TE Bvwg Erkenntnis 2015/10/27 W159 2012580-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.10.2015
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Entscheidungsdatum

27.10.2015

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W159 2012580-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Afghanistan, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.09.2015, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm. 34 Asylgesetz 2005 idgF (AsylG 2005) der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan, gelangte am 24.01.2013 unter Umgehung der Grenzkontrolle gemeinsam mit seinen Eltern XXXX und XXXX und seiner minderjährigen Schwester XXXX nach Österreich und stellten sie allesamt am 25.01.2013 Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen die Eltern noch am selben Tag vor der Polizeiinspetion Linz befragt wurden.

Zum Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates befragt, schilderte die Mutter Probleme aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit. Sie sei Zeugin Jehovas und habe ihre Religion in Afghanistan nur geheim ausüben können. Der Vater, ein sunnitischer Moslem, habe das erlaubt. Dessen Familie habe den Glauben der Mutter und damit diese selbst abgelehnt. Der Vater sei in diesem Zusammenhang von Unbekannten mitgenommen, für zwei Tage festgehalten und geschlagen worden, weshalb alle Angehörigen der Kernfamilie den Herkunftsstaat verlassen hätten. Eigene Verfolgungsgründe für den Beschwerdeführer wurden nicht vorgetragen.

Das Bundesasylamt führte in der Folge Konsultationen hinsichtlich der Zuständigkeit des Vereinigten Königreichs für das gegenständliche Asylverfahren (da der Vater des Beschwerdeführers offenbar in Großbritannien aufhältig war).

Nach Zulassung zum Asylverfahren wurden die Eltern am 10.06.2013 vom Bundesasylamt, Außenstelle Linz einvernommen. Dabei vertieften sie die bereits geschilderte prekäre Situation im Zusammenhang mit dem Religionsbekenntnis der Mutter.

Mit Eingabe vom 02.07.2014 erfolgte eine Säumnisbeschwerde, wobei beantragt wurde, entweder innerhalb von drei Wochen über den Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden oder die gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.

Am 05.08.2014 wurden die Eltern einer rgänzenden Einvernahme des BFA, RD Oberösterreich unterzogen. Dabei wurde das Vorbringen hinsichtlich der Probleme im Herkunftsstaat aufgrund des Religionsbekenntnisses der Mutter vertieft.

Auf Grund der Angaben des Vaters in Großbritannien, sowie einer anonymen Anzeige, bestellte das Bundesamt XXXX zum länderkundlichen Sachverständigen zu der Frage, ob der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen überhaupt afghanische Staatsangehörige seien.

Das mit Datum 28.10.2014 erstattete Gutachten kam zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer und seine Familienangehörigen jedenfalls nicht Staatsbürger der Russischen Föderation seien und auch niemals gewesen seien und dass im Standesamt in XXXX keine Eheschließung der Eltern registriert sei, ebenso wenig die Geburt des Beschwerdeführers.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.04.2015, Zl. XXXX, wurde unter Spruchteil I. der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gem. Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG stattgegeben und unter Spruchteil II. das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verpflichtet, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der im gegenständlichen Erkenntnis festgelegten Rechtsanschauung des Bundesverwaltungsgerichtes gem. §28 Abs. 7 VwGVG binnen 8 Wochen zu erlassen, wobei die Revision für nicht zulässig erklärt wurde. In der Begründung dieses Erkenntnisses wurde zunächst der Verfahrensgang dargelegt und dann detailliert rechtlich geprüft, ob eine Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vorliege. Zu Spruchteil II. finden sich nach Darlegungen über den Flüchtlingsbegriff Ausführungen über die Situation der afghanischen Frauen, zur "westlichen Gesinnung", zur allfälligen Gewährung subsidiären Schutzes, sowie der allfälligen Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, jeweils unter ausführlichen Judikatur-Zitate.

Mit Schreiben vom 10.06.2015 erfolgte eine Aktenvorlage nach Ablauf der beauftragten Frist gem. §28 Abs. 7 VwGVG. Darin wurde dargelegt, dass die Verfahrensakte nicht sogleich mit dem Erkenntnis übermittelt worden seien, sondern erst am 13.05.2015 bei der belangten Behörde eingelangt seien. Es sei nach wie vor ungeklärt, welche Staatsangehörigkeit die Beschwerdeführer besitzen würden. Innerhalb der verbleibenden Frist habe auf Grund der ungeklärten Sachverhalte kein Bescheid erlassen werden können.

Am 06.07.2015 langte ein Antrag des Beschwerdeführers und seiner Familie (durch ihren ausgewiesenen Vertreter) ein, dass das Bundesverwaltungsgericht über die Beschwerden durch Erkenntnis in der Sache selbst entscheiden möge.

Nach Klärung der Frage des zuständigen Richters beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung für den 10.09.2015 an, welche mit jener der Eltern des Beschwerdeführers verbunden wurde.

Nachdem die Eltern neuerlich gleichbleibend über die Gründe für ihre Ausreise sowie integrative Aspekte berichtet haben, wurde abschließend der Beschwerdeführer befragt.

Dieser gab im Beisein seines Vaters als gesetzlicher Vertreter an, in deutscher Sprache einvernommen werden zu wollen. Er habe eine Mittelschule besucht, habe jetzt aber mit der HTL, XXXX, begonnen. Er gehe in die Fachschule. Die Mittelschule habe er als ordentlicher Schüler in allen Gegenständen positiv abgeschlossen. Er gehöre offiziell keiner Religion an, sei jedoch zu 90 % im Sinne der Zeugen Jehovas erzogen worden. Er gehe mit seiner Mutter am Samstag in den Königreichsaal, auch mit einem Freund sei er die letzten beiden Male dort gewesen. In seiner Freizeit spiele er Basketball bei einem Verein. Er wolle einen Beruf mit Chemie ausüben und könne sich nicht vorstellen, wieder in Afghanistan zu leben. Seine Mentalität habe sich hier völlig verändert. Seine Freunde würden aus der XXXX oder aus anderen Ländern kommen. Nur einer seiner Freunde sei aus Afghanistan.

