TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/12 W210 2194554-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2019
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Entscheidungsdatum

12.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W210 2194554-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anke SEMBACHER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.04.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.02.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 27.04.2016 (damals als Minderjähriger) gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 28.04.2016 von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi zu seiner Identität, seiner Reiseroute, seinem Fluchtgrund und einer allfälligen Rückkehrgefährdung befragt. Befragt nach seinem Fluchtgrund gab er an, dass sein Vater als Lockführer für die NATO gearbeitet habe. Die Taliban hätten seinem Vater aufgefordert seinen Beruf aufzugeben, sonst würden sie ihn umbringen. Kurz darauf sei sein Motorrad in Brand gesteckt worden, seitdem sei er auch verschwunden. Der BF habe sich mit einem seiner Brüder auf den Weg gemacht, habe diesen aber im Iran aus den Augen verloren. Die Taliban hätten ihre Wohnung gestürmt und einen seiner Brüder mitgenommen. Kurz darauf hätten sie gehört, dass dieser getötet worden sei.

3. Aufgrund seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) gehegter Zweifel an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde ein Sachverständigengutachten, datierend auf den 18.07.2016, zur Bestimmung des Knochenalters des Beschwerdeführers eingeholt. Dieses ergab - unter Zugrundelegung des höchstmöglichen Mindestalters des Beschwerdeführers - als "fiktives" Geburtsdatum des Beschwerdeführers den XXXX , welches mit dem behaupteten Geburtsdatum dem XXXX vereinbar ist. Somit wurde die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt. Das Ergebnis dieses Gutachtens wurde dem weiteren verwaltungsbehördlichen Verfahren zu Grunde gelegt.

4. Am 06.04.2017 wurde der (damals minderjährige) Beschwerdeführer vor dem BFA im Beisein seines gesetzlichen Vertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und allfälligen Rückkehrbefürchtungen einvernommen. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass sein Vater mit einem Tankwagen über eine Vermittlungsfirma für die Regierung und die NATO Treibstoff transportiert habe. Sein Vater habe eines Tages einen Drohbrief von den Taliban erhalten, in dem er aufgefordert worden sei, seine Arbeit einzustellen. Sein Vater habe dieser Aufforderung nicht Folge geleistet und sein Fahrzeug sei auf der Strecke zwischen Kunduz und Baghlan angegriffen worden. Seitdem sei sein Vater verschollen. Außerdem habe sein ältester Bruder für eine Firma als Englischdolmetscher gearbeitet. Als die Taliban Kunduz erobert hätten, hätten sie den ältesten Bruder des BF von zu Hause mitgenommen und getötet. Der BF und sein jüngerer Bruder, die zu diesem Zeitpunkt beide bei einer Tante gewesen seien, seien auf Anraten ihrer Mutter von Kabul aus in den Iran geflüchtet.

Dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers wurden aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan übergeben.

5. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

6. Gegen diesen Bescheid erhob der (damals minderjährige) Beschwerdeführer, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter, vollumfängliche Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger Tatsachenfeststellung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und unrichtiger Beweiswürdigung. Das BFA legte die Beschwerde und den Akt des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und verzichtete unter einem auf die Teilnahme an einer Beschwerdeverhandlung.

7. Am 26.02.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des (damals minderjährigen) Beschwerdeführers, seiner gesetzlichen Vertretung und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Das Verhandlungsprotokoll vom 26.02.2019 wurde dem BFA übermittelt.

8. Dem (mittlerweile volljährigen) Beschwerdeführer wurde eine Aktualisierung des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation zu Afghanistan bis einschließlich 04.06.2019 sowie die EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan aus Juni 2019 mit der Möglichkeit zur Stellungnahme übermittelt.

