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Baurecht - NÖNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Dr. Draxler, DDr. Hauer, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Dworak, über die Beschwerde des Ing. AS in H, vertreten durch Dr. Erich Hermann, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 6-8, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 5. April 1977, Zl. II/2- 361/3-1977, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1) AU in H, 2) Stadtgemeinde H, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 3.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 4. Juli 1975 ersuchte die erstmitbeteiligte Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beim Bürgermeister der Gemeinde H um die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung einer Lagerhalle auf dem Grundstück 246/2 der KG. X. Zu der Verhandlung vor der Baubehörde erster Instanz am 11. Oktober 1975 wurde der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Nachbar unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950 geladen. Der Beschwerdeführer wendete bei dieser Verhandlung unter anderem ein, daß der Mindestabstand von 14 m von seiner (gegenüberliegenden) Grundfläche nicht eingehalten werde und Sonderregelungen für einen Industriebau nicht Platz greifen könnten. Bei dieser Verhandlung erfolgte auch eine Festlegung der Straßenfluchtlinie, durch welche, wie der im Akt erliegende Lageplan zeigt, auch Grundflächen des Beschwerdeführers für die Verbreiterung der Verkehrsfläche vorgesehen wurden. Der Amtssachverständige erachtete das Bauvorhaben als genehmigungsfähig und es wurde die Vorschreibung einer Reihe von Auflagen in Aussicht genommen.
Der Bürgermeister der Stadtgemeinde H erteilte in der Folge mit Bescheid vom 22. Dezember 1975 die angestrebte Baubewilligung, ohne über die Einwendungen des Beschwerdeführers im Spruch des Bescheides abzusprechen. In der Begründung des Bescheides legte die Baubehörde erster Instanz dar, aus welchen Erwägungen ihrer Meinung nach eine Beeinträchtigung des Beschwerdeführers nicht zu erwarten sei. Ausdrücklich wurde festgestellt, daß für das Stadtgebiet H noch kein Bebauungsplan, auch kein "einfacher Bebauungsplan" erstellt worden sei und daher die Baufluchtlinie und die Straßenfluchtlinie zu bestimmen gewesen sei.
Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies der Gemeinderat der Stadtgemeinde H mit Beschluß vom 31. März 1976, ausgefertigt mit Bescheid vom 21. Mai 1976, als unbegründet ab. Wie die Baubehörde erster Instanz ging die Berufungsbehörde davon aus, daß ein endgültiger oder vereinfachter Bebauungsplan nicht bestehe und daher gemäß § 120 Abs. 8 NÖ Bauordnung anläßlich des Augenscheines die Straßen- und Baufluchtlinien zu bestimmen gewesen seien. Die Straßenbreite von 8,50 m sei als ausreichend anzusehen und entspreche den Verkehrserfordernissen. Auf die Einhaltung eines Baufluchtlinienabstandes von 14 m nach § 6 Abs. 4 NÖ Bauordnung hätte verzichtet werden können, weil § 5 dieses Gesetzes im geschlossenen Ortsgebiet Verringerungen zulasse und der Fluchtlinienabstand bei der Engstelle der Bauwerke des Erstmitbeteiligten und des Beschwerdeführers zirka 6 m betrage; diese Engstelle sei als Gegebenheit anzusehen.
Auf Grund der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Vorstellung beraumte die Niederösterreichische Landesregierung als Aufsichtsbehörde für den 31. März 1977 eine Augenscheinsverhandlung an, zu der der Beschwerdeführer geladen wurde. Laut Verständigung war Thema dieser Verhandlung die Klärung von Rechtsfragen, welche durch die Vorstellung des Beschwerdeführers aufgeworfen wurden, wobei der Bürgermeister der Gemeinde H ersucht wurde, zur Verhandlung "die betreffenden Pläne des geltenden Widmungsplanes sowie des Regulierungsplanes aus 1965 mitzubringen". Bei dieser Verhandlung wurde festgestellt, daß der Flächenwidmungsplan der Stadtgemeinde H aus dem Jahre 1973 für die Grundflächen des Mitbeteiligten die Widmung Bauland-Industriegebiet und für die Grundflächen des Beschwerdeführers die Widmung Bauland-Wohngebiet vorsehe. Ein Bebauungsplan auf Grund dieses Flächenwidmungsplanes sei noch nicht erlassen worden. Im Jahre 1965 sei jedoch ein Bebauungsplan erlassen worden, dessen Festlegungen mit denen des neuen Flächenwidmungsplanes übereinstimmten, sodaß in diesem Bereich der alte Bebauungsplan als vereinfachter Bebauungsplan gemäß § 120 Abs. 2 NÖ Bauordnung weiter gelte. Dieser Bebauungsplan sehe eine Straßenbereite von 6 m vor. Der Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz sei von den Festlegungen des Bebauungsplanes durch die neue Festlegung einer Straßenfluchtlinie abgewichen, um (ab dem Neubau) in westlicher Richtung eine Breite der Straße von 9 m zu erzielen. Der Mitbeteiligte habe sich damit einverstanden erklärt; dies sei aber nicht zum Anlaß genommen worden, auch einen Abstand von 14 m zwischen den vorderen Baufluchtlinien und den Grundflächen des Mitbeteiligten und des Beschwerdeführers festzulegen, weil der Mitbeteiligte seine Betriebsplanung auf die übereinstimmenden Festlegungen des Flächenwidmungsplanes und des als vereinfachter Bebauungsplan weiter geltenden Bebauungsplanes aufgebaut habe und auch beim Beschwerdeführer keine von der Straßenfluchtlinie verschiedene Baufluchtlinie festgelegt worden sei. Der Bebauungsplan aus dem Jahre 1965 sehe überhaupt keine Vorgärten vor.
