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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §10Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über den Antrag des N G, vertreten durch Mag. Michaela Krömer, Rechtsanwältin in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. September 2018, W202 2145405- 1/13E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 9. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den vom Antragsteller am 16. November 2015 gestellten Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
2 Dagegen erhob der Antragsteller, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
3 Mit Erkenntnis vom 21. September 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Das Erkenntnis wurde dem Antragsteller im Wege des vorgenannten Vertreters am 25. September 2018 zugestellt. 4 Am 25. März 2019 brachte der Antragsteller durch eine Mitarbeiterin der Caritas den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung - gemeinsam mit seinem Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe erkennbar zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts - beim Verwaltungsgerichtshof ein. 5 Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. April 2019 wurde dem Antragsteller aufgetragen, den Antrag auf Wiedereinsetzung durch einen bevollmächtigten Anwalt abzufassen und einzubringen.
6 In dem mit Schriftsatz vom 17. April 2019 anwaltlich eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung wird ausgeführt, der Antragsteller habe erstmals am 11. März 2019 Kenntnis von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. September 2018 erlangt.
Der Verein Menschenrechte Österreich sei am 16. Jänner 2017 mit der Vertretung des Antragstellers im Beschwerdeverfahren beauftragt und bevollmächtigt worden. Der Antragsteller habe diese Vollmacht am 3. Mai 2018, also während des Beschwerdeverfahrens, widerrufen und am 4. Mai 2018 die Caritas zu seiner Vertretung bevollmächtigt, die auch an der an diesem Tag stattgefundenen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht als Rechtsvertreterin mitgewirkt habe. Sowohl der Antragsteller selbst als auch die Mitarbeiter der Caritas seien davon ausgegangen, dass der Verein Menschenrechte Österreich das Bundesverwaltungsgericht über die Auflösung des "Vollmachtsverhältnisses" informieren würde. Dies sei im gegenständlichen Fall jedoch - entgegen der üblichen Vorgehensweise - verabsäumt worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch im Zuge der mündlichen Verhandlung am 4. Mai 2018 nicht gefragt, ob das Vollmachtsverhältnis zum Verein Menschenrechte Österreich weiterhin aufrecht sei bzw. ob der Antragsteller auf das Beisein seines amtswegig zur Verfügung gestellten Rechtsberaters verzichte.
Der Verein Menschenrechte Österreich habe nach der Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts zwar versucht, den Antragsteller telefonisch zu erreichen. Da der Antragsteller die Vollmacht widerrufen habe und der Verein Menschenrechte Österreich auch im Erkenntnis nicht als Vertreter genannt gewesen sei, habe sich dieser als unzuständig erachtet. Der Verein Menschenrechte Österreich sei von einer Zustellung an die neue Vertreterin ausgegangen und deshalb nicht mehr weiter tätig geworden. Der Antragsteller erachtet den Umstand, dass er von der Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts am 25. September 2018 keine Kenntnis erlangt habe, als unvorhergesehenes Ereignis, das ihn an der rechtzeitigen Einbringung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gehindert habe. Er gesteht ferner zu, dass ihn insofern ein Verschulden am Versäumnis, das Bundesverwaltungsgericht über die Auflösung des Vertretungsverhältnisses mit dem Verein Menschenrechte Österreich zu informieren, treffe, als er selbst dazu verpflichtet gewesen wäre, mit dem Gericht Kontakt aufzunehmen. Sein Verschulden übersteige jedoch angesichts sämtlicher Umstände nicht einen minderen Grad des Versehens. Zum einen seien mehrere Unregelmäßigkeiten zusammengekommen, die "das Missverständnis normalerweise verhindert hätten". Zum anderen würden näher bezeichnete subjektive Umstände vorliegen, die zu einer Minderung des Verschuldens führen würden. Auch sei dem Antragsteller das Verhalten des Vereins Menschenrechte Österreich nicht zurechenbar, weil im Zeitpunkt der Zustellung kein Vertretungsverhältnis mehr bestanden habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes treffe einen Asylwerber kein den minderen Grad eines Versehens übersteigendes Verschulden, wenn er auf eine auf Flüchtlingsberatung spezialisierte Rechtsberatungsorganisation vertraue.
7 Gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 VwGG sind Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen, der gemäß § 61 Abs. 3 VwGG über derartige Anträge entscheidet.
