TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/19 W273 2177148-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.07.2019
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Entscheidungsdatum

19.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W273 2177148-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabel FUNK-LEISCH als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich (BAT) vom 12.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am XXXX fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass es in Afghanistan Krieg und Unruhe gebe. Seine Mutter habe ihn nach Europa geschickt, um der Familie Geld zu schicken. Der Beschwerdeführer könne auch nicht heiraten und seine Familie sei sehr religiös.

3. Am XXXX fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "Bundesamt" oder "BFA") statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er Drogen von Afghanistan in den Iran geschmuggelt habe. Er sei von der iranischen Polizei aufgegriffen worden und nach einiger Zeit nach Afghanistan abgeschoben wurden. Dort habe er sich vor der Mafiosi-Gruppe, für die er Drogen geschmuggelt hatte, gefürchtet, weil diese ihn töten wollte. Der Beschwerdeführer sei auch krank und nehme verschiedene Medikamente gegen psychische Probleme und gegen Magenschmerzen ein.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass er wegen seines Auslandsaufenthaltes unafghanisch geworden sei und der Gruppe der "verwestlichten" Ausländer angehöre. Zudem würde er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe von Personen, die mit Drogen zu tun hätten, verfolgt. Er werde sowohl von einer im gesamten Staatsgebiet tätigen Drogenmafia als auch von staatlicher Seite verfolgt.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Unterlagen (Konvolut Auszüge ZMR, GVS, Strafregister, Schengener Informationssystem, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Aktualisierung vom 04.06.2019, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (im Folgenden "UNHCR RL 2018"), EASO Country Guidance:

Afghanistan vom Juni 2018 (im Folgenden "EASO-Leitlinien 2018"), Bericht, EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018;

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre, 13.09.2018, Accord

Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Folgen von Dürre in den Städten

Herat und Mazar-e Sharif: Landflucht als Folge der Dürre; Auswirkungen der Dürre/Landflucht auf die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln, auf die Wohnraumbeschaffung und die Situation am Arbeitsmarkt für Neuansiedler (insbesondere von RückkehrerInnen) [a-10737] vom 12.10.2018, Anfragenbeantwortung der Staatendokumentation zur Verfügbarkeit und Kosten der Medikamente Truxal und Mirtabene in Kabul, Herat und Mazar e Sharif vom 16.08.2018):

Außerdem wurde Beweis erhoben durch die vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen: Befund für Radiologie vom 25.10.2018 (MRT Schultergelenk), Arztbrief vom XXXX , Landesklinikum XXXX , Arztbrief Ambulanz vom XXXX , Landesklinikum XXXX , Bestätigung Diakonie vom XXXX (Psychotherapie), Verordnung für Sehbehelfe, Entlassungsbrief vom XXXX , Landesklinikum XXXX , Ambulanzkarte vom XXXX (Orthopädische Ambulanz), Bestätigung Gesundheitszentrum XXXX Physiotherapie, Kurzbefund vom XXXX , Laborbefund vom XXXX .

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX

Er ist afghanischer Staatsangehöriger und sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist ledig. Seine Muttersprache ist Dari.

Der Beschwerdeführer wurde in Kabul geboren und lebte mit seiner Familie einige Zeit lang in Pakistan. Im Alter von 16 oder 17 Jahren kehrte der Beschwerdeführer mit seinen Eltern von Pakistan nach Kabul zurück. Der Beschwerdeführer besuchte für die letzten Schulstufen von XXXX in Kabul das Gymnasium XXXX .

Der Beschwerdeführer hat nach seinem 16. oder 17. Lebensjahr in Kabul im Haus seiner Familie gelebt. Der Vater des Beschwerdeführers hat als Fahrer für ein privates Gesundheitsunternehmen gearbeitet. Er verstarb 2014. Der Beschwerdeführer hat zwei Brüder und drei Schwestern. Zwei seiner Schwestern sind verheiratet, eine Schwester und zwei Brüder leben gemeinsam mit der Mutter des Beschwerdeführers im gemeinsamen Haus in Kabul. Die im Haus der Familie in Kabul lebende Kernfamilie des Beschwerdeführers (Mutter, Schwester und zwei Brüder) ist krank und nicht arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer hat einen Onkel mütterlicherseits, der für die Familie in Kabul aufkommt. Der Beschwerdeführer hatte zuletzt vor einem Jahr Kontakt zu seiner Mutter. Das Haus der Familie des Beschwerdeführers, in dem auch die Kernfamilie des Beschwerdeführers lebt, befindet sich im Polizeidistrikt Nr. 7, nicht unweit vom Zentrum von Kabul. Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besitzt ein Gemeinschaftsgrundstück im Distrikt Kabul, dieses wird vom Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers bewirtschaftet. Zwei Tanten des Beschwerdeführers leben in Kabul.

Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert und ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer arbeitete in Pakistan als Teppichknüpfer. Er absolvierte eine Reihe von PC- und Englischkursen in Pakistan und spricht auch gut Englisch. Der Beschwerdeführer arbeitete eine Zeit lang als Gemüsehändler und schnitt Filme für Hochzeitsvideos, wobei er in diesem Zusammenhang für ein Unternehmen in Kabul tätig war. Einige Zeit lang arbeitete der Beschwerdeführer auch für ein Gesundheitsunternehmen in der Provinz Uruzgan im Logistikbereich.

Bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in etwa im Oktober 2015 arbeitete der Beschwerdeführer als Taxifahrer in Kabul.

Der Beschwerdeführer hat Schulterschmerzen, er leidet an Blutarmut und er hatte vor der mündlichen Verhandlung Schlafstörungen. Der Beschwerdeführer legte Atteste über erlittene Panikattacken im Zuge von massivem Alkoholkonsum aus 2019 und über Bandscheibenprobleme aus 2017 vor. Mitte 2017 nahm der Beschwerdeführer zur Stabilisierung seines psychischen Zustandes die Arzneimittel XXXX , XXXX und XXXX ein; mittlerweile hat sich der Zustand aber soweit stabilisiert, dass er diese Medikamente nicht mehr einnimmt. Der Beschwerdeführer war 2017 wegen Rückenproblemen in Behandlung, derzeit macht er aber viel Sport und ist aufgrund dessen nicht mehr auf die Einnahme von Arzneimitteln im Hinblick auf seine Rückenprobleme angewiesen. Der Beschwerdeführer nimmt aktuell Tabletten zum Einschlafen, andere Arzneimittel nimmt der Beschwerdeführer derzeit nicht ein. Der Beschwerdeführer trinkt derzeit keinen Alkohol.

Der Beschwerdeführer ist im Übrigen arbeitsfähig und leidet nicht an schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Antragstellung am XXXX aufgrund der vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer hat bislang keinen Deutschkurs besucht. Er macht zwei bis drei Stunden pro Tag Sport in einem Fitnesscenter, geht spazieren und bringt sich Deutsch über YouTube selbst bei. Der Beschwerdeführer kann sich auf Deutsch verständlich machen und einfache Aspekte einer Unterhaltung problemlos verstehen.

Der Beschwerdeführer war ehrenamtlich tätig, legte aber keine Bestätigungen dafür vor.

Der Beschwerdeführer möchte gerne im Gesundheitswesen arbeiten, z.B. als Röntgenassistent oder im Pflege-, oder MRT-Bereich. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied eines Vereins oder einer anderen Gemeinschaftseinrichtung; er hat einige Freunde über sein Fitnessstudio.

Ein Cousin mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in Villach, im Übrigen hat der Beschwerdeführer keine Verwandten in Österreich.

Der Beschwerdeführer geht keiner Erwerbstätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig (Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom XXXX ).

Der Beschwerdeführer ist unbescholten (Strafregisterauszug vom XXXX).

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer war in Afghanistan nicht als Drogenschmuggler tätig. Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, weder vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, noch aus Gründen seiner politischen Gesinnung oder aus anderen Gründen. Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde nicht beim Versuch, 100kg Drogen in einem Bus versteckt, über die Grenze von Afghanistan in den Iran zu schmuggeln, von der iranischen Polizei aufgegriffen. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Ereignisse, wonach der Beschwerdeführer mit iranischen Beamten kooperiert habe, dann eine Nacht im Gefängnis gewesen sei, am nächsten Tag im Zuge eines Gerichtsverfahrens im Iran freigesprochen worden sei und dann im Iran gelebt habe, haben sich nicht ereignet. Da der vom Beschwerdeführer geschilderte Vorfall um den Drogenschmuggel vom Iran nach Afghanistan sich nicht ereignet hat, droht dem Beschwerdeführer aus diesem Grund auch keine Gefängnisstrafe in Afghanistan oder eine Verfolgung wegen "unislamischen" Verhaltens in Verbindung mit Drogen.