Auf Befragung des Vertreters erklärte der Sohn, dass bei den Zeugen Jehovas alles was für den Körper schädlich sei - zB Rauchen, Alkohol, aber auch vorehelicher Verkehr - verboten sei. Als Zukunftshoffnung glaube man, dass es zu einer Apokalypse komme und die guten Menschen auf der Erde bleiben würden.

Im Vergleich zu Afghanistan könne er hier Freunde haben, die die gleiche Religion wie er haben würden. Er könne auch zu Versammlungen der Zeugen Jehovas gehen, was in Afghanistan nicht möglich gewesen sei. Seit er in Österreich sei, wolle er sich religiös betätigen, hier gebe es Religionsfreiheit.

Der Beschwerdeführer erklärte in diesem Zusammenhang, dass er Moslem und seine Ehegattin Christin sei. Seine Kinder sollen mit 18 Jahren selbst entscheiden, welcher Religion sie angehören wollen würden.

Am Schluss der Verhandlung wurden den Verfahrensparteien gemäß §45 Abs. 3 AVG folgende Länderdokumente (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 19.11.2014, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 02.03.2015) zur Kenntnis gebracht und eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte der Beschwerdeführer durch die ausgewiesene Vertretung Gebrauch. Gleichzeitig wurde eine Bestätigung der Zeugen Jehovas, dass die Mutter regelmäßig die Zusammenkünfte am Samstag besuche, vorgelegt. Es wurde auch vorgebracht, dass sie am Weg sei, durch die Taufe offizielles Mitglied der Zeugen Jehovas zu werden. Die Mutter sei eine moderne und westlich denkende Frau, die ihre Kinder trotz der staatlichen und gesellschaftlichen Repressalien in Afghanistan im Geiste des Christentums erzogen habe. Der Vater sei tolerant, er habe immer zur Mutter gehalten und ihr auch gestattet, mit dem Beschwerdeführer und seiner Schwester persönlich Bibelstunden durchzuführen. Der Mutter sei durch ihre westliche Einstellung und durch das verinnerlichte Christentum, das sich gemäß den Merkmalen der Zeugen Jehovas im Lehren und Predigen von Haus zu Haus oder unter Freunden und Bekannten äußere, ein Leben in Afghanistan nicht zumutbar, was auch für die Familienangehörigen gelte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan. Er wurde am XXXX in XXXX geboren. Seine Mutter hat ukrainische Wurzeln und ist Zeugin Jehovas. Sein Vater ist Paschtune und sunnitischer Moslem.

Der Beschwerdeführer hat noch kein Religionsbekenntnis angenommen, ist jedoch an der Religion seiner Mutter interessiert. Die Entscheidung über sein Religionsbekenntnis darf er laut seinen Eltern mit 18 Jahren frei treffen.

Die Mutter hat mehrere Deutschkurse besucht und auch schon ein Deutschzertifikat in dem (hohen) Niveau B1 erworben. Sie bereitet sich auch auf einen Hauptschulabschluss vor und sie lernt Englisch. Weiters arbeitet sie als Kinderbetreuerin und in einem Altenheim. In Österreich hat sie auch das Nähen und das Fahrradfahren gelernt. Sie präsentierte sich auch in der Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes als westlich-orientierte Frau, die bestrebt ist, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie möchte beispielsweise auch in Zukunft selbst berufstätig sein.

Auch der Vater weist entsprechende Deutschkenntnisse auf und hat ein entsprechendes Deutschzertifikat auf dem Niveau A2. Er wird als Dolmetscher von Organisationen und Privatpersonen herangezogen und arbeitet ehrenamtlich zwei Tage in der Woche beim Roten Kreuz, wo er gerne arbeiten und ein Ausbildung machen würde.

Der Beschwerdeführer besucht erfolgreich die Schule. Er geht bereits in die HTL-Fachschule und verfügt demnach über ansprechende Deutschkenntnisse, worüber sich der erkennende Richter in der Beschwerdeverhandlung überzeugen konnte. Er möchte in Zukunft im Bereich Chemie beruflich tätig werden.

Der Beschwerdeführer hat sich auf die Fluchtgründe seiner Mutter und ist zur Wahrung der Familieneinheit die gesamte Kernfamilie, der Beschwerdeführer, seine Eltern und seine minderjährige Schwester aus dem Herkunftsstaat ausgereist.

