TE OGH 2019/11/18 14R107/19m

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Veröffentlicht am 18.11.2019
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Robert Atria und die Richterin Mag. Elisabeth Bartholner in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S***** Wien, vertreten durch die Schlosser-Péter Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen restlich EUR 2.709.739,36 s.A. und Rente (Streitwert EUR 156.960,--; Gesamtstreitwert EUR 2.866.699,36), hier nur wegen Verfahrenshilfe, über die Rekurse der klagenden Partei gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12.7.2019, 30 Cg 21/09t-222, und vom 14.8.2019, 30 Cg 21/09t-224, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beiden Rekursen wird Folge gegeben.

1. Der angefochtene Beschluss ON 222 wird in den Punkten 2., 3. und 4. seines Spruchs aufgehoben und dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

2. Der angefochtene Beschluss ON 224 wird ersatzlos aufgehoben.

3. Der Revisionsrekurs ist jeweils jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom 3.9.2009 (ON 9) bewilligte das Erstgericht dem Kläger für dieses Verfahren die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 und Z 5 ZPO.

Im gesamten Prozess wurde der Kläger sodann von der Klagevertreterin als von ihm selbst gewählter Rechtsanwaltsgesellschaft vertreten.

Mit Beschluss vom 3.5.2019 (ON 220) forderte das Erstgericht den Kläger auf, das beigeschlossene Formular für ein Vermögensbekenntnis binnen drei Wochen wahrheitsgetreu ausgefüllt zu übermitteln. Widrigenfalls werde angenommen, dass sich seine Vermögensverhältnisse soweit gebessert hätten, dass er nunmehr ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Unterhalts die ihm im Rahmen der Verfahrenshilfe einstweilen gestundenen Beträge nachzahlen könne und daher gemäß § 71 ZPO zur Nachzahlung verhalten werden müsse. In diesem Zusammenhang werde er überdies aufgefordert, wahrheitsgemäß anzugeben, welche Beträge inklusive Zinsen von der Beklagten aufgrund der im Prozess ergangenen Urteile zu welchen Zeitpunkten tatsächlich an ihn bezahlt wurden, wie er diese Beträge verwendet habe und wie viel von dem erhaltenen Geld sich noch in seinem Vermögen befinde. Sofern die entsprechenden Angaben nicht fristgerecht oder nur unvollständig erstattet würden, könne dies zu seinem Nachteil gewürdigt werden (§ 381 ZPO).

Das Erstgericht verfügte die Zustellung des Beschlusses ON 220 samt einem Formular ZPForm1 an den Kläger persönlich. Die Postsendung wurde zur Abholung durch den Kläger hinterlegt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.7.2019 (ON 222) wies das Erstgericht den Antrag des Revisors vom 26.4.2019, die Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären, zurück (Punkt 1. des Spruchs), verpflichtete den Kläger zur Nachzahlung von Sachverständigengebühren in der Höhe von EUR 26.962,82, von Dolmetschergebühren in der Höhe von EUR 165,37 und von Zeugengebühren in der Höhe von EUR 127,43 (Punkt 2. des Spruchs), sprach aus, dass der Kläger dem Grunde nach verpflichtet sei, 72% der Gerichtsgebühren des Verfahrens erster Instanz und 75% der Gerichtsgebühren des Berufungsverfahrens, von deren Entrichtung er einstweilen befreit gewesen sei, nachzuzahlen (Punkt 3. des Spruchs), und ordnete schließlich an, dass der Beschluss erst nach Eintritt der Rechtskraft vollstreckbar sei (Punkt 4. des Spruchs).

Begründend führte es im Wesentlichen aus, der Prozess sei am 24.7.2017 mit der Kostenentscheidung ON 219 rechtskräftig beendet gewesen. Damit sei die dem Kläger gewährte Verfahrenshilfe ex lege erloschen. Ein Ausspruch des Erlöschens der Verfahrenshilfe komme daher entgegen dem Antrag des Revisors nicht in Betracht. Der Beschluss ON 220 sei dem Kläger am 6.6.2019 durch Hinterlegung an der Adresse ***** Wien, zugestellt worden. Eine Reaktion des Klägers auf diesen Beschluss sei nicht erfolgt. Der Kläger sei daher gemäß § 71 Abs 1 und Abs 3 iVm § 381 ZPO zur Nachzahlung jener Beträge zu verpflichten, von deren Berichtigung er einst befreit worden sei.

Das Erstgericht verfügte die Zustellung des Beschlusses ON 222 an den Kläger persönlich.

