichen Unterstützungen seitens der Sozialabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien sowie durch Unterstützung seines Sohnes, der offiziell ein Geschäftsführergehalt von monatlich S 10.000,-- beziehe. Die Magistratsabteilung 12 habe gegen die Einbürgerung des Beschwerdeführers Bedenken geäußert, da er dadurch einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe erhalten werde. Laut Mitteilung der Magistratsabteilung 12 habe der Beschwerdeführer angegeben, er strebe aus eben diesem Grund die Verleihung der Staatsbürgerschaft an.
Nach Auffassung der belangten Behörde liege kein Einbürgerungshindernis im Sinne des § 10 Abs. 1 StbG vor. Es sei ihr allerdings nicht möglich, das ihr im § 11 StbG eingeräumte freie Ermessen positiv auszuüben. Es könne (nämlich) nicht im öffentlichen Interesse gelegen sein, einem Fremden, der seit 17 Jahren in Österreich lebe und nie seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeitsleistung oder mittelbar durch einen erworbenen Pensionsanspruch bestritten habe, die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Es könne auch nicht dem allgemeinen Wohl dienen, einen Fremden einzubürgern, bei dem angesichts seines fortgeschrittenen Alters eine dauernde finanzielle Belastung der öffentlichen Hand zu erwarten sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 10 Abs. 1 StbG kann einem Fremden die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen ordentlichen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hat (Z. 1) und die weiteren, in den Z. 2 bis 8 im einzelnen angeführten Voraussetzungen erfüllt. Die Entscheidung liegt - sofern die Anforderungen des Abs. 1 erfüllt sind - sodann im Ermessen der Behörde, wobei sich die Behörde bei dessen Ausübung gemäß § 11 leg. cit. von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Gesamtverhalten der Partei leiten zu lassen hat. Dabei ist es ihr - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - nicht verwehrt, Umstände, die bereits bei der Prüfung der Verleihungsvoraussetzungen gemäß § 10 Abs. 1 StbG zu berücksichtigen waren, im Rahmen der freien Ermessensübung heranzuziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. März 1998, Zl. 97/01/0662).
Bei Ermessensentscheidungen hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich zu prüfen, ob die belangte Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht hat oder nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1994, Zl. 93/01/0615).
Die belangte Behörde gelangte zu dem Ergebnis, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Z. 2 bis Z. 8 StbG erfülle, wertete jedoch im Rahmen der Ausübung des freien Ermessens zu Lasten des Beschwerdeführers, daß dieser seit 17 Jahren in Österreich lebe, ohne je seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeitsleistung oder mittelbar durch einen erworbenen Pensionsanspruch bestritten zu haben. Des weiteren sei aufgrund des fortgeschrittenen Alters des Beschwerdeführers (zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung: 74 Jahre) eine dauernde finanzielle Belastung der öffentlichen Hand zu erwarten.
Indem die belangte Behörde zunächst darauf abstellt, daß der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt (offenbar gemeint: während seines 17-jährigen Aufenthalts in Österreich) nie durch eigene Arbeitsleistung (oder mittelbar durch erworbenen Pensionsanspruch) bestritten habe, macht sie ihm im Ergebnis zum Vorwurf, im Inland niemals einer Beschäftigung nachgegangen zu sein. Das bringt sie auch in ihrer Gegenschrift zum Ausdruck. So wird dort argumentiert, daß die Einbürgerung von Fremden, welche in Österreich noch in durchaus arbeitsfähigem Alter Aufenthalt genommen, sich hier aber beruflich nicht oder nicht mehr hätten integrieren können und die auch keine einschlägigen Bemühungen darlegen könnten, gegen die von der Verleihungsbehörde wahrzunehmenden Interessen spreche; von einem Fremden, der um Verleihung der Staatsbürgerschaft ansuche, sollte das Bemühen erwartet werden können, sich in Österreich eine Existenz aufzubauen und für den Lebensabend Vorsorge zu treffen.
Daß ein Staatsbürgerschaftswerber im Inland niemals erwerbstätig war, kann nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter dem Gesichtspunkt "mangelnde Arbeitsmoral" im Rahmen des Ermessenskriteriums "Gesamtverhalten der Partei" Berücksichtigung finden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. Juni 1997, Zl. 96/01/0311, und vom 13. Mai 1998, Zl. 96/01/0515). Von "mangelnder Arbeitsmoral" kann freilich nur dann die Rede sein, wenn dem Betreffenden überhaupt die Möglichkeit offen stand, im Inland einer Beschäftigung nachzugehen. Ob das bezüglich des im Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich bereits 57 oder 58 Jahre alten Beschwerdeführers der Fall war, oder ob er etwa - wie in der Beschwerde nicht unplausibel ausgeführt wird - im Hinblick auf sein Alter nicht mehr in der Lage war, auf dem österreichischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, hat die belangte Behörde nicht ermittelt. Sie hat sich aber auch nicht mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt, wonach er bis zu seiner Emigration aus der ehemaligen Sowjetunion von 1949 bis 1979 durchgehend (in unterschiedlichen Positionen) beschäftigt gewesen sei. Auch von daher kann dem Beschwerdeführer daher nicht ohne weitere Erhebungen und entsprechende Feststellungen mangelnde Arbeitsbereitschaft zum Vorwurf gemacht werden.
