Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Leitner, Univ.-Pof. Dr. Max Leitner, Dr. Mara-Sophie Häusler, LL.M., Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. G*****, vertreten durch Fellner, Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. R***** eGen, *****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, 2. C***** GmbH in Liqu., *****, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien wegen 15.416,82 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. April 2019, GZ 129 R 27/19t-21, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 14. Jänner 2019, GZ 48 Cg 14/18w-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei, der Erstnebenintervenientin sowie der Zweitnebenintervenientin jeweils die mit 1.175,22 EUR (darin 195,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger erwarb über Beratung und Vermittlung durch die Erstnebenintervenientin am 28. 2. 2006 eine Beteiligung an der N***** GmbH & Co KG im Nominale von 20.000 EUR. Der Beklagte ist Mitglied des Vorstands der R***** AG (kurz R*****). Weder zwischen den Streitteilen noch zwischen dem Kläger und der R***** bestand ein Vertragsverhältnis.
Der Kläger begehrte vom Beklagten eine Schadenersatzzahlung von 15.416,82 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Schäden, die ihm aus der gezeichneten Beteiligung entstehen. Der Beklagte habe in seiner Eigenschaft als Vorstand der R***** eine Vertriebsvereinbarung mit der damals unter M***** AG (kurz M*****) firmierenden Zweitnebenintervenientin genehmigt, die für den Vertrieb der M*****-Produkte zusätzlich zu der dem Kunden bekannten und als „Agio“ bezeichneten Provision eine dem Kunden nicht offengelegte (verdeckte) Innenprovision (Kick-back) vorgesehen habe. Der Vertrieb dieser Produkte hätte nicht nur durch die R*****, sondern auch durch konzernverbundene regionale Banken – wie die Erstnebenintervenientin – erfolgen sollen. Für den Verkauf der Kommanditbeteiligung an den Kläger habe die R*****
– zusätzlich zur vom Kläger ausverhandelten Provision von 3,5 % – noch einen Kick-back von 3,125 % aus dem Beteiligungsnominale erhalten, wovon sie 1 % an die Erstnebenintervenientin weitergeleitet habe. Hätte der Kläger Kenntnis vom Kick-back gehabt, hätte er wegen des offensichtlichen Interessenkonflikts das Produkt nicht erworben. Die deliktische Haftung des Beklagten ergebe sich aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sowie Schutzgesetzverletzung. Nach dem Geschäftsmodell, das auf der Vertriebsvereinbarung basiere, sei geplant gewesen, die Kunden der R***** sowie die Kunden der mit ihr konzernverbundenen regionalen Banken, zu denen der Kläger gehöre, über die von der Bank vereinnahmten Provisionen zu täuschen bzw falsch zu informieren, indem schon die Mitarbeiter der R***** und der Regionalbanken falsch geschult und nicht über die Innenprovisionen unterrichtet worden seien, dies mit dem Vorsatz der rechtswidrigen Bereicherung der R***** und dem zumindest bedingten Vorsatz der Schädigung der Kunden. Der Zweck sei gewesen, diese zum Abschluss zu bewegen. Es sei geplant und vereinbart gewesen, dass hinter dem Rücken des Anlegers aus den Mitteln, die dieser für die Veranlagung geleistet habe, eine Innenprovision fließe. Dies sei rechtswidrig, weil ein derartiges Vorgehen eine Vertragsverletzung der Bank gegenüber dem Kunden sei. Der Beklagte habe zudem das Schutzgesetz des § 146 StGB verletzt, weil vom Vorsatz auch die Bereicherung der R***** mit den illegalen Innenprovisionen mitumfasst gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren als unschlüssig ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil – soweit überblickbar – noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu vorliege, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die in der jüngeren Rechtsprechung großteils als rechtswidrig beurteilten Innenprovisionsvereinbarungen zu einer Außenhaftung von an der Entstehung dieser Vereinbarung beteiligten Organen der Kapitalgesellschaften führen könnten.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Beklagten und den Nebenintervenienten auf Seiten des Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
1.1 Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden. Ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, kann daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO sein (RIS-Justiz RS0116144; RS0037780). Anderes gilt nur, wenn die Annahme der Unschlüssigkeit einer Klage auf einem erheblichen Rechtsirrtum beruht bzw eine auffallende Fehlbeurteilung der Schlüssigkeit durch das Berufungsgericht vorliegt (RS0037780 [T3; T5]). Derartiges zeigt der Revisionswerber hier aber nicht auf.