Zur Beurteilung des gegenständlichen Bereiches durch den Gemeinderat als Altstadtgebiet war bei dieser Verhandlung von den Vertretern der Stadtgemeinde erklärt worden, daß vor der nunmehr bestehenden Fabrik des Mitbeteiligten an deren Stelle eine alte Fabrik bestanden habe. Seinerzeit sei die Breite der Straße durch die südliche Mauer des Werkskanales bestimmt gewesen. Dem Beschwerdeführer, der an dieser Verhandlung nicht teilnahm, wurde dieses Verhandlungsergebnis in der Folge nicht zur Kenntnis gebracht.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 5. April 1977 wies die Niederösterreichische Landesregierung die Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Die Aufsichtsbehörde ging davon aus, daß gemäß § 120 Abs. 2 NÖ Bauordnung der Bebauungsplan der Stadtgemeinde H aus dem Jahre 1965 als vereinfachter Bebauungsplan weiter gelte. In der Baubewilligung sei der Baufluchtlinienabstand nicht geringer festgelegt worden als im vereinfachten Bebauungsplan. Ein subjektiv-öffentliches Anrainerrecht sei dadurch nicht verletzt worden. Überdies erscheine die Beurteilung des gegenständlichen Bereiches als Altstadtgebiet durch den früheren Bestand einer Fabrik am Standorte der nunmehrigen Fabrik des Bauwerbers begründet.
In der Beschwerde wird Mangelhaftigkeit des Verfahrens und inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Gewährung des Parteiengehörs nach § 45 Abs. 3 AVG 1950 sowie nach §§ 6 Abs. 4, 100 Abs. 4, 118 Abs. 9 und 120 NÖ Bauordnung verletzt.
Über die Beschwerde sowie über die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
In der Beschwerde wird zunächst gerügt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auf völlig neue Sachverhaltsfeststellungen, nämlich auf das Vorliegen eines Bauungsplanes aus dem Jahre 1965, gestützt habe. Die Ladung zur Verhandlung am 31. März 1977 vor der Aufsichtsbehörde sei ausdrücklich zur Klärung von Rechtsfragen erfolgt. Davon, daß bei dieser Verhandlung die Entscheidung auf völlig neue Grundlagen, auf einen "plötzlich aufgetauchten Regulierungsplan", gestellt werden könnte, sei keine Rede gewesen. Die belangte Behörde hätte dem Beschwerdeführer Gelegenheit geben müssen, zu diesem Plan Stellung zu nehmen.
Schon auf Grund der hiemit vom Beschwerdeführer geltend gemachten Verletzung von Verfahrensvorschriften war seiner Beschwerde ein Erfolg beschieden. Gemäß § 37 AVG 1950 ist der Zweck des Ermittlungsverfahrens darin gelegen, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach § 45 Abs. 3 AVG 1950 ist den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nun bereits mehrfach ausgesprochen, daß das Recht auf Parteiengehör nach § 37 AVG 1950 sich nicht bloß auf das im § 45 Abs. 3 AVG 1950 ausdrücklich geregelte Recht der Parteien erstreckt, daß ihnen Gelegenheit geboten werde, von dem Ergebnis einer Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen, also sich zum Beweiswert der einzelnen Beweismittel zu äußern; vielmehr liegt der Sinn des Ermittlungsverfahrens gerade darin, seitens der Parteien auch Rechte und rechtliche Interessen geltend zu machen. Das bedeutet, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18. Jänner 1971, Zl. 1180/70, ausgeführt hat, daß dann, wenn sich im Zuge eines Verwaltungsverfahrens der maßgebliche gesetzliche Tatbestand ändert, den Parteien neuerlich ausdrücklich die Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt werden muß (vgl. auch das Erkenntnis vom 13. April 1964, Slg. N. F. Nr. 6300/A). Steht den Parteien des Verwaltungsverfahrens auf Grund der Bestimmung des § 37 AVG 1950 das Recht zu, ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen, dann bedeutet dies, daß eine Verkürzung ihrer Parteienrechte eintreten könnte, wenn ihnen keine Möglichkeit eingeräumt wurde, zu einer geänderten Rechtslage Stellung zu nehmen. Dieser Situation ist aber der Fall gleichzuhalten, daß sich ein vereinfachter Bebauungsplan, welcher sich gemäß § 120 Abs. 2 NÖ Bauordnung als Rechtsverordnung darstellt, erstmalig im aufsichtsbehördlichen Verfahren auffindet, was der Behörde die Maßgeblichkeit einer anderen Rechtslage für die Beurteilung des Falles vor Augen geführt hat.