Der Mutter des Beschwerdeführers, XXXX, wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag der Status der Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Zu Afghanistan wird verfahrensbezogen Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Verfassung

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet, die schließlich im Januar 2004 ratifiziert wurde (IDEA o.D.); diese basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und dass alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Präsidentschaftswahlen

Bei der Präsidentenwahl am 5. April 2014, trotzten viele BürgerInnen den Anschlagsdrohungen der Taliban und wählten einen Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Hamid Karzai, welcher gemäß Verfassung nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren durfte (Die Zeit 5.4.2014). Es war dies die dritte Präsidentschaftswahl seit dem Fall der Taliban im Jahr 2001, gleichzeitig fanden auch Provinzwahlen statt (RFE 4.4.2014). Schätzungen der Wahlkommission zufolge, beteiligten sich rund sieben Millionen der mehr als zwölf Millionen Wahlberechtigten an der Abstimmung (Die Zeit 6.4.2014). Die erste Wahlrunde am 5. April hatte Abdullah Abdullah mit 45% der Stimmen gewonnen, verfehlte aber die erforderliche absolute Mehrheit. Ashraf Ghani kam mit 31,6% auf den zweiten Platz. Am 14.6.2014 kam es zur Stichwahl (NZZ 13.6.2014). Laut Wahlkommission gaben auch diesmal rund sieben Millionen Afghanen ihre Stimme ab (FAZ 15.6.2014). Im Juli 2014 gab die Wahlkommission ein vorläufiges Ergebnis bekannt, laut dem Ashraf Ghani der neue afghanische Präsident gewesen wäre (NZZ 9.7.2014; vgl. Die Zeit 7.7.2014). Auf den ehemaligen Weltbank-Ökonomen Ashraf Ghani entfielen laut der Wahlkommission bei der Stichwahl 56,44% der Stimmen. Der ehemalige Außenminister Abdullah Abdullah, erhielt demnach 43,56%. Abdullah, der beim ersten Wahlgang im April noch klar in Führung gelegen hatte, sprach von Wahlbetrug (NZZ 7.7.2014). Sein Lager lehnte daraufhin das vorläufige Ergebnis ab (Reuters 7.7.2014) und drohte sogar mit einer Parallelregierung (FAZ 8.7.2014).

Nach acht Monaten Feindseligkeiten, einer internationalen Prüfung und Verhandlungen über Machtteilung, einigten sich Ghani und Abdullah am 21.9.2014 auf eine gemeinsame Einheitsregierung (NYT 21.9.2014; vgl. NZZ 21.9.2014a). Die Wahlkommission erklärte Aschraf Ghani Ahmadzai zum künftigen Präsidenten (FAZ 21.9.2014). Gemäß einem von den USA vermittelten Abkommen über eine Teilung der Macht, soll Abdullah Abdullah offenbar einen neu geschaffenen Posten erhalten, der dem Amt eines Premierministers ähnelnt und mit weitreichenden Befugnissen versehen werden soll. Die Ministerposten sollen Vertreter beider Lager übernehmen (NZZ 21.9.2014b; vgl. BBC 21.9.2014). Auch Ämter in Verwaltung und Justiz werden zwischen den Lagern der beiden Kandidaten aufgeteilt (FAZ 21.9.2014).

Laut staatlicher Wahlkommission soll Ghani gegenüber Abdullah mit einem Vorsprung von 13 Prozentpunkten geführt haben. Aber offenbar bestand Sorge, dass es trotz des Abkommens zu Unruhen kommen könnte, denn das Endergebnis wurde nie veröffentlicht (NZZ 21.9.2014b).

Zur Person Ashraf Ghani

Ghani wurde 1949 in der Provinz Logar als Sohn eines hochrangigen Beamten geboren. Er ist ein Mitglied des einflussreichen paschtunischen Ahmadzai-Stammes. Während seines Studiums an der American University in Beirut hat er seine spätere Frau Rula kennengelernt, eine libanesische Christin. Eine Zeitlang lehrte er Anthropologie an der Universität XXXX. Danach studierte er in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo er dann schlussendlich auch für die Weltbank arbeitete. Ende 2001 kehrte Ghani nach Afghanistan zurück und wurde kurz darauf Finanzminister in Hamid Karzais erster Regierung. 2004 übernahm er den Posten des Rektors an der Universität XXXX. Die afghanischen Präsidenten hat er weiterhin beraten. Bei den Verhandlungen mit den USA und der NATO über Details dazu, wie Afghanistan nach dem Abzug der westlichen Truppen regiert werden solle, hat Ghani eine wichtige Rolle gespielt (NZZ 8.7.2014).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung, Shuraye Melli, basiert auf einem Zweikammersystem, das sich in ein Unterhaus, Wolesi Jirga, und ein Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt, gliedert. Das Unterhaus, setzt sich aus 249 Sitzen zusammen, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kuchi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 27.2.2014; vgl. CRS 17.9.2014 und CRS 11.7.2014).

Das Oberhaus setzt sich aus 102 Sitzen zusammen. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Ein Drittel der Sitze, wovon wiederum 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst, (CRS 17.9.2014). Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßig vorgegebenen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für die Ernennung eines Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 27.2.2014). Die Parlamentswahlen im Jahr 2010 waren, wie auch jene des Jahres 2005, von Betrugsvorwürfen und Gewaltausbrüchen überschattet (AF 2012).

Eine der wesentlichen Neuerungen, welche die Parlamentswahlen 2005 und 2010 betrafen, war die "single non-transferable vote (SNTV)"-Regelung. Jedem Wahlkreis ist, proportional zur Bevölkerungszahl, mehr als ein Sitz im Parlament zugeteilt. Die Wähler des Wahlkreises können jeweils eine Stimme abgeben. Die Sitze des Wahlkreises gehen an die Kandidaten des Kreises in der Reihenfolge der Anzahl der von ihnen gewonnenen Stimmen. Dieses System ist weltweit sehr selten (UNAMA o.D.; vgl. NDI 2011). Durch das System treten die Kandidaten individuell gegeneinander an und erlangen die Sitze nicht über Parteilisten (CRS 11.7.2014).

