TE Vwgh Erkenntnis 1998/9/29 98/09/0081

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Veröffentlicht am 29.09.1998
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

11992E006 EGV Art6;
11992E177 EGV Art177;
ARB1/80 Art9;
AuslBG §4c Abs1 idF 1997/I/078;
AuslBG §4c Abs2 idF 1997/I/078;
AuslBG §4c Abs3 idF 1997/I/078;
EURallg;
VwGG §38a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des BK in B, vertreten durch Dr. Manfred Korn, Rechtsanwalt in 5010 Salzburg, Waagplatz 5, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg vom 20. Februar 1998, GZ. LGSSBG/5/1311/1998 ABBNr.: 1739234, betreffend Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Antrag vom 29. September 1997 stellte der Arbeitgeber "Gasthof Seebrunn" den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer für die berufliche Tätigkeit als Kochlehrling. Dieser Antrag wurde von der Behörde erster Instanz mit Bescheid vom 8. Oktober 1997 gemäß § 4 Abs. 7 AuslBG abgelehnt.

In der dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer auf seine Parteistellung gemäß § 21 AuslBG hin. Seine persönlichen Umstände seien maßgeblich für die Entscheidung, weil er sich als Angehöriger eines dem österreichischen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers auf die Rechte des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80) des Assoziationsabkommens EWR-Türkei berufen könne. Sein Vater, bei dem er derzeit wohne, sei bereits seit mehr als fünf Jahren ständig als Gastarbeiter in Österreich beschäftigt. Aufgrund des Alters des Beschwerdeführers von unter 21 Jahren gelte er als Familienangehöriger dieses dem österreichischen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers. Er befinde sich seit März 1994 in Österreich. Es kämen ihm die Rechte nach Art. 7 erster Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 und nach Art. 9 ARB Nr. 1/80 zu.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20. Februar 1998 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 4c Abs. 1 AuslBG und Art. 7 erster Unterabsatz sowie iVm Art. 9 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 ab.

Die belangte Behörde ging von folgendem festgestellten Sachverhalt aus:

Der Beschwerdeführer sei bisher im Inland noch keiner nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz bewilligten Beschäftigung nachgegangen. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe nicht. Sein Vater besitze einen bis November 2001 gültigen Befreiungsschein und sei derzeit bei der Fa. S. beschäftigt. Der Beschwerdeführer sei als Familiennachzug im Februar 1994 nach Österreich eingereist. Die letzte Aufenthaltsberechtigung sei mit 13. September 1996 abgelaufen. Er habe rechtzeitig um Verlängerung dieser Aufenthaltsberechtigung bei der Bezirkshauptmannschaft Zell am See angesucht. Dieses Verfahren sei bei der genannten Behörde noch anhängig.

Für die vorgesehene Tätigkeit eines Kochlehrlings stünden Ersatzkräfte gemäß Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 zwischen der EU und der Türkei zur Verfügung. Es seien nicht beide Elternteile des Beschwerdeführers ordnungsgemäß in Österreich beschäftigt. Die Mutter des Beschwerdeführers habe dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich nicht angehört.

Rechtlich zog die belangte Behörde daraus den Schluß, daß vorrangig zu behandelnde Ersatzkräfte nach Art. 7 erster Unterabsatz ARB Nr. 1/80 zur Verfügung stünden. Der Beschwerdeführer erfülle auch die Voraussetzungen des Art. 8 ARB Nr. 1/80 nicht, weil die Mutter des Beschwerdeführers niemals dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich angehört habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 9 ARB Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:

"Türkische Kinder, die in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäss bei ihren Eltern wohnen, welche dort ordnungsgemäss beschäftigt sind oder waren, werden unter Zugrundelegung derselben Qualifikationen wie die Kinder von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates zum allgemeinen Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Bildung zugelassen. Sie können in diesem Mitgliedstaat Anspruch auf die Vorteile haben, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich vorgesehen sind."

Die innerstaatliche Umsetzung dieser Bestimmung erfolgte durch die Änderung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/1975 (AuslBG) mit der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997. Die maßgeblichen Bestimmungen, welche mit 1. Jänner 1998 in Kraft traten und sohin bei Erlassung des angefochtenen Bescheides zu beachten waren, lauten:

"Türkische Staatsangehörige

§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB-Nr. 1/1980 erfüllen.