Eine diesbezügliche Verletzung des Parteiengehörs ist im Beschwerdefall im Hinblick auf nachstehende Erwägungen als eine wesentliche Verletzung der Verfahrensvorschriften zu beurteilen.
Die Gemeindebehörden gingen, wie dargetan, davon aus, daß ein vereinfachter Bebauungsplan nicht vorliege und daher die Bestimmung des § 120 Abs. 8 NÖ Bauordnung, LGBl. Nr. 166/1969, anzuwenden ist. Nach der genannten Gesetzesstelle darf eine Baubewilligung in Gemeinden, in denen noch kein Bebauungsplan und kein vereinfachter Bebauungsplan gilt, nur unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 120 Abs. 7 NÖ Bauordnung erteilt werden. Außerdem sind in jeder Bewilligung die Straßenflucht- und Baufluchtlinien zu bestimmen. Tatsächlich hat nun dieser Bestimmung zufolge die Baubehörde erster Instanz Straßenfluchtlinien festgelegt, und zwar auch betreffend Grundflächen des Beschwerdeführers. Gilt dagegen ein vereinfachter Bebauungsplan, entfällt eine solche Bestimmung der Straßenfluchtlinien, sodaß hier nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Wahrung seiner Rechte zu geben gewesen wäre. Diese Verpflichtung zur Wahrung des Parteiengehörs erweist sich vor allem deshalb als erforderlich, weil - wenngleich sich die Einwendung des Beschwerdeführers gegen das Bauvorhaben des Mitbeteiligten betreffend Einhaltung eines Mindestabstandes von 14 m im Hinblick auf das Vorliegen des vereinfachten Bebauungsplanes als unbegründet erweist (in einem solchen Fall sind die Bestimmungen des § 6 Abs. 4 NÖ Bauordnung nicht anzuwenden, vielmehr ist die im Bebauungsplan festgelegte Straßenbreite maßgeblich) - seine Einwendungen dahin verstanden werden müssen - wie der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde dartut -, daß das Bauvorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe.
Aus diesem Grunde aber, so führt der Beschwerdeführer aus, wäre die Baubewilligung im Hinblick auf die Vorschrift des § 120 Abs. 7 NÖ Bauordnung zu versagen gewesen.
Dieses Vorbringen kann schon deshalb nicht als eine unzulässige Neuerung angesehen werden, weil die Gemeindebehörden ja davon ausgingen, daß ein vereinfachter Bebauungsplan nicht bestehe und daher selbst dann, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers anläßlich der Verhandlung vor der Baubehörde erster Instanz auch nicht in diesem Sinne zu verstehen gewesen wäre, der Beschwerdeführer im Hinblick auf die damals von der Behörde als maßgeblich erachtete Rechtslage sich damit begnügen konnte, die Unzulässigkeit des Vorhabens des Erstmitbeteiligten im Hinblick auf die seiner Meinung nach zu geringe Straßenbreite darzutun. Da diese Rechtslage für den Beschwerdeführer erstmals in der Begründung des angefochtenen Bescheides durch die belangte Behörde anders beurteilt wurde, hatte er im Verwaltungsverfahren keine Möglichkeit, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen und sein diesbezügliches Vorbringen in der Beschwerde kann schon aus diesem Grunde nicht als unzulässige Neuerung beurteilt werden.
Dem Beschwerdeführer wäre somit das Ergebnis der von der belangten Behörde durchgeführten Verhandlung gemäß § 45 Abs. 3 AVG 1950 zur Kenntnis zu bringen gewesen. Der Hinweis in der Gegenschrift der belangten Behörde, der Regulierungsplan sei in der Ausschreibung der Verhandlung über die Vorstellung erwähnt worden, läßt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine andere Betrachtungsweise nicht zu, kam doch in diesem Zusammenhang in keiner Weise zum Ausdruck, welche Relevanz diesem Regulierungsplan nach Ansicht der belangten Behörde (zu Recht) zukam.