Der Beschwerdeführer ist nicht aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Rückkehrer aus Europa sind aufgrund dieser Tatsache in Afghanistan nicht generell der Gefahr der physischen oder psychischen Gewalt ausgesetzt.

1.4. Zu einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Kabul sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Heimatstadt Kabul kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Kabul wieder Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Zudem kann der Beschwerdeführer zumindest vorübergehend Unterstützung durch seinen in Kabul lebenden Onkel mütterlicherseits erhalten. Der Beschwerdeführer kann im Haus seiner Familie im 7. Polizeidistrikt in Kabul leben.

Zudem kann sich der Beschwerdeführer auch in der Stadt Mazar-e Sharif niederlassen. Der Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und eine Ansiedlung außerhalb seiner Heimatsprovinz, insbesondere in die Stadt Mazar-e Sharif, droht dem Beschwerdeführer kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit.

Die Wohnraum-und Versorgungslage in Mazar-e Sharif ist angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten. Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer kann zumindest vorübergehend finanzielle Unterstützung von seinem Onkel mütterlicherseits in Anspruch nehmen.

1.5. Zu den Behandlungsmöglichkeiten des Beschwerdeführers in Kabul und in Mazar-e Sharif

Die Schulterschmerzen, Rückenprobleme und gelegentlichen Schlafstörungen des Beschwerdeführers können in Kabul und in Mazar-e Sharif in öffentlichen und in privaten Krankenhäusern behandelt werden. Der Beschwerdeführer kann auf Basis seiner Selbsterhaltungsfähigkeit die Kosten für erforderliche Behandlungen und Arzneimittel selbst aufbringen. Eine Verschlechterung des Zustandes des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist nicht zu erwarten.

Sofern sich der psychische Zustand des Beschwerdeführers dennoch verschlechtern sollte (neuerliche Panikattacken) bestehen in Kabul und in Mazar-e Sharif Behandlungsmöglichkeiten in öffentlichen und privaten Krankenhäusern. Der Beschwerdeführer könnte in diesem Fall auf Basis seiner Selbsterhaltungsfähigkeit die Kosten für erforderliche Behandlungen und Arzneimittel selbst aufbringen.

Auszug aus der Anfragenbeantwortung der Staatendokumentation zur Verfügbarkeit und Kosten der Medikamente Truxal (Wirkstoff: Chlorprothixene), Dominal (Wirkstoff: Prothipendyl) und Mirtabene (Wirkstoff: Mirtazapine) in Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif vom 16.04.2018:

1. Sind die Medikamente Truxal Ftbl 15 mg, Dominal Ftbl 80 mg und Mirtabene Ftbl 30 mg derzeit in Kabul bzw. in Mazar-e-Sharif oder Herat erhältlich?

2. Wie viel kosten diese Medikamente?

Zusammenfassung:

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass Dominal oder andere Generika, welche den Wirkstoff Prothipendyl aufweisen, in Afghanistan nicht erhältlich sind. Truxal (Wirkstoff Chlorprothixene) ist ebenso nicht vor Ort erhältlich, doch wird stattdessen gem. den Angaben von IOM alternativ Olanzapin 10mg, verwendet. Eine Packung mit 10 Tabletten kostet 200 Afghanistan Afghani (AFN) (2,30 EUR). MedCOI empfiehlt als Alternative Haloperidol anstatt des nicht verfügbaren Wirkstoffes Chlorprothixene einzusetzen. Das Medikament Mirtabene 30mg mit dem Wirkstoff Mirtazapin ist in Afghanistan erhältlich. Eine 10er Packung kostet 300 AFN (3,45 EUR). Alle diese Medikamente sind rezeptpflichtig.

Eine Behandlung von Menschen mit psychischen Problemen ist in Afghanistan möglich, doch stellen gem. IOM die unter Umständen geringere Qualität von Behandlungen in öffentlichen psychiatrischen Kliniken sowie die entstehenden Kosten für Medikamente, Therapien und Transport finanzielle Herausforderungen für Patienten und deren Familien dar.

Einzelquellen:

IOM berichtet, dass Truxal in Afghanistan nicht erhältlich ist. Alternativ wird von Psychiatern Olanzapin 10mg, verwendet. Eine Packung mit 10 Tabletten kostet 200 Afghanistan Afghani (AFN) (2,30 EUR).

