TE Vwgh Erkenntnis 2019/10/17 Ro 2018/08/0012

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Veröffentlicht am 17.10.2019
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
23/01 Insolvenzordnung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ABGB §1438
ASVG §352
ASVG §67a Abs1
ASVG §67a Abs13
ASVG §67a Abs2
ASVG §67a Abs3 Z2
ASVG §67a Abs4
ASVG §67a Abs5
ASVG §67a Abs6
ASVG §67a Abs7
ASVG §67c
IO §19
IO §20
IO §20 Abs1
IO §27

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Tiroler Gebietskrankenkasse, vertreten durch Ullmann - Geiler und Partner Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 17-19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 2018, I413 2159623- 1/5E, betreffend Auszahlung eines Guthabens nach § 67a Abs. 6 ASVG (mitbeteiligte Partei: Dr. H M, Rechtsanwalt in I, als Masseverwalter im Konkurs der E B), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 8. März 2017, VII-AP0603-17/0002-B, als unbegründet abgewiesen wird.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Aufgrund eines am 26. Juli 2016 gestellten Antrages der revisionswerbenden Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK) wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 10. Jänner 2017 der Konkurs über das Vermögen der EB (im Folgenden: Schuldnerin) eröffnet und der Mitbeteiligte zum Masseverwalter bestellt. 2 Die Schuldnerin erbrachte vor der Insolvenzeröffnung Bauleistungen nach § 19 Abs. 1a UStG 1994 als beauftragtes Unternehmen für Auftrag gebende Unternehmen (im Folgenden: Auftraggeber). Eine Eintragung der Schuldnerin in die Gesamtliste der haftungsfreistellenden Unternehmen nach § 67b Abs. 6 ASVG erfolgte nicht. Durch Auftraggeber der Schuldnerin wurden vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 67a Abs. 3 Z 2 ASVG Zahlungen (im Folgenden: AGH-Zahlungen) an das bei der Wiener Gebietskrankenkasse eingerichtete Dienstleistungszentrum geleistet. Die Schuldnerin beschäftigte Dienstnehmer, deren Beschäftigungsort in Tirol lag.

3 Mit Schreiben vom 15. Februar 2017 beantragte der Masseverwalter bei der TGKK die Auszahlung von sieben AGH-Zahlungen in einer Gesamthöhe von EUR 9.215,33. Dazu brachte er vor, die TGKK habe in den letzten Jahren insgesamt zehn Exekutionsverfahren gegen die Schuldnerin zur Hereinbringung von Beitragsrückständen geführt. Ihren Insolvenzantrag vom 26. Juli 2016 habe sie auf Beitragsrückstände der Schuldnerin von über EUR 10.000,-- gestützt. Die verfahrensgegenständlichen AGH-Zahlungen seien erst nach dem Insolvenzantrag erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt habe die TGKK von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin Kenntnis gehabt oder jedenfalls Kenntnis haben müssen. Im Sinn des § 20 Abs. 1 Insolvenzordnung (IO) sei eine Aufrechnung mit den Beitragsrückständen daher unzulässig. Die die Aufrechnung regelnden Bestimmungen nach §§ 19 und 20 IO seien auf AGH-Zahlungen anzuwenden. Durch § 67a Abs. 4 ASVG werde lediglich eine Anfechtung nach §§ 27 ff IO ausgeschlossen.

