TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/12 W251 2184573-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2019
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Entscheidungsdatum

12.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2184573-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.12.2017, Zl. 1075495307 - 150751904, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 27.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 28.06.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass sein Bruder eine Frau gegen den Willen der Familie dieser Frau geheiratet habe. Die Familie der Frau habe seinen Bruder getötet und habe die Absicht auch den Beschwerdeführer zu toten.

3. Am 27.07.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er für eine Familie gearbeitet habe. Sein Bruder habe sich in die Tochter dieser Familie verliebt. Während die Eltern des Mädchens ein Spital aufsuchen mussten wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen auf das Haus der Familie sowie auf das Mädchen aufzupassen. Sein Bruder sei jedoch zum Haus gekommen und mit dem Mädchen geflohen. Dem Beschwerdeführer sei die Verantwortung gegeben worden. Die Brüder des Mädchens haben sein Haus aufgesucht und die Fenster und die Türe zerstört. Daher habe er Afghanistan verlassen.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III., IV., V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann der bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine ausweglose Situation geraten würde. Er könne sowohl in seiner Heimatprovinz leben, als auch in Kabul, Herat oder Balkh (Mazar-e Sharif). Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass er in Afghanistan von der Familie des Mädchens verfolgt werde, da ihm die Verantwortung an den Geschehnissen gegeben werde. Zudem werde er als schiitischer Hazara nicht akzeptiert. Er verfüge über kein familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan. Zudem habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert, insbesondere in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers sowie in Kabul. Es bestehe für den Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative.

Der Beschwerdeführer legte am 02.04.2019 sowie am 28.05.2019 Integrationsunterlagen vor.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.06.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache (AS 11; Verhandlungsprotokoll vom 03.06.2019, OZ 15, S. 6).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Bamian, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder aufgewachsen (OZ 15, S. 6, S. 7). Der Beschwerdeführer hat keine Schule besucht. Er hat in Afghanistan mehrere Jahre als Hilfsarbeiter gearbeitet, im Iran hat der Beschwerdeführer vier Monate in einem Restaurant und ca. 1,5 Jahre in der Viehwirtschaft gearbeitet (OZ 15, S. 6, S. 8; AS 13).

Der Beschwerdeführer ist ledig, er hat keine Kinder (OZ 15, S. 6).

Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben (AS 15). Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bruder des Beschwerdeführers verstorben ist. Der Beschwerdeführer verfügt in Afghanistan über ein familiäres Unterstützungsnetzwerk.

Der Beschwerdeführer hat bisher weder in Kabul, noch in Herat oder Mazar-e Sharif gelebt. Der Beschwerdeführer kann sich jedoch innerhalb kurzer Zeit Ortskenntnisse aneignen.

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest Juni 2015 durchgehend in Österreich auf (AS 11, AS 13). Er ist in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 und A2 sowie B1 besucht. Der Beschwerdeführer hat Prüfungen auf dem Niveau A1 und A2 abgelegt (OZ 15, S. 10; AS 89; AS 93-105; OZ 7). Der Beschwerdeführer hat an einem Vortrag zum Wertedialog und an einem Workshop zum Thema "Arbeit und Beruf" teilgenommen (AS 91; AS 107).

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung. Er geht keiner Erwerbstätigkeit nach und ist in Österreich am Arbeitsmarkt nicht integriert (OZ 15, S. 10).

Von Juni 2016 bis Oktober 2016 hat der Beschwerdeführer einmal in der Woche in einer Werkgruppe (Gärtnerei) ausgeholfen (AS 109). Der Beschwerdeführer hat auch im August und September 2016 am Bauhof einer Gemeinde ausgeholfen (AS 113; AS 115). Der Beschwerdeführer hat im September 2017, im März 2018, im August 2018, im September 2018, im Dezember 2018 auf geringfügiger Basis in der Gemeinde gearbeitet (OZ 7). Der Beschwerdeführer wird in seiner Unterkunft und seiner Gemeinde sowie von seinen Lehrern wegen seinem ruhigen und freundlichen Umgang sowie wegen seines verlässlichen und hilfsbereiten Verhaltens sehr geschätzt (AS 117; AS 119; AS 123).