Dominal oder andere Generika, welche den Wirkstoff Prothipendyl aufweisen, sind in Afghanistan nicht erhältlich.

Das Medikament Mirtabene 30mg mit dem Wirkstoff Mirtazapin ist in Afghanistan erhältlich. Eine 10er Packung kostet 300 AFN (3,45 EUR).

Diese Medikamente sind - weil sie beruhigend wirken - nicht frei erhältlich, es ist dafür ein Rezept erforderlich. Zur Ausstellung eines solchen Rezepts ist ein Spezialist zu konsultieren.

Die angeführten Medikamente sind nicht in allen Apotheken erhältlich. Sie können nur in Apotheken in der Nähe der psychiatrischen Kliniken in Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat erworben werden.

In Afghanistan gibt es Spezialisten zur Behandlung von Menschen mit psychischen Problemen. Doch bestehen einige Herausforderungen, welchen sich Patienten mit psychischen Problemen ausgesetzt sehen:

Das Hauptproblem ist, das die Qualität einer Behandlung in öffentlichen psychiatrischen Kliniken von geringer Qualität sein kann. Ein weiterer Grund für eine Nicht-Behandlung von Patienten mit psychischen Problemen besteht in daraus resultierenden finanziellen Hindernissen. Kosten für Medikamente, Psychotherapien und Transport stellen eine finanzielle Herausforderung für die Familien dar. Patienten, welche in Dörfern oder Distrikten leben, welche weit von einem Provinzkrankenhaus entfernt liegen, haben Probleme beim Zugang zu einer Behandlung und den Kosten für öffentliche Verkehrsmittel.

Nachfolgende psychiatrische Einrichtungen werden angeführt:

Kabul: - Karte Sae Nervenklinik - öffentliches Krankenhaus

Sae Rahi Allauddin PD 6 Kabul

-

Sayed Jamaluddin - private psychiatrische Klinik

Khoshal mina Abschnitt 1 PD-5 Kabul

Mazar-e-Sharif: - Regionalkrankenhaus Mazar-Sharif - öffentliches Krankenhaus

nordwestlich von Rauza Mazari Sharif Balkh

-

eine private psychiatrische Klinik ist in Mazar-e-Sharif nicht verfügbar

1.6. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Aktuelle politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden. Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u. a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit integrierter Kurzinformation vom 04.06.2019 - im Folgenden "LIB 04.06.2019", S. 12; das LIB wurde um die darin enthaltenen Quellenangaben bereinigt).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten.

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) vom 29.06.2018, mit integrierter Kurzinformation vom 26.03.2019 - Folgenden "LIB 26.03.2019", S. 16).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 26.03.2019, S. 17).

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist.

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (LIB 04.06.2019, S. 13).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (LIB 04.06.2019, S. 14).

Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an:

Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u. a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für

1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opferwurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (LIB 26.03.2019, S. 20).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten. Ungefähr 24% der zivilen Opfer, werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen (LIB 26.03.2019, S. 21).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (LIB 26.03.2019, S. 63).

In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren. Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant. Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (LIB 26.03.2019, S. 63).

Im ersten Quartal 2019 fanden Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban statt (LIB 26.03.2019, S. 13, 23).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (LIB 26.03.2019, S. 72).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (LIB 26.03.2019, S. 73).

Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (LIB 26.03.2019, S. 73).

Provinz Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

4.679.648 geschätzt. In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer und IDPs wohnen. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen durch den die Stadt sicher erreichbar ist (LIB 04.06.2019, S.90f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die sich überwiegend in der Hauptstadt Kabul ereigneten (LIB 04.06.2019, S. 91).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (LIB 04.06.2019, S. 92).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt (LIB 04.06.2019, S. 93).

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch das Haqqani-Netzwerk soll Angriffe in der Stadt Kabul verübt haben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (LIB 04.06.2019, S. 93).

Aktuelle Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen. Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt. Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen. Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag.

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte. Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University. Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet (LIB 04.06.2019, S. 14)

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission.

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen" Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt. US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen. Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (LIB 04.06.2019, S. 15).

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca.150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (LIB 04.06.2019, S. 16).

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt. Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler. Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag. Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (LIB 04.06.2019, S. 18).

