TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/23 W202 2181044-1

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Veröffentlicht am 23.10.2019
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Entscheidungsdatum

23.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §4
AsylG-DV 2005 §8
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W202 2181044-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, Zl. IFA 752177907 + Verfahren 150326936, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.10.2019 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG stattgegeben und

der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Vorverfahren:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 12.12.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 19.10.2006, 05 21.773-BAG, wies das Bundesasylamt den Asylantrag ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien aus (Spruchpunkt III.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof (AsylGH).

Der AsylGH wies mit Erkenntnis vom 17.02.2010, C5 307.045-1/2008/5E, die Beschwerde ab.

Am 07.09.2010 wurde der Beschwerdeführer vor der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg niederschriftlich einvernommen.

Gegenständliches Verfahren:

Am 31.03.2015 stellte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Dabei legte er fünf Meldebestätigungen, einen Mietvertrag, eine Geburtsurkunde samt beglaubigter Unterschrift, einen Reisepass sowie seine E-Card jeweils in Kopie vor.

Mit Schreiben vom 14.09.2015 brachte der Beschwerdeführer durch seine damalige rechtsfreundliche Vertretung einen Versicherungsdatenauszug in Vorlage.

Das BFA verständigte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24.08.2017 vom Ergebnis der Beweisaufnahme und trug ihm die Beantwortung einer Reihe von Fragen auf.

Mit Schreiben vom 07.09.2017 erstattete der Beschwerdeführer durch seinen damaligen rechtsfreundlichen Vertreter ein weiteres Vorbringen. Der Beschwerdeführer sei im Bundesgebiet sehr gut sozial und auch sprachlich gut integriert. Ein künftiger Aufenthalt im Bundesgebiet werde zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Durch eigene Erwerbstätigkeit könne der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt finanzieren. Mit dem Schreiben wurde ein weiteres Konvolut an Urkunden in Vorlage gebracht, darunter ein Reisepass, eine beglaubigte Übersetzung einer Geburtsurkunde, ein Mietvertrag und ein Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), jeweils in Kopie.

Am 29.11.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, er habe schon alle Dokumente abgegeben. Auf Vorhalt, dass eine Vorlage der Urkunden im Original nötig sei, gab der Beschwerdeführer an:

"Mein Anwalt hat mir gesagt, dass ich die Unterlagen nicht mitbringen soll, ich habe bereits alles vorgelegt." Seinen Reisepass habe er verloren, er sei bereits vor zwei Jahren bei der indischen Botschaft gewesen, habe aber noch keine Antwort erhalten. Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Kinder. In Indien würden sich seine Mutter und seine Schwester aufhalten, er wisse aber nicht, wo seine Mutter sei. Seine Schwester sei verheiratet, von seiner Mutter wisse er nichts. Der Beschwerdeführer habe noch brieflichen Kontakt zu seiner Schwester. Seine Familienangehörigen habe er zuletzt vor 14 Jahren gesehen. In Indien habe er so viele Probleme, er könne nicht nach Indien fliegen. In Österreich bestreite der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt, indem er "manchmal" arbeiten gehe. Er arbeite als Zeitungszusteller, er habe keine Bewilligung, deshalb gehe er auch nicht jeden Tag arbeiten. Auf Vorhalt, dass er diese Tätigkeit ohne arbeitsmarktrechtlicher Bewilligung auch nicht fallweise ausüben dürfe, gab der Beschwerdeführer an, das wisse er, aber was solle er machen. Zu seinem Familienleben in Österreich gab er an (Fehler im Original):

"Österreich ist ein schönes Land, und hier gibt es genug Arbeit."