Der Beschwerdeführer geht seit November 2015 einmal in der Woche Volleyball spielen (AS 121). Er konnte zu den Mitspielern in der Volleyballgruppe sowie zu seinem Mathematiklehrer freundschaftliche Kontakte knüpfen (OZ 15, S. 12; OZ 11) Der Beschwerdeführer verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig, handwerklich geschickt und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen (OZ 15, S. 10; OZ 11).

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund (OZ 15, S. 12).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage .I).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1 Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals bedroht oder angegriffen. Der Bruder des Beschwerdeführers war nicht in ein Mädchen verliebt. Der Vorfall, wonach der Bruder des Beschwerdeführers mit einem Mädchen weggelaufen sei, hat sich nicht ereignet. Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nicht beschuldigt oder verdächtigt gestohlen zu haben.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlasen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität.

1.2.2. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell physische oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten oder der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.

1.2.3. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer kann in die Provinz Bamian zurückkehren. Diese Provinz ist relativ sicher.

Zudem kann sich der Beschwerdeführer in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen.

Die Wohnraum- und Versorgungslage ist in Mazar-e Sharif und Herat sehr angespannt. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif und Herat kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif und Herat einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer ist zudem anpassungsfähig, handwerklich geschickt und er zeigt eine hohe Lernfähigkeit (OZ 11).

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S. 59).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 64 ff).

Provinz Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt. In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 26.03.2019, S. 84f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die sich überwiegend in der Hauptstadt Kabul ereigneten (LIB 26.03.2019, S. 85).

Bamyan:

Bamyan liegt im Süden des Hindukusch und im Norden des Koh-e-Baba Gebirges. Die Provinz besteht aus sieben Distrikten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 462.144 geschätzt. Bamyan-City gilt als die inoffizielle Hauptstadt der Hazara. Der Großteil der Bevölkerung besteht aus Hazara, gefolgt von Tadschiken, Tataren und Pashtunen. Etwa 96% der Bevölkerung spricht Dari, die restlichen 4% sprechen Paschtu. Mehr als 90% der Bevölkerung fühlt sich dem schiitischen Islam zugehörig (LIB 26.03.2019, S. 106).

In Bamyan existiert ein nationaler Flughafen, der z.B. von der afghanischen Fluglinie Kam Air angeflogen wird. Am 29.8.2016 wurde die Straße Kabul-Bamyan eingeweiht. Das von der italienischen Agentur für Entwicklung finanzierte Straßenprojekt sollte die Verbindungen zwischen Kabul und Bamyan erleichtern und den wirtschaftlichen Aufschwung in der Region unterstützen. Durch die neu errichtete Straße beträgt die Reisezeit von Kabul nach Bamyan zweieinhalb Stunden (LIB 26.03.2019, S. 106f).

Bamyan wird als relativ friedliche Provinz erachtet, die trotz der Armut und Vernachlässigung durch die Zentralregierung als sicherer Hafen betrachtet wird. Mit Stand April 2017 war die Provinz sicher und war offen für den lokalen und internationalen Tourismus, so hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 die Anzahl inländischer und ausländischer Touristen verdoppelt (LIB 26.03.2019, S. 107).

Die Sicherheitslage hat sich in der Provinz verbessert. Sogar Frauen können in Bamyan sicher und alleine in eigens für sie errichtete Cafés gehen, ohne belästigt zu werden. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 10 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 4 zivile Opfer (0 getötete Zivilisten und 4 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Drohungen, Einschüchterungen und Belästigungen, gefolgt von Blindgängern/Landminen und Bodenoffensiven. Dies bedeutet einen Rückgang von 60% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Die meisten sicherheitsrelevanten Vorgänge ereigneten sich im Distrikt Bamyan City. Sicherheitsrelevante Vorfälle traten nur vereinzelt (ein bis zwei) in den Distrikten Panjab, Sayghan und Yakawlang auf, in den übrigen Distrikten überhaupt nicht (LIB 26.03.2019, S. 107f).