Parteien

Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben. Eignung, Befähigung und Leistung spielen oftmals eine untergeordnete Rolle bei der Verteilung politischer bzw. administrativer Ämter. Die Entscheidungen über viele Personalien, auch in entlegenen Provinzen, werden von der Zentralregierung in XXXX, häufig sogar vom Präsidenten getroffen. Im Vielvölkerstaat Afghanistan spielen informelle Beziehungsnetzwerke und der Proporz der Ethnien eine wesentliche Rolle. Die Machtverteilung wird national und auch lokal so austariert, dass die Loyalität einzelner Persönlichkeiten und Gruppierungen gesichert erscheint. Handeln lokale Machthaber entgegen der Regierungspolitik, bleiben Sanktionen allerdings häufig aus. Politische Allianzen werden in der Regel nach pragmatischen Gesichtspunkten geschmiedet. Dadurch kommt es, für Außenstehende immer wieder überraschend, zu Koalitionswechseln und dem Herauslösen von Einzelpersonen aus bestehenden politischen Verbindungen, unabhängig von Parteistrukturen (AA 31.3.2014).

Anfang 2012 zeichnete Staatspräsident Karzai eine Regulierung für politische Parteien ab, welche besagt, dass diese in mindestens 20 Provinzen ein Büro haben und die Adresse an das Justizministerium melden müssen. Dazu wurde eine viertstufige Kontrolle eingerichtet, um die tatsächliche Existenz der Parteien zu überprüfen. So sollen z. B. Unterschriftenlisten die Abhaltung von Versammlungen bestätigten. Einige sahen das als Entschärfung der älteren Regelung, wonach Parteien Mitglieder in 22 Provinzen haben mussten. Die neue Regulierung zielte darauf ab, die ethnischen und regionalen Trennlinien zwischen den Parteien aufzuweichen, indem sich mehrere der - meist auf ethnischer oder regionaler Zugehörigkeit basierenden - Parteien zusammenschließen sollten. Weniger als ein Jahr nach der Verabschiedung der Regelung versandte das Justizministerium Warnbriefe, dass eine einjährige Gnadenfrist für die Übermittlung der Liste der Provinzbüros am 4.4.2013 ablaufen würde. Nur acht der 55 registrierten Parteien reichten ihre Antworten fristgerecht ein, die meisten dieser acht waren relativ kleine Parteien (ICG 26.6.2013).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (31.3.2014): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

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AF - Asia Foundation (2012): Voter Behavior Survey, http://asiafoundation.org/resources/pdfs/VoterBehaviourSurveyBook.pdf, Zugriff 24.9.2014

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BBC (21.9.2014): Afghan presidential contenders sign unity deal, http://www.bbc.com/news/world-asia-29299088, Zugriff 22.9.2014

-

BFA Staatendokumentation (3.2014): Afghanistan; 2014 and beyond, http://www.bfa.gv.at/files/broschueren/AFGH_Monographie_2014_03.pdf, Zugriff 22.9.2014

-

CRS - U.S. Congressional Research Service (17.9.2014):

Afghanistan: Politics, Elections, and Government Performance, http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS21922.pdf, Zugriff 24.9.2014

-

CRS - U.S. Congressional Research Service (11.7.2014):

Afghanistan: Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 24.9.2014

-

Die Zeit (6.4.2014): Kandidaten sehen klaren Betrug bei Präsidentenwahl,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-04/unregelmaessigkeiten-afghanistan-wahl, Zugriff 24.9.2014

-

Die Zeit (5.4.2014): Viel Andrang bei Präsidentenwahl in Afghanistan,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-04/afghanistan-praesidentenwahl-karsai, Zugriff 24.9.2014

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (8.7.2014): Amerika droht mit Ende der Finanz- und Militärhilfe, http://www.faz.net/aktuell/politik/wahlchaos-in-afghanistan-amerika-droht-mit-ende-der-finanz-und-militaerhilfe-13032563.html, Zugriff 24.9.2014

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (15.6.2014): Der hohe Preis der Wahl,

http://www.faz.net/aktuell/politik/abgeschnittene-finger-in-afghanistan-der-hohe-preis-der-wahl-12991468.html, Zugriff 24.9.2014

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (21.9.2014): Ghani wird Präsident Afghanistans,

http://www.faz.net/aktuell/einigung-auf-einheitsregierung-ghani-wird-praesident-afghanistans-13165418.html, Zugriff 22.9.2014

-

ICG - International Crisis Group (26.6.2013): Afghanistan's Parties in Transition,

http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/asia/south-asia/afghanistan/b141-afghanistans-parties-in-transition.pdf, Zugriff 24.9.2014

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IDEA - The International Institute for Democracy and Electoral Assistance (o.D.): Afghanistan: An Electoral Management Body Evolves,

www.idea.int/publications/emd/upload/EMD_CS_Afghanistan.pdf, Zugriff 24.9.2014

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Max Planck Institute (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan,

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf, Zugriff 11.9.2014

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (8.7.2014): Afghanischer Wahlsieger Ashraf Ghani,

http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/technokrat-populist-choleriker-1.18339044, Zugriff 31.10.2014

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (21.9.2014a): Ghani zum neuen Präsidenten erklärt,

http://www.nzz.ch/international/ghani-zum-neuen-praesident-erklaert-1.18388057, Zugriff 22.9.2014

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (21.9.2014b): Regierungsfrage in Afghanistan scheint gelöst,

http://www.nzz.ch/international/regierungsfrage-in-afghanistan-scheint-geloest-1.18388144, Zugriff 22.9.2014

-

NZZ - Neue Züricher Zeitung (7.7.2014): Ghani ist neuer Präsident Afghanistans,

http://www.nzz.ch/international/afghanistan-nachzaehlung-in-7000-wahlurnen-1.18338565, Zugriff 24.9.2014

