Entscheidungsdatum
05.07.2019Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
W129 2209145-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (Erstbeschwerdeführerin) als Erziehungsberechtigte der am XXXX geborenen XXXX (Zweitbeschwerdeführerin), vertreten durch RA Mag. Michael Ludwig LANG, 1010 Wien, Krugerstraße 13, gegen den Bescheid des Stadtschulrates für Wien vom 08.10.2018, Zl. 600.009/0068-R/2018, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Am 30. August 2018 (Datum des Einlangens beim Stadtschulrat für Wien) zeigte die Erstbeschwerdeführerin dem Stadtschulrat für Wien mit dem dafür vorgesehenen Formular des Stadtschulrates für Wien die Teilnahme ihrer Tochter (Zweitbeschwerdeführerin) an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2018/2019 für die Schulart Volksschule an. In der Rubrik "Der häusliche Unterricht wird erteilt durch:" wurde angegeben: " XXXX ".
3. Mit dem angefochtenen Bescheid sprach der Stadtschulrat für Wien Folgendes aus:
"I. Die Anzeige der Teilnahme an häuslichem Unterricht der XXXX wird gemäß § 11 Abs. 2 Schulpflichtgesetz (SchPflG) abgewiesen.
II. XXXX hat gemäß § 5 Abs. 1 SchPflG ihre allgemeine Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu besuchen.
III. Die Erziehungsberechtigte XXXX hat gemäß § 24 Abs. 1 SchPflG für die Erfüllung der Schulpflicht durch XXXX im Sinne des Spruchpunktes II. zu sorgen."
Begründend führte der Stadtschulrat für Wien im Wesentlichen aus, dass die Erteilung des Unterrichts institutionell durch die XXXX -Schule zur Gänze erfolge. Diese Schule sei dem Stadtschulrat für Wien nicht als Privatschule angezeigt worden. Es finde somit kein Unterricht "im Zuhause des Kindes" an der Wohnadresse im familiären Umfeld statt. Die Voraussetzung für die Kenntnisnahme der Teilnahme am häuslichen Unterricht sei jedoch, dass der Unterricht "häuslich", also im privaten Zuhause des Kindes und in seinem familiären Umfeld stattfinde. Im gegenständlichen Fall solle hingegen "das Unterrichten des schulpflichtigen Kindes" ausschließlich in Form eines "privaten öffentlichen Unterrichts" an einem näher bezeichneten Standort erfolgen. Aus diesen Gründen sei die Anzeige der Teilnahme am häuslichen Unterricht "gemäß § 11 Abs. 2 Schulpflichtgesetz (SchPflG) abzuweisen" gewesen.
4. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und beantragten u.a. die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
5. Mit Schreiben vom 07.11.2018, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 08.11.2018, übermittelte der Stadtschulrat für Wien die Beschwerde samt Verwaltungsakt, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die am XXXX geborene Zweitbeschwerdeführerin ist schulpflichtig.
Am 30.08.2018 zeigte die Erstbeschwerdeführerin dem Stadtschulrat für Wien rechtzeitig die Teilnahme ihrer Tochter an häuslichem Unterricht im Schuljahr 2018/2019 für die Schulart Volksschule an.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unstrittig.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Aufhebung des Bescheides (Spruchpunkt A)
3.1.1. Gemäß Art. 14 Abs. 7a B-VG beträgt die Schulpflicht zumindest neun Jahre und es besteht auch Berufsschulpflicht.
Art. 17 StGG garantiert die Freiheit des häuslichen Unterrichts auf jedem theoretischen Wissensgebiet ohne jede Beschränkung (vgl. VfSlg. 4579/1963 und 4990/1965). Die Garantie des Art. 17 Abs. 3 StGG ist im Zusammenhang mit Art. 17 Abs. 2 StGG zu sehen. Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die Erteilung häuslichen Unterrichts irgendwelchen Beschränkungen zu unterwerfen (vgl. dazu etwa VfSlg. 2670/1954; VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332). Die Regelungen des Schulpflichtgesetzes beziehen sich daher ausschließlich auf die Frage, ob ein Kind durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht bereits seine Schulpflicht erfüllt, oder ob es dazu des Besuches einer allgemeinen Pflichtschule bedarf (vgl. VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332 m.w.N.).
Gemäß § 11 Abs. 1 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 SchPflG genannten Schule mindestens gleichwertig ist.