Auf Vorhalt, dass das nichts mit dem Familienleben zu tun habe, gab er an: "Wenn ich den Aufenthaltstitel bekommen, dann fliege ich nach Indien, dann kann ich meine Familie finden." In Österreich habe er kein Familienleben, er erwarte sich aber schon eine Aufenthaltsbewilligung. In Indien bleibe er dann nicht lange, maximal zwei Wochen. Zu seinem Privatleben in Österreich gab er an, er könne in Österreich manchmal arbeiten gehen und könne hier leben. Bei ihm in der Wohnung wohne eine Familie, weil er die Miete alleine nicht bezahlen könne. Wenn er eine Arbeitsbewilligung habe, dann würde er ganz normal arbeiten gehen und seine Steuern bezahlen. Er zahle nur die abgaben betreffend die WGKK, Steuern zahle er nicht. Es gäbe viele Leute, die dem Beschwerdeführer Arbeit geben wollen würden, einen Arbeitsvorvertrag habe er jedoch noch nicht. Der Beschwerdeführer könne sich in deutscher Sprache verständigen. Der Beschwerdeführer sei gesundheitlich fit, er sei nur ein bisschen nervös. Er helfe vielen Leuten, er habe aber keine Bestätigung darüber. Manchmal spende er Geld für die Caritas. Mitglied in einem Verein sei er nicht. Strafrechtlich oder politisch verfolgt werde er im Heimatland nicht. Er habe Probleme mit Terroristen, weil er damals der Polizei geholfen habe. Da seien viele Terroristen ins Gefängnis gekommen. Deshalb habe er sein Haus verkauft und Indien verlassen. Andere Gründe habe er nicht, er wolle bitte eine Aufenthaltsbewilligung haben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück (Spruchpunkt I.), erließ gem. § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gem. § 55 Abs. 1 bis 3 mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

Dagegen richtet sich die gegenständliche durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers innerhalb offener Frist erhobene Beschwerde.

Dabei brachte der Beschwerdeführer vor, dass er seit über 12 Jahren durchgehend im Bundesgebiet aufhältig sei und einen breiten Freundeskreis habe. Er sei der deutschen Sprache mächtig, habe aber bis dato keine Deutschprüfung absolviert. Selbstverständlich sei der Beschwerdeführer umfassend kranken- und unfallversichert. Er sei sprachlich und sozial gut integriert und gehe einer Erwerbstätigkeit nach, sodass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu keinen Belastungen einer Gebietskörperschaft führen werde.

Im Zuge einer Beschwerdeergänzung legte der Beschwerdeführer einen Arbeitsvorvertrag sowie eine Prüfungsanmeldebestätigung betreffend eine Deutschprüfung vor. In einer weiteren Beschwerdeergänzung legte der Beschwerdeführer einen Führerschein, ausgestellt von der LPD Wien, in Kopie vor. In einer weiteren Beschwerdeergänzung legte der Beschwerdeführer eine Geburtsurkunde, eine eidesstattliche Erklärung seiner Mutter, eine Kopie der Geburtsurkunde seines Mitbewohners, dessen Reisepass und Aufenthaltskarte, die Geburtsurkunde betreffend den Sohn seines Mitbewohners und dessen Reisepass, den Reisepass betreffend die Gattin seines Mitbewohners, seine Heiratsurkunde, die Anmeldebescheinigung betreffend die Gattin und den Sohn seines Mitbewohners, Meldezettel, die Vorschreibung betreffend die Mietwohnung sowie Zahlungsbestätigungen betreffend die Miete sowie einen Arbeitsvorvertrag, jeweils in Kopie, vor. In der Beschwerdeergänzung wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer mit seinem leiblichen Bruder, seiner Schwägerin und seinem Neffen, die nun bereits seit dem Jahr 2014 bei ihm wohnhaft seien, wohne. Die Behörde lasse unbeachtet, dass der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag bereits im März 2015 gestellt habe, Kopien des Reisepasses und der Geburtsurkunde mehrfach vorgelegt wurden, die Gültigkeit des Reisepasses aber bereits am 06.03.2017 geendet habe, ohne dass ihm ein neuer Reisepass ausgestellt worden wäre.

