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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A B B in G, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juli 2019, Zl. I408 2007858/48E, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2007 im Alter von zehn Jahren legal zu seinen bereits in Österreich lebenden Eltern in das Bundesgebiet ein. Er verfügte zuletzt über einen Aufenthaltstitel Daueraufenthalt - EU mit Gültigkeit bis zum 24. März 2018.
2 Mit Bescheid vom 29. Juli 2016 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn gemäß § 52 Abs. 5 FPG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig sei, und es wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.
4 Es stellte fest, dass der Revisionswerber an komplexen Traumafolge- und Impulskontrollstörungen leide und in seinem Sozialverhalten beeinträchtigt sei, was sich in aggressivem Verhalten niederschlage. Hinzu komme, dass er drogenabhängig sei. Sein aggressives Verhalten habe schon früh das Familienleben belastet und zu einer Wegweisung aus der Familienwohnung, verbunden mit einem Betretungsverbot, geführt. Der Revisionswerber habe sich daran aber nicht gehalten. So sei es u.a. am 26. Februar 2014 in der Wohnung seiner Eltern zu einem Handgemenge zwischen dem Revisionswerber und seinem Vater gekommen, und am 3. März 2014 habe er beim Versuch, in die Wohnung zu gelangen, das Türschloss und dann auch das Auto seines Vaters durch Schläge mit seinem Skateboard beschädigt.
5 Der Revisionswerber weise in Österreich mehrere Vorstrafen auf: Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 9. Jänner 2015 sei er gemäß §§ 15, 105 Abs. 1 und 15, 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden; er habe versucht, von seiner Mutter mit einem 30 cm langen Messerschleifer die Herausgabe von EUR 150,-- zu erzwingen und seine Schwester zur Abänderung ihres Aussageverhaltens im Strafverfahren zu nötigen; außerdem sei er beim Diebstahl einer Herrenhose betreten worden. Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 3. Juni 2016 sei er gemäß §§ 133 Abs. 1, 107 Abs. 1, 164 Abs. 2 StGB, § 55 Abs. 1 Z 3 WaffG, §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, § 83 Abs. 1 StGB, §§ 15, 269 Abs. 1 StGB, §§ 15, 127 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt worden; dieser Verurteilung seien gefährliche Drohungen mit der Zufügung von Körperverletzungen gegenüber unterschiedlichen Personen an drei verschiedenen Tagen, eine versuchte Körperverletzung, der Besitz einer verbotenen Waffe (Butterfly-Messer mit einer Klingenlänge von 12 cm), Nichtrückgabe einer anvertrauten Uhr im Wert von EUR 2.000,--, Hehlerei von gestohlenen Sachen und Diebstähle von Lebensmitteln und Drogerieartikeln zugrunde gelegen. Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 14. Februar 2017 sei er wegen versuchter Nötigung gemäß §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten und mit Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 23. März 2017 wegen versuchten Diebstahls und versuchter Körperverletzung gemäß §§ 15, 127 StGB und §§§ 15, 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen als Zusatzstrafe verurteilt worden; eine weitere Zusatzstrafe (Freiheitsstrafe von sechs Wochen) sei mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 17. Jänner 2018 gemäß §§ 125, 126 Abs. 1 StGB gefolgt; dem seien Sachbeschädigungen in der Haftanstalt zugrunde gelegen (Verstopfung der Toilette und Überflutung der Zelle, Übergießen der Rufanlage mit Wasser und Herumwerfen mit Fäkalien). Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. August 2018 sei der Revisionswerber gemäß § 241e Abs. 1 StGB, §§ 15, 105 StGB, §§ 229 Abs. 1, 146, 147 Abs. 1 StGB und § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt worden; dabei sei es um gefährliche Drohungen, Diebstähle und die unrechtmäßige Verwendung einer fremden Bankomatkarte und fremder Ausweise bzw. Konten gegangen; mit Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 11. Jänner 2019 sei gemäß § 83 Abs. 2 StGB eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten als Zusatzstrafe verhängt worden.
6 Der Revisionswerber sei von 28. Juni 2015 bis 13. Juli 2015, 26. Februar 2016 bis 7. Juni 2016, 12. Jänner 2017 bis 23. Juni 2017 und 26. Februar 2018 bis 16. April 2019 in Haft gewesen. Dort sei er von seiner Mutter regelmäßig besucht worden. 7 Trotz Unterstützung durch Jugendwohlfahrt, Jugendcoaching und den Verein Neustart habe er in Österreich weder die Schule abgeschlossen, noch verfüge er über eine abgeschlossene Berufsausbildung.
8 Er sei Vater einer am 22. März 2018 geborenen, mittlerweile in Deutschland lebenden Tochter. Weder zu dieser noch zur Kindesmutter bestehe Kontakt.
9 Er beherrsche sowohl die deutsche als auch die arabische Sprache, habe die ersten Lebensjahre bei seinem Großvater in Marokko verbracht und verfüge dort weiterhin über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. Er sei ein junger, arbeitsfähiger Mann, der auf Grund seiner Sprachkenntnisse und Auslandserfahrungen in der Lage sei, sich auch in einem zwischenzeitlich fremden Umfeld zu behaupten und aus eigenem für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Weiters seien in Marokko alle gängigen Medikamente erhältlich; es werde primär am Revisionswerber liegen, ob er sie regelmäßig einnehme. 10 In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers. Aus diesen ergebe sich, dass er seit seiner ersten Verurteilung im Jahr 2015 in immer kürzeren Abständen gegen die österreichische Rechtsordnung verstoßen habe. Weder die bisher ergangenen strafgerichtlichen Verurteilungen noch die Unterstützungsmaßnahmen seitens der Jugendwohlfahrt und "anderer diesbezüglicher Organisationen" noch das laufende Verfahren über die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot hätten bei ihm zu einem Umdenkprozess geführt. Er nehme die ihm gemachten Angebote nicht an und nehme die verordneten Medikamente nicht ein.