-

NZZ - Neue Züricher Zeitung (13.6.2014): Wahl in Afghanistan von Lage im Irak überschattet,

http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/wahl-in-afghanistan-von-lage-im-irak-ueberschattet-1.18321755, Zugriff 24.9.2014

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NYT - The New York Times (21.9.2014): After Rancor, Afghans Agree to Share Power,

http://www.nytimes.com/2014/09/22/world/asia/afghan-presidential-election.html?_r=0, Zugriff 22.9.2014

-

Reuters (7.7.2014): Afghanistan's Abdullah rejects election result as 'coup' against people,

http://www.reuters.com/article/2014/07/07/us-afghanistan-election-idUSKBN0FC0EN20140707, Zugriff 24.9.2014

-

RFE - Radio Free Europe (4.4.2014): Afghanistan's Presidential Election, By The Numbers,

http://www.rferl.org/content/afghanistan-election-by-numbers/25321550.html, Zugriff 24.9.2014

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UNAMA - United Nations Assistance Mission to Afghanistan (o.D.):

Primer on the Single Non-Transferable Vote System, http://unama.unmissions.org/Portals/UNAMA/Documents/Election%20System%20in%20Afghanistan%20Primer.pdf, Zugriff 24.9.2014

-

USDOS - US Department of State (27.2.2014): Country Report on Human Rights Practices 2013 - Afghanistan, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm#wrapper, Zugriff 7.7.2014

2. Sicherheitslage

Die allgemeine Sicherheitslage hat sich seit der Verkündung der Wahlergebnisse ein wenig stabilisiert. Für afghanische Verhältnisse kann man sogar von einer Verbesserung sprechen. Solange sich die neue Regierung aber noch nicht formiert hat und die Ministerien noch nicht neu besetzt sind, kann davon ausgegangen werden, dass radikale Gruppierungen nach wie vor durch Anschläge, speziell gegen Regierung und ISAF (International Security Assistance Force), die Lage destabilisieren wollen, um die Handlungsunfähigkeit der Regierung unter Beweis zu stellen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 10.11.2014).

Die Motive der Gruppierungen in Afghanistan sind einerseits politisch/religiös, andererseits rein wirtschaftlich bedingt. Die Maßnahmen der neuen Regierung wurden von der Zivilbevölkerung positiv aufgenommen. Es ist daher davon auszugehen, dass Gruppierungen, die die Handlungsunfähigkeit der Regierung unter Beweis stellen wollen, diesen Winter vermehrt Aktionen setzen werden. Mit nächstem Jahr wird auch ISAF in RSM (Resolut Support Mission) umfunktioniert und auf internationaler Seite eine massive Truppenreduktion eingeleitet. Auch das kann noch einmal zu einer Verschärfung der Lage führen. Sollte die Masse der Bevölkerung nicht ausreichend informiert werden, wird von radikalen Gruppen versucht werden, die planmäßige Reduktion der Truppen als Rückzug auf Grund des massiven Drucks gegen die IC (International Coalition) zu verkaufen. Trotzdem ist die Anzahl der Anschläge im Gesamten leicht rückgängig, ihre "Qualität" hat aber zugenommen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 10.11.2014).

Im Zeitraum 1.6.-15.8.2014 registrierte die UNO landesweit 5.456 sicherheitsrelevante Vorfälle. Dies bedeutet eine Steigerung von 10,7% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres und von 18,7% zu 2012. Jedoch bedeuten diese Zahlen auch einen Rückgang von 12,6% im Vergleich zu 2011. Die erhöhte Zahl der Vorfälle ist auf Operationen unter Führung der ANSF zurückzuführen, die sich auf die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen konzentrierten, und auf die andauernde "Khaibar"-Offensive der Taliban, aber auch auf Versuche der Rebellen, den Wahlprozess zu stören. Während des Berichtszeitraumes machten bewaffnete Zusammenstöße 47,3% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle aus, während 29,1% auf IEDs zurückzuführen sind. Im gleichen Zeitraum wurden 36 Selbstmordattentate registriert, was, verglichen mit 32 Selbstmordattentaten im vorigen Berichtzeitraum, einen geringen Anstieg bedeutet. 2013 wurden im gleichen Zeitraum 33 Selbstmordattentate registriert. Insgesamt wurden von 1.6.-15.8.2014 211 Attentate und 30 Attentatsversuche registriert, was einen Anstieg von 7,1% gegenüber dem Vergleichszeitraum 2013 bedeutet (UN GASC 9.9.2014).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist weiterhin volatil. Die Vereinten Nationen (UNO) registrierten 20.093 sicherheitsrelevante Vorfälle im Jahr 2013, es ist damit nach 2011 das gewaltreichste Jahr seit dem Fall der Taliban. 70% dieser Angriffe wurden im Osten, Südosten und speziell im Süden registriert. Bewaffnete Zusammenstöße und Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung (IED) machten 75% aller Vorfälle aus. Bewaffnete Zusammenstöße sind im Vergleich zu 2012 um 51% gestiegen. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben bewiesen, dass sie fähig sind Gebiete gegen Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente zu verteidigen und Territorien zurückzuerobern, wenn auch unter signifikanten Opferzahlen (UN GASC 7.3.2014).

Zwischen 1.1. und 30.6.2014 registrierte die UNAMA 4.853 zivile Opfer (1.564 Tote und 3.289 Verletzte) - dies deutet einen Anstieg um 17% bei getöteten bzw. um 28% bei verletzten Zivilisten. Es wurde damit ein Anstieg von 24% im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2013 verzeichnet. Zum ersten Mal seit 2009 wurden mehr Zivilisten in Bodenkämpfen und Kreuzfeuer zwischen regierungsfeindlichen Elementen und den ANSF getötet oder verletzt, als durch andere Taktiken. In den vergangenen Jahren wurde die Mehrzahl der Zivilisten durch IEDs getötet oder verletzt (UNAMA 7.2014).

