TE Lvwg Erkenntnis 2019/8/23 VGW-211/026/6701/2019/VOR

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Veröffentlicht am 23.08.2019
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Entscheidungsdatum

23.08.2019

Index

L82009 Bauordnung Wien
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

BauO Wr §54 Abs1
BauO Wr 1883 §61
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §54 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag.a Ebner, LL.M., aufgrund der Vorstellung vom 9.5.2019 über die Beschwerde der Frau A. B. vom 21.11.2017 gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37 - …, vom 30.10.2017, Zl. …, mit welchem der Eigentümerin des Gebäudes auf der Liegenschaft Wien, C.-gasse ONr. 11, EZ 3 der Kat. Gem. D. der Auftrag erteilt wurde, binnen vier Monaten nach Rechtskraft des Bescheides entlang der Baulinie an der Front C.-gasse einen bauordnungsgemäßen Gehsteig herstellen zu lassen,

zu Recht erkannt:

I.     Gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

II.    Der hg. Beschluss vom 24.4.2019, Zl. VGW-211/026/RP23/15999/ 2017-10, wird ersatzlos behoben.

III.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37 - ..., vom 30.10.2017, Zl. …, wurde der Eigentümerin des Gebäudes auf der Liegenschaft Wien, C.-gasse ONr. 11, EZ 3 der Kat. Gem. D. in Punkt I.) der Auftrag erteilt, gemäß § 54 Bauordnung (BO) für Wien in Verbindung mit § 61 BO für Wien (§ 70 BO f. NÖ) aus dem Jahre 1883, binnen vier Monaten nach Rechtskraft des Bescheides entlang der Baulinie an der Front C.-gasse einen bauordnungsgemäßen Gehsteig herstellen zu lassen. In Punkt II.) wurde die Breite, Höhenlage und Bauart des Gehsteiges unter Verweis auf die im Bescheid beiliegende Stellungnahme der Magistratsabteilung 28 bekanntgegeben.

Dagegen brachte die Eigentümerin des Gebäudes auf der gegenständlichen Liegenschaft fristgerecht Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien ein und führte darin wie folgt aus:

„A) BESCHWERDEPUNKTE

a)   lch erhebe Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid, mit dem mir als Eigentümerin des Gebäudes ein Auftrag zur bauordnungsgemäßen Gehsteigherstellung auf der Liegenschaft EZ 3 des Grundbuches KG D. binnen 4 Monaten nach Rechtskraft des Bescheides entlang der Baulinie an der Front C.-gasse erteilt wird. Breite, Bauart und Höhenlage des Gehsteiges seien gemäß der dem Anhang beiliegenden Stellungnahme der MA 28 auszuführen.

b)   In der Begründung wird ausgeführt, an meiner bebauten Liegenschaft bestehe an der Front C.-gasse kein bauordnungsgemäßer Gehsteig. Jeder Eigentümer eines Neu-, Zu oder Umbaues wäre gemäß § 54 Abs. 1 WBO verpflichtet, in der vollen Länge des Bauplatzes in der von der Behörde bekanntgegebenen Breite, Höhenlage und Bauart einen Gehsteig herzustellen. Gleich diesen Bestimmungen wären schon nach der BO 1883 Eigentümerinnen verp?ichtet gewesen, entlang der Baulinien im Fall eines Neubaus einen Gehsteig herzustellen. Da die Straße jetzt hergestellt werde, müsste zur Herstellung eines geordneten Stadtbildes und der Sicherheit der Fußgänger die Herstellung eines bauordnungsmäßigen Gehsteiges vorgeschrieben werden. Die Bedingungen ergäben sich aus den Abs. 9 und 13 des § 54 WBO und der Gehsteigverordnung.

c)   Die belangte Behörde hat die Sach- und Rechtsgrundlagen, die zur Erlassung ihres Bescheides geführt haben, entweder überhaupt nicht oder nur unzureichend ermittelt oder den Sachverhalt rechtswidrig beurteilt. Meine Beurteilung ergibt sich aus den nachstehend angeführten Tatsachen:

B) BESCHWERDEGRÜNDE

1.   Aus Anlass dieser Beschwerde wurde ein einschlägiges Fachgutachten der allgemein beeideten und gerichtlich zerti?zierten Sachverständigen Hon.Prof. Dr. E. eingeholt. Dieses Gutachten ist samt Beilagen meiner Beschwerde angeschlossen. Ich mache dieses Gutachten samt Beilagen zunächst zu einem Teil meines Vorbringens und ersuche, dies als mein Vorbringen zu würdigen.

2.   Zunächst wäre in Ansehung des Auftrages die Frage zu stellen, auf Grund welchen Rechtsaktes mein Grundstück ein Bauplatz sein soll.