Ein Verfahrensmangel liegt jedoch überdies auch deshalb vor, weil die Verwaltungsbehörden kein hinreichendes Ermittlungsverfahren zur Frage durchführten, ob die Voraussetzungen nach § 120 Abs. 7 NÖ Bauordnung zu Recht als gegeben angenommen werden konnten. Nach der genannten Gesetzesstelle ist eine Baubewilligung in Gemeinden, in denen nur ein vereinfachter Bebauungsplan gilt - abgesehen von den in § 100 Abs. 4 leg. cit. aufgezählten Gründen - zu versagen, wenn
1. das geplante Vorhaben auf einem Grundstück vorgesehen ist, welches durch eine ohne baubehördliche Bewilligung erfolgte Grundabteilung entstanden ist;
2. innerhalb der geschlossenen Ortschaft das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht oder
3. außerhalb der geschlossenen Ortschaft das geplante Vorhaben die geordnete Entwicklung der Bau- und Siedlungstätigkeit der Gemeinde gefährdet.
Während die Gemeindebehörden nun offensichtlich davon ausgegangen sind, daß das Vorhaben des Mitbeteiligten innerhalb der geschlossenen Ortschaft zur Ausführung gelange und das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in keinem auffallenden Widerspruch stehe - ohne diese Auffassung näher zu begründen -, wurde anläßlich der Verhandlung vor der Aufsichtsbehörde am 31. März 1977 diese Frage zwar auch nicht näher erörtert, jedoch immerhin festgestellt, daß bereits früher eine Fabrik im Bereich der Liegenschaft des Mitbeteiligten bestanden habe.
Mit der Auslegung der Bestimmungen des § 120 Abs. 7 NÖ Bauordnung hat sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt auseinandergesetzt. In seinem Erkenntnis vom 28. Jänner 1974, Zl. 1333/73, hat der Gerichtshof der Beschwerde eines Nachbarn mit der Begründung stattgegeben, daß es erforderlich gewesen wäre, den Beschwerdeführer zur Frage des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 120 Abs. 7 leg. cit. zu hören. Die Beurteilung der Frage, ob ein geplantes Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe, erfordere nämlich vorerst die Abgrenzung des Gebietes, welches als Maßstab herangezogen werden solle, und sodann die Aufnahme der vorhandenen Baubestände innerhalb dieses Gebietes. Hiebei seien, so führte der Gerichtshof damals weiter aus, in die Beurteilung alle jene Liegenschaften einzubeziehen, die miteinander nach der überwiegenden herrschenden faktischen Bebauung ein im wesentlichen einheitliches, zusammenhängendes Ganzes bildeten, welches sich nach dem äußeren Eindruck von angrenzenden Gebieten abhebe; dies gehe daraus hervor, daß die Übergangsregelung des § 120 Abs. 7 und 8 der NÖ Bauordnung einen einem Bebauungsplan ähnlichen Beurteilungsmaßstab gewährleisten solle, um den geordneten Weiterausbau der Ortschaft zu ermöglichen. Die Feststellung der Art der bestehenden Bebauung dürfe sich aus diesem Grunde auch nicht auf die Anordnung der Gebäude zueinander auf den einzelnen Bauplätzen und auf die Gebäudehöhe beschränken, sondern müsse auch auf die überwiegend bestehende Anordnung der Gebäude im Verhältnis zu den Nachbargrenzen Bedacht nehmen. Aber auch die Beurteilung, ob das geplante Bauvorhaben innerhalb der geschlossenen Ortschaft verwirklicht werden solle, könne nur auf konkrete Feststellungen darüber, ob die vom Ortskern ausgehende Bebauung im wesentlichen bis zu dem zur Bebauung gelangenden Bauplatz reiche, gegründet werden - welche Feststellungen eben im konkreten Verfahren getroffen werden müßten.
An dieser Rechtsanschauung hat der Verwaltungsgerichtshof auch in der Folge, insbesondere in dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 6. Juni 1977, Slg. N. F. Nr. 9338/A, festgehalten. Da sich auch in dieser Beziehung das bisher durchgeführte Ermittlungsverfahren als ergänzungsbedürftig erweist, der Beschwerdeführer aber eindeutig geltend machte, daß das Bauvorhaben des Mitbeteiligten zu den ihm gehörigen Grundflächen einen größeren Abstand einhalten müsse, ist auch aus diesem Grund der angefochtene Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet.
Auf Grund der dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei dieser Situation konnte ungeachtet des Parteienantrages auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von einer solchen gemäß § 39 Abs. 2 lit. c VwGG 1965 abgesehen werden.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG 1965 sowie die Verordnung BGBl. Nr. 542/1977 im Rahmen des gestellten Antrages.
Soweit nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichte Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, ist auf die Bestimmung des Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, zu verweisen.
Wien, am 13. Mai 1980
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Parteiengehör Änderung der RechtslageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1980:1977002107.X00Im RIS seit
04.12.2019Zuletzt aktualisiert am
04.12.2019