9. Am 31.07.2019 wurden Unterlagen zur Integration des Beschwerdeführers nachgereicht und es erfolgte eine Stellungnahme zu den übermittelten Länderberichten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA und den hiergerichtlichen Akt betreffend den Beschwerdeführer; insbesondere in die Befragungsprotokolle und in die durch das BFA in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.02.2019 und Einholung neuer Länderberichte, so das Länderinformationsblatt zu Afghanistan mit Stand: 04.06.2019, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, das Dossier der Staatendokumentation zu Clan- und Stammesstrukturen 2016, den EASO-Bericht zu Netzwerken Jänner 2018, den ACCORD-Bericht vom 07.12.2018 zur Lage in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, die EASO-Country-Guidance-Notes aus Juni 2018 und Juni 2019 sowie durch Berücksichtigung der in der Beschwerde und der Stellungnahme vom 31.07.2019 zitierten Berichte und Judikate:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, seinem Leben in Afghanistan und in Österreich und seinen Fluchtgründen:

Der (im Entscheidungszeitpunkt) volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und der Volksgruppe der Paschtunen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Paschtu und mittlerweile Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Kunduz, im XXXX geboren. Er ist dort im Verband seiner afghanischen Familie - das sind seine Eltern, seine drei Schwestern und drei Brüder - aufgewachsen. Er lebte an keinem anderen Ort in Afghanistan. Der Beschwerdeführer besuchte in Kunduz sieben Jahre die Grundschule und die Mittelschule. Er hat weder eine Berufsausbildung noch Berufserfahrung.

In Afghanistan, Kunduz, leben jedenfalls noch die Mutter, die drei Schwestern, der jüngste Bruder, sieben Onkel und zwei Tanten väterlicherseits sowie ein Onkel und drei Tanten mütterlicherseits des Beschwerdeführers. Seine Kernfamilie wird von einem seiner Onkel mütterlicherseits unterstützt. Dass die Onkel väterlicherseits seine Kernfamilie nicht unterstützen wollen, kann hingegen nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat zwei- bis dreimal im Monat Kontakt zu seiner Kernfamilie in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan im Herbst 2015 und reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 27.04.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seither hielt er sich durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer bezieht in Österreich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er besuchte einen Werte- und Orientierungskurs und Deutschkurse und erlangte Sprachzertifikate bis zum Niveau B1. Er konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung einige Fragen auf Deutsch beantworten. Er hat die Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch am 28.06.2019 abgeschlossen. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Fußball und geht spazieren. Er legte ein Empfehlungsschreiben vor, welches ein positives Bild vom Charakter des Beschwerdeführers zeichnet.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten oder Familienangehörige.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohenden Krankheit, nimmt keine Medikamente und benötigt keine medizinische Behandlung.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Dem Beschwerdeführer droht keine gegen ihn gerichtete Bedrohung oder Verfolgung, sei es durch staatliche Organe oder durch Private, aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) in Afghanistan.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - Afghanistan:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 04.06.2019 - LIB 04.06.2019, S. 22). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 04.06.2019, S. 65).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 04.06.2019, S. 65). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 04.06.2019, S. 66).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 1.773 zivile Opfer, darunter 582 Kinder. Dies entspricht einem Rückgang der Opferzahl gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres um 23%. Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus (LIB 04.06.2019, S. 13).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 04.06.2019, S. 68). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 04.06.2019, S. 22).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 04.06.2019, S.76).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 04.06.2019, S. 69). Ende Mai 2019 und in der ersten Juni-Woche 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen statt (LIB 04.06.2019, S. 14 f.).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 04.06.2019, S. 69). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 04.06.2019, S. 70-72).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 04.06.2019, S. 351).

Zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers - Kunduz:

Kunduz liegt 337 km nördlich von Kabul und grenzt an die Provinzen Takhar im Osten, Baghlan im Süden, Balkh im Westen und Tadschikistan im Norden. Die Provinz hat folgende Distrikte: Imam Sahib/Emamsaheb, Dasht-e-Archi, Qala-e-Zal, Chahar Dara/Chardarah, Ali Abad/Aliabad, Khan Abad/Khanabad und Kunduz; die Hauptstadt ist Kunduz-Stadt. Vor zwei Jahren wurden in der Provinz drei neue Distrikte gegründet:

Atqash, Gultapa, Gulbad. Die Provinzhauptstadt Kunduz-Stadt ist etwa 250 km von Kabul entfernt (LIB 04.06.2019, S. 176).

Als strategischer Korridor wird Kunduz als bedeutende Provinz in Nordafghanistan erachtet - Sher Khan Bandar, die Hafenstadt am Fluss Pandsch, an der Grenze zu Tadschikistan, ist beispielsweise von militärischer und wirtschaftlicher Bedeutung (LIB 04.06.2019, S. 177).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.049.249 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara und Paschai (LIB 04.06.2019, S. 177).

