TE Lvwg Beschluss 2019/2/11 VGW-001/016/2971/2018

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Veröffentlicht am 11.02.2019
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Entscheidungsdatum

11.02.2019

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/10 Grundrechte
19/05 Menschenrechte
L00019 Landesverfassung Wien
L10109 Stadtrecht Wien
L57509 Camping Mobilheim Wien

Norm

B-VG Art 7 Abs1
B-VG Art 118 Abs3
B-VG Art 118 Abs6
B-VG Art 139 Abs1
StGG Art 2
StGG Art 5
StGG Art 9
EMRK Art 8
WStV §76
WStV §108
KampierV Wr 1985 §1 Z3

Text

Das Verwaltungsgericht Wien stellt durch seinen Richter MMag. Dr. Florian Böhm-Gratzl im Verfahren der Beschwerde des A. B., C. Gürtel, D., vom 27.2.2018 gegen das Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 5.2.2018, Zl. …, betreffend eine Übertretung des § 108 Abs. 2 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, LGBl. für Wien Nr. 28/1968 (WV), idF LGBl. für Wien Nr. 48/2000 iVm § 1 Z 3 und § 3 der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 7. März 1985, betreffend das Verbot des Kampierens (Kampierverordnung 1985), ABl. der Stadt Wien Nr. 12/1985, idF der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 2. September 1996, mit der die Kampierverordnung 1985 geändert wird, ABl. der Stadt Wien Nr. 40/1996, an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 139 Abs. 1 Z 1 B-VG den

A N T R A G,

der Verfassungsgerichtshof möge

-    § 1 Z 3 der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 7. März 1985, betreffend das Verbot des Kampierens (Kampierverordnung 1985), ABl. der Stadt Wien Nr. 12/1985, idF der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 2. September 1996, mit der die Kampierverordnung 1985 geändert wird, ABl. der Stadt Wien Nr. 40/1996,

in eventu

-    die Wendung „Personenkraftwagen,“ in § 1 Z 3 der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 7. März 1985, betreffend das Verbot des Kampierens (Kampierverordnung 1985), ABl. der Stadt Wien Nr. 12/1985, idF der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 2. September 1996, mit der die Kampierverordnung 1985 geändert wird, ABl. der Stadt Wien Nr. 40/1996,

in eventu

-    die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 7. März 1985, betreffend das Verbot des Kampierens (Kampierverordnung 1985), ABl. der Stadt Wien Nr. 12/1985, idF der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 2. September 1996, mit der die Kampierverordnung 1985 geändert wird, ABl. der Stadt Wien Nr. 40/1996,

als gesetzwidrig aufheben.

B e g r ü n d u n g

I. Zum Anlassfall:

1. Dem Beschwerdeführer des Anlassfalles wurde mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 5.2.2018 zur Last gelegt, dass er – so wörtlich – „am 14.01.2016 um 21.15 Uhr in Wien, Donauinsel, Donauinselparkplatz, in der Reihe der Parkplätze …, [...] am Parkplatz und somit an einem im Freien gelegenen öffentlichen Ort außerhalb eines Campingplatzes den Personenkraftwagen Volkswagen, …, Kennzeichen …, abgestellt und zu Wohnzwecken benutzt“ habe. Hiedurch habe er § 108 Abs. 2 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, LGBl. für Wien Nr. 28/1968 (WV), idF LGBl. für Wien Nr. 48/2000 (in weiterer Folge: Wiener Stadtverfassung) iVm § 1 Z 3 und § 3 der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 7. März 1985, betreffend das Verbot des Kampierens (Kampierverordnung 1985), ABl. der Stadt Wien Nr. 12/1985, idF der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 2. September 1996, mit der die Kampierverordnung 1985 geändert wird, ABl. der Stadt Wien Nr. 40/1996 (in weiterer Folge: Kampierverordnung) übertreten und wurde über ihn gemäß § 108 Abs. 2 der Wiener Stadtverfassung eine Geldstrafe iHv EUR 70,– bzw. für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von vier Stunden verhängt.

2. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 27.2.2018, welche bei der belangten Behörde eingebracht wurde. Die Erstbehörde nahm von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand und legte den Beschwerdeschriftsatz unter Anschluss des bezughabenden Verwaltungsaktes dem Verwaltungsgericht Wien am 5.3.2018 (einlangend) vor. Einem mit Schriftsatz des Verwaltungsgerichtes Wien vom 6.3.2018 dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG erteilten Auftrag zur Mängelbehebung ist jener fristgerecht nachgekommen, sodass seine Beschwerde als ursprünglich richtig eingebracht gilt.

3. Das Verwaltungsgericht Wien ersuchte sodann den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 62, mit Schriftsatz vom 22.3.2018 und – in Urgenz – mit Schriftsatz vom 2.5.2018 um Übermittlung des da. Verwaltungsaktes zur Kampierverordnung. Der Verordnungsakt wurde schließlich dem Verwaltungsgericht Wien mit Eingabe vom 11.5.2018 vorgelegt. Einem dahingehenden Ersuchen der Behörde folgend, fertigte das Verwaltungsgericht Wien eine vollständige Kopie dieses Aktes an und wurde das Original mit Schriftsatz vom 24.5.2018 an die Behörde rückübermittelt.

II. Zur Rechtslage:

1. Das antragstellende Verwaltungsgericht hat auf Grund der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erkenntnisses zu entscheiden (vgl. hiezu etwa VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076), wobei in – wie im Anlassfall – Verwaltungsstrafsachen die Bestimmung des § 1 Abs. 2 VStG beachtlich ist (vgl. auch § 38 VwGVG).

2. Die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 7. März 1985, betreffend das Verbot des Kampierens (Kampierverordnung 1985), ABl. der Stadt Wien Nr. 12/1985, lautet in ihrer – zum Tatzeitpunkt geltenden und hienach unveränderten – Fassung der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien vom 2. September 1996, mit der die Kampierverordnung 1985 geändert wird, ABl. der Stadt Wien Nr. 40/1996, wie folgt (mit Hauptantrag angefochtene Verordnungsteile sind hervorgehoben):

„Auf Grund der §§ 76 und 108 der Wiener Stadtverfassung wird verordnet:

§ 1. Außerhalb von Campingplätzen ist an im Freien gelegenen öffentlichen Orten verboten:

1. das Auflegen und das Benützen von Schlafsäcken,

2. das Aufstellen und das Benützen von Zelten sowie

3. das Abstellen von Personenkraftwagen, Omnibussen, Kombinationskraftwagen, Wohnmobilen, Wohnwagen oder Wohnwagenanhängern zu Wohnzwecken sowie deren Benützen zum Wohnen (Schlafen).

§ 2. § 1 findet auf solche Handlungen keine Anwendung,

1. die in unmittelbarem örtlichem Zusammenhang mit einer erlaubten Tätigkeit stehen (zum Beispiel Straßenbau, genehmigte Veranstaltung) oder

2. die schon nach anderen gesundheitspolizeilichen Vorschriften verboten sind.

§ 3. Wer gegen ein Verbot des § 1 verstößt, begeht eine Verwaltungsübertretung und unterliegt der hierfür im § 108 Abs. 2 Wiener Stadtverfassung-WStV, LGBl. für Wien Nr. 28/1968 in der jeweils geltenden Fassung, vorgesehenen Strafe.