Nach § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule - ausgenommen den Polytechnischen Lehrgang - mindestens gleichwertig ist.
Gemäß § 11 Abs. 3 SchPflG haben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs. 1 oder 2 genannten Unterricht dem Landesschulrat jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Der Landesschulrat kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist.
Die Untersagung der Teilnahme am häuslichen Unterricht im Sinne des § 11 Abs. 3 SchPflG ist eine Ermessensentscheidung (vgl. VwGH 25.02.1971, 2062/70). Als Ermessensentscheidung unterliegt sie nur insofern der Kontrolle durch das Verwaltungsgericht, als dieses zu prüfen hat, ob die belangte Behörde von dem ihr zustehenden Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 130 Abs. 3 B-VG). Die Verwaltungsbehörde ist verpflichtet, in der Begründung ihrer Entscheidung die für die Ermessensübung maßgebenden Überlegungen und Umstände insoweit offen zu legen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und für die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch das Verwaltungsgericht erforderlich ist (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2015/05/0021, m.w.N.).
Das Gesetz räumt der Behörde die Befugnis ein, die Teilnahme an häuslichem Unterricht zu untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die in § 11 Abs. 1 oder 2 SchPflG geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes im Vergleich zu dem in einer öffentlichen Schule nicht gegeben ist.
Mit Wahrscheinlichkeit ist eine Tatsache als gegeben anzunehmen, wenn gewichtigere Gründe für ihr Vorhandensein sprechen als dagegen. Von großer Wahrscheinlichkeit kann daher nur dann gesprochen werden, wenn die Gründe, die dafür sprechen, gegenüber den andern, die dagegen anzuführen sind, weitaus überwiegen (vgl. VwGH 25.04.1974, 0016/74; vgl. darüber hinaus auch VwGH 25.02.1971, 2062/70).
3.1.2. Wie bereits der Wortlaut des § 11 Abs. 3 SchPflG deutlich macht, ist der einzige Grund, aus welchem die Anzeige der Teilnahme am häuslichen Unterricht nicht zur Kenntnis genommen wird, sondern die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagt wird, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vorliegende Gleichwertigkeit des Unterrichts.
Aus dem angefochtenen Bescheid geht jedoch nicht hervor, aus welchen Gründen der Stadtschulrat für Wien der Ansicht ist, dass der Unterricht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gleichwertig sein sollte. Der Stadtschulrat für Wien rekurriert im angefochtenen Bescheid lediglich darauf, dass der Unterricht nicht "häuslich", sondern in einer nicht angezeigten "Privatschule" - also anstaltsmäßig - durchgeführt werden soll.
Für die gegenständliche Entscheidung kann dahin gestellt bleiben, ob es sich bei der verfahrenseinleitenden Anzeige um eine Anzeige gemäß § 11 Abs. 1 SchPflG oder um eine Anzeige gemäß § 11 Abs. 2 SchPflG handelt, weil in beiden Fällen eine Untersagung durch den Stadtschulrat für Wien nur erfolgen kann, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichts nicht gegeben ist. Eine solche Abwägung der Gründe, die für oder gegen eine Teilnahme an häuslichem Unterricht sprechen, nahm der Stadtschulrat für Wien jedoch nicht vor.
Abgesehen davon deutet nichts darauf hin, dass die für das Schuljahr 2018/2019 zu treffende ex-ante Prüfung negativ ausfallen müsste. Die Gleichwertigkeit dieser Art des Unterrichts wurde vom Bundesverwaltungsgericht auch in einer Reihe von Parallelfällen festgestellt (siehe u.a. BVwG 27.10.2017, W129 2171882-1/3E; BVwG 15.11.2018, W227 2209143-1/2E).
Die "Abweisung" der Anzeige der Teilnahme am häuslichen Unterricht erweist sich aus den genannten Gründen als rechtswidrig. Ebenso die in Spruchpunkt II angeordnete Erfüllung der Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule. Spruchpunkt III erweist sich auf Grund der Rechtswidrigkeit von Spruchpunkt I und Spruchpunkt II ebenfalls als rechtswidrig.
Folglich ist der angefochtene Bescheid aufzuheben.
3.1.3. Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen. Abgesehen davon ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (vgl. VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127).
3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass hier die Teilnahme an häuslichem Unterricht nicht zu untersagen ist, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
3.3. Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
allgemeine Schulpflicht, Begründungsmangel, Ermessensübung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W129.2209145.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.12.2019