Strategisch wichtig ist die Stadt Kunduz nicht nur für Afghanistan, denn Kunduz war bis zum Einmarsch der US-Amerikaner im Jahr 2001 die letzte Hochburg der Taliban. Wer die Stadt kontrolliert, dem steht der Weg nach Nordafghanistan offen. Kunduz liegt an einer wichtigen Straße, die Kabul mit den angrenzenden nördlichen Provinzen verbindet. Kunduz-Stadt ist eine der größten Städte Afghanistans und war lange Zeit ein strategisch wichtiges Transportzentrum für den Norden des Landes. Kunduz ist durch eine Autobahn mit Kabul im Süden, Mazar-e Sharif im Westen, sowie Tadschikistan im Norden verbunden. Die Regierung plant u.a. die Turkmenistan-Afghanistan-Tadschikistan-Eisenbahnlinie, die Andkhoy, Sheberghan, Mazar-e- Sharif, Kunduz und Sher Khan Bandar verbinden und als Anbindung an China über Tadschikistan dienen soll (LIB 04.06.2019, S. 177).

Um Ordnung und Normalität in die Stadt Kunduz zu bringen, hat die Kommunalverwaltung im Februar 2018 eine Massenaufräum-Aktion gestartet. Ebenso wurden weitere Projekte implementiert: im Rahmen dieser werden Landstraßen und Wege gewartet, vier neue Parks errichtet - die insbesondere von Frauen und Kindern genutzt werden sollen, etc. Diese Projekte führten zusätzlich zur Schaffung von 550 Jobs - auch für Frauen. Das Erscheinungsbild der Stadt hat sich u.a. aufgrund der Errichtung von Straßenbeleuchtung verbessert (LIB 04.06.2019, S. 177).

In Kunduz gibt es zahlreiche Unternehmen, die verschiedene Produkte wie Fruchtsäfte, Klopapier, Taschentücher und Sojabohnen produzieren. Die Sicherheitslage hatte mit Stand März 2017 jedoch negative Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum in der Provinz. In der Provinz wird ein Projekt im Wert von 9.5 Mio. USD für den Ausbau der ANA Infrastruktur (Infrastruktur der Afghan National Army) implementiert. Kunduz gehörte im November 2017 zu den Opium-freien Provinzen Afghanistans (LIB 04.06.2019, S. 177).

Kunduz zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans, in der Aufständische aktiv sind. In den Jahren 2015 und 2016 fiel Kunduz-Stadt jeweils einmal an Taliban-Aufständische; die Stadt konnte in beiden Fällen von den afghanischen Streitkräften zurückerobert werden. Das deutsche Militär hat einen großen Stützpunkt in der Provinz Kunduz. Während des Jahres 2017 sank die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven u.a. in der Provinz Kunduz; ein Grund dafür war ein Rückgang von Militäroffensiven in von Zivilist/innen bewohnten Zentren durch die Konfliktparteien. Im Februar 2018 berichteten einige Quellen, die Sicherheitslage in der Provinzhauptstadt Kunduz hätte sich sehr verbessert; den Einwohnern in Kunduz-Stadt sei es aufgrund der Beleuchtung zahlreicher Straßen möglich, auch nachts in der Stadt zu bleiben (LIB 04.06.2019, S. 178).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 225 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 377 zivile Opfer (93 getötete Zivilisten und 284 Verletzte) in der Provinz Kunduz registriert. Hauptursache waren Bodenangriffe, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 41% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Aufgrund von Terrorbekämpfungsoperationen in der Provinz sind zahlreiche Familien nach Kunduz-Stadt vertrieben worden (LIB 04.06.2019, S. 179).

Nach dem US-amerikanischen Luftangriff auf das Médecins Sans Frontières (MSF)-Krankenhaus im Jahr 2015 wurde im Juli 2017 wieder eine Klinik von MSF in Kunduz-Stadt eröffnet (LIB 04.06.2019, S. 179).