Der Zusammenhalt zwischen den Bewohnern ethnisch homogenerer Gesellschaften wie in Panjsher, Bamyan und Daikundi wird als Grund für die geringe Anzahl an Anschlägen betrachtet: Da die Bewohner dieser Provinzen mehrheitlich einer Ethnie zugehören, erlauben diese keine aufständischen Aktivitäten (LIB 26.03.2019, S. 108).

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S.102).

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 26.03.2019, S. 103).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 103).

Dürre:

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2014 (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Beilage ./IV, S. 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Anfragebeantwortung von ACCORD, Beilage ./V, S. 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (Beilage ./IV, S. 11).

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Beilage ./V, S. 2, S. 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Beilage ./V, S. 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Beilage ./V, S. 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Beilage ./V, S. 17ff).

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Beilage ./V, S. 15f).

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Dort leben diese am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (Beilage ./IV, S. 5f). Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen (Beilage ./V, S. 5). Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen (Beilage ./V, S. 7). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt (Beilage ./IV, S. 10; Beilage ./V, S. 2).

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt (Beilage ./IV, S. 8). Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt (Beilage ./V, S. 3; Beilage ./IV, S. 1 und 3). Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung (Beilage ./IV, S. 2).

Die Stadt Mazar-e Sharif selbst ist nicht von den Auswirkungen der Dürre betroffen.

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 26.03.2019, S. 376 ff).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (LIB 26.03.2019, S. 359 f). In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB 26.03.2019, S. 359).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 353).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 26.03.2019, S. 366 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 26.03.2019, S. 367f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 26.03.2019, S. 369f).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 314).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus (LIB 26.03.2019, S. 316f).

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 26.03.2019, S. 317).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert; sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist (LIB 26.03.2019, S. 317).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Hazara in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 26.03.2019, S. 304).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara. Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an (LIB 26.03.2019, S. 307).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB 26.03.2019, S. 307).

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 26.03.2019, S. 308).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Schiiten in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden Beilage ./I bis ./VII (Konvolut ZMR, GVS, Strafregister Beilage ./I; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 26.03.2019, Beilage ./II; Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, Beilage ./III, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan, Lage in Herat- Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre, vom 13.09.2018, Beilage ./IV; Anfragebeantwortung ACCORD, Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018, Beilage ./V; Übersetzung auf Deutsch der EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2018 hinsichtlich Punkt III. [Subsidiärer Schutz] und Punkt V. [innerstaatliche Schutzalternative], Beilage ./VI; Bericht Schweizer Flüchtlingshilfe, Blutrache und Blutfehde vom 07.06.2017, Beilage ./VII) sowie in die mit Stellungnahmen vom 02.04.2019, 27.05.2019 und 28.05.2019 vorgelegten Urkunden (OZ 7; OZ 11; OZ 12 - Sprachnachweise, Unterstützungsschreiben und Bestätigungen über gemeinnützige Arbeit).

Dem Erkenntnis werden die EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2018 sowie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 zugrunde gelegt (OZ 15, S. 17).

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen sowie seine fehlende Schulbildung, seine Berufserfahrung) gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Da der Beschwerdeführer bereits in der Erstbefragung angab, dass beide seiner Eltern verstorben seien, wurde dies auch den Feststellungen zugrunde gelegt. Da jedoch die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen nicht glaubhaft sind (siehe Punkt II.2.2.), ist für das Gericht nicht glaubhaft, dass der Bruder des Beschwerdeführers in Afghanistan verstorben sei bzw. getötet worden sei. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass der Bruder des Beschwerdeführers verstorben ist.

