TE Vfgh Erkenntnis 1996/10/9 B1833/96

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Veröffentlicht am 09.10.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AufenthaltsG §5 Abs1
EMRK Art8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen nicht gesicherten Lebensunterhaltes infolge Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern, zuhanden ihres Rechtsvertreters, die mit je 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres wurden die Anträge eines türkischen Ehepaares (Beschwerdeführer zu B 1833 und B1835/96) und ihrer drei minderjährigen Kinder (Beschwerdeführer zu B 1836 bis B1838/96) auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 und unter Bezugnahme auf §4 Abs3 des Aufenthaltsgesetzes (AufG), BGBl. 466/1992 idF BGBl. 351/1995, abgewiesen. Die belangte Behörde begründete diese Aufenthaltsbewilligungen versagenden Bescheide damit, daß der Lebensunterhalt der Bewilligungswerber für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert sei; die Unterhaltsmittel in der Höhe von 14.000 S pro Monat seien als nicht ausreichend zu betrachten, um den Lebensunterhalt der gesamten Familie zu sichern.

Gegen diese fünf Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.

Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1.a) Die angefochtenen, Aufenthaltsbewilligungen nach dem AufG versagenden Bescheide, greifen in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer, die sich seit mehreren Jahren rechtmäßig in Österreich aufhalten, ein.

b) Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis v. 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung des §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung des durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat in den Beschwerdefällen, denen Anträge zur Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bereits seit mehreren Jahren aufhältigen Fremden zugrundelagen (der Erstbeschwerdeführer ist seit 1976 in Österreich seine Ehegattin seit 1978), das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG ohne auf die private Interessenlage der Beschwerdeführer näher einzugehen ausschließlich damit begründet, daß die Unterhaltsmittel nicht dazu ausreichen, um ohne Unterstützung der Sozialhilfeträger auskommen zu können. Sie hat damit die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide waren aus diesem Grund aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1833.1996

Dokumentnummer

JFT_10038991_96B01833_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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