§ 4. Diese Verordnung tritt mit 25. März 1985 in Kraft“

3. Die §§ 76 und 108 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, LGBl. für Wien Nr. 28/1968 (WV), lauten in ihrer – zum Tatzeitpunkt geltenden und hienach unveränderten – Fassung LGBl. für Wien Nr. 46/2013 bzw. Nr. 48/2000 wie folgt:

„§ 76

Der Gemeinde sind zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich die behördlichen Aufgaben insbesondere in folgenden Angelegenheiten gewährleistet:

1. Bestellung der Gemeindeorgane unbeschadet der Zuständigkeit überörtlicher Wahlbehörden; Regelung der inneren Einrichtungen zur Besorgung der Gemeindeaufgaben;

2. Bestellung der Gemeindebediensteten und Ausübung der Diensthoheit unbeschadet der Zuständigkeit überörtlicher Disziplinar-, Qualifikations- und Prüfungskommissionen;

3. örtliche Sicherheitspolizei (Art. 15 Abs. 2 B-VG), örtliche Veranstaltungspolizei;

4. Verwaltung der Verkehrsflächen der Gemeinde, örtliche Straßenpolizei;

5. Flurschutzpolizei;

6. örtliche Marktpolizei;

7. örtliche Gesundheitspolizei, insbesondere auch auf dem Gebiete des Hilfs- und Rettungswesens sowie des Leichen- und Bestattungswesens;

8. Sittlichkeitspolizei;

9. örtliche Baupolizei; örtliche Feuerpolizei; örtliche Raumplanung;

10. öffentliche Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten;

11. freiwillige Feilbietungen beweglicher Sachen.

[...]

Ortspolizei

§ 108

         (1) Der Magistrat hat unter Leitung und Verantwortung des Bürgermeisters die der Gemeinde zustehende Ortspolizei zu handhaben.

         (2) In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde hat der Magistrat das Recht, ortspolizeiliche Verordnungen nach freier Selbstbestimmung zur Abwehr unmittelbar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Mißstände zu erlassen sowie deren Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung zu erklären. Diese Verordnungen dürfen nicht gegen bestehende Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes verstoßen. Übertretungen ortspolizeilicher Verordnungen sind mit Geld bis zu 700 Euro zu bestrafen. Überdies kann der Verfall von Gegenständen ausgesprochen werden, mit denen die strafbare Handlung begangen wurde und deren Wert 700 Euro nicht übersteigt.

         (3) Die ortspolizeilichen Verordnungen sind, wenn durch Gesetz nicht anderes bestimmt ist, im offiziellen Publikationsorgan der Stadt Wien kundzumachen. Sie treten, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, mit Ablauf des Tages in Kraft, an dem das die Kundmachung enthaltende Stück des offiziellen Publikationsorgans herausgegeben und versendet wird. Sie gelten, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, für das gesamte Stadtgebiet.

         (4) Wenn es im Interesse einer raschen und umfassenden Bekanntmachung liegt, kann der Magistrat überdies anordnen, daß solche Kundmachungen von den Hauseigentümern oder deren Beauftragten in ihren Häusern an einer Stelle anzuschlagen sind, die den Hausbewohnern zugänglich ist. Wer eine solche Anordnung nicht befolgt, begeht eine Verwaltungsübertretung.“

4. Die Bestimmungen der Kampierverordnung finden gemäß § 10 der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien betreffend die Benützung der Donauinsel (Donauinselverordnung), ABl. der Stadt Wien Nr. 15/2013, – mit (der im Anlassfall nicht einschlägigen) Ausnahme des Aufstellens und Benützens von Sonnenzelten – auf den Bereich der Donauinsel explizit Anwendung.

III. Zur Zulässigkeit des Antrages:

1. Anfechtungsumfang:

1.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (vgl. hiezu zB VfSlg. 13.965/1994, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Diese Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, dass im Normenprüfungsverfahren nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl. zB VfSlg. 17.220/2004, 19.933/2014).

1.2. Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg. 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997 und 16.212/2002). Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (vgl. zB VfSlg. 16.869/2003, 19.933/2014).

1.3. Im Lichte der obzitierten höchstgerichtlichen Judikatur erachtet das Verwaltungsgericht Wien den mit gegenständlichem Hauptantrag gewählten Anfechtungsumfang als weder zu weit noch zu eng bemessen. Insbesondere entstünde bei Aufhebung des § 1 Z 3 der Kampierveordnung keine Schwierigkeit hinsichtlich der Anwendung der im Rechtsbestand verbleibenden Teile jener Verordnung.