Kunduz zählt - neben den Provinzen Uruzgan und Helmand - mit Stand Jänner 2018 zu den drei Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen (LIB 04.06.2019, S. 23 und 76). In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden regelmäßig Luftangriffe durchgeführt; dabei werden Aufständische - u.a. tadschikische Kämpfer - und manchmal auch Talibankommandanten getötet. Manchmal werden Talibankämpfer verhaftet. In der Provinz kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (LIB 04.06.2019, S. 179).

Talibankämpfer, insbesondere Mitglieder der "Red Unit", einer Taliban-Einheit, die in zunehmendem Ausmaß Regierungsstützpunkte angreift, sind in der Provinz Kunduz aktiv. Einige Distrikte, wie Atqash, Gultapa und Gulbad, sind unter Kontrolle der Taliban. Auch in Teilen der Distrikte Dasht-e-Archi und Chardarah sind Talibankämpfer zum Berichtszeitpunkt aktiv. Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz-Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (LIB 04.06.2019, S. 179).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden IS-bezogene Sicherheitsvorfälle registriert, während zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 keine sicherheitsrelevanten Ereignisse mit Bezug auf den IS gemeldet wurden (LIB 04.06.2019, S. 179).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 04.06.2019, S. 108 f.). Mazar-e Sharif ist auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 04.06.2019, S. 263). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 04.06.2019, S. 109, 266). Der Flughafen befindet sich 9 km östlich der Stadt (EASO Country Guidance 2019, Seite 130).

Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 04.06.2019, S. 109 f.). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 04.06.2019, S. 42).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (LIB 04.06.2019, S. 110). Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert; im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 04.06.2019, S. 111).

In der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist die Gefahr, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, gering (EASO Country Guidance 2019, S. 29 und 92).

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 04.06.2019, S. 145). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (LIB 04.06.2019, S. 145, 266), wobei Herat-Stadt im Allgemeinen ohne ernsthaftes Risiko erreichbar ist (EASO Country Guidance 2019, S. 34).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken sowie tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 04.06.2019, S. 145). Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 04.06.2019, S. 145)

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 04.06.2019, S. 146). Es gibt interne Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 04.06.2019, S. 148).

In der Provinzhauptstadt Herat-Stadt ist die Gefahr, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, gering (EASO Country Guidance 2019, S. 29 und 100). Nach zehnjährigen Entminungstätigkeiten werden 14 der 16 Distrikte Herats seit Februar 2018 nun von der Entminungsorganisation Halo Trust als sicher einstuft. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein (LIB 04.06.2019, S. 146).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 04.06.2019, S. 146 f.).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 04.06.2019, S. 147). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 04.06.2019, S. 22).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.03.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 04.06.2019, S. 18).

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 04.06.2019, S. 357 f.). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 04.06.2019, S. 358, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Medizinische Versorgung:

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten. In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die Kosten von Diagnose und Behandlung in privat geführten Krankenhäusern und Kliniken variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden (LIB 04.06.2019, S. 362).

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden, zur Verfügung gestellt. In den Städten besteht ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken (LIB 04.06.2019, S. 363 f.).

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden (LIB 04.06.2019, S. 365).

In Mazar-e Sharif existieren ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (LIB 04.06.2019, S. 364 f.).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 04.06.2019, S. 371).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 04.06.2019, S. 372 f.)

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (LIB 04.06.2019, S. 373 f.). Da nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM nutzten bietet IOM gewährt IOM seit April 2019 keine temporäre Unterkunft mehr, sondern unterstützt zwangsrückgeführte Afghanen durch Barzuwendung in Höhe von ca. 150 Euro sowie durch Informationen über Unterkunftsmöglichkeiten (LIB 04.06.2019, S. 16). Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 04.06.2019, S. 374).

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 04.06.2019, S. 374 f.).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 04.06.2019, S. 375 f.).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 04.06.2019, S. 376).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 04.06.2019, S. 376).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 04.06.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 04.06.2019, S. 319 f.).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 04.06.2019, S. 320).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (04.06.2019, S. 320).

