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E000 EU- Recht allgemeinNorm
EURallgBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des M K in W, vertreten durch Mag. Peter Fasching, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 28/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. Mai 2019, G313 2178741-1/11E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der 1983 geborene Revisionswerber, ein deutscher Staatsangehöriger, hält sich nach eigenen Angaben - mit verschiedenen Unterbrechungen - seit Dezember 2001 in Österreich auf. Ihm war am 29. April 2010 (als Arbeitnehmer iSd § 51 Abs. 1 Z 1 NAG) eine Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger ausgestellt worden.
2 Über den Revisionswerber war mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. Oktober 2008 wegen am 7. August 2008 in Wien begangener Vergehen der Körperverletzung (Versetzen eines Faustschlages gegen den Kopf seiner Lebensgefährtin, wodurch diese stürzte und eine Schwellung am Hinterkopf erlitt), der Sachbeschädigung (an der Hauseingangs- und Wohnungstüre zu ihrer Wohnung), des Hausfriedensbruchs und der gefährlichen Drohung eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von 5 Monaten verhängt worden.
3 Mit weiterem rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 23. Oktober 2012 war über den Revisionswerber wegen Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 3 WaffG eine Geldstrafe (von 100 Tagessätzen, im Nichteinbringungsfall 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt worden.
4 Zuletzt verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien mit rechtskräftigem Urteil vom 25. September 2017 über den Revisionswerber wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 StGB iVm "§§ 15, 269 Abs. 1 zweiter Fall, § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 2 StGB" eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von 6 Monaten. Er hatte sich am 22. April 2017 in Wien durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt und dabei Beamte mit Gewalt an seiner Festnahme zu hindern versucht. Dabei hatte er einen der einschreitenden Sicherheitswachebeamten durch einen Fußtritt zu verletzen versucht.
5 Mit Bescheid vom 11. November 2017 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unter Hinweis auf diese strafgerichtlichen Verurteilungen und die ihnen zugrundeliegenden Taten gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG über den Revisionswerber ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Es erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.
6 Mit dem angefochtenen (nach mündlicher Verhandlung erlassenen) Erkenntnis vom 22. Mai 2019 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einer dagegen erhobenen Beschwerde insoweit Folge, als es die Dauer des Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG auf zehn Monate herabsetzte. Im Übrigen bestätigte es den angefochtenen Bescheid vom 11. November 2017. Das BVwG sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Begründend stellte das BVwG fest, der Revisionswerber weise in Österreich, mit Unterbrechungen, Nebenwohnsitzmeldungen "von 27.12.2001 bis 30.01.2002", sodann "von 04.06.2003 bis 18.05.2004", Hauptwohnsitzmeldungen "von 23.06.2005 bis 09.09.2008" und mit einer Meldeunterbrechung von knapp einem Jahr "ab 30.12.2009 bis 15.9.2011" auf; ab 15. September 2011 sei er durchgehend gemeldet. Er sei bei verschiedenen Dienstgebern tageweise und meist geringfügig beschäftigt gewesen. Zwischendurch habe er Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und bedarfsorientierte Mindestsicherung bezogen. Zuletzt sei er ohne Beschäftigung gewesen und habe ausgeführt, auf Erfolgshonorarbasis zu arbeiten.
Weiters stellte das BVwG die vom Revisionswerber begangenen Straftaten näher dar, wobei es davon ausging, dass mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. Oktober 2008 über ihn eine "bedingte Haftstrafe von fünf Jahren auf drei Jahre Bewährung" verhängt worden sei.
Der Revisionswerber habe seit seinem 15. Lebensjahr regelmäßig Alkohol konsumiert und sei ab dem 24. Lebensjahr alkoholabhängig gewesen. Bis Juni 2017 habe er bereits 12 Alkoholentziehungen absolviert, wobei es jedoch immer wieder zu Rückfällen gekommen sei.
Rechtlich verneinte das BVwG das Vorliegen eines ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet und bejahte eine von ihm ausgehenden Gefährdung im Sinn des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG. Insbesondere zeige sich aus den strafbaren Verhaltensweisen die Bereitschaft zu körperlicher Gewaltausübung. Da der Revisionswerber im Bundesgebiet weder über familiäre noch über private Anknüpfungspunkte verfüge (seine Familie lebe in Deutschland) und er nur für jeweils kurze Zeit erwerbstätig gewesen sei, sei von einem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber seinen persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet auszugehen. Allerdings reiche die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes auf einen Zeitraum von 10 Monaten aus, damit der Revisionswerber zeigen könne "ob ein Gesinnungswandel für die Zukunft eintritt".
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
9 Die Revision erweist sich - wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG wegen dessen Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als zulässig und berechtigt.
10 Das bekämpfte Aufenthaltsverbot wurde inhaltlich auf § 67 Abs. 1, erster bis vierter Satz FPG gegründet. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
11 Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Prognose einer vom Fremden ausgehenden Gefahr, anders als die Revision meint, nicht entgegensteht, dass die Gefährlichkeit auf eine Krankheit zurückzuführen ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber sogar die Möglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch wegen Tathandlungen vorgesehen, die im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen wurden (vgl. dazu VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0081, Rn. 9, mwN).
12 Nach dem letzten Satzteil des § 66 Abs. 1 FPG ist eine Ausweisung von EWR-Bürgern, die bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a und 54a NAG) erworben haben, allerdings nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
13 Der Verwaltungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, heranzuziehen ist (vgl. grundlegend VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181, Punkt 3., und daran anknüpfend etwa VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135, und VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066, Rn. 17, mwN).
Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem vom BVwG für maßgeblich erachteten Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG.
14 Der hier wesentliche § 53a Abs. 1 NAG stellt in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen geht offenbar das BVwG aus. 15 Auf dieser Grundlage hätte über den unstrittig seit dem 29. April 2010 über eine Anmeldebescheinigung verfügenden Revisionswerber nur bei Vorliegen von Gründen im Sinn des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfen.
16 Indem das BVwG nicht auf diesen höheren Gefährdungsmaßstab abstellte, zugleich durch die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes auf zehn Monate aber zu erkennen gab, nur von einer relativ geringen Gefährdung durch den Revisionswerber auszugehen, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das in deren Ansätzen nicht gedeckte Mehrbegehren war abzuweisen. 18 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 24. Oktober 2019
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210205.L00Im RIS seit
03.04.2020Zuletzt aktualisiert am
03.04.2020