Zur allgemeinen Lage Kabul (EASO Leitlinien 2018, S. 104 bis 105):

Lebensmittelsicherheit: Generell besteht in den drei genannten Städten Mazar-e Sharif, Kabul und Herat keinerlei Lebensmittelknappheit. Das Hauptkriterium für einen Zugang zu Lebensmitteln ist, dass ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen, was im Falle von vertriebenen Personen ein besonderes Problem darstellen könnte.

Sichere Unterkunft: Sichere Unterkunftsmöglichkeiten sind vorhanden. Die Stadthäuser können überwiegend als "Elendsviertel" bezeichnet werden. Der Zugang zu einer adäquaten Wohnmöglichkeit stellt für die Mehrzahl der in Städten lebenden Afghanen eine echte Herausforderung dar. In Kabul gibt es ein Überangebot an hochwertigen Unterkünften, welche jedoch für die Mehrheit der Stadtbewohner von Kabul nicht leistbar sind. Die große Anzahl Vertriebener sowie der plötzliche Anstieg an Rückkehrern in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 hat die ohnehin schon überspannte Aufnahmekapazität der Städte noch zusätzlich belastet. Vertriebene Personen finden sich letztlich zumeist in Unterkünften für Binnenflüchtlinge wieder, weshalb sie eine sichere Unterkunft als ihr vorrangigstes Bedürfnis bezeichnen. In den Städten werden als Alternative ferner auch günstige Unterkünfte in "Teehäusern" angeboten.

Hygiene: Der Zugang zu Trinkwasser stellt oft eine Herausforderung dar, insbesondere in den Elendsvierteln von Kabul und den dortigen Unterkünften für Binnenflüchtlinge. In Mazar-e Sharif und Herat haben die meisten Leute Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch besseren Sanitäreinrichtungen.

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 103). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S. 258).

In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 258). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO-Leitlinien 2018, S. 102), die Verbindungsroute in die Stadt ist bei Tageslicht jedenfalls sicher (EASO-Leitlinien 2018, S. 29).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften ((LIB 26.03.2019, S. 103). Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 103f). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan (LIB 26.03.2019, S. 16).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachte Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S.105).

Versorgung mit Nahrungsmitteln und Auswirkungen von Dürre und Überflutungen, insbesondere in Mazar- e Sharif:

Die Versorgung mit Lebensmitteln erweist sich - wie im Rest von Afghanistan - als grundsätzlich gegeben (EASO-Leitlinien 2018, Seite 104), ist aber den Einflüssen von Wetterextremen wie der im Jahr 2018 herrschenden Dürre (UNHCR RL 2018, Seite 35) ausgesetzt.

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt. Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und

94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 04.06.2019, S. 18).

Aufgrund der Dürre 2018 wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2017 (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan: Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif auf Grund anhaltender Dürre, 13.9.2018, im Folgenden "ABSD Dürre", S. 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Anfragebeantwortung von ACCORD zu Afghanistan, Folge von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018 - im Folgenden "Accord Dürre", S. 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (ABSD Dürre, S. 11).

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Accord Dürre, S. 2, S. 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Accord Dürre, S. 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Accord Dürre, S. 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Accord Dürre, S. 17ff).

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Accord Dürre, S. 15f).

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Diese leben am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (ABSD Dürre, S. 5f). Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen (Accord Dürre, S. 5). Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen (Accord Dürre, S. 7). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt (ABSD Dürre, S. 10).

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt (ABSD Dürre, S. 8). Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt (Accord Dürre, S. 3; ABSD Dürre, S. 1 und 3). Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung (ABSD Dürre, S. 1).

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

In Mazar-e Sharif und Herat haben die meisten Leute Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch besseren Sanitäreinrichtungen (EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018, S. 104).

Paschtunen:

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari. Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 26.03.2019, S. 315)

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB 26.03.2019, S. 316).

Medizinische Versorgung:

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden; privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 26.03.2019, S. 357 ff).

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten und Gesundheitsarbeiter bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren, allgemeine Gesundheitszentren und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten die Dienstleistungen der Gesundheitsposten und Gesundheitsarbeiter an. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan wird von nationalen und internationalen NGOs zur Verfügung gestellt. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB 26.03.2019, S. 359).

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos; dennoch ist eine Bestechung der Ärzte und Krankenschwestern üblich. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (LIB 26.03.2019, S. 360 f.).

In Kabul gibt es mehrere öffentliche und private Krankenhäuser (LIB 04.06.2019, S. 365f).

Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen.

Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert ein

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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