Dass der Beschwerdeführer mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut ist, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, er hat dort mehrere Jahre als Hilfsarbeiter gearbeitet.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (OZ 15, S. 9f) sowie auf die von ihm vorgelegten Unterlagen (OZ 7, OZ 11, OZ 12).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (OZ 15, S. 12) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

Dass der Beschwerdeführer grundsätzlich anpassungsfähig ist, ergibt sich daraus, dass er in Österreich einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgeht und er sich in Österreich an sich zurechtfindet. Der Beschwerdeführer hat es bereits geschafft sich im Iran zwei Jahre lang Unterkunft, Verpflegung und eine Arbeit zu suchen. Zudem wird der Beschwerdeführer von seinen Lehrern und von der Gemeinde als sehr engagiert, lernfähig und handwerklich geschickt beschrieben (OZ 11). Es sind im Verfahren zudem keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen.

Dass der Beschwerdeführer grundsätzlich arbeitsfähig ist, ergibt sich daraus, dass er selber angab, einer Arbeit nachgehen zu wollen und im Verfahren keine Umstände hervorgekommen sind, die gegen eine Arbeitsfähigkeit sprechen. Der Beschwerdeführer ist bereits in Afghanistan und im Iran mehrere Jahre lang einer Arbeit nachgegangen

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug vom 03.06.2019, Beilage ./I).

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, ihm drohe Lebensgefahr durch die Familie eines Mädchens, weil sein Bruder mit diesem Mädchen geflohen sei, kommt seinem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

Zunächst ist festzuhalten, dass das Gericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks über den Beschwerdeführer davon ausgeht, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Beschwerdeführer wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, sein Vorbringen umfassend, konkret und detailliert zu gestalten. Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht geworden. Der Beschwerdeführer präsentierte sowohl beim Bundesamt als auch vor Gericht eine bloße Rahmengeschichte, die er selbst auf mehrfaches Nachfragen kaum mit Details ergänzen konnte. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass der Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität. Die erzählte Geschichte erweckte für das Gericht daher den Eindruck, dass es sich lediglich um eine auswendig gelernte konstruierte Geschichte handelt.

2.2.2. Zudem sind in den Angaben des Beschwerdeführers einige Unplausibilitäten und Widersprüche enthalten, die seine Angaben zu seinen Fluchtgründen gänzlich unglaubhaft scheinen lassen.

Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass ihm von den Eltern des Mädchens aufgetragen worden sei auf das Mädchen (zwei Tage lang) aufzupassen, während der Vater des Mädchens die Mutter des Mädchens ins Spital bringen würde (AS 81). Der Beschwerdeführer gab jedoch beim Bundesamt auch an, dass er und sein Bruder von den Dorfbewohnern gemieden worden sei, da die Dorfbewohner Angst vor ihm und seinem Bruder gehabt haben, da der Vater des Beschwerdeführers drogensüchtig gewesen sei, sei auch dem Beschwerdeführer und seinem Bruder unterstellt worden drogensüchtig zu sein (AS 84). Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung auch an, dass sein Bruder das Mädchen nicht habe heiraten dürfen, da sein Vater drogensüchtig gewesen sei und man gedacht habe, dass auch die Kinder drogensüchtig seien - sohin sowohl der Beschwerdeführer als auch dessen Bruder (OZ 15, S. 15). Es ist nicht plausibel, dass die Familie des Mädchens einen Hilfsarbeiter beschäftigen sollte, wenn der Verdacht besteht, dass dieser drogensüchtig sei. Zudem ist nicht nachvollziehbar, dass die Familie des Mädchens einem vermeintlich drogensüchtigen Jungen ihr Haus sowie die (einzige) unverheiratete Tochter anvertrauen sollte. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft.

2.2.3. Zudem ist nicht plausibel, dass ein Nachbar den Beschwerdeführer ein Versteck anbieten solle, wenn der Beschwerdeführer im Dorf gemieden wäre und der Beschwerdeführer zudem im Verdacht steht, dass er dem Mädchen eines angesehenen und mächtigen Dorfbewohners zur "Zina" verholfen habe. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in dieser Situation, noch dazu mit seiner gesellschaftlichen Stellung, Hilfe von Nachbarn bekommen sollte. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind nicht glaubhaft.

