Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §45 Abs1 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des M in S, vertreten durch Mag. Egmont Neuhauser, Rechtsanwalt in 3270 Scheibbs, Rathausplatz 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 2. August 2019, Zl. LVwG-S-2376/001-2018, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Scheibbs), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurde der Revisionswerber als gemäß § 9 Abs. 2 VStG iVm § 23 ArbIG verantwortlicher Beauftragter der R. eGen einer Übertretung des § 55 Abs. 4 Bauarbeiterschutzverordnu ng (im Folgenden: BauV) iVm § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG schuldig erkannt und mit einer Geldstrafe von EUR 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 61 Stunden) bestraft. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
2 Das Verwaltungsgericht stellte begründend fest, der bei der R. eGen beschäftigte Arbeitnehmer M. sei am 13. Juni 2018 um 07:05 Uhr an einem näher bezeichneten Ort über eine Leiter auf die erste Reihe des freistehenden Gerüsts gestiegen, wobei dieses eingestürzt sei, der Arbeitnehmer zu Boden gefallen sei und sich schwer verletzt habe. Das freistehende Standgerüst sei zu diesem Zeitpunkt weder standsicher aufgestellt noch an dem einzurüstenden Objekt sicher, insbesondere zug- und druckfest verankert gewesen. 3 Zum Verschulden des Revisionswerbers führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, er habe kein wirksames Kontrollsystem dargelegt. Insbesondere habe eine konkrete laufende Sicherheitsunterweisung durch den Revisionswerber oder durch eine von ihm hierfür eingesetzte Person im Hinblick auf die Anforderungen an das Aufstellen von Gerüsten nicht stattgefunden. Darüber hinaus habe der Revisionswerber nicht dargetan, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete zu ergreifen verpflichtet gewesen sei, um durchzusetzen, dass jeder Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften befolge und welche Maßnahmen schließlich der Revisionswerber vorgesehen habe, um sicherzustellen, dass die Weisungen zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch von den jeweils untergeordneten Arbeitnehmern tatsächlich befolgt würden. Ebenso habe der Revisionswerber ein geeignetes Sanktionssystem bei Zuwiderhandeln des Arbeitnehmers nicht ausreichend dargetan. Der Revisionswerber habe die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung somit in objektiver und subjektiver Hinsicht zu verantworten. In der Folge begründete das Verwaltungsgericht die Höhe der verhängten Strafe unter Berücksichtigung der Milderungs- und Erschwerungsgründe. 4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge die Revision zulassen und das angefochtene Erkenntnis aufheben sowie dem Revisionswerber Kostenersatz zusprechen.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme:
9 Die vorliegende außerordentliche Revision erweist sich zunächst bereits deshalb als unzulässig, weil mit dem Vorbringen, die "belangte Behörde" (gemeint: das Verwaltungsgericht) weiche "von der Judikatur des VwGH" ab, die Zulässigkeit der Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt wird, weil nicht konkret - unter Angabe zumindest einer nach Datum und Geschäftszahl bezeichneten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes - angegeben wird, von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll (vgl. etwa VwGH 7.8.2019, Ra 2019/02/0012; 24.7.2019, Ra 2019/11/0104; 15.4.2019, Ra 2019/02/0070, jeweils mwN).
10 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der gegenständlichen Revision zunächst vor, dass das vom Arbeitnehmer bestiegene Gerüst noch nicht fertig gestellt gewesen sei, weshalb es die in § 55 Abs. 4 BauV enthaltenen Voraussetzungen noch nicht habe erfüllen können. Damit entfernt sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt, wonach das gegenständliche freistehende Gerüst weder standsicher aufgestellt noch an dem einzurüstenden Objekt sicher, insbesondere zug- und druckfest verankert war.
11 Zur Zulässigkeit der Revision wird weiter ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe eine unzulässige Beweislastumkehr vorgenommen und die Einrichtung des geforderten Kontrollsystems führe zu einer "vollkommen unzumutbaren Ausdehnung jeglicher Dienstgeberpflichten". Dem ist entgegenzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Arbeitgeber im Bereich des Arbeitnehmerschutzes für die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems zu sorgen hat, wobei dieses Kontrollsystem gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen hat. Die Einrichtung eines entsprechenden Kontrollsystems ist für die Befreiung von der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften entscheidend (vgl. VwGH 4.5.2015, Ra 2015/02/0020, mwN).
