TE Vwgh Beschluss 2019/11/11 Ra 2019/18/0448

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Veröffentlicht am 11.11.2019
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §19 Abs3
AVG §42 Abs4
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der revisionswerbenden Partei A A K in E, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2019, W159 2155713-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 31. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass in Afghanistan Krieg herrsche, die Taliban die Hazara umbringen und keinen Schulbesuch zulassen würden. Er habe in Afghanistan keine Zukunft gesehen. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab er zu seinem Antrag an, in Afghanistan ca. einen Monat vor seiner Ausreise mit Freunden auf einer Hochzeit gewesen zu sein. Dort sei er dazu gezwungen worden zu tanzen. Nach dem Entstehen von Gerüchten im Dorf habe er gehört, dass es davon ein Video geben soll. Danach hätten ihn drei Männer von der Hochzeit weg mitgenommen, er sei von zwei Männern vergewaltigt worden, der dritte Mann sei Wache gestanden. Der Revisionswerber habe jedoch vor einer Vergewaltigung durch diesen dritten Mann fliehen können. Seine Familie lebe nach wie vor in seinem Heimatdorf, er stehe mit ihr in telefonischem Kontakt.

2 Mit Bescheid vom 31. März 2017 wies das BFA diesen Antrag sowohl hinsichtlich Asyls als auch subsidiären Schutzes ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist zur Ausreise bemaß das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. 3 Begründend führte das BFA aus, dass das Vorbringen des Revisionswerbers nicht glaubhaft sei, er habe in seiner Erstbefragung mit keinem Wort jene Gründe erwähnt, die er dann vor dem BFA vorgebracht habe. Der Revisionswerber habe, als er in der Einvernahme darauf angesprochen worden sei, ausweichend geantwortet und sich auf seine kurz vor seiner Erstbefragung erfolgte Einreise aus Deutschland und daraus folgenden Erschöpfung berufen. Zu seinem Ausreisegrund sei er zudem damals nicht befragt worden. Dies sei als Schutzbehauptung zu werten. Auch aus dem Vorbringen selbst ergäben sich Ungereimtheiten, zumal es nach den Länderberichten aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 "Bacha Bazi" oder "Tanzknaben" in Afghanistan gebe, deren Alter aber entgegen dem Vorbringen des volljährigen Revisionswerbers sehr wohl eine Rolle spiele. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass der Revisionswerber mit drei Unbekannten mitgehen würde, ohne dass seine Begleiter dies bemerkt hätten. Auch sei die geschilderte Flucht nicht plausibel erklärbar, zumal die Angreifer bewaffnet gewesen und unter Drogen gestanden seien. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Revisionswerber angesichts der von ihm behaupteten Verletzungen in der Lage gewesen sei, so schnell zu flüchten und dann an der Straße auf seine Freunde zu warten. Auch habe der Revisionswerber, der elf Jahre in die Schule gegangen sei, keine zeitliche Einordnung des Vorfalls vornehmen können. Weder sei dieses Vorbringen glaubwürdig noch bestehe eine Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan. Der Antrag auf Gewährung von Asyl sei daher abzuweisen.

Die Heimatprovinz des Revisionswerbers sei unsicher, jedoch stehe ihm als jungem erwachsenen Mann mit mehrjähriger Schulbildung eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen. Die durchgeführte Interessenabwägung habe ergeben, dass die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung überwögen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig.

4 Mit Schriftsatz vom 18. April 2017 erhob der Revisionswerber gegen diesen Bescheid Beschwerde, die er damit begründete, dass seine Angaben nicht widersprüchlich gewesen seien. Auch dürften die Widersprüche aus Erstbefragung und niederschriftlicher Einvernahme nicht verwertet werden. Aus näher angeführten Länderberichten aus 2013 und 2014 sei zudem ersichtlich, dass auch junge Männer über 18 von der Praxis der "Bacha Bazi" betroffen seien. Darüber hinaus sei die rechtliche Beurteilung des BFA falsch.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. In seiner Begründung wies das BVwG darauf hin, dass der Revisionswerber trotz ordnungsgemäßer Ladung an den Vertreter und neuerlicher Zustellung der Ladung nach Zurücklegung der Vollmacht der Verhandlung ferngeblieben sei, den Rechtfertigungsgrund für sein Fernbleiben aber trotz Aufforderung nicht belegt habe. Er sei seiner Mitwirkungspflicht im Verfahren damit nicht nachgekommen. Ein persönlicher Eindruck habe deshalb nicht gewonnen werden können. Das BFA habe ausgeführt, dass der Revisionswerber nicht sehr bemüht gewesen sei, detaillierte Angaben zu den gestellten Fragen zu machen, er habe desinteressiert und gelangweilt gewirkt. Auf dem Boden seiner bisherigen Angaben sei sein Vorbringen nicht schlüssig und angesichts der aktuellen Lage im Herkunftsland auch nicht objektivierbar.