1.2 Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Die Prüfung der Schlüssigkeit erfolgt aufgrund des jeweiligen Tatsachenvorbringens des Klägers in erster Instanz (RS0037516 [T7]). Davon ausgehend hat das Erstgericht im vorliegenden Fall die Schlüssigkeit der Klage verneint. Das Berufungsgericht ist den Entscheidungsgründen des Ersturteils im Sinne des § 500a ZPO beigetreten. Der (zur Ergänzung dieser Begründung) wiederholte Verweis des Berufungsgerichts auf (vermeintlich) getroffene und nicht getroffene Feststellungen des Erstgerichts ist irreführend, bleibt aber unschädlich. Angesichts der gebotenen einzelfallbezogenen Schlüssigkeitsprüfung kommt der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Rechtsfrage in ihrer Allgemeinheit bloß abstrakte Bedeutung zu (vgl RS0111271).
2. Der Kläger stützt den geltend gemachten (außervertraglichen) Schadenersatzanspruch in erster Linie auf eine sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB.
Voraussetzung für die Annahme einer sittenwidrigen deliktischen Schädigung ist hier nicht nur der Nachweis aller für eine Sittenwidrigkeit sprechenden Umstände, sondern auch die Beurteilung, dass die Schädigung vorsätzlich erfolgt ist, wobei allerdings bedingter Vorsatz ausreicht (RS0016756). Der Vorsatz muss zwar das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit nicht mitumfassen; allerdings ist erforderlich, dass der Täter die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt (Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1295 Rz 77; Karner in KBB5 § 1295 ABGB Rz 21). Der Kläger selbst räumt ein, dass eine sittenwidrige deliktische Schädigung einen besonderen personalen Handlungsunwert erfordert, der in einer zielgerichteten Schädigung liegt (Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1295 Rz 79 mwN).
Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Sachverhalts nach § 1295 Abs 2 ABGB trägt nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der sich darauf beruft (RS0037797; 5 Ob 677/82; Kodek in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1295 Rz 78 mwN).
3.1 Nach der bereits von den Vorinstanzen zutreffend referierten Rechtsprechung hatte auch vor Inkrafttreten des WAG 2007 ein Anlageberater den Anleger auf ihm von dritter Seite zufließende Provisionen (wie Kick-backs) hinzuweisen, wenn der Anleger – etwa wegen der Verrechnung eines Ausgabeaufschlags durch den Berater – nicht mit solchen (weiteren) Zahlungen und der damit verbundenen Gefahr einer Interessenkollision rechnen musste (RS0131382; dazu eingehend 2 Ob 99/16x). Zweck dieser den Anlageberater treffenden Informationspflicht war – wie der Oberste Gerichtshof klargestellt hat – die Aufklärung über eine allfällige Interessenkollision auf Seiten des Anlageberaters. Lag eine solche Interessenkollision vor, so erhöhte sie das Risiko, dass der Anleger aufgrund der Beratung eine Anlage erwarb, die nicht seinen konkreten Wünschen und Bedürfnissen entsprach. Damit wäre der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu bejahen. Bestand hingegen keine Interessenkollision, so stehen andere Risiken der Anlage nicht mehr im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der verletzten Pflicht (2 Ob 99/16x [Pkt 2.3.b.]; 8 Ob 109/16m [Pkt 4.2.]). Die Rechtswidrigkeit eines derartigen Aufklärungsmangels liegt hier daher im Verschweigen der damit verbundenen Interessenkollision (4 Ob 8/18g).
3.2 Im Rahmen dieser Rechtsprechung bewegt sich die Annahme der Vorinstanzen, die Vereinnahmung von Innenprovisionen und damit auch der Abschluss und die Genehmigung einer dementsprechenden Vertriebs- bzw Provisionsstruktur sei hier per se nicht rechtswidrig gewesen; entscheidend sei im Zusammenhang mit der mangelnden Aufklärung des Kunden über die vereinnahmte Innenprovision vielmehr das tatsächliche Vorliegen einer Interessenkollision.