2.2.4. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer sich die Kosten für die Ausreise in Höhe von 400.000 Afghani habe leisten können (OZ 15, S. 16). Der Beschwerdeführer gab an, dass er im Alter von 12 Jahren angefangen habe zu arbeiten, und sein Bruder zu diesem Zeitpunkt aufgehört habe zu arbeiten, damit dieser Bruder dann zur Schule hat gehen können (OZ 15, S. 15). Der Beschwerdeführer habe im Jahr 30.000 Afghani verdient, er habe sich in Afghanistan Ersparnisse in Höhe von 130.000 Afghani erwirtschaften können (OZ 15, S. 16). Die Summe von 130.000 Afghani entspricht mehr als vier vollen Jahresgehältern, wobei der Beschwerdeführer zudem von seinem Einkommen sich selbst und seinen Bruder habe erhalten müssen. Wenn man berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer im Alter von 12 Jahren (OZ 15, S. 8), sohin im Jahr 2009 zu arbeiten angefangen haben soll und der Beschwerdeführer 2013 aus Afghanistan ausgereist sei, müsste der Beschwerdeführer in Afghanistan ca. 5 Jahre lang erwerbstätig gewesen sei. Das Einkommen über 5 Jahre in Höhe von insgesamt ca. 150.000 Afghani (5 x 30.000 Afghani) reicht jedoch wohl nicht aus, um sowohl den Beschwerdeführer als auch dessen Bruder 5 Jahre zu erhalten und Ersparnisse in Höhe von 130.000 Afghani zu erwirtschaften. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer alleine nicht in der Lage gewesen sein kann, sich die Ausreisekosten selber zu finanzieren, sondern der Beschwerdeführer von seinem familiären Netzwerk in Afghanistan die Ausreise finanziert bekam. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer noch familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan in seiner Heimatprovinz hat, zu denen er auch noch Kontakt hat. Zudem ist den Länderberichten zu entnehmen, dass nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihren Familien in Afghanistan verlieren. Die Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihren nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa geht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, dass sie keine lebenden Verwandten mehr haben bzw. keinen Kontakt mehr zu diesen haben. Der Faktor der geografischen Nähe verliert durch technologische Entwicklungen an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile universell geworden, digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten (Beilage ./II, S. 370f). Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer über ein familiäres Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan verfügt, dass er im Asylverfahren zu verschleiern versucht.

2.2.5. Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Bruder eine Frau gegen den Willen der Familie dieser Frau geheiratet habe (AS 21). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer jedoch an, dass er nicht wisse, was sein Bruder und das Mädchen gemacht haben, nachdem diese das Haus verlassen haben (OZ 15, S. 15). Ein Nachbar habe erfahren, dass der Bruder des Beschwerdeführers getötet und dessen Leiche in einen Fluss geworfen worden sei (OZ 15, S. 13). Es ist für das Gericht daher nicht nachvollziehbar, woher der Beschwerdeführer wissen möchte, dass sein Bruder und das Mädchen tatsächlich geheiratet haben. Die Angaben des Beschwerdeführers machen keinen stringenten, nachvollziehbaren Eindruck. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind nicht glaubhaft.

2.2.6. Aber auch von der zeitlichen Komponente betrachtet, sind die Angaben des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer gab an, dass er im Alter von 12 Jahren (ca. 2009) zu arbeiten angefangen habe, sein Bruder habe daraufhin von der ersten bis zur siebten Klasse die Schule in Afghanistan besucht, sein Bruder sei sieben Jahre lang zur Schule gegangen (OZ 15, S. 15). Sohin hätte sein Bruder im Jahr 2016 die 7. Klasse besuchen müssen. Nach den Angaben des Beschwerdeführers sei sein Bruder jedoch kurz vor seiner Ausreise aus Afghanistan im Frühjahr 2013 (1392 nach dem afghanischen Kalender) getötet worden. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Beschwerdeführer keine Schule in Afghanistan besucht hat. Der Tod des Bruders müsste jedoch in Erinnerung bleiben, da dies wohl sehr einprägsam sei, ebenso müsste in Erinnerung bleiben wie lange man den eigenen, älteren Bruder finanzielle erhalten habe. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft.