2. Präjudizialität:

2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Antrag iSd Art. 139 Abs. 1 Z 1 B-VG (nur) dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückzuweisen, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. bspw. VfGH 9.3.2016, G 447/2015 ua., mwN).

2.2. Das Verwaltungsgericht Wien hat § 1 Z 3 der Kampierverordnung bei seiner Entscheidung im Anlassfall jedenfalls anzuwenden, zumal diese Norm die tatsächliche, hinreichend präzisierte Grundlage für die Ahndung des hier interessierenden Verhaltens des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde bildet (vgl. zB VfSlg. 17.720/2005, mwN).

3. Auswirkung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf den Anlassfall:

3.1. „Sache“ im Verfahren über Beschwerden gegen Straferkenntnisse ist jener Tatvorwurf, der Gegenstand des bekämpften Strafbescheides ist. Dabei hat das Verwaltungsgericht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das in § 42 VwGVG normierte Verbot der „reformatio in peius“ zu berücksichtigen, welches nur dann nicht gilt, wenn – anders als im Anlassfall – die Beschwerde nicht zu Gunsten des Bestraften erhoben wird. Demnach ist dem Verwaltungsgericht eine Ausdehnung des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens über die Sache des Verwaltungsstrafverfahrens hinaus verwehrt und würde dies eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs und damit der Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht darstellen (vgl. hiezu etwa VwGH 5.11.2014, Ra 2014/09/0018). Ebenso ist eine Änderung der von der Behörde zur Bestrafung des Beschwerdeführers herangezogenen Rechtsgrundlage durch das Verwaltungsgericht nur insoweit zulässig, als es hiedurch nicht zu einem „Austausch der Tat“ durch Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts kommt (vgl. hiezu etwa VwGH 27.2.2015, 2011/17/0131).

3.2. Demnach ist das Verwaltungsgericht im Rahmen seines Verfahrens an den Tatvorwurf der belangten Behörde, d.h. für den Anlassfall der Beschwerdeführer habe seinen Personenkraftwagen „zu Wohnzwecken benutzt“, gebunden. Im Fall der Aufhebung der angefochtenen Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof wäre der Anlassfall rückwirkend so zu beurteilen, als hätte die aufgehobene Norm bereits im Zeitpunkt der Verwirklichung des hier interessierenden Sachverhaltes nicht dem Rechtsbestand angehört (vgl. zB VfSlg. 3674/1960, 7651/1975) und hätte das Verwaltungsgericht seine Entscheidung im Anlassfall auf Grund der „bereinigten Rechtslage“ zu treffen (vgl. zB VwGH 29.8.1996, 96/06/0131, mwN). Demnach wäre infolge Straflosigkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers seiner Beschwerde stattzugeben, wäre das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und wäre das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG einzustellen.

4. Zu den Eventualanträgen:

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof die oben unter Pkt. III.1.3. dargelegten Ausführungen nicht teilt, den mit Hauptantrag gezogenen Anfechtungsgegenstand daher als zu weit oder zu eng erachtet, stellt das Verwaltungsgericht Wien in eventu die o.a. Eventualanträge: Zum einen den Eventualantrag, alleine die Wendung „Personenkraftwagen,“ in § 1 Z 3 der Kampierverordnung als gesetzwidrig aufzuheben, zumal der Beschwerdeführer des Anlassfalles laut Tatvorwurf der belangten Behörde einen Personenkraftwagen „zu Wohnzwecken benutzt“ habe; zum anderen den Eventualantrag, die gesamte Kampierverordnung als gesetzwidrig aufzuheben, sollte der Verfassungsgerichtshof der Ansicht sein, dass nachfolgend formulierte Bedenken auf die gesamte Verordnung zutreffen. Eine Anfechtung alleine des (gesamten) § 1 leg. cit. scheidet aus Sicht des antragstellenden Gerichtes insoweit aus, als jene Verordnungsteile, die nach einer Aufhebung desselben im Rechtsbestand verbleiben würden, diesfalls nicht länger vollziehbar wären (siehe oben III.1.2.). Im Übrigen wird auf obige, unter Pkt. III.2. und III.3. dargelegte Ausführungen verwiesen.

