TE Vwgh Erkenntnis 1998/9/23 97/01/0270

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Veröffentlicht am 23.09.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. Jänner 1997, Zl. 4.329.561/13-III/13/96, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ghana, der am 26. November 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am folgenden Tag einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark am 4. Juni 1992 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen folgendes ausgeführt:

Er sei seit dem Jahr 1985 Mitglied der "Ghana Democratic Movement" (GDM). Seine Aufgabe innerhalb dieser Gruppierung habe in der Aufklärung der Bevölkerung über die "wahre Demokratie", in der Organisation von Versammlungen bzw. in der Verteilung von Flugzetteln bestanden. Die von der Regierung praktizierte Demokratie sei nicht "aufrichtig", weil es in Ghana viele politische Gefangene gebe. Am 18. Juni 1991 sei er von Regierungstruppen kontrolliert worden, wobei bei ihm Propagandamaterial sichergestellt worden sei. Daraufhin habe man ihn festgenommen und ohne Gerichtsverfahren bis 13. November 1991 in einem Militärlager gefangen gehalten. Während dieser Zeit sei er verhört und mißhandelt worden. Er habe derartige Verletzungen erlitten, daß er 34 Tage im Krankenhaus habe verbringen müssen. Anschließend sei er wieder in das Militärlager rücküberstellt worden. Am 11. November 1991 sei ein hochrangiger Offizier in seine Zelle gekommen und habe ihm mitgeteilt, daß er ihm, nach einer Intervention des Onkels des Beschwerdeführers, bei der Flucht helfen würde. Am 13. November 1991 sei er von demselben Offizier und zwei weiteren Soldaten in eine andere Zelle gebracht worden, wo man ihm eine Militäruniform übergeben habe. Damit habe er die Möglichkeit gehabt, das Lager ungehindert zu verlassen. Unter Mithilfe der Soldaten sei er dann über Togo, Nigeria, Bulgarien und Jugoslawien nach Österreich gekommen.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark hat mit Bescheid vom 5. Oktober 1992 festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In seiner dagegen gerichteten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine niederschriftlichen Angaben. Er legte Kopien seines Mitgliedsausweises der "GDM", eine Liste von in Ghana inhaftierten Personen, seines Antrages auf Mitgliedschaft bei der ghanaischen Demokratiebewegung in London, eines Auszuges aus den "Amnesty International Nachrichten", und eines am 6. Juni 1991 im "The Pioneer" veröffentlichten Briefes vor.

Der Bescheid der belangten Behörde vom 19. Jänner 1993, mit welchem diese Berufung abgewiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0276, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im fortgesetzten Verfahren legte der Beschwerdeführer ergänzend einen Artikel einer ghanaischen Zeitung vom 20. September 1994 betreffend Verhaftungen wegen eines Umsturzversuches und die Kopie eines an den Beschwerdeführer gerichteten Briefes aus Ghana mit Aufgabedatum 9. November 1994 betreffend behördlicher Bemühungen, den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers auszuforschen, vor.

Der Bescheid der belangten Behörde vom 2. Jänner 1995, mit welchem die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich abgewiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 26. März 1996, Zl. 95/19/0032, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im fortgesetzten Verfahren wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, daß es die belangte Behörde als notorisch ansehe, daß Ghana am 7. Jänner 1993 nach mehr als zehn Jahren Militärregime zu einem demokratischen Mehrparteiensystem zurückgekehrt sei. Die neue Verfassung enthalte einen umfangreichen Katalog an Grundrechten, der neben den wesentlichen bürgerlichen und politischen Rechten auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthalte. Menschenrechtlich bedenkliche Bestimmungen seien vom Obersten Gerichtshof aufgehoben worden. Ein Gesetz, welches die Verwaltungshaft entgegen internationalen Standards erlaubt hatte, sei außer Kraft gesetzt worden. Die Sondergerichte, welche in Verletzung internationaler Normen Recht gesprochen hätten, seien in die ordentliche Gerichtsbarkeit integriert worden.