2.2.7. Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass die Brüder des Mädchens weggelaufen seien, nachdem er zu schreien angefangen habe (AS 81). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer jedoch an, dass die Brüder des Mädchens weggelaufen seien, als die Nachbarn gekommen seien (OZ 15, S. 13). Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen machen einen inkonsistenten Eindruck.

2.2.8. Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass sein Bruder mit dem Mädchen weggegangen sei. Das Mädchen habe zum Beschwerdeführer gesagt, dass er aufpassen soll, wenn ihre Familie das bemerken würde, würde sie große Schwierigkeiten bekommen (AS 81). Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass das Mädchen zu ihm gesagt habe: "Du musst auf dich aufpassen. Wenn meine Familie erfährt, dass ich mit deinem Bruder weggegangen bin, dann bekommst du Probleme." (OZ 15, S. 13) Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer einmal angibt, dass das Mädchen Schwierigkeiten bekommt und er einmal angibt, dass er Schwierigkeiten bekommt. Zudem ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer noch zwei Tage im Haus der Familie des Mädchens bleiben sollte, wenn das Mädchen und der Bruder - entgegen der Zusage des Bruders am selben Abend wieder zu kommen - nicht mehr am selben Abend wiedergekommen sind. Es wäre eher davon auszugehen, dass der Bruder den Beschwerdeführer in seinen Plan mit dem Mädchen davonzulaufen einweihen würde und diesen nicht im Haus der Familie des Mädchens zurücklassen würde. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft.

2.2.9. Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt an, dass er bei der Familie des Mädchens gearbeitet habe, nach 5 Monaten sei es zu dem Vorfall gekommen, bei dem das Mädchen mit dem Bruder davongelaufen sei (AS 81). Es wäre daher nach diesen Schilderungen davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer ca. 5 Monate bei der Familie gearbeitet habe. In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer jedoch an, dass er ca. ein Jahr lang bei der Familie gearbeitet habe, der Vorfall sei ca. fünf Monate später eingetreten (OZ 15, S. 13). Es passen daher auch hier die Angaben des Beschwerdeführers zeitlich nicht zusammen.

2.2.10. Aufgrund der insgesamt nicht glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers konnte auch nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität drohen würde.

2.2.11. Auch darüber hinaus vermochte der Beschwerdeführer eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung aufgrund seiner Eigenschaft als Hazara und Schiit nicht aufzuzeigen:

Der Beschwerdeführer brachte weder bei der Erstbefragung noch bei den Einvernahmen vor dem Bundesamt oder in der mündlichen Verhandlung vor, dass er in Afghanistan Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gehabt habe. Er gab beim Bundesamt an, dass er wegen seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit keine persönlichen Probleme gehabt habe (AS 80). Lediglich in der Beschwerde führte der Beschwerdeführer aus, dass ihm eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara in Afghanistan drohe.

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde hinsichtlich der allgemeinen Gefährdungslage der Hazara in Afghanistan lässt sich keine individuell konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung ableiten.

Hinsichtlich einer behaupteten Gruppenverfolgung der Hazara und Schiiten in Afghanistan wird auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen.

2.2.12. Es besteht beim Beschwerdeführer auch nicht die Gefahr aufgrund seines langjährigen Auslandsaufenthaltes als "verwestlicht" angesehen zu werden, es ist nicht ersichtlich wodurch sich sein "westlicher Lebensstil" äußern würde. Aufgrund der Kürze seines Aufenthalts ist in Zusammenhang mit dem von ihm in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade der Beschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er auf Grund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Es ist weder den Angaben des Beschwerdeführers noch den beigezogenen Länderberichten zu entnehmen, dass Rückkehrer aus Europa in besondere Form von Gewalt und Bedrohung betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Rückkehrern aus Europa nicht festgestellt werden konnte.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat und zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdefü

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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