Religionsfreiheit:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten und 10-15% Schiiten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 04.06.2019, S. 309 f.).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan, im Iran und in Österreich:

Der im Spruch angeführte Name des Beschwerdeführers dient mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsnachweises lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei. Bei dem in der Einvernahme vor der belangten Behörde als Tazkira des Beschwerdeführers vorgelegten Dokument wurde vom BFA eine Prüfung auf Echtheit veranlasst. In der Beurteilung des Untersuchungsberichts des Bundeskriminalamts wird ausgeführt, dass es sich beim vorgelegten Formularvordruck, um eine Reproduktion im Tintenstrahldruck handelt, der Reproduktionsspuren aufweist, weshalb das Formular aus urkundentechnischer Sicht als Totalfälschung zu werten wäre. Inwieweit die Ausstellung von kopierten Dokumenten in Afghanistan gängig oder zulässig sei, könne aber vom Bundeskriminalamt nicht beurteilt werden (BFA-Akt, AS 228 ff.).

Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Vereinbarkeit seiner Angaben mit dem vom BFA in Auftrag gegeben Sachverständigengutachten (BFA-Akt, AS 21 ff.).

Die übrigen Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, sohin zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Heimatprovinz, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache und seinen sonstigen Sprachkenntnissen gründen auf den gleichlautenden und daher glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 3 und AS 151 ff.; BVwG-Akt, OZ 13, S. 4 ff.).

Die Feststellungen zur Schulbildung und (fehlenden) Berufsausbildung sowie Berufserfahrung des Beschwerdeführers in Afghanistan basieren auf dessen konsistenten Angaben im Verfahren (BFA-Akt, AS 3 und 151 f.; BVwG-Akt, OZ 13, S. 6).

Dass der Beschwerdeführer - abgesehen von seiner Herkunftsprovinz Kunduz - sonst an keinem anderen Ort Afghanistans aufhältig war, ergibt sich aus den diesbezüglich stringenten Aussage des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 155, BVwG-Akt, OZ 13, S. 7).

Die Feststellung, dass im Heimatort des Beschwerdeführers jedenfalls noch seine Mutter, seine drei Schwestern, sein jüngster Bruder, seine sieben Onkel und zwei Tanten väterlicherseits sowie ein Onkel und drei Tanten mütterlicherseits leben, entspringt den diesbezüglich gleichlautenden Aussagen des Beschwerdeführers im Verfahren (BFA-Akt, AS 155; BVwG-Akt, OZ 13, S. 8). Dass einer seiner Onkel mütterlicherseits seine Kernfamilie unterstützt, beruht auf seinen konsistenten Angaben vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht (BFA-Akt, AS 153, BVwG-Akt, OZ 13, S. 9).

Anders verhält es sich mit der Aussage des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, wonach seine Onkel väterlicherseits seine Familie nicht unterstützen wollen und die Gebräuche, dass man von der väterlichen Familie unterstützt werde, veraltete seien (BVwG-Akt, OZ 13, S. 9). Dies ist aus den folgenden Gründen nicht glaubwürdig: Der Beschwerdeführer gab nämlich in der Beschwerdeverhandlung an, dass der Cousin seines Vaters väterlicherseits seine Ausreise aus Afghanistan finanziert habe und ihm Dokumente übermittle (BVwG-Akt, OZ 13, S. 5, 9 und 18). Angesichts dieses Verhaltens ist nicht glaubwürdig, dass seine Onkel väterlicherseits seine Familie nicht unterstützen wollen. Dieses Vorbringen deckt sich auch nicht mit den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten. So geht aus dem EASO-Bericht aus Jänner 2018 zu Netzwerken in Afghanistan bzw. unter Afghanen etwa hervor, dass die Großfamilie die zentrale Säule der afghanischen Gesellschaft und zugleich das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen darstellt. Solidarität und gegenseitige Abhängigkeit in den Großfamilien sind sehr stark ausgeprägt (vgl. S. 12 und 14). Dass die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der patrilinear geprägten Gesellschaftsstruktur von seinen Onkeln väterlicherseits nicht unterstützt werden überzeugt nicht. Vielmehr führt EASO aus, dass es unmöglich ist, Menschen aus dem engsten Umfeld zurückzuweisen, es sei denn, es besteht ein schwerwiegender Konflikt innerhalb der Familie. Derartiges wurde weder behauptet noch belegt.

Die Feststellung zum (ungefähren) Ausreisezeitpunkt des Beschwerdeführers aus Afghanistan ergibt sich aus dem Einreisedatum des Beschwerdeführers in Österreich in Zusammenschau mit der vom Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung angegebenen Aufenthaltsdauer in anderen Ländern seit seiner Ausreise aus Afghanistan (BFA-Akt, AS 9).