IV. Zu den Bedenken:

1. Das Verwaltungsgericht Wien hegt das Bedenken, dass § 1 Z 3 der Kampierverordnung gegen § 108 Abs. 2 der Wiener Stadtverfassung verstößt.

1.1. § 108 Abs. 2 leg. cit. ermächtigt den Magistrat der Stadt Wien in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde (vgl. § 76 leg. cit. in Wiederholung des 118 Abs. 3 B-VG) zur Erlassung ortspolizeilicher Verordnungen im Sinne des Art. 118 Abs. 6 B-VG mit dem Ziel der Abwehr unmittelbar zu erwartender oder der Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstände. Wie anhand ihrer Promulgationsklausel explizit ersichtlich, stützt sich die Kampierverordnung auf § 108 Abs. 2 der Wiener Stadtverfassung und ist demnach als ortspolizeiliche Verordnung im Sinne des Art. 118 Abs. 6 B-VG zu qualifizieren (vgl. auch VfSlg. 15.364/1998 zur – ebenfalls auf § 108 Abs. 2 der Wiener Stadtverfassung gestützten – Wiener Reinhalteverordnung 1982).

1.2. Art. 118 Abs. 6 B-VG ermächtigt die Gemeinde nur zur Erlassung solcher Verordnungen, welche die Abwehr oder die Beseitigung von das örtliche Gemeinschaftsleben störenden konkreten, für die Gemeinde spezifischen Missständen zum Ziel haben und die für jene Zielerreichung tauglich sind (grundlegend VfSlg. 7960/1976). Unter einem „Missstand“ in diesem Sinne ist ein spezifischer Übelstand zu verstehen, der das örtliche Gemeinschaftsleben stört, sohin ein einzelner, gemeinschaftsrelevanter Sachverhalt, der negativ bewertet wird; gefordert wird die Überschreitung einer gewissen Schwelle der Störung, die über ein bloß unerwünschtes oder unangenehm empfundenes Verhalten hinausgeht (vgl. Sündhofer, Ortspolizeiliches Verordnungsrecht der Gemeinden, RFG 2017, 75 [76 f.] mwN aus der Judikatur). Im Zeitpunkt der Erlassung einer ortspolizeilichen Verordnung müssen solche Missstände tatsächlich vorliegen oder muss ihr Eintritt ernstlich zu befürchten sein (so ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt VfGH 11.12.2018, V 19/2018 ua.). Das Vorliegen oder der Eintritt eines konkreten Missstandes ist von der verordnungserlassenden Gemeinde hinreichend zu ermitteln und – durch Berichte, Protokolle, Beschwerden von Betroffenen udgl. – entsprechend nachzuweisen (vgl. hiezu etwa VfSlg. 15.364/1998, 18.305/2007). Ein Verhalten pauschal zu verbieten, ohne einen Konnex zu einer spezifischen Störung des Gemeinschaftslebens herzustellen, zu deren Beseitigung die Verordnungserlassung das taugliche Mittel wäre, ist unzulässig (vgl. Weichselbaum, Schlafen im Park verboten? Die Wiener Kampierverordnung verfassungsrechtlich betrachtet, juridikum 2014, 278 [284] mwN).

1.3. Unter der Annahme, dass das Abstellen von Fahrzeugen an öffentlich Orten und deren Benützung zum Wohnen bzw. Schlafen einen Missstand im Sinne des Art. 118 Abs. 6 B-VG darstellen könne (vgl. VfSlg. 20.097/2016), vermag das antragstellende Gericht von dem Hintergrund des beigeschafften Behördenaktes zur Kampierverordnung jedoch nicht zu erkennen, dass dem verordnungsgebenden Magistrat der Stadt Wien der Nachweis, dass ein solcher Missstand im Zeitpunkt der Verordnungserlassung tatsächlich vorgelegen ist oder ernstlich zu befürchten war, gelungen wäre. Ebenso wenig erschließt sich dem Verwaltungsgericht Wien, inwiefern die Verordnungserlassung ein taugliches Mittel zur Beseitigung des behördenseits angenommenen Missstandes sei.

