TE Vfgh Beschluss 1996/10/9 G223/96

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Veröffentlicht am 09.10.1996
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Index

60 Arbeitsrecht
60/03 Kollektives Arbeitsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
VfGG §62 Abs1
ArbVG §97 Abs2
ArbVG §109 Abs3
ArbVG §144, §145, §146

Leitsatz

Zurückweisung von Anträgen auf Aufhebung der die Schlichtungsstellen betreffenden Bestimmungen des Arbeitsverfassungsgesetzes; keine Präjudizialität der die Errichtung der Schlichtungsstellen regelnden Bestimmungen bei Überprüfung von Bescheiden der Schlichtungsstellen; unzureichende Bezeichnung der zur Aufhebung beantragten Normen; Erfordernis der genauen Bezeichnung einer angefochtenen Gesetzesstelle in einem Gerichtsantrag trotz legistischer Praxis der in Sammelgesetzen enthaltenen Gesetzesänderungen

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid einer mit Bescheid vom 29. Juni 1995 nach dem Arbeitsverfassungsgesetz 1974 (ArbVG) errichteten Schlichtungsstelle vom 14. Mai 1996 anhängig, mit dem ein Antrag auf "Erlassung einer Betriebsvereinbarung" mit der Begründung zurückgewiesen wurde, daß die Schlichtungsstelle zur "Erlassung" der beantragten Betriebsvereinbarung im Hinblick auf §1 Abs2 Z5 des ArbeitskräfteüberlassungsG und §97 Abs1 Z1a ArbVG unzuständig sei.

Aus Anlaß dieser Beschwerde stellt der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 2. August 1996 den Antrag, §97 Abs2 und die §§144 bis 146 ArbVG idF BGBl. 563/1986, 282/1990 und 411/1990, als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in der Begründung seines Antrages davon aus, daß es sich bei der in Beschwerde gezogenen Erledigung um einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde handelt und er daher darüber zu entscheiden habe. Dies deshalb, weil die Schlichtungsstellen bei den Arbeits- und Sozialgerichten nach den §§144 ff. ArbVG weder als Gerichte im Sinne des B-VG noch als Kollegialbehörden nach dem Muster des Art20 Abs2 und Art133 Z4 B-VG eingerichtet sind.

In der Sache äußert der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, daß die angefochtenen Bestimmungen dem Art6 Abs1 EMRK widersprechen.

Was den Umfang der Anfechtung betrifft, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, daß mit den angefochtenen Bestimmungen die Schlichtungsstelle in ihrer - im Hinblick auf ihre Kompetenz verfassungswidrigen - Existenz begründet wird, sodaß deren Aufhebung genügen müßte, um die allfällige Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Jene Bestimmungen, in denen die Schlichtungsstelle weiters Erwähnung finde, gingen im Falle der Aufhebung des ArbVG im beantragten Umfang - weil ohne normative Auswirkung - ins Leere.

2. Die Bundesregierung hat auf ihre in den Verfahren G66/95 und G67/95 abgegebene Äußerung verwiesen (vgl. VfGH vom 8. Oktober 1996, G66/95 ua.), in der sie den Antrag stellte, diese Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem bei ihm anhängigen Verfahren einen Bescheid einer Schlichtungsstelle zu überprüfen, die ihrerseits nach §144 und §145 ArbVG errichtet wurde. Diese die Errichtung der Schlichtungsstellen betreffenden Bestimmungen regeln aber nicht das Verhalten der Schlichtungsstelle selbst, sondern deren Bestellung; sie sind daher vom Präsidenten des im §144 ArbVG näher bestimmten Gerichtshofes bei der - im Rahmen der Justizverwaltung (vgl. Mayer, ZAS 1979, 154 f.; Tomandl, Arbeitsrecht I2, 24) bescheidmäßig (VfSlg. 13092/1992) - vorzunehmenden Errichtung der Schlichtungsstellen, nicht jedoch von diesen selbst im Verfahren zur Entscheidung über Streitigkeiten über den Abschluß, die Abänderung oder Aufhebung einer Betriebsvereinbarung anzuwenden und wurde in dem dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zugrunde liegenden Verwaltungsverfahren auch nicht angewendet. Angesichts dessen ist es offenkundig ausgeschlossen, daß der Verwaltungsgerichtshof diese Bestimmungen bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Beschwerde anzuwenden hat, weshalb sein Antrag, soweit er sich auf die §§144 und 145 ArbVG bezieht, zurückzuweisen ist (vgl. zum Maßstab der vom Verfassungsgerichtshof anzustellenden Prüfung der Präjudizialitätsannahmen antragstellender Gerichte etwa VfSlg. 9811/1983, 11565/1987 ua.).

2. Aber auch die Anfechtung der die Zuständigkeit der Schlichtungsstellen zur Entscheidung über Betriebsvereinbarungen und deren Wirkung regelnden Bestimmung des §97 Abs2 ArbVG sowie der mit dieser Regelung in notwendigem Zusammenhang stehenden beiden letzten Sätze des §146 Abs2 leg.cit. ist unzulässig. Zwar tritt der Verfassungsgerichtshof dem antragstellenden Verwaltungsgerichtshof angesichts seiner zur Prüfung der Präjudizialitätsannahme antragstellender Gerichte entwickelten Judikatur nicht entgegen, wenn dieser bei der Antragstellung davon ausgeht, daß er die in Rede stehenden Bestimmungen bei Beurteilung des bei ihm angefochtenen Bescheides der Schlichtungsstelle anzuwenden hätte. Der Antrag ist aber unzulässig, weil er die angefochtenen Normen - wie sich aus den im (beiliegenden) Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 1996, G66/95 ua., dargelegten Überlegungen, die auch im vorliegenden Fall zutreffen und auf die, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen wird - nicht in einer den Anforderungen des §62 Abs1 VerfGG entsprechenden Weise bezeichnet. Eine ungenaue Bezeichnung der Gesetzesvorschriften, deren Aufhebung beantragt wird, ist aber nach ständiger Rechtsprechung kein verbesserungsfähiger Mangel (vgl. zB VfSlg. 9880/1983, 11888/1988 und VfGH 2.3.1995, G279/94).

3. Da - wie sich ebenfalls aus der zitierten Entscheidung im Verfahren G66/95 ua. ergibt - auch eine (isolierte) Prüfung des §146 ArbVG nicht in Betracht kommt, war spruchgemäß zu entscheiden.

III. Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Arbeitsverfassung, Schlichtungsstelle, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Formerfordernisse, Novellierung, Gesetz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G223.1996

Dokumentnummer

JFT_10038991_96G00223_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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