12 Für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems ist es erforderlich, unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden (vgl. erneut VwGH 4.5.2015, Ra 2015/02/0020, mwN).
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt festgehalten, dass betriebliche Kontrollsysteme, die sich in der Regel nicht gleichen, einer einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts unterliegen. Eine grundsätzliche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis führen würde (vgl. etwa VwGH 25.3.2019, Ra 2019/02/0043; 31.1.2019, Ra 2018/02/0305, jeweils mwN). 14 Der Revisionswerber zeigt nicht auf, dass die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach der Revisionswerber ein wirksames Kontrollsystem nicht dargelegt habe, unvertretbar erfolgt wäre. Vielmehr verneint der Revisionswerber in der vorliegenden Revision sogar selbst, ein entsprechendes Kontrollsystem eingerichtet zu haben, indem er ausführt, es habe "bislang keine Veranlassung (gegeben), Maßnahmen für die Nichteinhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gerüsts festzusetzen, da es zuvor einen derartigen Vorfall noch nicht gegeben (hätte)".
15 Sofern der Revisionswerber vorbringt, die "belangte Behörde" sei selbst "nicht imstande" gewesen, zu konkretisieren, wie ein derartiges Kontrollsystem in der Praxis aussehen solle, verkennt er, dass es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtes oder der Verwaltungsbehörde ist, Anleitungen dahingehend zu geben, wie ein funktionierendes Kontrollsystem in einem Unternehmen bzw. Betrieb konkret zu gestalten ist, sondern zu überprüfen, ob auf dem Boden der Darlegungen der betroffenen Partei überhaupt ein Kontrollsystem im genannten Sinn gegeben ist bzw. ob das aufgezeigte Kontrollsystem hinreichend beachtet wurde, um mangelndes Verschulden glaubhaft zu machen (vgl. erneut VwGH 25.3.2019, Ra 2019/02/0043, mwN).
16 Insoweit der Revisionswerber der Ansicht ist, es müsse zumutbar sein, fachkundigen Mitarbeitern die Verrichtung einschlägiger Arbeiten zu überlassen, ist auf die ständige hg. Rechtsprechung zur Ausgestaltung des Kontrollsystems zu verweisen, wonach schlichtes "Vertrauen" darauf, dass sich ein Arbeitnehmer weisungskonform verhalte, den Arbeitgeber nicht entlastet. Im Rahmen eines funktionierenden Kontrollsystems kann es kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten (vgl. VwGH 9.6.2017, Ra 2017/02/0068, mwN).
17 Dabei vermag auch das Hinzutreten eines - allenfalls auch krassen - Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers, das in der Folge zu einem Arbeitsunfall geführt hat, am Verschulden des Arbeitgebers an einer nicht erfolgten Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems nichts zu ändern (vgl. VwGH 9.6.2017, Ra 2017/02/0068; 4.5.2015, Ra 2015/02/0020, mwN).
18 Schließlich ist dem Revisionswerber auch entgegenzuhalten, dass ein wirksames Kontrollsystem nach der hg. Rechtsprechung nicht die ständige Beaufsichtigung jedes Arbeitnehmers verlangt, sondern das Treffen von Maßnahmen, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften mit gutem Grund erwarten lassen (vgl. VwGH 9.2.2015, Ra 2015/02/0014). 19 Im Ergebnis kann dem Verwaltungsgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es angesichts des festgestellten Sachverhalts von der schuldhaften Verwirklichung der angelasteten Verwaltungsübertretung ausgegangen ist und den Nachweis eines wirksamen Kontrollsystems verneint hat.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 12. November 2019
Schlagworte
Verantwortung für Handeln anderer Personen Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020166.L00Im RIS seit
04.12.2019Zuletzt aktualisiert am
04.12.2019