1.4. Wenngleich in den Allgemeinen Erläuterungen zur Kampierverordnung wörtlich ausgeführt wird, dass „[d]as sogenannte wilde Kampieren in den touristischen Ballungszentren auf dazu ungeeigneten und nicht vorgesehenen Flächen mit Wohnmobilen, Wohnwagen, Wohnwagenanhängern, aber auch das regellose ‚Zelteln‘ auf Grünflächen, in Parks etc. [....] durch die bestehenden Rechtsvorschriften [...] offensichtlich nicht beherrschbar“ sei, ist hingegen den – dem Verordnungsakt inneliegenden – Aktenvermerken der Magistratsdirektion der Stadt Wien vom 25.5.1984, MD-1022-1/84, und vom 29.6.1984, MD VO - 105/84, die im Zeitraum der Vorbereitung der Kampierverordnung verfasst wurden, zu entnehmen, dass zur Regulierung anreisender Campingtouristen bloß an einzelnen Orten (i.e. Heldenplatz, Ballhausplatz, Rathausviertel, Schloss Schönbrunn) Hinweistafeln mit der Aufschrift „No Camping“ angebracht worden seien und sich diese „bestens bewährt“ hätten; zu Pfingsten 1984 sei es „kaum zu Unzukömmlichkeiten gekommen“ bzw. sind „kaum Probleme“ aufgetreten.

1.5. Aus dem Gesagten erschließt sich dem Verwaltungsgericht Wien nicht das Vorliegen eines Missstandes im Sinne des Art. 118 Abs. 6 B-VG und ist dem gesamten Verordnungsakt auch kein anderer Nachweis zu entnehmen, dass ein solcher Missstand vorgelegen oder dessen Eintritt zu erwarten gewesen sei (vgl. auch Stolzlechner, Aktuelle Probleme des Straßenverkehrsrechts – Kampieren auf öffentlichen Straßen und Rechtsfragen der verkehrsberuhigten Zonen, ZVR 1986, 193 [196]). Gleiches gilt im Hinblick auf die 1996 vorgenommene Novellierung der Kampierverordnung mit (u.a.) der Aufnahme von „Omnibussen“ in § 1 Z 3 leg. cit. (vgl. ABl. der Stadt Wien Nr. 40/1996). Zwar wird in einem Schreiben des amtsführenden Stadtrates für Umwelt und Verkehr vom 1.7.1996, GGUV 1733/96, diesbezüglich – wörtlich – von „erheblichen sanitären Übelständen am Busparkplatz Neubaugürtel“ gesprochen, doch werden jene in keiner Weise konkretisiert oder nachgewiesen. Schließlich vermag das antragstellende Gericht nicht nachzuvollziehen, inwiefern die Erlassung der Kampierverordnung ein taugliches und verhältnismäßiges Mittel zur Hintanhaltung des behördenseits behaupteten Missstandes sei, wenn dem Verordnungsakt selbst zu entnehmen ist, dass alleine mit der Anbringung von Hinweistafeln an einzelnen öffentlichen Orten und der Erlassung von „differenzierten Parkverboten“ nach der StVO (vgl. das Schreiben des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 7, vom 30.3.1984, MD-719-4 und 5/83; im Verordnungsakt) das Auslangen gefunden werden könne (zur Funktion ortspolizeilicher Verordnungen als subsidiäre spezifische Missstandsabwehr vgl. etwa VfSlg. 15.364/1998; zur Erlassung von Bescheiden als geeignetes Mittel zur Missstandsabstellung vgl. etwa VfSlg. 20.097/2016).