4 Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 8. März 2017 wies die TGKK den Antrag des Revisionswerbers ab. Die Voraussetzungen der Auszahlung eines Guthabens nach § 67a Abs. 6 ASVG seien, da auf dem Beitragskonto ein Rückstand bestehe, nicht erfüllt. 5 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und sprach aus, die TGKK sei verpflichtet, binnen 14 Tagen die im Zeitraum von 1. August 2016 bis 6. Dezember 2016 geleisteten AGH-Zahlungen in Höhe von insgesamt EUR 9.215,33 an den Mitbeteiligten zu überweisen. 6 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, im Zeitraum von 1. August 2016 bis 6. Dezember 2016 seien durch Auftraggeber der Schuldnerin sieben näher aufgeschlüsselte AGH-Zahlungen in Höhe von insgesamt EUR 9.315,33 geleistet worden. Am 28. Februar 2017, somit dem letzten des Kalendermonats nach dem Einlangen des Antrages des Mitbeteiligten (§ 67a Abs. 6 ASVG), habe auf dem durch die TGKK geführten Beitragskonto der Schuldnerin ein Rückstand in der Höhe von EUR 22.549,60 bestanden. 7 Gemäß § 65 Abs. 1 ASVG seien für die Behandlung der Beiträge im Insolvenzverfahren die Vorschriften der Insolvenzordnung (in der Folge: IO) maßgebend. § 67a Abs. 4 ASVG ordne insoweit Abweichendes an, als nach dieser Bestimmung AGH-Zahlungen als Drittleistung anzusehen seien und nicht der insolvenzrechtlichen Anfechtung nach dem Zweiten Abschnitt des Ersten Hauptstückes des Ersten Teiles der IO (§§ 27 ff IO) unterlägen. Daraus folge aber, dass die §§ 1 bis 26a IO anzuwenden seien. AGH-Zahlungen seien daher im Insolvenzverfahren insoweit nicht "privilegiert". Nach § 20 Abs. 1 dritter Fall IO sei eine Aufrechnung unzulässig, wenn der Schuldner der Insolvenzmasse die Gegenforderung zwar vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworben habe, jedoch zur Zeit des Erwerbes von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, über dessen Vermögen in der Folge das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, Kenntnis hatte oder Kenntnis haben musste. Die TGKK könne sich ab dem Zeitpunkt, in dem sie selbst einen Insolvenzantrag gestellt habe, nicht mehr auf eine Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin berufen. Ab diesem Zeitpunkt sei durch die genannten AGH-Zahlungen ein Guthaben der Schuldnerin in Höhe von insgesamt EUR 9.215,33 entstanden. Eine Aufrechnung dieses Guthabens mit den rückständigen Beiträgen der Schuldnerin sei nach § 20 Abs. 1 dritter Fall IO unzulässig.

8 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Anwendung der §§ 19 und 20 IO auf AGH-Zahlungen liege nicht vor. 9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision der TGKK, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen hat:

10 Die TGKK verweist zur Zulässigkeit ihrer Revision zunächst auf die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes und führt ergänzend zusammengefasst aus, selbst wenn eine Anwendung der §§ 19 und 20 IO zu bejahen wäre, führe dies nicht dazu, dass die AGH-Zahlungen an den Mitbeteiligten herauszugeben wären. Weder sei eine Forderung gegen die TGKK entstanden, noch von der TGKK eine Aufrechnung vorgenommen worden.

11 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

12 § 67a ASVG in der anzuwendenden Fassung des Meldepflicht-Änderungsgesetzes, BGBl. I Nr. 113/2015, lautet auszugsweise:

"§ 67a. (1) Wird die Erbringung von Bauleistungen nach § 19 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes 1994 von einem Unternehmen (Auftrag gebendes Unternehmen) an ein anderes Unternehmen (beauftragtes Unternehmen) ganz oder teilweise weitergegeben, so haftet das Auftrag gebende Unternehmen für alle Beiträge und Umlagen (§ 58 Abs. 6), die das beauftragte Unternehmen an österreichische Krankenversicherungsträger abzuführen hat oder für die es nach dieser Bestimmung haftet, bis zum Höchstausmaß von 20 % des geleisteten Werklohnes, wenn kein Befreiungsgrund nach Abs. 3 vorliegt.

(2) Die Haftung nach Abs. 1 tritt mit dem Zeitpunkt der Zahlung des Werklohnes ein und umfasst alle vom beauftragten Unternehmen zu entrichtenden Beiträge und Umlagen, die bis zum Ende jenes Kalendermonates fällig werden, in dem die Leistung des Werklohnes erfolgt. (...) Die Haftung kann geltend gemacht werden, wenn zur Hereinbringung der in Abs. 1 genannten Beiträge und Umlagen erfolglos Exekution geführt wurde oder bezüglich des beauftragten Unternehmens ein Insolvenztatbestand nach § 1 IESG vorliegt. Die Haftung besteht unbeschadet von Ansprüchen nach § 13a IESG.