Konflikt-bedingte Gewalt hatte in der ersten Hälfte 2014 Auswirkungen auf Frauen und Kinder. Die UNAMA verzeichnete 1.071 minderjährige Opfer (295 Kinder starben und 776 wurden verletzt). Das ist ein Anstieg von 34% im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2013. Es gab 440 weibliche Zivilopfer, davon wurden 148 Frauen getötet und 292 verletzt. Das bedeutet einen Anstieg von 24% gegenüber 2013 (UNAMA 7.2014).

Laut UNAMA waren 74% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben, 9% regierungsfreundlichen Kräften (8% den ANSF, und 1% internationalen militärischen Kräften), 12% aufgrund von Bodenkämpfen zwischen regierungsfeindlichen Kräften und den ANSF. UNAMA rechnete 4% der zivilen Opfer explosiven Munitionsrückständen des Krieges zu und die übrigen 1% grenzübergreifenden Bombardements von Pakistan nach Afghanistan (UNAMA 7.2014).

Im Gegensatz zu den ersten sechs Monaten des Jahres 2009 (599), verdoppelte sich die Zahl der von regierungsfeindlichen Elementen getöteten Zivilisten auf 1.208 im Jahr 2014. Während sich die Zahl der von regierungsfreundlichen Kräften getöteten Zivilisten halbierte - von 302 auf 158. Dies ist auf die Luftoperationen der internationalen militärischen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 7.2014).

Die Intensivierung von Bodenkämpfen in bevölkerungsreichen Gegenden führte zu hohen Opfern bei Frauen und Kindern. Die Zahl der minderjährigen Opfer aufgrund von Bodenkämpfen verdoppelte sich auf 520 (112 Kinder starben und 408 wurden verletzt). Dies ist im Gegensatz zu 2013 eine Steigerung von 110%. Bodenkämpfe führten zu 256 weiblichen Zivilopfer (64 Frauen starben und 192 wurden verletzt). Dies ist im Gegensatz zu 2013 eine Steigerung von 61% (UNAMA 7.2014).

Sicherheitsabkommen

Auf die Transition soll ein Jahrzehnt der Transformation (2015 - 2024) folgen, in dem sich Afghanistan zu einem voll funktionsfähigen und fiskalisch lebensfähigen Staat im Dienst seiner Bürger entwickeln soll. Dafür hat Afghanistan verstärkte eigene Anstrengungen zugesagt und im Gegenzug die Zusage langfristiger internationaler Unterstützung erhalten (AA 3.2014). Der Nato-Kampfeinsatz in Afghanistan läuft zum Jahresende aus. Einen Vertrag über einen neuen internationalen Militäreinsatz wollte der bisherige afghanische Präsident Hamid Karzai nicht unterschreiben. Nach monatelanger Verzögerung hat die afghanische Regierung den Weg für einen internationalen Militäreinsatz über den Jahreswechsel hinaus freigemacht. Dem NATO-Kampfeinsatz in Afghanistan soll ein kleinerer Einsatz zur Ausbildung und Unterstützung afghanischer Sicherheitskräfte mit rund 12.000 Soldaten folgen. Deutschland will sich mit bis zu 800 Soldaten an dieser Mission mit dem Namen "Resolute Support" beteiligen (FAZ 30.9.2014).

Wahlen 2014

Am 5. April, dem Wahltag, zählte die UNO landesweit 476 sicherheitsrelevante Vorfälle im Land. Von diesen standen mindestens 271 in direkter Verbindung zu den Wahlen. Im Vergleich dazu, wurden bei den Parlamentswahlen 2010 488 Vorfälle registriert und am Tag der Präsidentschaftswahlen 2009 310 Vorfälle. 30% der Vorfälle vom 5. April wurden im Osten registriert, während der Süden von einem noch nie dagewesenen niedrigen Gewaltniveau berichtete. Auch die Art der Vorfälle war anders, da es weniger Vorfälle indirekten Feuers und keine erfolgreichen Selbstmordattentate gab (UN GASC 18.6.2014).

Am 14. Juni, dem Tag der Stichwahl, registrierte die UNO landesweit 530 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Anstieg von 11,3% gegenüber dem ersten Wahlgang darstellte. Mindestens 237 Vorfälle standen direkt in Verbindung mit dem Wahlprozess (UN GASC 9.9.2014).

Im Zuge der Wahlvorbereitungen hat laut Innenministerium das afghanische Sicherheitspersonal hunderte neuer Checkpoints eröffnet. Zusätzlich hat die ANA vorrausschauend Operationen in einer Anzahl von Provinzen durchgeführt, um größere Rebellenbedrohungen, die den Wahlprozess stören könnten, zu eliminieren (Tolo 31.3.2014).

Der Sprecher des Unterhauses gab an, dass die sich zu dem Zeitpunkt verschlechternde Sicherheitslage, auch auf den Wahldisput zwischen Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani zurückzuführen war. Er gab an, dass 30 Provinzen, inklusive Faryab, Badakhshan und Ghazni ernsthaften Bedrohungen durch regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische ausgesetzt waren (Khaama Press 7.9.2014). Auch der Verteidigungsminister hatte zuvor die turbulenten Präsidentschaftswahlen für die Verschlechterung der Sicherheitslage verantwortlich gemacht (Tolo 13.9.2014). Das Ergebnis des in die Länge gezogenen Prozesses der Präsidentschaftswahlen war, dass die wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Herausforderungen sich multipliziert haben (Pajhwok 29.8.2014). Bei den Wahlen waren die nationalen afghanischen Sicherheitskräfte alleine für die Sicherheit im Land verantwortlich (ISAF 12.4.2014).