8 Mangels näherer Vorschriften im VwGG - § 46 Abs. 3 und 4 VwGG enthält Regelungen betreffend die Wiedereinsetzung nach erfolgter Einbringung der Revision bzw. für den Fall der Versäumung der Revisionsfrist - sind Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Anträge zu entscheiden (vgl. VwGH 23.9.2014, Ra 2014/01/0070).
9 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erlitten hat. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht. 10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. etwa VwGH 15.7.2014, Ro 2014/02/0024; 28.8.2019, Ra 2019/14/0375). Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VwGH 23.5.2014, 2014/02/0034; 21.5.2019, Ra 2018/19/0406). Bei einem zur Wiedereinsetzung führenden Ereignis im Sinn des § 46 VwGG muss es sich zudem um ein Geschehen handeln, das für das Versäumen der Frist kausal war (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/01/0061).
11 Den Wiedereinsetzungswerber gemäß § 46 VwGG trifft die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat, und diesen behaupteten Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft zu machen, was als Grundlage ein entsprechend begründetes Antragsvorbringen voraussetzt. Diese Nachweispflicht bezieht sich auch auf die Darlegung, dass der Wiedereinsetzungswerber (oder sein Vertreter) die ihm in Zusammenhang mit der Einhaltung der versäumten Frist gebotene Sorgfaltspflicht nicht außer Acht gelassen hat, und dass ihm nicht mehr als bloß ein minderer Grad des Versehens an der Fristversäumnis zur Last liegt (vgl. neuerlich VwGH Ra 2015/01/0061).
12 Der Verein Menschenrechte Österreich wurde am 16. Jänner 2017 mit der Vertretung des Antragstellers im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bevollmächtigt. Eine allgemeine Vertretungsvollmacht im Sinn des § 10 AVG schließt im Allgemeinen die Zustellbevollmächtigung ein (vgl. neuerlich VwGH 16.10.2014, Ro 2014/06/0072, mwN). Da der Antragsteller keine dahingehende Einschränkung des Vollmachtsverhältnisses behauptet, ist davon auszugehen, dass dem Verein Menschenrechte Österreich auch eine Zustellbevollmächtigung erteilt wurde.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die Beendigung einer Vollmacht gegenüber der Behörde (dem Verwaltungsgericht) erst wirksam, wenn dies der Behörde (dem Verwaltungsgericht) mitgeteilt wird (vgl. VwGH 27.1.2016, Ra 2016/05/0003; 27.3.2018, Ra 2018/06/0007; 9.11.2018, Ra 2017/17/0626; sowie Hengstschläger/Leeb, AVG I2 (2014) § 10 Rz. 26 mwN).
14 Im vorliegenden Fall wurde der Widerruf der Vollmacht an den Verein Menschenrechte Österreich gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht nicht angezeigt. Der Caritas als Rechtsvertreterin des Antragstellers wurde keine Zustellvollmacht erteilt. Ihr Einschreiten als (sonstiger) Rechtsvertreter des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht kann daher keinesfalls als "schlüssiger" Widerruf der erteilten Zustellvollmacht (vgl. dazu zB VwGH 22.9.2011, 2010/18/0365, and Hengstschläger/Leeb, aaO, Rz. 26) gewertet werden.
Damit war im Zeitpunkt der Zustellung des Erkenntnisses jedenfalls die Zustellbevollmächtigung des Vereins Menschenrechte Österreich - entgegen dem oben wiedergegebenen Vorbringen des Antragstellers - aufrecht. Daraus folgt, dass die Zustellung des Erkenntnisses wirksam erfolgte (vgl. für Zustellbevollmächtigte zB VwGH 22.3.2000, 99/01/0268).
15 Der Antragsteller bringt zwar vor, dass ihn lediglich ein über den minderen Grad des Versehens nicht hinausgehendes Verschulden treffe, das Bundesverwaltungsgericht nicht über die Auflösung des Vertretungsverhältnisses mit dem Verein Menschenrechte Österreich informiert zu haben. Er legt jedoch nicht dar, inwieweit dies auch für die zu seiner Rechtsvertretung bevollmächtigte Caritas - die sich wie der Antragsteller selbst auf eine Bekanntgabe der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses durch den Verein Menschenrechte Österreich verlassen hat (vgl. Rn 6) - gilt, zumal auch ein Mangel in der Kommunikation zwischen der Partei und ihren Vertretern nach der hg. Rechtsprechung grundsätzlich kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG darstellt (vgl. nochmals VwGH Ra 2019/14/0375).
16 Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am 23. Oktober 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190119.L00Im RIS seit
09.12.2019Zuletzt aktualisiert am
09.12.2019