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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kieslich, über die Revision des F S in H, vertreten durch Dr. Heinrich Nagl, Rechtsanwalt in 3580 Horn, Pfarrgasse 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2019, Zl. W272 2181571-1/11E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein 2001 geborener afghanischer Staatsangehöriger, reiste gemeinsam mit seiner Mutter und seiner minderjährigen Schwester in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23. April 2016 vertreten durch seine Mutter einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 13. Dezember 2017 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen, dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Zudem wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt.
3 Mit weiterem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) ebenfalls vom 27. Februar 2019, Zl. W272 2181581-1/11E, wurde der Schwester des Revisionswerbers der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Unter einem (Zl. W272 2181581-1/13E) erkannte das BVwG der Mutter des Revisionswerbers als Familienangehörige ihrer minderjährigen Tochter (und Schwester des Revisionswerbers) im Sinn des § 2 Z 22 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) gemäß § 34 AsylG 2005 ebenfalls den Status der Asylberechtigten zu. 4 Die gegen den Bescheid des BFA vom 13. Dezember 2017 erhobene Beschwerde des nunmehrigen Revisionswerbers wies das BVwG mit dem hier angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz ab; es stellte fest, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und erteilte dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plu s" für die Dauer von zwölf Monaten. Es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG weiters aus, die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG sei nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren relevant - aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubwürdig. Er habe den Antrag auf internationalen Schutz zu einem Zeitpunkt gestellt, zu dem er noch minderjährig gewesen sei. Aufgrund der vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses eingetretenen Volljährigkeit könne der Revisionswerber den Status des Asylberechtigten gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 nicht von seiner Mutter ableiten, da dieser der Status der Asylberechtigten im Zuge des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 zuerkannt worden sei. Der Revisionswerber sei zwar ein Familienangehöriger seiner Mutter im Sinne des § 2 Z 22 AsylG 2005, aufgrund der Ausnahmeregelung des § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 sei das Familienverfahren jedoch nicht anzuwenden. In Hinblick auf seine Schwester sei der Revisionswerber nicht Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. 6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob die Ausnahmebestimmung des § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 auch für zum Antragszeitpunkt minderjährige ledige Kinder anwendbar sei.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 24. Oktober 2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, umfassend mit dem in § 34 AsylG 2005 verwendeten Begriff des Familienangehörigen auseinandergesetzt und ausgeführt, dass der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen ist (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0355, mwN; 15.5.2019, Ra 2019/01/0012). Aus dem Blickwinkel des Kindes, das die Eigenschaft als Familienangehöriger von seinen Eltern ableiten möchte, ist auf den Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz abzustellen. Einer vor dem Entscheidungszeitpunkt eingetretenen Volljährigkeit kommt hingegen keine Bedeutung zu.
9 Nach § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 sind die Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, nicht anzuwenden, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind.
10 In seinem Erkenntnis vom 29. April 2019, Ra 2018/20/0031, hat sich der Verwaltungsgerichtshof, aufbauend auf den Erwägungen im Erkenntnis vom 24. Oktober 2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, eingehend mit der Ausnahmebestimmung des § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 auseinandergesetzt, sodass gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auch auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen werden kann. Danach ist der in § 34 AsylG 2005 verwendete Begriff des Familienangehörigen - anders als etwa bei der Anwendung des § 35 AsylG 2005, der in seinem Abs. 5 festlegt, wer nach dieser Bestimmung als Familienangehöriger anzusehen ist - im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen. Weiters ist aus dem Blickwinkel des Kindes, das die Eigenschaft als Familienangehöriger von seinen Eltern ableiten möchte, auf den Zeitpunkt der Antragstellung - bezogen auf den von ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz - abzustellen. Es muss, um als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu gelten, in diesem Zeitpunkt minderjährig und ledig sein. Dem späteren Eintritt der Volljährigkeit noch vor dem Entscheidungszeitpunkt kommt keine Bedeutung zu. Für die Anwendung des § 34 AsylG 2005 ist es hinreichend, dass (und solange) zumindest ein Fall des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 gegeben ist. 11 Es ergeben sich aus den Erläuterungen zu § 34 AsylG 2005 auch keine Hinweise darauf, dass der Begriff "Familienangehöriger" innerhalb des § 34 AsylG 2005 unterschiedlich aufzufassen wäre und insbesondere der in § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 verwendete Begriff des "minderjährigen ledigen Kindes" als "Familienangehöriger" nicht im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen wäre (VwGH 29.4.2019, Ra 2018/20/0031, Rn. 13). 12 F??r den vorliegenden Revisionsfall bedeutet das, dass eine nach den Bestimmungen des Familienverfahrens erfolgte Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten an die Mutter des Revisionswerbers nicht ausschließt, dass auch dem (ledigen und im maßgeblichen Antragszeitpunkt noch minderjährigen) Revisionswerber ungeachtet dessen mittlerweile eingetretener Volljährigkeit seinerseits im Weg des Familienverfahrens der Status des Asylberechtigten in Ableitung von seiner Mutter zuerkannt werden könnte (vgl. wiederum VwGH 29.4.2019, Ra 2018/20/0031, Rn. 14 f, mwN).
13 Indem das BVwG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Bestimmungen des Familienverfahrens aufgrund der Ausnahmebestimmung des § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 nicht auf den Revisionswerber anwendbar wären, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet. 14 Mit der Aufhebung der abweisenden Entscheidung betreffend den Antrag auf internationalen Schutz verlieren auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" sowie der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung ihre Grundlage (vgl. VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006). Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG zur Gänze aufzuheben.
15 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. November 2019
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019010143.L00Im RIS seit
10.12.2019Zuletzt aktualisiert am
10.12.2019