TE Vwgh Erkenntnis 2019/11/5 Ro 2017/06/0032

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Veröffentlicht am 05.11.2019
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Index

L85003 Straßen Niederösterreich
10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
20/13 Sonstiges allgemeines Privatrecht

Norm

ABGB §380
EisbEG 1954 §35 Abs1
LStG NÖ 1999 §11
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Senatspräsidentin Dr. Bayjones, die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak sowie Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, BA, über die Revision des Landes Niederösterreich, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichte s Niederösterreich vom 28. Juli 2017,  LVwG-AV-728/001-2017, betreffend eine Angelegenheit nach dem NÖ Straßengesetz 1999 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Bezirkshauptmannschaft Amstetten; mitbeteiligte Partei: J B in E, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4600 Wels, Oberfeldstraße 58), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 29. Februar 2008 wurden mehrere im Eigentum des Mitbeteiligten stehende Teilflächen der EZ X, KG E., zu Gunsten des Landes Niederösterreich (revisionswerbende Partei) zum Zweck der Errichtung der Landesstraße B 123 enteignet (Spruchteil I.a). Gleichzeitig wurde der Mitbeteiligte zur Duldung einer vorübergehenden Inanspruchnahme näher bezeichneter weiterer Teilflächen der EZ X, KG E., verpflichtet (Spruchteil I.b). Der revisionswerbenden Partei wurde aufgetragen, dem Mitbeteiligten eine Entschädigung für die dauerhafte und vorübergehende Grundinanspruchnahme im Ausmaß von insgesamt EUR 456.761,45 zu leisten (Spruchteil II). Die gegen diesen Bescheid vom Mitbeteiligten erhobene Beschwerde wurde mit dem Erkenntnis VwGH 8.6.2011, 2010/06/0016-0017, als unbegründet abgewiesen. 2 Am 12. April 2017 stellte die revisionswerbende Partei einen Antrag auf Vollzug der Enteignung und zwangsweise Einweisung in den Besitz gemäß § 7 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG) iVm § 35 Abs. 1 Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetz (EisbEG). Sie führte zusammengefasst aus, eine ausdrückliche Zustimmungserklärung des Mitbeteiligten zur Inbesitznahme liege nicht vor, vielmehr habe dieser bereits eine Besitzstörungsklage eingebracht. Der Erhalt der im Enteignungsbescheid festgesetzten Entschädigungssumme sei vom Mitbeteiligten im Besitzstörungsverfahren vor dem Bezirksgericht Amstetten (BG) bestätigt worden. Da sich im NÖ Straßengesetz 1999 keine näheren Bestimmungen hinsichtlich des Vollzugs der Enteignung fänden, könne auf § 7 VVG iVm § 35 EisbEG zurückgegriffen werden. Die Voraussetzungen nach diesen Bestimmungen seien im gegenständlichen Fall erfüllt, weil der Enteignungsbescheid mit Abweisung der gegen ihn gerichteten Beschwerde "mit dem vorangeführten Erkenntnis VwGH 2010/06/0016-0017 rechtskräftig" geworden und auch die im Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigungssumme bezahlt worden sei.

3 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Amstetten (BH) vom 26. April 2017 wurde der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Vollzug der Enteignung und zwangsweise Einweisung in den Besitz bewilligt und die revisionswerbende Partei "mit Zustellung des Bescheides" in den Besitz der beanspruchten Grundflächen eingewiesen.

4 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (LVwG) Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass der Antrag der revisionswerbenden Partei auf zwangsweise Besitzeinweisung nach § 7 VVG und § 35 Abs. 1 EisbEG zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei.