(3) Die Haftung nach Abs. 1 entfällt,

1. wenn das beauftragte Unternehmen zum Zeitpunkt der Leistung des Werklohnes in der Gesamtliste der haftungsfreistellenden Unternehmen (HFU-Gesamtliste) nach § 67b Abs. 6 geführt wird oder

2. wenn Z 1 nicht zutrifft - das Auftrag gebende Unternehmen 20 % des zu leistenden Werklohnes (Haftungsbetrag) gleichzeitig mit der Leistung des Werklohnes an das Dienstleistungszentrum (§ 67c) überweist.

(...)

(4) Die Überweisung nach Abs. 3 Z 2 wirkt gegenüber dem beauftragten Unternehmen schuldbefreiend; sie gilt als Drittleistung und unterliegt nicht dem Zweiten Abschnitt des Ersten Hauptstückes des Ersten Teiles der Insolvenzordnung. (...)

(5) Das Dienstleistungszentrum (§ 67c) hat die bei ihm eingelangten Haftungsbeträge unverzüglich an den oder die für die Beitragseinhebung zuständigen Krankenversicherungsträger weiterzuleiten. Sind mehrere Krankenversicherungsträger zuständig, so sind die Haftungsbeträge im Verhältnis der Zahl der versicherten Personen, die im Weiterleitungszeitpunkt auf die jeweiligen DienstgeberInnenkonten (Beitragskonten) des beauftragten Unternehmens entfallen, aufzuteilen. Das Nähere ist durch Richtlinien des Hauptverbandes zu regeln.

(5a) (...)

(6) Guthaben auf einem Beitragskonto des beauftragten Unternehmens, die sich auf Grund der Überweisung von Haftungsbeträgen nach Abs. 3 Z 2 ergeben, sind auf schriftlichen Antrag, der innerhalb von fünf Jahren ab Einlangen der Zahlung an das Dienstleistungszentrum (§ 67c) zu richten ist, durch den jeweils zuständigen Krankenversicherungsträger auszuzahlen. Dem Antrag ist insbesondere dann nicht stattzugeben, wenn am Letzten des Kalendermonats nach dem Einlangen des Antrages beim Dienstleistungszentrum (§ 67c)

1. nicht alle Beitragskonten nach dem ASVG und GSVG des beauftragten Unternehmens ausgeglichen sind oder

2.

eine oder mehrere Beitragsnachweisungen fehlen oder

3.

die vorliegenden Beitragsnachweisungen in auffälligem

Widerspruch zur Zahl der versicherten Personen stehen, die beim beauftragten Unternehmen beschäftigt sind, oder

         4.       die Höhe des Werklohnes in auffälligem Widerspruch zur Zahl der versicherten Personen steht, es sei denn, das beauftragte Unternehmen weist nach, dass

         a)       für die Erbringung der Bauleistung nur die entsprechende Zahl von Dienstnehmern und Dienstnehmerinnen notwendig war oder

         b)       ein weiteres Unternehmen ganz oder teilweise mit der Erbringung der Leistungen beauftragt wurde und hinsichtlich dieser Beauftragung ein Haftungsbefreiungsgrund nach Abs. 3 vorliegt oder

         5.       nicht alle fälligen Zuschläge nach dem BUAG entrichtet sind oder

         6.       nicht alle fälligen Abgabenforderungen des Bundes erfüllt sind.

Wird dem Antrag nicht stattgegeben, so ist das Guthaben mit Verbindlichkeiten des beauftragten Unternehmens zu verrechnen, und zwar nach folgender Reihenfolge: offene Beitragsschulden, Ansprüche gegenüber dem beauftragten Unternehmen auf Grund einer Haftung nach Abs. 1, Zuschlagsleistungen, Abgabenforderungen des Bundes.

(6a) (...)