1.6. Zu bemerken ist darüber hinaus, dass dem Verordnungsakt an keiner Stelle zumindest die Behauptung eines konkreten Missstandes in Zusammenhang mit dem Wohnen bzw. Schlafen in Personenkraftwagen zu entnehmen ist. Auch erscheint fraglich, inwiefern eine Störung des Gemeinschaftslebens vorliegt, wenn jemand in seinem Personenkraftwagen, etwa zur Überwindung einer Müdigkeit, ausruht (so auch Stanek-Elterlein/Messiner, Verbote des Wohnens in Kraftfahrzeugen [Kampierverbote], ZVR 1985, 167 [168 f.] mit Verweis auf § 58 Abs. 1 StVO). Viel eher sieht das Verwaltungsgericht Wien einen Übelstand darin gelegen, dass ein übermüdeter Lenker die Fahrt mit seinem Kraftfahrzeug unter Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer antritt.

2. Aus den oben dargelegten Gründen hegt das Verwaltungsgericht Wien gleichsam das Bedenken, dass § 1 Z 3 der Kampierverordnung gegen Art. 118 Abs. 6 B-VG verstößt.

3. Das Verwaltungsgericht Wien hegt aus den nachfolgenden Gründen ebenfalls das Bedenken, dass § 1 Z 3 der Kampierverordnung gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art. 7 Abs. 1 B-VG und Art. 2 StGG verstößt.

3.1. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Verordnungsgeber (vgl. zur Prüfung von Verordnungen am Maßstab des Verfassungsrechts VfSlg. 17.960/2006, 19.033/2010). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. VfSlg. 19.779/2013 bzw. zum Sachlichkeitsgebot bei Gesetzen VfSlg. 14.039/1995, 16.407/2001). Dem Gleichheitsgrundsatz ist sohin ein allgemeines, an den Verordnungsgeber gerichtetes Sachlichkeitsgebot zu entnehmen (vgl. zB Mayer, Das österreichische Bundes-Verfassungsrecht4, 2007, 571 mwN).

3.2. Aus Sicht des antragstellenden Gerichtes normiert § 1 Z 3 der Kampierverordnung ein absolutes, weil ausnahmsloses und für alle außerhalb von Campingplätzen im Freien gelegenen öffentlichen Orte innerhalb der Grenzen der Gemeinde Wien geltendes (vgl. den Einleitungssatz des § 1 leg. cit.) Verbot (so auch Stolzlechner, ZVR 1986, 193 [197]), das auch keiner zeitliche Beschränkung unterliegt. Weder in der Kampierverordnung selbst noch – soweit ersichtlich – in einer anderen Rechtsnorm werden räumliche oder zeitliche Bereiche oder gewisse Bedingungen festgelegt, in bzw. nach denen das sog. „wilde Campieren“ oder auch nur die Benützung eines Personenkraftwagens zum Wohnen bzw. Schlafen erlaubt wären (vgl. auch Weichselbaum, juridikum 2014, 278 [287]; zur Einrichtung von Erlaubnisbereichen vgl. demgegenüber die Verordnung des Magistrates der Stadt Wien betreffend die Bedingungen zur Darbietung von Straßenkunst in Wien, ABl. der Stadt Wien Nr. 26/2012). Daran vermag aus Sicht des Verwaltungsgerichtes Wien auch die Bestimmung des § 2 Z 1 der Kampierverordnung nichts zu ändern, zumal jene nur den Anwendungsbereich der Verordnung zu begrenzen scheint, nicht jedoch Ausnahmen innerhalb dieses Anwendungsbereiches ermöglicht (vgl. auch die – im beigeschafften Verordnungsakt enthaltenen – besonderen Erläuterungen zu § 2 leg. cit.).