5 Begründend führte das LVwG - zusammengefasst - aus, bei einem die Enteignung verfügenden Bescheid handle es sich um einen Rechtsgestaltungsbescheid, welcher grundsätzlich keiner Vollstreckung im Sinne des VVG zugänglich sei. § 7 VVG (allein) bilde daher keine taugliche Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid. Die in Literatur und Judikatur vertretene Auffassung, dass es für den Übergang des Eigentums "neben des Titels auch des Vollzugs der Enteignung" als sachenrechtlichen Modus bedürfe, beziehe sich regelmäßig auf die Rechtslage auf Basis des § 35 EisbEG bzw. der darauf verweisenden Rechtsvorschriften. Demgegenüber sei der einfache Gesetzgeber nicht gehindert, eine davon abweichende Regelung zu treffen, handle es sich doch in Bezug auf die Art und Weise des Eigentumserwerbs an Liegenschaften insoweit nicht um ein verfassungsgesetzlich vorgegebenes Prinzip. Das NÖ Straßengesetz 1999 regle - anders als das EisbEG - die Eintragung in das Grundbuch, und zwar in der Weise, dass nach Ablauf einer Dreimonatsfrist ab Rechtskraft der Entscheidung über die Eintragung sowie nach Bezahlung oder Hinterlegung der Entschädigung das Eigentumsrecht einverleibt werden dürfe (§ 11 Abs. 6 leg. cit.). Nach dem Motivenbericht zum Gesetzesentwurf 1998 habe dieser eine Vereinfachung der Regelungen zum Zweck, wobei die Enteignung ohne Verweis auf das NÖ Raumordnungsgesetz (1996) nun "übersichtlich in einer Bestimmung (§ 11) zusammengefasst" worden sei. Daraus werde deutlich, dass der Gesetzgeber des NÖ Straßengesetzes 1999 die Enteignung und die in diesem Zusammenhang stehende Vorgangsweise abschließend in einer Bestimmung habe regeln wollen. Für die Annahme einer planwidrigen Unvollständigkeit, welche zu einer Analogie, etwa zur Anwendung der Regelungen des EisbEG, berechtigen würde, sei daher weder Anlass noch Raum. Vielmehr habe der Gesetzgeber den "Vollzug" der Enteignung derart geregelt, dass nach Ablauf einer dreimonatigen Frist ab Rechtskraft des Enteignungsbescheides und Bezahlung der Entschädigung die Einverleibung des Eigentumsrechts erfolgen könne. Des Formalaktes der "Besitzeinweisung" bedürfe es dazu nicht. Ein darauf gerichteter Antrag finde im Gesetz somit keine Deckung. Davon sei die Frage zu unterscheiden, wie der durch die Enteignung Begünstigte tatsächlich die Verfügungsgewalt erlange. Dies sei dahingehend zu beantworten, dass der Neueigentümer die Herausgabe vom dies Verweigernden auf dem Zivilrechtsweg begehren könne. Zusammengefasst ergebe sich, dass eine Vollstreckung einer Enteignung nach § 11 NÖ Straßengesetz 1999 unter Anwendung der § 7 VVG bzw. § 35 Abs. 2 EisbEG von vornherein nicht in Betracht komme. Der Antrag wäre von der belangten Behörde daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

6 Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das LVwG mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den Vollzug bzw. die "Vollstreckung" von Enteignungen aufgrund des NÖ Straßengesetzes 1999, insbesondere, ob diese durch Besitzeinweisung unter Anwendung der § 7 VVG und § 35 EisbEG zu erfolgen habe.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

8 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt. Die BH beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Verwaltungsgerichtshof möge der Revision Folge geben und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision erweist sich angesichts der Ausführungen zum Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage des Vollzugs von Enteignungen aufgrund des NÖ Straßengesetzes 1999 als zulässig.

10 Im Beschluss vom 23. Jänner 2017, 5 Ob 179/16h, mwN, beschäftigte sich der OGH aufgrund eines Revisionsrekurses gegen die Abweisung des Grundbuchgesuchs der gegenständlich revisionswerbenden Partei mit der vorliegenden Rechtssache und führte aus, dass nach nunmehr gefestigter Auffassung die Rechtskraft des Enteignungsbescheids den Rechtsgrund bilde, der allerdings gemäß § 35 Abs. 1 des auch hier anzuwendenden EisbEG noch des Vollzugs der Enteignung als Modus des Rechtserwerbs iSd § 380 ABGB bedürfe. Dazu sei der tatsächliche Vollzug der Enteignung durch freiwillige Besitzübertragung oder zwangsweise Besitzeinweisung nach Leistung der Entschädigung oder gerichtlicher Hinterlegung bzw. Sicherstellung erforderlich. 11 Da nach Ansicht des OGH für die - zivilrechtliche - Frage des Besitzerwerbs an enteigneten Liegenschaften/Liegenschaftsanteil en demnach außer dem Titel auch der Modus (hier: nach dem im vorliegenden Fall nach Ansicht des OGH anzuwendenden § 35 Abs. 1 EisbEG durch zwangsweise Besitzeinweisung nach Leistung der Entschädigung) erforderlich ist, wäre der Antrag der revisionswerbenden Partei vom 12. April 2017 richtigerweise nicht zurückzuweisen gewesen.

12 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

13 Der Antrag auf Aufwandersatz war gemäß § 47 Abs. 4 VwGG abzuweisen.

Wien, am 5. November 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017060032.J00

Im RIS seit

18.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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