(7) Zum Zweck der Antragstellung nach Abs. 6 haben die DienstgeberInnen das Recht, auf elektronischem Weg uneingeschränkt und kostenlos Einsicht in ihr Beitragskonto zu nehmen.

(8) bis (12) (...)

(13) Ansprüche aus der Haftung der Auftrag gebenden Unternehmen sind im Zivilrechtsweg vor den zur Ausübung der Gerichtsbarkeit in Handelssachen berufenen Gerichten geltend zu machen."

13 Vorauszuschicken ist den weiteren Überlegungen, dass § 67a Abs. 6 ASVG eine Zuständigkeit des "jeweils zuständigen Krankenversicherungsträgers" für die Entscheidung über die beim Dienstleistungszentrum einzubringenden Anträge auf Auszahlung der sich auf einem Beitragskonto des beauftragten Unternehmens durch AGH-Zahlungen ergebenden Guthaben vorsieht. Zuständig für die Entscheidung über den Antrag sind daher die für die Beitragseinhebung zuständigen Krankenversicherungsträger, an die gemäß § 67a Abs. 5 ASVG durch das Dienstleistungszentrum eingelangte AGH-Zahlungen weiterzuleiten sind (vgl. Rebhahn/Meißnitzer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm (171. Lfg) § 67a ASVG Rz 83). Sollte es sich dabei um mehrere Krankenversicherungsträger handeln, ist jeder Krankenversicherungsträger für Anträge hinsichtlich der bei ihm bestehenden Guthaben zuständig.

14 Zur Frage, in welchem Verfahren der Anspruch nach § 67a Abs. 6 ASVG - etwa auch gestützt auf die Behauptung, es liege eine nach der IO unzulässige Aufrechnung vor - geltend zu machen ist, hat der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 13. Juli 2016, 3 Ob 101/16y, Stellung genommen und ausgeführt, für die Zuordnung zu den Verwaltungssachen spreche, dass § 352 ASVG die Durchführung der Bestimmungen des ASVG den Verwaltungssachen zuweise, soweit nicht eine der dortigen Ausnahmen eingreife. § 67a Abs. 13 ASVG sei nicht einschlägig, weil das Verhältnis der Sozialversicherung zu einem Dienstgeber nicht die Haftung der Auftraggeber betreffe. Daher seien für Streitigkeiten betreffend die Behandlung von AGH-Zahlungen nicht die Gerichte, sondern jene Krankenversicherungsträger zuständig, denen das Dienstleistungszentrum die Beträge zugewiesen habe. Das müsse aber auch für Streitigkeiten über die Frage gelten, ob ein Guthaben nach § 67a Abs. 6 ASVG auszubezahlen sei (vgl. auch OGH 29.5.2018, 8 Ob 55/18; dem OGH zustimmend Rebhahn/Meißnitzer aaO Rz 78; Derntl in Sonntag, ASVG10 (2019) § 67a Rz 35). 15 Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen an, zumal § 67a Abs. 5 und 6 ASVG an das Beitragskonto und damit an das verwaltungsrechtliche Beitragsrecht anknüpft (Derntl, aaO). Im vorliegenden Fall ist die TGKK unstrittig der für die Beitragseinhebung zuständige Träger im Sinn des 67a Abs. 5 ASVG, an den das Dienstleistungszentrum die AGH-Zahlungen weiterzuleiten hatte und auch weitergeleitet hat. 16 Die §§ 19 und 20 IO regeln die Aufrechnung im Insolvenzverfahren. Unter Aufrechnung ist - auch im Kontext der IO - die Aufhebung gegenseitiger Forderungen ohne effektiven Leistungsaustausch zu verstehen (vgl. Schubert in Konecny/Schubert, KO §§ 19, 29 Rz 1). Im Zuge des Insolvenzverfahrens findet sie durch einseitige, empfangsbedürfte Aufrechnungserklärung gegenüber dem Insolvenzverwalter statt (vgl. OGH 20.2.2018, 10 ObS 142/17f; RIS-Justiz RS0064293). Im Vergleich zu den Bestimmungen des ABGB wird die Aufrechnung durch §§ 19 und 20 IO zum Teil erleichtert, zum Teil erschwert (vgl. etwa VwGH 11.7.2012, 2009/08/0102; Schubert aaO Rz 2). Danach lässt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich die bereits vorher bestandene Möglichkeit der Aufrechnung unberührt. Die Forderungen müssen sich also bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits aufrechenbar gegenüber gestanden sein, wobei allerdings die Bedingtheit oder Befristetheit einer Forderung nicht schadet (vgl. etwa OGH 28.4.2008, 8 Ob 117/07z; RIS-Justiz RS0064363). Nach § 20 Abs. 1 zweiter Satz IO wäre die Aufrechnung ungeachtet des Umstands, dass sich Forderung und Gegenforderung im Zeitpunkt der Konkurseröffnung aufrechenbar gegenüberstanden sind, dennoch ausgeschlossen, wenn der Schuldner der Insolvenzmasse bei Erwerb der Gegenforderung von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, über dessen Vermögen in der Folge das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, Kenntnis hatte oder haben musste. Der Zweck dieses Aufrechnungsverbots liegt darin, die Aufrechnung mit Gegenforderungen, die in der Krise billig erworben wurden, hintanzuhalten (vgl. OGH 30.9.2009, 3 Ob 183/09x).