(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."

Die belangte Behörde kommt aufgrund einer von ihr vorgenommenen Wortinterpretation zum Schluß, daß die türkischen Kindern zustehenden Rechte nach Art. 9 ARB Nr. 1/80 nur dann gegeben wären, wenn beide Elternteile in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß beschäftigt sind. Die belangte Behörde unterstellt Art. 9 damit einen unsachlichen Inhalt, weil kein sachlicher Grund dafür ersichtlich ist, Kinder, bei welchen bloß der Vater oder die Mutter ordnungsgemäß beschäftigt ist, gegenüber Kindern, bei welchen dies bei beiden Eltern der Fall ist, hinsichtlich der in Art. 9 des Beschlusses Nr. 1/80 enthaltenen Rechte zu benachteiligen.

Die Überlegung der belangten Behörde träfe auch auf die Tatbestandsvoraussetzung des Wohnens bei den Eltern zu. Beispielsweise sind Kinder von getrennt wohnenden Eltern (gleichgültig ob bei aufrechter oder geschiedener Ehe) in der Regel nur bei einem Elternteil wohnhaft. Ebenso kann im Falle des Todes eines Elternteiles das türkische Kind nur beim überlebenden Elternteil wohnen, nur dieser Elternteil ist in der Lage, eine Beschäftigung ausüben.

     Die von der belangten Behörde gewählte Wortinterpretation ist

jedoch keinesfalls zwingend. Denn Art. 9 verwendet in durchgehender

Weise die Mehrzahl (türkische Kinder, die ... bei ihren Eltern ...,

welche beschäftigt sind oder waren, ... wie die Kinder von

Staatsangehörigen, sie können ...). Art. 9 verwendet nicht etwa die

Wortwahl - "ein türkisches Kind, das ... bei seinen Eltern ..." usw.

Aufgrund der durchgehenden Verwendung der Mehrzahl ist dem Wortlaut der Bestimmung entsprechend auch folgende Lesart möglich:

"Ein türkisches Kind, das in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei einem Elternteil wohnt, welcher dort ordnungsgemäß beschäftigt ist oder war, wird unter Zugrundelegung derselben Qualifikationen wie ein Kind von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates ... zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Bildung zugelassen."

Es ist völlig klar, daß nur diese letzte Lesart dem auch im Gemeinschaftsrecht enthaltenen Grundsatz des Verbotes unsachlicher Differenzierung entspricht.

Bestehen Zweifel an der Auslegung des anzuwendenden Gemeinschaftsrechtes, sind die letztinstanzlichen Gerichte zur Vorlage von Auslegungsfragen verpflichtet. Die Vorlage einer Auslegungsfrage durch ein - an sich dazu verpflichtetes - Organ kann aber unterbleiben, wenn die europarechtliche Frage nicht entscheidungserheblich ist, wenn die Zweifelsfrage durch die Rechtsprechung des EuGH bereits ausreichend geklärt ist oder wenn die richtige Auslegung so offenkundig ist, daß kein Zweifel besteht (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, Seite 530). Im gegenständlichen Fall ist die richtige Auslegung in Beachtung des Verbotes unsachlicher Differenzierung so offenkundig, daß daran kein Zweifel besteht. Es erübrigt sich demnach die Stellung eines Antrages auf Fällung einer Vorabentscheidung des EuGH.

Mit der gegenständlichen Auslegung wird Kindern türkischer Staatsangehöriger nicht die - günstigere - Stellung der Kinder von EU-Staatsbürgern eingeräumt (vgl. Art. 12 der VO des Rates Nr. 1612/68).

Indem die belangte Behörde den Inhalt der Norm verkannte und lediglich aufgrund der Haushaltstätigkeit der Mutter des Beschwerdeführers die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4c Abs. 1 AuslBG verweigerte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Rechtsmeinung der belangten Behörde zur Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 7 erster Gedankenstrich richtig ist, da dem Beschwerdeführer aufgrund der übrigen von der belangten Behörde bejahten Voraussetzungen des Art. 9 ARB Nr. 1/80 gemäß § 4c Abs. 1 AuslBG eine Beschäftigungsbewilligung (Lehrlingsausbildung als Koch) zu erteilen gewesen wäre.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. September 1998

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998090081.X00

Im RIS seit

09.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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