Am 18.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer einen Arbeitsvorvertrag, sowie eine Bestätigung, dass das Mietverhältnis bis 20.10.2022 aufrecht sei sowie Empfehlungsschreiben von mehreren Personen, jeweils in Kopie, vor. Im Zuge der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, dass es ihm gesundheitlich gut gehe, mit seiner in Indien befindlichen Schwester und Mutter habe er hin und wieder Kontakt. Im Bundegebiet habe er keine Familienangehörigen, er habe bloß einen Freund, der wie ein eigener Bruder für ihn sei. Mit diesem und dessen Familie wohne er seit langem zusammen. Er spreche ein bisschen Deutsch, er habe viele Freunde hier und mit denen spreche er ein bisschen Deutsch. Er habe keine Deutschkurse besucht, da er kein Geld und keine Arbeit habe. In Indien habe er zwar fünf Jahre die Volksschule besucht, er könne aber nicht richtig schreiben. Im Bundesgebiet habe er mehrere Freunde, von denen manche auch österreichische Staatsbürger seien, er habe aber auch viele indische Freunde. Er gehe regelmäßig in den indischen Tempel aber auch in eine katholische Kirche. Er gehe keiner Arbeit nach, ohne Aufenthaltsbewilligung gebe es für ihn keine Arbeit, hin und wieder bekomme er die Möglichkeit, Werbezettel zu verteilen, das sei ca. 1-2 Mal in der Woche, je nach Möglichkeit, das mache er dann auch. Wenn er eine Arbeitserlaubnis hätte, könnte ihn ein Freund beschäftigen. Er habe einige Male versucht, bei der indischen Botschaft einen Reisepass zu bekommen, niemand sei bereit gewesen, mit ihm dort zu reden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien, stammt aus Indien und gehört der Religionsgemeinschaft der Sikh an. Seine Mutter und seine Schwester halten sich in Indien auf, mit denen er hin und wieder Kontakt hat. Er reiste im Dezember 2005 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Jahr 2010 negativ beschieden wurde. Der Beschwerdeführer hat in Indien lediglich die Volksschule besucht, er kann in seiner Muttersprache nicht schreiben. Im Bundesgebiet hat er durch den Umgang mit Freunden ein wenig Deutsch gelernt. Deutschkurse besuchte der Beschwerdeführer bislang nicht.

Im Bundesgebiet verfügt der Beschwerdeführer über einen engen Freund, sowie weitere Freunde und Bekanntschaften, die zum Teil österreichische Staatsbürger sind. Der Beschwerdeführer besucht sowohl den Sikh-Tempel sowie eine katholische Kirche in Wien. In Österreich war der Beschwerdeführer in den Zeiträumen 02.01.2006 bis 01.07.2010 und 09.07.2010 bis 17.09.2010 durchgehend an Hauptwohnsitzen gemeldet. Seit 30.04.2012 ist der Beschwerdeführer wieder an einem Hauptwohnsitz gemeldet, wobei er zuvor seit 20.09.2010 diesen Wohnsitz als Nebenwohnsitz gemeldet hatte. Er wohnt gemeinsam mit einer Familie in einer Mietwohnung, die Familienmitglieder sind zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Mit dem erwachsenen Mitbewohner ist der Beschwerdeführer eng befreundet.

Der Beschwerdeführer ist gesund und im erwerbsfähigen Alter, er ist nicht in die Grundversorgung einbezogen. Er hat zuletzt je nach Möglichkeit Werbezettel verteilt. Weiters legte der Beschwerdeführer einen aktuellen Arbeitsvorvertrag vor. Er ist in der Wiener Gebietskrankenkasse selbstversichert. Der Beschwerdeführer ist unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus den Verwaltungs- und Gerichtsakten, aus den Auzügen aus dem Grundversorgungsinformationssystem, dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister, den vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden sowie aus den Aussagen des Beschwerdeführers in den Einvernahmen. Zweifel am festgestellten Sachverhalt bestehen nicht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen (Z 1) oder der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen (Z 2). Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

Gemäß § 8 Abs. 1 der AsylG-DV 2005 sind folgende Urkunden und Nachweise - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 leg. cit. - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschafts-urkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde."

Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG-DV kann die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 leg. cit. zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber gemäß Abs. 2 leg. cit. im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß Abs. 5 leg. cit. sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs darf ein Verwaltungsgericht auf Grund einer gegen eine Zurückweisung erhobenen Beschwerde nur über die Rechtmäßigkeit des Zurückweisungsbescheides, nicht hingegen über den Antrag selbst entscheiden. (vgl. dazu etwa VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 29.04.2015, 2013/08/0136).

"Sache" im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG und demnach Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 15.06.2016 durch das BFA (vgl. VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0040; VwGH 16.09.2015, Ra 2015/22/0082 bis 0084).