17 Das Bundesverwaltungsgericht stützte sich - der Argumentation des Mitbeteiligten folgend - darauf, dass ein Fall des § 20 Abs. 1 zweiter Satz IO vorliege und eine Aufrechung daher unzulässig sei. Das ist aber schon deshalb verfehlt, weil eine Aufrechnung der TGKK mit einer Forderung der Schuldnerin bzw. der Insolvenzmasse aus den im Folgenden dargestellten Gründen nicht erfolgt ist.

18 AGH-Zahlungen nach 67a Abs. 3 Z 2 ASVG lösen mehrere Rechtswirkungen im dreipersonalen Verhältnis zwischen dem Auftraggeber, dem beauftragten Unternehmen und dem zuständigen Krankenversicherungsträger aus. Der Auftraggeber kann sich von der in § 67a Abs. 1 und 2 ASVG angeordneten Haftung für Beiträge und Umlagen, soweit eine Eintragung des beauftragten Unternehmens in die Gesamtliste der haftungsfreistellenden Unternehmen nicht erfolgt ist, durch AGH-Zahlungen befreien. Gemäß § 67a Abs. 4 erster Teilsatz ASVG wirken AGH-Zahlungen gegenüber dem beauftragten Unternehmen schuldbefreiend. Der Auftraggeber wird somit, ohne dass es einer Vereinbarung bedürfte, im Umfang der zulässigen AGH-Zahlungen von seiner Schuld (Werklohn) aus dem Geschäft mit dem beauftragten Unternehmen befreit (vgl. Rebhahn/Meißnitzer aaO Rz 72).

19 Nach § 67a Abs. 4 zweiter Teilsatz ASVG gelten AGH-Zahlungen als "Drittleistung" und unterliegen nicht der Anfechtung nach der IO (§§ 27 ff IO). Die Qualifikation als "Drittleistung" bringt zum Ausdruck, dass die AGH-Zahlungen als Leistung des beauftragten Unternehmens (Schuldners), bewirkt durch den Auftraggeber als Dritten, gelten. Die vorrangige Bedeutung der Anordnung einer Drittleistung ist zwar in Bezug auf den Ausschluss des Anfechtungsrechts im Insolvenzverfahren des Schuldners zu sehen. Sie ist aber - trotz Normierung im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Anfechtungsausschluss - nach dem Gesetzeswortlaut nicht auf anfechtungsrechtliche Umstände zu beschränken, sondern in einem umfassenden Sinn zu verstehen (vgl. VwGH 6.3.2019, Ro 2015/08/0019, mwN).