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich und zu dessen Deutschkenntnissen gründen auf den (auf Deutsch gemachten) Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 13, S. 6 und 11) und den im Verfahren vorgelegten Integrationsunterlagen (BVwG-Akt, OZ 7 8 und 17, Beilagen ./1 und 2). Dass der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung bezieht und nicht erwerbstätig ist, ergibt sich zudem aus den eigeholten Speicherauszügen der GVS-Datenbank.

Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer in Österreich Verwandte oder Familienangehörige hat, ergaben sich nicht.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen auf dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung (BVwG-Akt, OZ 13, S. 3).

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft.

2.2. Zu den Feststellungen hinsichtlich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers:

Voranzustellen ist, dass es Aufgabe des Asylwerbers ist, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650; vgl. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2004/83/EG - StatusRL, ABl. L Nr. 304, 12, sowie Putzer, Leitfaden Asylrecht2, [2011], Rz 31). Kann ein Beschwerdeführer sein Vorbringen nicht durch Bescheinigungsmittel untermauern, ist es umso wichtiger, sein Vorbringen gleichbleibend, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen jedenfalls für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007). Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer zunächst in seiner Erstbefragung und sodann in einer ausführlichen Einvernahme vor dem BFA Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen. Aus dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA geht hervor, dass die belangte Behörde Rückfragen tätigte und dem Beschwerdeführer Gelegenheit gab, sein Vorbringen zu konkretisieren. Die erkennende Richterin konnte zudem im Zuge der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen und sich von der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens ein eigenes Bild machen. Der Beschwerdeführer hatte somit ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel und geeignete Nachweise zur Untermauerung seines Vorbringens vorzulegen. Er wurde mehrmals zur umfassenden und detaillierten Schilderung seiner Fluchtgründe aufgefordert sowie über die Folgen unrichtiger Angaben belehrt.

Die erkennende Richterin berücksichtigt zudem, dass der Beschwerdeführer gemäß dem Ergebnis der Altersfeststellung im Zeitpunkt seines Antrags auf internationalen Schutz, seiner Erstbefragung und seiner Einvernahme vor dem BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht (mündiger) Minderjähriger war. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen bedarf es einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen (vgl. etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200 und 14.12.2006, 2006/01/0362). Die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden (vgl. dazu auch die UNHCR-Richtlinien zum Internationalen Schutz Nr. 8 - Asylanträge von Kindern vom 22.12.2009, Rz 4). Im Entscheidungszeitpunkt war der Beschwerdeführer jedoch bereits volljährig.

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist unter diesen Gesichtspunkten zu würdigen und ist hierzu Folgendes auszuführen:

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist im gesamten Verfahren auf eine behauptete Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Taliban gerichtet. Sein Vater habe aufgrund dessen angeblicher Arbeit als Treibstofftransporteur für die Regierung und die NATO von den Taliban einen Drohbrief erhalten, in dem er aufgefordert worden sei, seine Arbeitstätigkeit zu beenden. Etwa eineinhalb Monate später sei das Transportfahrzeug seines Vaters von den Taliban angegriffen worden und seither sei dieser verschollen. Bei dem Angriff der Taliban auf die Stadt Kunduz sei auch der älteste Bruder des Beschwerdeführers getötet worden, weil dieser als Englischdolmetscher tätig gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe dann gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Afghanistan verlassen. Dem Beschwerdeführer drohe nun auch eine Verfolgung durch die Taliban.

Auch wenn der Beschwerdeführer den Kern seines Fluchtvorbringens sowohl im verwaltungsbehördlichen Verfahren als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht dem Grunde nach konsistent erstattet hat, ist es ihm dennoch nicht gelungen, eine nachvollziehbare und plausible Sachverhaltsdarstellung zu erstatten:

Die Angaben des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem von ihm vorgelegten Drohbrief der Taliban und den Anzeigebestätigungen sind widersprüchlich und unplausibel. So konnte der Beschwerdeführer den Drohbrief nicht im Original vorlegen. Er begründete dies vor dem Bundesverwaltungsgericht damit, dass das Original in Afghanistan sei und er dieses zum Zeitpunkt der Flucht nicht mitnehmen habe können. Erst über Vorhalt, dass er sich seine Tazkira im Original schicken habe lassen, erklärte der Beschwerdeführer, das Original des Drohbriefes sei zwecks Ermittlungen bei der Polizei in Kunduz (BVwG-Akt, OZ 13, S. 15 f.). Bezüglich des Inhalts des Drohbriefes waren die Ausführungen des BF ebenfalls nicht miteinander vereinbar. Vor dem BFA gab er an, dass in dem Drohbrief gestanden sei, sein Vater müsse seine Arbeit aufgeben, sonst würden sie ihn und seine Söhne töten (BFA-Akt, AS 161). Vor dem Bundesverwaltungsgericht erklärte er dann, dass nicht nur sein Vater aufgrund dessen Arbeitstätigkeit als Ungläubiger bezeichnet worden sei, sondern auch sein Bruder, der für dieselbe Firma als Dolmetscher tätig gewesen sei, als solcher bezeichnet worden sei (BVwG-Akt, OZ 13, S. 14). In dem vorgelegten Drohbrief wird allerdings ausschließlich auf die Arbeitstätigkeit seines Vaters für Ausländer Bezug genommen, eine Arbeitstätigkeit seines Bruders wird nicht erwähnt (BFA-Akt, AS 195). Dass der Beschwerdeführer nicht mehr wisse, was in dem Drohbrief stehe (BVwG-Akt, OZ 13, S. 15) ist vor dem Hintergrund, dass er vor der belangten Behörde erzählte, er habe den Drohbrief in Österreich selbst gelesen (BFA-Akt, AS 163), nicht verständlich. Es wird hierbei nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem BFA und der Beschwerdeverhandlung noch minderjährig war, dennoch ist davon auszugehen, dass der damals fast sechzehnjährige bzw. achtzehnjährige Beschwerdeführer in der Lage war, stringente Angaben zu einer Talibanbedrohung zu machen, zumal es sich dabei um ein besonders einprägsames Ereignis handelt, welches den Kern seines Fluchtvorbringens darstellt. Der Beschwerdeführer hat im Lauf des Verfahrens, laut Auskunft seiner damaligen gesetzlichen Vertretung, auch keiner psychotherapeutischen Behandlung bedurft (BVwG-Akt, OZ 13, S. 15). Dieser Umstand erklärt die aufgekommenen Divergenzen somit nicht. Dem Drohbrief ist außerdem kein Ausstellungsdatum zu entnehmen und die Unterschrift des Ausstellers ist unleserlich (BFA-Akt, AS 195).