3.3. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in der Vergangenheit mehrfach ausgesprochen, dass ein absolut bzw. ausnahmslos geltendes Verbot, welches keine differenzierte Anwendung zulässt, sachlich nicht zu rechtfertigen ist (vgl. etwa VfSlg. 19.662/2012 und 19.719/2012 zu landesgesetzlichen Bettelverboten; vgl. weiters VfSlg. 20.184/2017 zu einem zeitlich und örtlich weitreichenden Bettelverbot der Stadt Salzburg; vgl. insbesondere VfSlg. 20.097/2016 zu einem ortspolizeilichen Campierverbot; siehe aber auch zu ortspolizeilichen Verordnungen, welche eine differenzierte Anwendung zuließen und sohin auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken stießen, VfSlg. 19.676/2012 zur Wiener Werbeständerverordnung sowie insbesondere VfGH 24.11.2016, V 41/2016, zur Campierverordnung der Stadt Dornbirn; vgl. weiters VfSlg. 13.363/1993 zum Wiener Prostitutionsgesetz, welches die Anbahnung und Ausübung der Prostitution bloß an bestimmten Orten untersagt).

3.4. Im Lichte dieser Judikatur erscheint § 1 Z 3 der Kampierverordnung, v.a. unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem beigeschafften Verordnungsakt kein Nachweis für seine Notwendigkeit – insbesondere in dieser weitreichenden Form (vgl. hiezu erneut VfSlg. 20.184/2017) – zu entnehmen ist, unsachlich, unverhältnismäßig und daher gesetzwidrig.

4. Aus den unter Pkt. IV.3. dargestellten Erwägungen hegt das Verwaltungsgericht Wien ebenso das Bedenken, dass § 1 Z 3 der Kampierverordnung gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK sowie auf Schutz des Hausrechtes gemäß Art. 9 StGG verstößt, nicht zuletzt da die Benützung eines Wohnwagens oder Personenkraftwagens zur Befriedigung eines Wohnbedürfnisses von den Anwendungsbereichen dieser grundrechtlichen Gewährleistungen erfasst werden (vgl. VfSlg. 9525/1982, 10.124/1984; siehe weiters Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5, 2012, § 22 Rz 22 mwN; zur hier auftretenden Frage der Verhältnismäßigkeit einer behördlichen Maßnahme – insbesondere gegenüber einer vulnerablen Personengruppe – vgl. etwa EGMR 17.10.2013, Appl. Nr. 27.013/07, Winterstein ua. [NLMR 2013, 347]).

5. Schließlich hegt das antragstellende Gericht das Bedenken, dass § 1 Z 3 der Kampierverordnung aus den unter Pkt. IV.3. dargelegten Gründen gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Eigentumsfreiheit gemäß Art. 5 StGG und Art. 1 1. ZP-EMRK verstößt, zumal wegen Missachtung des verordneten Gebotes Geldstrafen verhängt werden (vgl. § 3 der Kampierverordnung iVm § 108 Abs. 2 der Wiener Stadtverfassung) und im Anlassfall über den Beschwerdeführer eine solche auch verhängt wurde (zur Verletzung des Eigentumsrechts durch Verhängung einer Geldstrafe vgl. etwa VfSlg. 12.105/1989).

6. Die Vornahme einer verfassungskonformen Interpretation des § 1 Z 3 Kampierverordnung scheidet aus Sicht des antragstellenden Gerichtes aus (so auch Weichselbaum, juridikum 2014, 278 [284]), zumal der Wortlaut des Tatbestandes klar ist und eine verfassungskonforme Interpretation ihre Grenze jedenfalls am Wortlaut findet (vgl. zB Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht10, 2014, Rz 37 mwN).

Schlagworte

Verordnung, ortspolizeiliche; Kampierverordnung; Missstand; Wirkungsbereich, eigener; Selbstverwaltung, territoriale; Gemeinde; Gleichheitsgrundsatz; Eigentumsfreiheit; Verbot, absolutes; Gemeinschaftsleben, örtliches; Hausrecht; Achtung des Privat- und Familienlebens; Präjudizialität; Normprüfungsantrag; Verordnungsprüfung

Anmerkung

VfGH v. 3.10.2019, V 11/2019; Abweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.001.016.2971.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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