In insgesamt 41 Distrikten, ungefähr 10% aller Distrikte in Afghanistan, gab es mindestens eine große Talibanoffensive. Die meisten dieser Offensiven wurden zurückgedrängt, oftmals mit hohen Opfern auf Seiten der Taliban. Fast jede größere Stadt, angefangen von XXXX über Jalalabad, Kandahar City, Mazar-e-Sharif und Sangin, hatte eine Offensive vor den eigenen Toren zu verzeichnen. Kunduz City ist weiterhin komplett von Talibankräften umzingelt. Gleichzeitig zeigen diese Daten nur Distrikte an, in welchen die Taliban die Regierungsautoritäten offen herausforderten. Nicht angezeigt werden Gegenden (z.B.: Wardak, Ghazni und Logar) wo bereits eine Talibandominanz besteht (WP 20.10.2014).

Die afghanischen Streitkräfte haben in den meisten Teilen des Landes die Sicherheitsverantwortung übernommen (Die Welt 5.10.2014). Das Innenministerium verlautbarte, dass von April bis September 1.523 Polizisten und 800 Soldaten der ANA im Zuge von Kämpfen mit Aufständischen getötet wurden (Tolo 17.9.2014; vgl. WP 20.10.2014). Auch die Taliban verzeichneten schwere Verluste (WP 20.10.2014). Die Vereinten Nationen melden, dass allein in der ersten Jahreshälfte 24% mehr Zivilisten umkamen als im gleichen Zeitraum 2013. Und zum ersten Mal seit Beginn der Statistik starben die meisten im Zuge von Kampfhandlungen, nicht aber durch Terror-Akte (Die Welt 5.10.2014). Als Waffe ihrer Wahl verwenden Rebellengruppen oft IEDs um afghanische und Koalitionssicherheitskräfte anzugreifen. Jedoch werden meist Zivilisten Ziel der Angriffe (Khaama Press 20.9.2014).

Die Taliban versuchten die Sicherheit in Teilen vor allem der östlichen, westlichen und nördlichen Provinzen zu stören. Offizielle Vertreter der Provinzen gaben an, dass sie auch weiterhin ihre Truppen für eine schnelle und effektive Reaktion mobilisierten (Tolo 13.8.2014).

Rebellengruppen

Rebellengruppen, internationale Terroristen und damit verbundene Netzwerke nutzten die die Wahlkrise aus, um landesweit große Angriffe durchzuführen. Speziell in der Provinz Helmand im Süden, den Provinzen Faryab und Ghor im Westen, der Provinz Logar im Zentralraum, den Provinzen Nangarhar und Nuristan im Osten und der Provinz Kunduz im Nordosten. Es gab Versuche ein Gebiet nicht nur einzunehmen, sondern auch zu halten, indem durch mehrere hundert sogenannter "Schwarmangriffe" administrative Bezirkszentren und Sicherheitscheckpoints überrannt wurden. Dies resultierte in einer beträchtlichen Opferzahl unter Zivilisten, Sicherheitspersonal und Rebellen. Das Ziel scheint zu sein, den Einfluss der Rebellen größer erscheinen zu lassen, als dies der Fall ist. Die afghanischen Sicherheitskräfte demonstrierten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit in der Bekämpfung des Großteils der Rebellenoffensiven und der Rückeroberung von Distriktzentren und Sicherheitsanlagen, selbst wenn ihnen die Ressourcen fehlen, um die Rebellenpräsenz einzudämmen und ihre Bewegungsfreiheit, speziell in abgelegenen ländlichen Distrikten, eingeschränkt ist. Diese Entwicklungen gingen unter großer öffentlicher und medialer Aufmerksamkeit von statten, speziell in Bezug auf die negativen Auswirkungen der Wahlkrise auf die afghanische Sicherheit, das bevorstehende Ende der ISAF-Mission und die militärische Operation Pakistans in Nordwaziristans (UN GASC 9.9.2014).

Während der warmen Jahreszeit (ca. Mai - Oktober) spricht man von der "Fighting Season", in der die meist koordinierten, gruppenstarken oder stärkeren Angriffe von Aufständischen auf Einrichtungen der ANSF (Afghan Security Forces) oder GIROA (Government of Islamic Republic of Afghanistan) stattfinden. Manchmal sind auch Einrichtungen der IC (International Coalition) betroffen. Diese werden aber meist gemieden, da es sich hierbei um sogenannte "harte Ziele" handelt. Gegen die IC werden nach wie vor nicht-konventionelle Mittel eingesetzt (Sprengfallen, Magnetbomben). Außerhalb dieser "Fighting Season" kommen alle Aufständischen, die weiterkämpfen wollen in die Städte, da hier die Gründe für die Unterbrechung nicht vorliegen (ungünstige Witterung) (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Taliban und Frühlingsoffensive

Die Talibanbewegung ist nach vor der Kern der Rebellenaktivitäten in Afghanistan. Berichten zufolge operieren sie noch immer von Pakistan aus, wahrscheinlich aus Gegenden in der Nähe der Grenze oder der Stadt Quetta. In den letzten Jahren verloren die Taliban hochrangigen Vertraute und Kommandanten aufgrund von Kämpfen oder Verhaftungen. Der Führungskreis Mullah Muhammad Umar (Talibanführer zwischen 1996 - 2001) ist weiterhin intakt, jedoch scheint es, dass er zunehmend bereitwillig gegenüber einer politischen Einigung ist (CRS 9.10.2014).