20 Im Verhältnis zwischen dem beauftragten Unternehmen (Schuldner) und den für die Beitragseinhebung zuständigen Krankenversicherungsträgern, an die gemäß § 67a Abs. 5 ASVG vom Dienstleistungszentrum (§ 67c ASVG) AGH-Zahlungen weiterzuleiten sind, liegen somit - grundsätzlich nicht anders als bei vom beauftragten Unternehmen selbst bewirkten Beitragszahlungen - Leistungen zur Deckung der bestehenden Verbindlichkeiten des beauftragten Unternehmens an Beiträgen bzw. Umlagen, für die § 67a Abs. 1 und 2 ASVG eine Haftung des Auftraggebers vorsieht, vor. 21 § 67a Abs. 6 ASVG regelt die Auszahlung von "Guthaben auf einem Beitragskonto des beauftragten Unternehmens", die sich "auf Grund der" AGH-Zahlungen ergeben. Daraus folgt, dass eingehende AGH-Zahlungen durch die Krankenversicherungsträger auf dem Beitragskonto des beauftragten Unternehmens zu verbuchen sind (vgl. in diesem Sinn Derntl aaO Rz 25).

22 Ein Guthaben auf einem Beitragskonto des beauftragten Unternehmens entsteht durch die AGH-Zahlungen, wenn die monatlichen Beitragsvorschreibungen durch eigene Zahlungen des beauftragten Unternehmens getilgt werden. Erreicht die Summe der auf dem beim zuständigen Krankenversicherungsträger geführten Beitragskonto verbuchten Leistungen - somit sowohl der eigenen Zahlungen des beauftragten Unternehmens als auch der AGH-Zahlungen - die Summe der Verbindlichkeiten jedoch nicht, liegt ein Guthaben auf einem Beitragskonto des beauftragten Unternehmens nach § 67a Abs. 6 erster Satz ASVG nicht vor (vgl. in diesem Sinn Derntl aaO Rz 30). Zur Überprüfung, ob ein Guthaben auf dem Beitragskonto entstanden ist, steht den beauftragten Unternehmen gemäß § 67a Abs. 7 ASVG ein Recht auf Einsichtnahme in ihr Beitragskonto auf elektronischem Weg zu.

23 Die Auszahlung eines Guthabens auf einem Beitragskonto hat nach dem klaren Wortlaut nur auf schriftlichen Antrag, der innerhalb von fünf Jahren ab Einlangen der Zahlung an das Dienstleistungszentrum zu richten ist, zu erfolgen. Das beauftragte Unternehmen hat es daher auch in der Hand, von einer Antragstellung nach § 67a Abs. 6 erster Satz ASVG trotz eines aufgrund der AGH-Zahlungen entstandenen Guthabens auf seinem Beitragskonto abzusehen und das Beitragskonto durch eine Verringerung eigener Beitragsleistungen auszugleichen. Ein durch eine oder mehrere AGH-Zahlungen entstandenes Guthaben auf dem Beitragskonto kann dadurch auch wieder erlöschen (vgl. in diesem Sinn Bartos, Die neue Auftraggeberhaftung Überblick über den Beginn des Praxisbetriebes, SozSi 2010, 28 ff).

24 Nach § 67a Abs. 6 zweiter Satz ASVG ist dem Antrag auf Auszahlung auch eines bestehenden Guthabens auf dem vom zuständigen Krankenversicherungsträger geführten Beitragskonto "insbesondere" dann nicht stattzugeben, wenn nicht auch die Beitragskonten des beauftragten Unternehmens nach dem ASVG und dem GSVG bei anderen Trägern ausgeglichen sind (Z 1), fällige Beiträge nach dem BUAG (Z 5) bzw. Abgabenforderungen des Bundes (Z 6) offen sind oder näher bezeichnete Gründe vorliegen, die an der Richtigkeit der der Berechnung der Beiträge zugrundeliegenden Meldungen Zweifeln lassen (Z 2, 3 und 4). Diese Überprüfung hat für den Letzten des Kalendermonats nach dem Einlangen des Antrages beim Dienstleistungszentrum stattzufinden.