Am 13.8.2019 brachte die Klagevertreterin namens des Klägers den Schriftsatz ON 223 ein, in welchem er (primär) den Antrag stellte, die Beschlüsse ON 220 und ON 222 der Klagevertreterin zuzustellen (S 3 im Schriftsatz ON 223). „Für den Fall“, dass das Erstgericht „die Zustellung des Beschlusses ON 222 als bewirkt ansehen sollte, werde weiters die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rekursfrist in Ansehung des Beschlusses ON 222 beantragt und ein Rekurs gegen den Beschluss ON 222 ausgeführt.

Mit dem weiteren angefochtenen Beschluss vom 14.8.2019 (ON 224) hob das Erstgericht die Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung zum Beschluss ON 222 auf (Punkt 1. des Spruchs), bewilligte die neuerliche Zustellung des Beschlusses ON 222 an den Kläger zu Handen des Klagevertreters und sprach aus, dass die Frist für die Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Beschluss ON 222 für den Kläger mit dieser Zustellung neu zu laufen beginne (Punkt 2. des Spruchs).

Begründend führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, es sei keine Zustellung des Beschlusses ON 222 an die Klagevertreterin erfolgt, obwohl es sich um eine frei gewählte Rechtsvertretung und nicht um einen Verfahrenshilfeanwalt handle. Gemäß herrschender Lehre und Rechtsprechung sei ein Beschluss über die Zahlungspflicht gemäß § 71 ZPO aber jedenfalls dann an den Rechtsvertreter der Partei, und nicht an diese persönlich, zuzustellen, wenn es sich um einen frei gewählten Rechtsanwalt handle bzw. wenn mit dem Beschluss nicht die tarifmäßige Entlohnung des beigegebenen Verfahrenshelfers bestimmt werde. Die Zustellung lediglich an die Partei selbst sei in so einem Fall nicht rechtswirksam. Die lediglich an den Kläger persönlich und nicht an die Klagevertreterin erfolgte Zustellung des Beschlusses ON 222 sei daher nicht rechtswirksam gewesen und habe die Rechtsmittelfrist gegen den Beschluss ON 222 nicht in Lauf setzen können, weshalb dieser Beschluss auch noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Die Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit sei daher von Amts wegen gemäß § 7 EO aufzuheben. Gleichzeitig sei die Zustellung des Beschlusses ON 222 an die Klagevertreterin zu verfügen gewesen.

Jedoch sei keine Zustellung des Beschlusses ON 220 an die Klagevertreterin zu verfügen gewesen, weil es sich bei der darin enthaltenen „Aufforderung zur Vorlage eines aktuellen Vermögensverzeichnisses“ zur Überprüfung der Nachzahlungspflicht um eine höchstpersönlich vom Kläger zu erfüllende Verpflichtung handle. Die Zustellung des Beschlusses ON 220 sei daher trotz des Vollmachtsverhältnisses zur Klagevertreterin zulässigerweise an den Kläger persönlich erfolgt.

Gegen die Beschlüsse ON 222 und ON 224 richten sich die Rekurse des Klägers ON 225 und ON 226 mit den Rechtsmittelanträgen, den Beschluss ON 222 (erkennbar) in seinen Punkten 2., 3. und 4. aufzuheben und den Beschluss ON 224 dahin abzuändern, dass die Zustellung des Beschlusses ON 220 an die Klagevertreterin bewilligt werde.

Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekursen nicht Folge zu geben.

Der Revisor beteiligte sich nicht an den Rekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Beide Rekurse sind berechtigt.

1. Seit der am 1.1.2010 in Kraft getretenen Novellierung des § 93 ZPO durch das BBG 2009, BGBl I 2009/52, mit der in den Abs 1 der zweite Satz eingefügt wurde, lautet § 93 Abs 1 ZPO:

„Hat eine Partei für einen Rechtsstreit Prozessvollmacht erteilt, so haben bis zur Aufhebung der Prozessvollmacht (§ 36) alle diesen Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen. Dies umfasst auch Ladungen der Partei zu ihrer Einvernahme.“

2. Zustellungen an einen Vertretenen haben daher in allen Verfahren an den Vertreter zu erfolgen, auch in Verfahrenshilfeangelegenheiten.