11 Bei einer Gesamtbetrachtung aller aufgezeigten Umstände und der auf Grund des persönlichen Fehlverhaltens des Revisionswerbers getroffenen Gefährdungsprognose sei davon auszugehen, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle.
12 Die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG führte das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers im Hinblick auf das überwiegende öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gerechtfertigt sei.
13 Zum Einreiseverbot führte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus, dass die Art und Weise der Begehung der Straftaten, der Umstand, dass der Revisionswerber kein hinreichendes Schuldbewusstsein erkennen lasse, sowie das erst kurze Zurückliegen der Straftaten in Verbindung mit der wirtschaftlichen Situation des Revisionswerbers eine Prognose für eine Tatwiederholungsgefahr nicht unbegründet erscheinen ließen, zumal er zuletzt obdachlos gemeldet gewesen sei. Die Straftaten wiesen auf eine beträchtliche kriminelle Energie des Revisionswerbers hin, der auch wiederholt nicht vor der Ausübung körperlicher Gewalt zurückgescheut sei. Es müsse angenommen werden, dass von ihm weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Das vom BFA verhängte Einreiseverbot erweise sich daher dem Grunde nach als zulässig. Es werde trotz der weiteren während des Beschwerdeverfahrens begangenen Straftaten in der vom BFA festgesetzten Dauer belassen, womit dem jugendlichen Alter des Revisionswerbers und dem Umstand, dass seine Kernfamilie ihren Lebensmittelpunkt in Österreich habe und seine Tochter in Europa lebe, Rechnung getragen werde. 14 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
15 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
16 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
17 Unter diesem Gesichtspunkt macht der Revisionswerber geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, wonach zum einen bei der Interessenabwägung auch auf die Bindungen zum Heimatstaat und damit auf die Möglichkeit der Schaffung einer Existenzgrundlage Bedacht zu nehmen sei und es zum anderen bei einer Gefährdungsprognose nach § 52 Abs. 5 FPG nicht bloß auf die Tatsache einer Verurteilung ankomme, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild. Allen genannten Anforderungen wird die oben zusammengefasst wiedergegebene Begründung des Bundesverwaltungsgerichts aber gerecht.
18 Soweit der Revisionswerber auf psychiatrische Gutachten aus den Jahren 2014, 2016 und 2018 verweist, wonach er einer engen psychosozialen Begleitung und Kontrolle bedürfe, ist nicht ersichtlich, was daraus für ihn zu gewinnen ist. Er führt dazu näher aus, dass die Einnahme der Medikamente Voraussetzung dafür sei, dass er nicht aggressiv werde und in seiner Wut Straftaten begehe; im Gutachten aus 2016 würden die prognostischen Aussichten als düster beschrieben, falls es nicht gelinge, den Revisionswerber ehebaldigst in ein konsequentes und durchsetzungsfähiges Betreuungssystem einzubinden; auf Grund seiner Tendenz, sich solchen Systemen zu entziehen oder dagegen gewaltsam zu opponieren, wäre eine Betreuung außerhalb einer geschlossenen Einrichtung laut Gutachten kaum vorstellbar. Seit dieser Begutachtung sei es zu zwei Verurteilungen gekommen, wobei die Schwere der Delinquenz nicht zugenommen habe und der Revisionswerber dargelegt habe, dass er aggressiv geworden sei, weil er die Medikamente nicht eingenommen habe. Auf Grund der Betreuung des Revisionswerbers und der Sorge seiner Eltern, die sich mit vereinten Kräften bemühten, den Revisionswerber bei der Einnahme der Medikamente zu unterstützen, habe sein delinquentes Verhalten jedenfalls nicht an Schwere zugenommen. Mit diesem Vorbringen führt der Revisionswerber nichts ins Treffen, was die Gefährdungsprognose des Bundesverwaltungsgerichts auch nur ansatzweise entkräften könnte.
19 Weiters wendet sich die Revision in der Zulässigkeitsbegründung gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Revisionswerber ein volljähriger jugendlicher Erwachsener sei, der aus eigenem in der Lage sei, für seinen Lebensunterhalt in Marokko zu sorgen. Inwieweit und aus welchen Gründen diese Annahme unzutreffend sein soll, wird aber nicht ausgeführt. Soweit in den Revisionsgründen in diesem Zusammenhang auf die psychiatrische Betreuungsbedürftigkeit und die schwierige Persönlichkeitsstruktur des Revisionswerbers hingewiesen wird, ist ihm zu entgegen, dass das Bundesverwaltungsgericht auf diese Umstände ohnedies Bedacht genommen hat; allfällige sich daraus ergebende Schwierigkeiten wird der Revisionswerber in Anbetracht seiner in Österreich begangenen Straftaten in Kauf zu nehmen haben.
20 Insgesamt können weder die Interessenabwägung noch die Gefährdungsprognose des Bundesverwaltungsgerichts, die auf einem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber beruhen, als unvertretbar angesehen werden (vgl. zu diesem für die Revisionszulässigkeit gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG maßgeblichen Prüfungsmaßstab etwa VwGH 31.8.2017, Ra 2017/21/0111, Rn. 15, mwN).
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 24. Oktober 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210268.L00Im RIS seit
10.12.2019Zuletzt aktualisiert am
10.12.2019