25 § 67a Abs. 6 letzter Satz ASVG normiert, was zu geschehen hat, wenn dem Antrag auf Auszahlung des Guthabens "nicht stattgegeben" wird. Angeordnet werden somit die Rechtsfolgen einer Ablehnung des Antrages mangels Vorliegens der Voraussetzungen nach den ersten beiden Sätzen der Bestimmung. Ein Guthaben auf dem Beitragskonto des zuständigen Krankenversicherungsträgers ist in diesem Fall zu "verrechnen"; und zwar der Reihenfolge nach - auch trägerübergreifend - für offene Beitragsschulden, Ansprüche gegenüber dem beauftragten Unternehmen auf Grund einer Haftung nach § 67a Abs. 1, sowie - wie mit dem Sozialbetrugsbekämpfungsgese tz, BGBl. I Nr. 113/2015, eingefügt wurde - für Zuschlagsleistungen und Abgabenforderungen des Bundes. 26 § 67a Abs. 6 letzter Satz ASVG kann somit nicht so verstanden werden, dass die geleisteten AGH-Zahlungen als Sondervermögen ("Guthaben", "Forderung") des beauftragten Unternehmens anzusehen wären, das bis zur Abweisung eines Antrages nach § 67a Abs. 6 ASVG bestehen bliebe, zumal es sich - wie schon ausgeführt - bei den AGH-Zahlungen um im Sinn des § 67a Abs. 4 zweiter Teilsatz ASVG durch die Auftraggeber erbrachte und auf dem Beitragskonto des beauftragten Unternehmens zu verbuchende "Drittleistungen" an die Krankenversicherungsträger handelt. 27 Im vorliegenden Fall ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass - auch unter Berücksichtigung der AGH-Zahlungen - bereits bei Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Schuldnerin sowie in der Folge im Zeitpunkt des Letzten des Kalendermonats nach dem Einlangen des Antrages des Masseverwalters auf Auszahlung Beitragsrückstände der Schuldnerin bei der TGKK vorlagen. Ein Guthaben auf dem bei der TGKK geführten Beitragskonto der Schuldnerin, das aufgrund der AGH-Zahlungen entstanden wäre, bestand somit nicht.

28 Selbst das Bestehen eines Guthabens bei einem Krankenversicherungsträger, das durch AGH-Zahlungen entstanden ist, begründet für sich noch keine Forderung des beauftragten Unternehmens. Die im öffentlichen Recht wurzelnde Forderung auf Auszahlung setzt nämlich auch die Erfüllung der übrigen Voraussetzungen des § 67a Abs. 6 ASVG voraus. Es bedarf daher - wie dargelegt - in formeller Hinsicht eines schriftlichen Antrages sowie in materieller Hinsicht - neben dem Vorliegen eines Guthabens auf dem Beitragskonto im Sinn des ersten Satzes der Bestimmung - auch die Erfüllung der Bedingungen nach dem zweiten Satz. Diese Überprüfung hat für den Letzten des Kalendermonats nach dem Einlangen des Antrages beim Dienstleistungszentrum zu erfolgen.

29 Im vorliegenden Fall ist die TGKK zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen der Auszahlung nach § 67a Abs. 6 ASVG schon mangels Bestehens eines Guthabens nicht vorlagen. Damit ist auch keine Forderung der Schuldnerin bzw. der Insolvenzmasse gegen die TGKK entstanden. Die §§ 19 und 20 IO kommen daher schon mangels Aufrechnung der TGKK mit einer Forderung der Schuldnerin bzw. der Insolvenzmasse nicht zur Anwendung.

30 Da das Bundesverwaltungsgericht das verkannt hat, hat es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall, in dem der entscheidungswesentliche Sachverhalt zwischen den Parteien nicht strittig war und nur noch Rechtsfragen zu klären waren, gegeben.

31 Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat der Revisionswerber im Fall einer Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz. Ein solcher kommt für die Revisionswerberin aber auch deshalb nicht in Betracht, weil sie selbst Rechtsträgerin im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG ist. Der diesbezügliche Antrag war daher abzuweisen (vgl. VwGH 20.6.2018, Ra 2017/08/0012, mwN).

Wien, am 17. Oktober 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018080012.J00

Im RIS seit

04.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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