Da seit dem BBG 2009 – im Gegensatz zur alten Rechtslage vor dem BBG 2009 – sogar alle Arten von Ladungen einer Partei vom Zustellgebot des § 93 Abs 1 zweiter Satz ZPO erfasst sind (Stummvoll in Fasching/Konecny³ [2016], § 93 ZPO Rz 18, 18/1), und Ladungen daher nicht mehr der Partei persönlich, sondern ausschließlich dem Parteienvertreter rechtswirksam zustellbar sind, muss nun – nach der neuen Rechtslage nach dem BBG 2009 – aufgrund eines Größenschlusses für das Verfahren in Verfahrenshilfeangelegenheiten gelten, dass im Fall eines von der Partei frei gewählten Vertreters – solange dieses Vertretungsverhältnis nicht aktenkundig widerrufen ist – ausschließlich dem frei gewählten Vertreter und nicht der Partei selbst zuzustellen ist, und zwar selbst dann, wenn es sich – wie hier – um einen im Überprüfungsverfahren nach § 71 ZPO erteilten Auftrag zur Vorlage eines neuen Vermögensbekenntnisses handelt (vgl Stummvoll aaO § 93 ZPO Rz 3, Rz 18/8; OLG Innsbruck 4 R 221/13a = RIS-Justiz R10100017). Lediglich eine Interessenkollision beim Vertreter ließe – ausnahmsweise – eine Zustellung an die Partei persönlich statt an den Vertreter als zulässig erscheinen (OLG Innsbruck 4 R 221/13a mwN).

Das Argument der „Höchstpersönlichkeit“ der Erfüllung des Gerichtsauftrags – wie es zur alten, vor der Novellierung des § 93 Abs 1 ZPO durch das BBG 2009 in Geltung gestandenen Rechtslage gebraucht worden war und von Fucik in Rechberger, ZPO5 § 71 Rz 2, sowie von M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ (2014) § 71 ZPO Rz 14, auch aktuell noch immer vertreten wird – ist daher letztlich als überholt und obsolet zu betrachten (vgl Stummvoll aaO § 93 ZPO Rz 17, 18/1, 18/8 mwN). Diese Rechtsansicht vertreten auch bereits mehrere Senate des Oberlandesgerichts Wien in Ansehung der Überprüfung der Nachzahlungspflicht gemäß § 71 ZPO (OLG Wien 4 R 43/17y, OLG Wien 3 R 69/18s), wie der Rekurs zutreffend darlegt.

3. Wird entgegen § 93 ZPO bloß dem Vertretenen zugestellt, so ist diese Zustellung verfahrensrechtlich unwirksam, löst also keine Zustellfolgen aus, mögen sie in Rechtsmittel-, Säumnis- oder Präklusionsfristen oder in einer auf die Nichtbefolgung einer Ladung oder eines Auftrags gegründeten Beweiswürdigung bestehen. Die Zustellung ist, falls es verfahrensrechtlich nötig und faktisch möglich ist, durch eine Zustellung an den Vertreter zu wiederholen (Stummvoll aaO § 93 ZPO Rz 2 mwN).

4. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Aufforderungsbeschluss ON 220 vom 3.5.2019 richtigerweise ausschließlich der Klagevertreterin zugestellt hätte werden müssen, und dass die Übermittlung dieses Beschlusses an den Kläger persönlich überhaupt keine Rechtswirkung entfalten konnte. Deshalb konnte – wie der Rekurs richtig ausführt – auch keine „Säumnis“ des Klägers mit der Vorlage eines (neuen) Vermögensbekenntnisses und der geforderten Angaben eintreten.

Das - verfahrenshilferechtliche - (Überprüfungs-)Verfahren nach § 71 ZPO ist daher wegen der fehlenden rechtswirksamen Zustellung des Beschlusses ON 220 mangelhaft geblieben, und der angefochtene Beschluss ON 222 wurde ohne das Vorliegen der notwendigen Voraussetzung einer eingetretenen verfahrensrechtlichen Säumnis erlassen: Der Beschluss ON 222 ist somit – dem berechtigten Rekurs folgend – in seinen Punkten 2., 3. und 4. wegen wesentlicher Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufzuheben.

Im fortzusetzenden Verfahren wird der Aufforderungsbeschluss ON 220 richtigerweise der Klagevertreterin zuzustellen und sodann eine neuerliche Entscheidung über die verfahrenshilferechtliche Nachzahlungspflicht zu treffen sein.

5. Der Beschluss ON 224 war zur Gänze ersatzlos aufzuheben, weil ihm infolge der teilweisen Aufhebung des Beschlusses ON 222 jede Grundlage fehlt.

Soweit der Beschluss ON 224 implizit (nur in seiner Begründung) eine Zustellung des Beschlusses ON 220 an die Klagevertreterin ablehnt, ist auf die Ausführungen oben in Punkt 1.-4. zu verweisen: Die Ansicht, eine Zustellung des Beschlusses ON 220 sei zulässigerweise ungeachtet des Vollmachtsverhältnisses zur Klagevertreterin an den Kläger persönlich erfolgt, entspricht der in Ansehung des § 93 Abs 1 ZPO veralteten Rechtslage.

6. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 4 ZPO.

 

Textnummer

EW0001007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2019:01400R00107.19M.1118.000

Im RIS seit

05.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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