4.1 Im Hinblick darauf haben die Vorinstanzen dem Kläger schon angelastet, nicht einmal behauptet zu haben, dass der Beklagte bei Genehmigung der Vertriebsvereinbarung zumindest billigend in Kauf genommen und sich damit abgefunden habe, dass tatsächlich eine – eine Aufklärungspflicht auslösende – Interessenkollision auf Seiten der den Kläger beratenden Regionalbank bestehen, respektive diese dem Kläger das Produkt ungeachtet seiner Eignung empfehlen werde.
4.2 Der Revisionswerber hält dem lediglich entgegen, nicht er müsse vorbringen und beweisen, dass sich der Vorsatz des hier Beklagten auf das Vorliegen eines Interessenkonflikts erstreckt habe, sondern der Beklagte habe vorzubringen und zu beweisen, dass er davon ausgegangen sei, dass die konzernverbundenen Banken die M*****-Produkte auch ohne Kick-back vertrieben hätten.
4.3 Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden.
Es trifft zu, dass eine Verletzung der Aufklärungspflicht über die (verdeckte) Innenprovision den Anspruch auf Ersatz des im Erwerb einer nicht gewünschten Anlage liegenden Schadens begründet, wenn die beratende Bank nicht nachweist, dass der Erwerb der Anlage mangels Vorliegens einer Interessenkollision nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der Pflichtverletzung steht (RS0131382). Das heißt, die Beweislast dafür, dass kein unzulässiges besonderes Eigeninteresse der beratenden Bank am Vertrieb (gerade) der konkreten Beteiligung vorliegt, trifft die beratende Bank (zuletzt etwa 2 Ob 25/19v). Dahinter steht insbesondere die Überlegung, dass eine Beweisführung für die in diesem Zusammenhang maßgebenden Tatsachen vom Kläger nicht erwartet werden kann, weil es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre der Gegenseite liegen und daher nur dieser bekannt und damit auch nur durch sie beweisbar sind (2 Ob 99/16x Pkt 2.3.c.; 8 Ob 109/16m Pkt 4.3.).
Diese für das (vertragliche) Verhältnis des Anlegers zum Anlageberater gültigen Aussagen sind aber – soweit sie sich überhaupt auf die Behauptungs- und nicht bloß die Beweislast beziehen – nicht auf das Verhältnis des Anlegers zu einem nach § 1295 Abs 2 ABGB ex delicto in Anspruch genommenen Dritten übertragbar, da in diesem Fall – wie zu Pkt 2. gezeigt – der Geschädigte für das Vorliegen aller die sittenwidrige deliktische Schädigung begründenden Tatumstände behauptungs- (und in der Regel auch beweis-)pflichtig ist.
5. In der Auffassung der Vorinstanzen, die Klage sei schon deshalb nicht schlüssig, weil der Kläger kein Vorbringen zum Vorliegen eines (die Rechtswidrigkeit des im Verschweigen der Innenprovision liegenden Aufklärungsmangels bedingenden) tatsächlichen Interessenkonflikts auf Seiten der den Kläger beratenden Bank und insbesondere eines darauf gerichteten Tatvorsatzes des Beklagten erstattet hat, ist damit keine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.
6. Des Weiteren stützt sich der Kläger auf die Verwirklichung einer Schutzgesetzverletzung nach § 1311 ABGB iVm § 146 StGB. Hier muss neben dem Täuschungs- und Schädigungsvorsatz auch ein Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung gegeben sein (RS0119624; Kirchbacher/Sadoghi in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 146 Rz 118 ff). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass (substantiierte) Ausführungen dazu fehlen, ist nicht zu beanstanden. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass nach jüngerer Rechtsprechung bloß vorbereitende Täuschungshandlungen, die das Gelingen einer späteren, die Vermögensverfügung bewirkenden Irreführung ermöglichen oder erleichtern sollen, ohne selbst für den durch jene Täuschung auszulösenden Willensentschluss des Getäuschten zumindest mitbestimmend zu sein, keine Ausführungshandlungen des Betrugs sind (RS0090144; Kirchbacher/Sadoghi in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 146 Rz 125).
7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte und die Nebenintervenienten haben auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in ihren jeweiligen Revisionsbeantwortungen hingewiesen (RS0035979 [T16]).
Textnummer
E126802European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00085.19M.1025.000Im RIS seit
10.12.2019Zuletzt aktualisiert am
16.02.2021