Nach dem Heilungstatbestand des § 4 Abs. 1 Z 2 der AsylG-DV 2005 "kann" die Behörde die Heilung eines Mangels (ua.) nach § 8 der AsylG-DV 2005 (unterbliebene Vorlage der dort genannten Urkunden) "auf begründeten Antrag" des Drittstaatsangehörigen zulassen, wenn das (gemeint: die Erteilung des Aufenthaltstitels) zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 MRK erforderlich ist. Letzteres ist freilich in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, schon voraussetzungsgemäß der Fall. Dann kann es aber weder auf das Vorliegen eines "begründeten Antrags" ankommen, noch stehen dem BFA andere Alternativen zur Verfügung als die an die Erteilung anschließende Ausfolgung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Vor diesem Hintergrund erwiese sich die Stellung eines Heilungsantrages als reiner Formalismus, was es nahe legt, die "Heilung" dann auch ohne einen solchen Antrag eintreten zu lassen (Hinweis E 14.04.2016, Ra 2016/21/0077). Das - durch § 8 AsylG-DV 2005 näher konkretisierte - Erfordernis der Klärung der Identität des Fremden wäre gegebenenfalls schon dann als erfüllt anzusehen, wenn (bloß) eine eindeutige "Verfahrensidentität" dergestalt besteht, dass es sich bei jener Person, der der Aufenthaltstitel erteilt bzw. ausgefolgt wird, mit Sicherheit um jene handelt, in Bezug auf die die dauerhafte Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ausgesprochen wurde (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK erforderlich sein müsse, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen sei, voraussetzungsgemäß erfüllt sei (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187). Auch im Fall eines Antrages auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gelte, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 die gleichen seien wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattzugeben sei, unterscheide sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen sei. Daraus folge auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig sei, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314; 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

Im vorliegenden Fall hatte das BFA daher zu prüfen, ob die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten war. Das BFA hat zwar eine derartige Prüfung vorgenommen, dabei aber der langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers nicht die ihr nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zukommende Bedeutung zugemessen.

Der mit "Schutz des Privat Familienlebens" überschriebene § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Der BF ist nunmehr seit ungefähr 14 Jahren durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ausnahmsweise nach so langem Aufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH vom 04.08.2016, Ra 2015/21/0249-0253, mwN.).

Wird einem Fremden das Ausüben von Erwerbstätigkeiten und seine Nichteinbeziehung in die Grundversorgung zugestanden, kann keine Rede davon sein, dass er sich überhaupt nicht integriert hätte; dass insbesondere einem Arbeitsvorvertrag keine Bedeutung zukommt, trifft in Zusammenhang mit einem langjährigen Aufenthalt nicht zu (VwGH vom 26.01.2017, Ra 2016/21/0168; vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0100).

Nun ist der Beschwerdeführer nicht in die Grundversorgung einbezogen und hat einen Arbeitsvorvertrag vorgelegt, er war zuletzt nach Möglichkeit als Werbezettelverteiler tätig, sodass im Hinblick auf den ca. 14-jährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet schon von daher nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich der Beschwerdeführer im Sinne der vorzitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gar nicht integriert hätte. Zwar legte der Beschwerdeführer keinerlei Beschäftigungsbewilligung vor, doch ist im Hinblick auf den vorgelegten Arbeitsvorvertrag davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Arbeitserlaubnis seinen Unterhalt durch eigene Arbeit wird sichern können.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet einen engen Freund hat, er über weitere Freunde und Bekanntschaften verfügt, er in der Krankenversicherung selbstversichert ist und seit Jahren in einer Mietwohnung wohnt. Es wird zwar nicht verkannt, dass die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund des langen Aufenthaltes im Bundesgebiet als gering einzustufen sind, jedoch ist dem Beschwerdeführer zugutezuhalten, dass er selbst nicht einmal in seiner Muttersprache schreiben kann, sodass sich die erfolgreiche Absolvierung eines Deutschkurses, auch im Hinblick auf seine (begrenzte) finanziellen Leistungsfähigkeit, als schwierig erweist, weswegen die geringen Deutschkenntnisse im Hinblick auf den langen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und die oben dargelegte Integration des Beschwerdeführers nicht maßgeblich ins Gewicht fallen.

Umstände, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärkten bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Inland relevierten, insbesondere eine strafrechtliche Verurteilung, liegen nicht vor.

Insgesamt betrachtet erwiese sich daher eine aufenthaltsbeendende Maßnahme als nicht verhältnismäßig.

Im Hinblick auf die obzitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 durfte daher das BFA den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurückweisen. Der angefochtene Bescheid war daher zu beheben und wird die Behörde neuerlich über gegenständlichen Antrag zu entscheiden haben.

Zu B - Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer, Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK,
Heilung, Integration, Sprachkenntnisse, Vorvertrag, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W202.2181044.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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