Was den weiters von der Behörde ins Treffen geführten Umstand anlangt, es könne nicht dem allgemeinen Wohl dienen, einen Fremden einzubürgern, bei dem angesichts seines fortgeschrittenen Alters eine dauernde finanzielle Belastung der öffentlichen Hand zu erwarten sei, so ist vorerst festzuhalten, daß Hilfsbedürftigkeit allein nach den dem Staatsbürgerschaftsgesetz erkennbar zugrunde liegenden Wertungen nicht gegen eine Einbürgerung spricht. Daß der Beschwerdeführer aber im Falle der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft einen Rechtsanspruch auf Leistungen aus der Sozialhilfe nach dem Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG), LGBl. für Wien Nr. 11/1973 in der geltenden Fassung, erhielte, der ihm andernfalls, weil § 7a leg. cit. Leistungen grundsätzlich nur an österreichische Staatsbürger vorsieht, nicht zukäme, kann zwar, wenn eine unmittelbare Realisierung dieses Anspruchs zu erwarten ist, bei der Ermessensübung zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. September 1997, Zl. 96/01/0135). Allein dieser Umstand vermag eine negative Ermessensentscheidung jedoch aus folgenden Erwägungen nicht zu tragen: Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 7 StbG bildet es eine Verleihungsvoraussetzung, daß der Lebensunterhalt des Einbürgerungswerbers gesichert ist oder er sich ohne sein Verschulden in einer finanziellen Notlage befindet. Grundsatz ist also, daß es ausreichender materieller Absicherung bedarf und daß das Vorliegen finanzieller Unterstützungsbedürftigkeit dem Erwerb der Staatsbürgerschaft im Wege steht. Ausgenommen sind solche Notlagen, die unverschuldet sind; sie sollen nach der eindeutigen Intention des Gesetzgebers der Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht entgegen stehen. Davon ausgehend kann es aber nicht im Sinne des Gesetzes sein, bei der Ermessensübung nach § 11 StbG zum Nachteil des Fremden ohne nähere Prüfung der Ursachen auf einen erwartbaren Sozialhilfebezug abzustellen und allein schon dieses Umstandes wegen die Einbürgerung zu versagen. Damit würde die in § 10 Abs. 1 Z. 7 StbG positivierte Wertung des Gesetzgebers konterkariert, bedürfen doch geradezu idealtypisch jene Personen der Sozialhilfe, die sich in einer finanziellen Notlage befinden. Mit anderen Worten: Es kann dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, einem bestimmten Personenkreis zunächst in einem ersten Schritt den Erwerb der Staatsbürgerschaft grundsätzlich zu eröffnen, um eben dem selben Personenkreis in einem zweiten Schritt via Ermessensübung diese Möglichkeit wieder zu nehmen. Das wird auch durch die für das StbG noch heranziehbaren Materialien zum Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 belegt. Darin (497 BlgNR 10.GP 21f) heißt es zu § 11 Abs. 1 Z. 7 (nunmehr § 10 Abs. 1 Z. 7):
"Nach § 5 Abs. 2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949 darf die Verleihung der Staatsbürgerschaft unter anderem dann nicht erfolgen, wenn die persönlichen Verhältnisse und die Familienverhältnisse des Fremden derart sind, daß durch die Einbürgerung für das Land oder den Bund Nachteile zu befürchten sind. Diese geltende Regelung kann in der Praxis in zweifacher Hinsicht zu Härten führen: Erstens macht sie den Bewerber für das Verhalten seiner Familienangehörigen mitverantwortlich. Zweitens ist es zumindest fraglich, ob einem hilfsbedürftigen Fremden, dem Fürsorge gewährt wird, überhaupt die Staatsbürgerschaft verliehen werden kann, ohne daß hiedurch finanzielle Nachteile zu befürchten sind. In Hinkunft soll daher die in Rede stehende Bestimmung entfallen, zumal die detaillierten Vorschriften der obigen Ziffern 1 bis 6 eine ausreichende Gewähr dafür geben, daß dem Bund und den Ländern aus der Verleihung der Staatsbürgerschaft keine Nachteile erwachsen. In finanzieller Hinsicht soll zur Vermeidung von Härten in Hinkunft lediglich eine vom Fremden selbst verschuldete Notlage ein Verleihungshindernis bilden."
Die Materialien stellen also ausdrücklich auf die durch die Notlage bedingte finanzielle Belastung der öffenlichen Hand ab und erklären sie - bei fehlendem Verschulden - für unbeachtlich. Damit ist aber etwa auch einer Auslegung dergestalt der Boden entzogen, § 10 Abs. 1 Z. 7 StbG habe nur solche Notlagen im Auge, die nicht durch öffentliche Unterstützungszahlungen, sondern anderweitig ausgeglichen werden.
Ob etwa die Absicht, die Staatsbürgerschaft allein im Hinblick auf einen Sozialhilfeanspruch und zur Entlastung bislang Unterstützungsleistungen erbringender Personen zu erlangen, eine andere Bewertung rechtfertigte, braucht hier nicht geklärt werden. Die belangte Behörde hat zwar eine in diese Richtung deutende Mitteilung der Magistratsabteilung 12 in ihrem Bescheid wiedergegeben, jedoch selbst keine entsprechenden Feststellungen getroffen.
Nach dem Vorgesagten ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig. Deshalb und wegen des dargestellten Begründungsmangels war der angefochtenen Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Vollständigkeit halber sei noch ergänzend darauf hingewiesen, daß - anders als der Beschwerdeführer vermeint - der inländische Aufenthalt seiner geschiedenen Ehegattin sowie seiner Kinder und einer Enkelin nicht ohne weiters zu seinen Gunsten berücksichtigt werden kann. Auf familiäre Beziehungen wäre nur dann Bedacht zu nehmen, wenn bereits einzelnen oder allen Familienmitgliedern die österreichische Staatsbürgerschaft zukäme.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997011089.X00Im RIS seit
18.02.2002