Talibankämpfer sind eine erhebliche Kraft - deren Zahl der auf etwa 30.000 geschätzt wird. Es wird aber berichtet, dass die Unterstützung für die Taliban auch in Gegenden in welchen sie auf die Hilfe von Dorfbewohnern zählen konnten, schwindet und dass ihnen die Mittel fehlen um größere Städte zu erobern oder sich in frontale Kämpfe verwickeln zu lassen (Reuters 7.4.2014). Zum Beispiel war den Rebellen in Distrikten wie Marjah, Nawa, Garmser und Nad Ali - alle in der Provinz Helmand -ein Wiedererstarken nicht möglich. NATO und afghanische Kräfte hatten diese in intensiven Kämpfen 2010 und 2011 erobert und sie werden nun meist von den ANSF kontrolliert. Ein spezielleres Beispiel ist eine Gegend in Ghazni, in welcher einst der Aufstand begann. Anders als früher, ist es dort seit 2009 immer schwieriger neue Rekruten für den Aufstand zu finden (AAN 25.3.2014).

Die von den Taliban ausgehende Gewalt in Afghanistan hält an. Auf den Druck afghanischer Sicherheitskräfte in unruhigen Provinzen antworteten die Taliban mit Bomben und bewaffneten Angriffen (Xinhua 21.9.2014). Die Taliban sind zwar nicht besiegt, aber die afghanischen Kräfte übernehmen nun die volle Verantwortung (BBC 26.10.2014).

Am 8. Mai verkündeten die Taliban in einem Statement, dass ihre Frühlingsoffensive "Khaibar", hochrangige Regierungsvertreter, Parlamentsmitglieder, Sicherheitsoffiziere, Anwälte und Richter aber auch ausländische Kräfte, sowie deren diplomatische Zentren und Konvoys, zum Ziel hatte (UN GASC 18.6.2014). Am angekündigten Startdatum, dem 12.5.2014, wurde ein komplexer Angriff auf ein Justizgebäude in Jalalabad verübt, bei dem acht Menschen getötet wurden (UN GASC 9.9.2014; vgl. NYT 12.5.2014). Am 20.5. nahmen etwa 300 Rebellen das administrative Bezirkszentrum Yamgan der nordöstlichen Provinz Badakhshan ein. Der Regierung gelang es die Kontrolle am 23.5 wieder zurück zu erlangen (UN GASC 18.6.2014).

Al-Qaida

Die Zahl der al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan wird von amerikanischen Behörden mit 50 bis 100 beziffert. Die meisten von ihnen sind in den nordöstlichen Provinzen Afghanistans, wie Kunar, aktiv. Manche dieser Kämpfer gehören zu Gruppen, die an al-Quaida angegliedert und in den Provinzen Faryab und Kunduz aktiv sind, wie zum Beispiel zum Islamic Movement of Uzbekistan (CRS 9.10.2014).

Haqqani-Netzwerk

Die Gruppe wurde in den späten 1970er Jahren durch Jalaluddin Haqqani gegründet. Die Gruppe ist mit der al-Qaida und den afghanischen Taliban verbündet, sowie anderen terroristischen Organisationen in der Gegend (Khaama Press 16.10.2014a). Es wird angenommen, dass das Netzwerk der al-Qaida näher ist als den Taliban (CRS 9.10.2014).

Das Haqqani-Netzwerk ist für unzählige Attacken gegen die afghanische Regierung und ihre westlichen Verbündeten verantwortlich. Zwei ihrer hochrangigen Führer wurden im Oktober 2014 festgenommen (NYT 17.10.2014). Das Netzwerk operiert von Pakistan aus, wo sich in manchen Gegenden dessen ursprüngliche Unterstützung durch die Bevölkerung in Feindseligkeit umgewandelt hat (NYT 5.11.2013). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (NYT 17.10.2014).

Der Aufstand des Haqqan-Netzwerks ist vermehrt in den östlichen Provinzen Khost, Paktia, Paktika und Kunar vorzufinden(DW 17.10.2014).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Die radikale islamistische Rebellengruppe Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG) [Anmerkung: auch Hizb-i-Islami Gulbuddin] wird von Mujahed Gulbuddin Hikmatyar geführt, ehemaliger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Besatzungstruppen der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Die HIG wird als kleiner Akteur in den Kampfzonen Afghanistans gesehen (CRS 9.10.2014). Sie ist über die Jahre für ihre Grausamkeit bekannt geworden, sodass sogar die Taliban sich von ihr abwendeten (BBC 2.9.2014). Die Gruppe selbst ist ideologisch wie auch politisch mit al-Qaida und den Taliban verbündet. In der Vergangenheit kam es mit den Taliban jedoch zu Kämpfen um bestimmte Gebiete. Berichten zufolge rief Hikmatyar im Jänner 2014 dazu auf, am 5. April wählen zu gehen. Dies wird als Versuch interpretiert die HIG für eine politische Rolle zu positionieren (CRS 9.10.2014).

Quellen:

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AAN - Afghan Analyst Network (25.3.2014): Can the Taleban outwrestle the government? An assessment of the insurgency's military capability,

https://www.afghanistan-analysts.org/can-the-taleban-outwrestle-the-government-an-assessment-of-the-insurgencys-military-capability/, Zugriff 27.10.2014

-

BBC (2.9.2014): Afghan militant fighters 'may join Islamic State', http://www.bbc.com/news/world-asia-29009125, Zugriff 27.10.2014

-

BBC (26.10.2014): UK ends Afghan combat operations, http

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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