Überdies stimmen die Erläuterungen des Beschwerdeführers, zu dem Geschehensablauf nach dem Verschwinden seines Vaters, nicht mit der von ihm vorgelegten Anzeigebestätigung überein. Laut der Darstellung des Beschwerdeführers seien er und seine Familie, nachdem sie keinen Kontakt zu seinem Vater herstellen hätten können, zur Polizei gegangen, die sie über den Angriff der Taliban auf den Transporter seines Vaters informiert habe. Die Polizei erfahre von solchen Vorfällen, weil es sich bei der transportierten Ware um ihr Benzin handle und sie wisse, wann welche Fahrzeuge wohin unterwegs seien (BVwG-Akt, OZ 13, S. 21). Angesichts dieses umfassenden Wissens der Polizei ist es nicht einleuchtend, dass der Beschwerdeführer die Frage nach dem genauen Vorfallort nicht beantworten konnte (BVwG-Akt, OZ 13, S. 21). Aus der vom Beschwerdeführer, vor der belangten Behörde in Kopie und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Original vorgelegten Anzeigebestätigung geht hervor, dass ein Cousin seines Vaters die Sicherheitskommandantur über den Angriff der Taliban auf den Treibstofftanker seines Vaters und dessen Verschwinden informiert habe. Weiters habe dieser Cousin väterlicherseits die Sicherheitskommandantur, um Hilfe bei der Aufklärung des Verschwindens des Vaters des Beschwerdeführers, ersucht (BFA-Akt, AS 191 und 193, BVwG-Akt, OZ 2 und 4). Der Inhalt dieser Anzeige erweckt jedenfalls den Anschein, als ob der Cousin seines Vaters die Polizei von dem Vorfall mit den Taliban informiert hätte, was jedoch mit der Behauptung des Beschwerdeführers, sie wären von diesem Vorfall von der Polizei in Kenntnis gesetzt worden, nicht in Einklang zu bringen ist. Zudem wird in der Anzeigebestätigung auch auf die Tötung seines ältesten Bruders durch die Taliban Bezug genommen. Der Beschwerdeführer erklärte, dass seine Mutter und der Cousin seines Vaters nach dem Verschwinden seines Vaters zur Polizei gegangen seien, dort den Drohbrief vorgelegt hätten und die Polizei bestätigt habe, dass der LKW seines Vaters angegriffen worden sei (BVwG-Akt, OZ 13, S. 16). Der älteste Bruder des BF sei jedoch - bei Berücksichtigung seiner Angaben zu dem Angriff auf seinen Bruder und seinen Ausreisezeitpunkt (BFA-Akt, AS 161 und 163) - erst ungefähr drei Monate nach dem Angriff auf seinen Vater getötet worden, weshalb dieses Vorbringen in der Anzeigebestätigung zeitlich unschlüssig ist. Zusätzlich wird in der Anzeigebestätigung die Sicherheitskommandantur auch darauf aufmerksam gemacht, dass die Firma " XXXX " über die Angelegenheit in Kenntnis gesetzt werden müsse, um die in finanzieller Hinsicht nötigen Schritte bezüglich des Vaters und des ältesten Bruders des Beschwerdeführers zu unternehmen. Es wäre aber anzunehmen, dass der Arbeitgeber seines Vaters und seines ältesten Bruders das Fernbleiben zweier Mitarbeiter rasch bemerkt hätte, insbesondere der Verlust eines Treibstofftransporters wäre unmittelbar aufgefallen. Anzumerken ist auch, dass sich kein Ausstellungs- oder Einreichungsdatum im Schreiben findet, der Name des Bestätigungsverfassers unleserlich ist und im Briefkopf der Anzeigebestätigung das afghanische Finanzministerium angeführt ist.

Daneben waren auch die Schilderungen des Beschwerdeführers zu der Erlangung der Anzeigebestätigung unplausibel. In der Einvernahme vor dem BFA legte er eine Kopie der Anzeigebestätigung vor (BFA-Akt, AS 179 und 181), im verwaltungsgerichtlichen Verfahren brachte er dann das Original in Vorlage (BVwG-Akt, OZ 2). In der Beschwerdeverhandlung antwortete der Beschwerdeführer, nach der Anzeigekopie gefragt, zunächst, dass diese bei der Polizei sei und er nicht gewusst habe, dass er die Anzeigenkopie vorlegen müsse (BVwG-Akt, OZ 13, S. 5), was allerdings sowohl seinen Äußerungen vor dem BFA als auch der Dokumentenvorlage widerspricht. Davon abgesehen gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht anfangs an, dass er alle Dokumente, die er aus Afghanistan habe, von einem Cousin seines Vaters väterlicherseits erhalten habe (BVwG-Akt, OZ 13, S. 5). Im Gegensatz zu dieser Behauptung, wurde in der Dokumentenvorlage vom 07.05.2018 ausgeführt, dass der Beschwerdeführer, nach seiner Angabe, die Anzeigebestätigung postalisch von seinem Onkel XXXX , der in der russischen Föderation lebe, bekommen habe (BVwG-Akt, OZ 2). Nachdem er schließlich in der Beschwerdeverhandlung auf seine zwei Onkel in Russland angesprochen wurde, teilte er mit, dass er auch von diesen Beiden Dokumente bekommen habe, aber vergessen habe welche. Über Vorhalt seiner anfänglichen Aussage, dass er alle Dokumente von dem Cousin seines Vaters väterlicherseits erhalte, erwiderte der Beschwerdeführer ausweichend, dass der Cousin seines Vaters alle seine Dokumente abfotografiert habe, diese in PDF-Files umgewandelt habe und sie ihm geschickt habe. Die Dokumente in Papierform habe er von seinem, ebenfalls in Russland lebenden, Onkel XXXX bekommen (BVwG-Akt, OZ 13, S. 18).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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