In seiner Stellungnahme vom 31. Oktober 1996 führte der Beschwerdeführer dazu aus, daß es im Norden Ghanas Anfang 1994 Unruhen gegeben habe, welche zur Verhängung des Ausnahmezustandes in diesem Gebiet geführt hätten. Diese Umstände seien von der Regierung dazu benutzt worden, "um alte Strukturen wieder einzuführen bzw. die an und für sich in der Theorie geschaffenen Grundlagen für eine Demokratisierung wieder rückgängig zu machen". Die Änderung der Verhältnisse sei insofern irrelevant, als an den "Machtschnittstellen" nach wie vor dieselben Personen säßen. Das Urteil gegen den Beschwerdeführer sei nach wie vor "gültig und aufrecht und vollstreckbar". Zu einer Begnadigung politischer Häftlinge sei es bislang noch immer nicht gekommen. Im Zug der Vorbereitungen für die Wahlen vom 7. Dezember 1996 sei es mehrfach zu Unruhen und Demonstrationen gekommen. Bei einer von der "MDP" organisierten Demonstration sei es zu zahlreichen Verletzungen und Festnahmen gekommen. Zum Beweis für dieses Vorbringen berief sich der Beschwerdeführer auf Pressemeldungen.

Mit Bescheid vom 30. Jänner 1997 hat der Bundesminister für Inneres die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich abgewiesen und festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn des Asylgesetzes (1968) sei.

Über die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat ausgeführt, daß den Angaben des Beschwerdeführers über den Gefängnisaufenthalt und die damit verbundenen Mißhandlungen sowie die Flucht aus der Gefangenschaft "nicht die volle Glaubwürdigkeit zugesprochen werden" könne. Als einziges Argument dafür führt sie ins Treffen, daß der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und in der Berufung ausgeführt habe, sich bis zum Verlassen seines Heimatlandes ohne Gerichtsverfahren in Haft befunden zu haben, während er in seiner Stellungnahme vom 31. Oktober 1996 behauptet habe, daß das gegen ihn verhängte Urteil nach wie vor gültig und vollstreckbar sei.

Abgesehen davon, daß aus der von der belangten Behörde gebrauchten Formulierung nicht ersichtlich ist, ob sie das Vorbringen des Beschwerdeführers nun ihren Feststellungen zugrunde legt oder nicht, ist es nicht schlüssig, die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens des Beschwerdeführers einzig auf den dargestellten Widerspruch der Aussage des Beschwerdeführers mit der - mehr als vier Jahre danach - durch seinen Vertreter abgegebenen Stellungnahme zu stützen, ohne den Beschwerdeführer, der in der Beschwerde vorbringt, erst nachträglich von der Verurteilung erfahren zu haben, Gelegenheit zu geben, diesen Widerspruch aufzuklären.

Weiters hat die belangte Behörde ihren Bescheid damit begründet, daß Ghana nach zehn Jahren Militärregime zu einem demokratischen Mehrparteiensystem zurückgekehrt sei, die neue Verfassung umfangreiche Grundrechte beinhalte, menschenrechtlich bedenkliche Bestimmungen aufgehoben und die Sondergerichtsbarkeit aufgelöst worden sei. Den Ausführungen des Beschwerdeführers, daß sich die Lage in Ghana tatsächlich nicht geändert habe, könne nicht geglaubt werden. Er habe offensichtlich versucht, die Tatsache, daß er im Falle einer Rückkehr aufgrund der neuen Situation mit keiner asylrelevanten Verfolgung zu rechnen habe, zu dementieren und erhoffe sich daraus eine positive Erledigung seines Asylverfahrens. Es sei nicht nachvollziehbar, daß seine Angaben der Realität entsprächen. Da der Asylwerber konkrete, gegen ihn selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft machen müsse, sei von einem näheren Eingehen auf die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Medienberichte abzusehen gewesen, weil allgemeine Berichte nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen könnten.

Es ist zwar richtig, daß Berichte über die allgemeine Lage im Heimatland des Asylwerbers grundsätzlich nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können, doch hat der Beschwerdeführer sein Vorbringen, daß in Ghana nach wie vor dieselben Personen an der Macht seien und die Regierung Unruhen dazu benutzt habe, um die alten Strukturen wieder einzuführen und die Demokratisierung rückgängig zu machen, in Beantwortung des Vorhaltes erstattet, daß sich die allgemeine Lage in Ghana grundlegend geändert habe. Da die belangte Behörde die Ansicht vertrat, der Beschwerdeführer habe bereits wegen der "neuen Situation" in Ghana nicht mit einer Verfolgung zu rechnen, hätte sie sich sehr wohl mit dem zur allgemeinen Lage in Ghana erstatteten Vorbringen und den dazu angebotenen Beweismitteln im Rahmen des Ermittlungsverfahrens auseinandersetzen müssen. Darüberhinaus hat der Beschwerdeführer auch einen an ihn persönlich gerichteten Brief vorgelegt, aus dem sich ergibt, daß er in seiner Heimat auch nach den angeblich grundlegenden Veränderungen gesucht werde. Damit hätte sich die Behörde jedenfalls auseinandersetzen müssen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurde, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 23. September 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997010270.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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