Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M S, vertreten durch Mag.a Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juli 2019, W 264 2167083-1/25E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 13. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er einmal auf dem Heimweg von bewaffneten Personen überfallen und ausgeraubt worden sei. Der Revisionswerber habe diesen Vorfall bei der Polizei angezeigt, welche die Personen daraufhin festgenommen habe. Nachdem jene Personen die Polizei bestochen hätten, seien sie freigekommen, weshalb der Revisionswerber um sein Leben fürchte.
2 Mit Bescheid vom 19. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Das BFA legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen glaubhaft gemacht. 5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit insbesondere geltend macht, dass zwischen der Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Erlassung des Erkenntnisses zwölf Monate lägen und daher nicht von einem hinreichend geklärten Sachverhalt ausgegangen werden könne, zumal sich die Integration des Revisionswerbers in diesem Jahr in entscheidungserheblicher Weise intensiviert habe. Zudem habe das BVwG in der vorgenommenen Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK nicht alle Kriterien beachtet. Der Revisionswerber habe zahlreiche Unterlagen, insbesondere zu seinen Sprachkenntnissen, sozialen Aktivitäten, seinem Freundes- und Bekanntenkreis, Schnuppertagen, dem Pflichtschulabschluss, ehrenamtlichen Tätigkeiten, Empfehlungsschreiben, einer saisonalen Tätigkeit und Einstellungsangeboten, vorgelegt, womit sich das BVwG nur peripher auseinandergesetzt habe.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Die Revision bringt zunächst vor, dass das BVwG am 1. August 2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt habe, das nunmehr angefochtene Erkenntnis sei jedoch erst rund 12 Monate später, im Juli 2019, erlassen worden. Es könne daher nicht von einem hinreichend geklärten und aktuellen Sachverhalt ausgegangen werden, "zumal sich die Bindungen des Revisionswerbers bzw. dessen Integration in diesem knappen Jahr noch weiter und damit in entscheidungserheblicher Weise intensiviert haben, wie nicht zuletzt die dem BVwG nach der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeugnisse, Fotos, Vereinbarungen und Empfehlungsschreiben bzw sonstige Unterlagen zur Integration bestätigen".
11 Diesem Vorbringen der Revision ist entgegen zu halten, dass § 21 Abs. 7 BFA-VG das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung grundsätzlich erlaubt, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (vgl. VwGH 14.8.2019, Ra 2019/20/0103; 25.2.2019, Ra 2018/19/0564 bis 0566).
12 Mit dem Hinweis auf seine nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeugnisse, Fotos, Vereinbarungen und Empfehlungsschreiben vermag der Revisionswerber nicht darzulegen, inwiefern sich der maßgebliche entscheidungswesentliche Sachverhalt geändert hat, dass vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG (vgl. etwa VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049, mwN) eine neuerliche mündliche Verhandlung notwendig wäre.
13 Darüber hinaus bringt der Revisionswerber vor, dass die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK insofern nicht gesetzmäßig erfolgt sei, als das BVwG die Auswirkungen einer Rückkehr in sein Herkunftsland auf sein Privatleben in Österreich nicht ausreichend berücksichtigt habe. Das BVwG habe sich insbesondere mit den Bindungen, die durch den Pflichtschulabschluss oder die Arbeitsangebote entstanden seien, nicht auseinandergesetzt.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0107, mwN).
15 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049, mwN).
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN).
17 Das BVwG verkannte in der durchgeführten Interessenabwägung nicht, dass der Revisionswerber nicht unerhebliche Integrationsschritte gesetzt hat. In seiner Abwägung berücksichtigte es insbesondere den vierjährigen Aufenthalt, das nicht vorhandene Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Revisionswerber und seiner in Österreich lebenden Cousine, seine ehrenamtliche Tätigkeit, seinen Pflichtschulabschluss, die Absolvierung einer Ausbildung an der Schule für Pflegeassistenz und Sozialbetreuung, seine Sprachkenntnisse auf B2-Niveau und seine Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern sowie seine Unbescholtenheit und stellte diese privaten Interessen den öffentlichen Interessen gegenüber. Dabei kam das BVwG zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens gegenüber den - durch den unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers - relativierten persönlichen Interessen des Revisionswerbers überwiegen würden.
18 Dass diese Interessenabwägung unvertretbar wäre, vermag die Revision vor dem Hintergrund der zuvor genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aufzuzeigen.
19 Der Revision gelingt es schließlich auch mit ihrem übrigen Vorbringen nicht, revisibel und relevante Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts darzutun (vgl. VwGH 6.9.2017, Ra 2017/18/0294, sowie 17.9.2019, Ra 2019/14/0397, und 23.5.2018, Ra 2018/22/0074). 20 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 30. Oktober 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180326.L00Im RIS seit
04.12.2019Zuletzt aktualisiert am
04.12.2019