Das BVwG traf aktuelle Feststellungen zum Herkunftsland, zur Herkunftsprovinz Parwan, zu Kabul, Herat und Balkh sowie zu den Fragen der Sicherheit und der Versorgung sowie zur Gesellschaft, wobei insbesondere jene zur Praxis der "Bacha Bazi" oder "Tanzjungen" auf Berichten aus 2018 basieren. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, dass das Vorbringen des Revisionswerbers nicht hinreichend konsistent, sondern widersprüchlich und nicht nachvollziehbar gewesen sei, ein Asylgrund bestehe nicht. Ergänzend führte das BVwG sodann aus, dass dem Revisionswerber bei Wahrunterstellung des Missbrauchs als Tanzjunge im Kindesalter nach den getroffenen Feststellungen zur Praxis der "Bacha Bazi" aufgrund seiner Volljährigkeit keine Verfolgung drohe.

Zur Frage des subsidiären Schutzes nahm das BVwG an, dass die Herkunftsprovinz des Revisionswerbers volatil sei, ihm jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe, wobei das BVwG dazu auf die Berichtslagen der letzten Jahren, die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und die Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 verwies. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif sei dem Revisionswerber folglich zumutbar.

Das BVwG wies die Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 ebenso ab wie jene gegen die Rückkehrentscheidung, wobei es dazu eine eigene Interessenabwägung traf. Schließlich hielt es an der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest und ließ die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zu.

6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 23. September 2019, E 2632/2019-7, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese mit Beschluss vom 11. Oktober 2019, E 2632/2019- 9, über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abtrat.

7 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, dass das BVwG eine unschlüssige Beweiswürdigung getroffen habe und sich unzureichend mit dem Fluchtvorbringen, zu dem es ein Video des Missbrauchs gebe, auseinandergesetzt habe. Dem Revisionswerber drohe auch Gefahr wegen unterstellter Homosexualität. Die Entscheidung weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 19 Abs. 3 AVG ab.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 11 Insoweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit die Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich Asyl angreift, vermag sie nicht aufzuzeigen, dass diese an einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Mangelhaftigkeit leidet (vgl. VwGH 20.8.2019, Ra 2019/18/0288, mwN). Dass sich das BVwG - wenn auch teilweise disloziert - der Beweiswürdigung des BFA anschließt, stellt für sich genommen keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens dar. 12 Darüber hinaus gelingt es der Revision auch nicht, der - für sich tragfähigen - Alternativbegründung, wonach dem Revisionswerber auch bei Wahrunterstellung seines Fluchtvorbringens angesichts der aktuellen Länderfeststellungen zu "Bacha Bazi" und seiner Volljährigkeit - der Revisionswerber war zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG bereits 20 Jahre alt - nunmehr keine Gefahr mehr drohe, ein substantiiertes und konkretes Vorbringen entgegenzuhalten.

13 Sofern in der Revision zum Fluchtvorbringen vorgebracht wird, es gebe ein Video des Missbrauchs durch fremde Männer, und sich damit auf die behauptete Vergewaltigung bezieht, genügt es darauf zu verweisen, dass dieses Vorbringen erstmals im Revisionsverfahren erstattet wurde und daher dem aus § 41 Abs. 1 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot unterliegt. 14 Soweit sich die Revision gegen die vom BVwG angenommene Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative wendet, ist auf Folgendes Bedacht zu nehmen: Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 in adäquater Weise auseinanderzusetzen.

15 Die Revision vermag nicht darzutun, dass das BVwG von dieser Rechtsprechung abgegangen ist. Das BVwG traf entgegen dem Vorbringen in der Revision nicht nur aktuelle Feststellungen zur Situation in Herat und Mazar-e Sharif, sondern prüfte die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative auch unter Einbeziehung der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 mit dem Ergebnis einer zumutbaren, innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif.

16 Soweit die Revision die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung als Verfahrensmangel rügt, so ist ihr schließlich Folgendes entgegen zu halten: Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt festgehalten, dass das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung die Durchführung der Verhandlung nicht hindert (vgl. § 17 VwGVG 2014 iVm § 42 Abs. 4 AVG). Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist eine "ordnungsgemäße Ladung". Davon kann dann nicht gesprochen werden, wenn einer der in § 19 Abs. 3 AVG genannten - das Nichterscheinen des Geladenen rechtfertigenden - Gründe vorliegt. Eine rechtswirksam geladene Partei hat die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun. Sie muss etwa im Fall einer Erkrankung nicht nur deren Vorliegen behaupten und dartun, sondern auch die Hinderung am Erscheinen bei der Verhandlung aus diesem Grund. Die Triftigkeit des Nichterscheinens muss überprüfbar sein (vgl. VwGH, 24.10.2018, Ra 2016/04/0040, mwN). Wenn die Revision hier vorbringt, dass das BVwG zu Unrecht von einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe, weil es den Revisionswerber erneut laden oder sogar vorführen hätte lassen müssen, so übersieht sie, dass das BVwG die mündliche Verhandlung zu Recht in Abwesenheit durchführen konnte. Der Revisionswerber war bei aufrechtem Vertretungsverhältnis ordnungsgemäß und rechtwirksam geladen worden, zudem wurde ihm die Ladung nach Zurücklegung der Vollmacht durch seinen Rechtsberater persönlich neuerlich zugestellt. Entgegen der Behauptung in der Revision findet sich weder in den vorgelegten Akten noch in der Revision eine vorgelegte Bestätigung eines Rechtfertigungsgrundes für das Nichterscheinen. 17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 11. November 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180448.L00

Im RIS seit

04.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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