3.   Auch schon mit der BO 1883 waren bei Parzellierungen auf Baustellen (ds Bauplätze) Anliegerleistungen zwingend zu erbringen (§ 10 ua). Es hätten bei der 15 m breiten Straße nach dem Regulierungsplan sofort 7,5 m abgetreten werden müssen. Das ist aber bei mir nicht der Fall gewesen. Ich habe keine genehmigte Baustelle und auch niemals eine Anliegerleistung erbracht.

4.   Das Unterbleiben der Bauplatzschaffung erhellt auch daraus, dass die Baubewilligung 1920 für ein „Kriegswohnhaus“ (wörtlich am Bauplan) erteilt wurde und die Bewilligung gegen Widerruf erteilt wurde. Nachdem keine Bauplatzgenehmigung vorlag, war auch keine andere Vorgangsweise möglich. § 61 BO 1883 verlangt zwar vom Eigentümer eines neuen Gebäudes die Herstellung eines Trottoirs - optisch mag mein Haus vielleicht ein solches gewesen sein, aber rechtlich nicht - in der ganzen Länge des Bauplatzes, aber ein solcher lag und liegt auch heute nicht vor. Die Bezeichnung als Kriegswohnhaus und die Erteilung der Baubewilligung gegen jederzeitigen Widerruf passt aber genau auf den § 90 a BO 1883, der expressis verbis von Bauführungen für vorübergehende Zwecke spricht und ua als Beispiel auch Notstandsbauten für Wohnzwecke zitiert, die auf bestimmte Zeit oder gegen jederzeitigen Widerruf genehmigt werden können. Die WBO verdeutlicht dies heute mit dem § 14, wonach solche Liegenschaften als unbebaut gelten. Diese Rechtslage trifft daher bei mir voll zu.

5.   Historisch ergibt sich noch ein weiterer Umstand, der unabhängig von der Tatsache, dass kein Bauplatz vorliegt, keine Anliegerleistungen erbracht wurden und nur eine Widerrufsbewilligung ausgesprochen wurde, die heute meine Liegenschaft als rechtlich unbebaut erscheinen lässt:

Aus dem PD 5 des Wiener Gemeinderates ergibt sich, dass vor diesem Plandokument die Liegenschaft größtenteils als Verkehrsband - Schnellstraße gewidmet war, zum kleineren, südlich gelegenen Teil als Betriebsbaugebiet, ohne Anschluss an ein öffentliches Gemeindestraßennetz. Damit war die ganze bisherige Widmung beseitigt und die Liegenschaft zum größten Teil nicht bebaubar, zum kleineren Teil ohne Anschluss ans öG. Mit dem genannten Plandokument kam dann für lange Jahrzehnte eine Betriebsbaugebietswidmung ohne Verbindung zu einer öffentlichen Straße. Die alte Widmung, wie sie 1920 bestand, war damit längst weggefallen und daher auch der damalige Bescheid ohne Rechtswirkung mehr. Die jetzige Widmung (PD 6), die wieder eine C.-gasse schuf, ist aber mit einer anderen Baulinienführung ausgestattet und daher auch nicht für eine alte Gehsteig (Trottoir)Bestimmung anwendbar. Für die Herstellung eines Gehsteiges, deren rechtliche Konnexität zur alten Situation ausdrücklich bestritten wird, müsste erst eine Grundabteilung mit Bauplatzschaffung und eine Grundabtretung damit durchgeführt werden. Es fehlt also auch hier die rechtliche Basis für eine Vorschreibung der Herstellung eines Gehsteiges.

C) ANTRÄGE

Die Beschwerdeführerin stellt somit die Anträge

das Landesverwaltungsgericht Wien möge

1.   eine mündliche Verhandlung durchführen

2.   in der Sache selbst erkennen und den angefochtenen Bescheid der MA 37/… vom 30.10.2017, …, dahingehend abändern, dass der Gehsteigherstellungsauftrag insgesamt aufgehoben und das Verfahren eingestellt wird.“

In den der Beschwerde angeschlossenen fachgutachtlichen und rechtlichen Überlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. E. wurde Folgendes ausgeführt:

A) Sachverhalt

1.   Die MA 37 erteilt mit dem obzitierten Bescheid der obzitierten Auftraggeberin, die Eigentümerin der EZ 3 des Grundbuches KG D. ist, den Auftrag, gemäß § 54 der Bauordnung für Wien (in der Folge mit WBO bezeichnet) in Verbindung mit § 61 der B0 f Wien 1883 in Verbindung mit § 70 BO f NÖ ex 1883 binnen 4 Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides entlang der Baulinie an der Front C.-gasse einen bauordnungsmäßigen Gehsteig herstellen zu lassen, wobei dieser nach der beiliegenden Stellungnahme der MA 28 ausgeführt werden soll (Beilage 1).

2.   Sie führt dazu aus, die Liegenschaft sei bebaut und es bestehe kein bauordnungsgemäßer Gehsteig. Gemäß § 54 Abs. 1 WBO seien Eigentümerinnen eines Neu-, Zu- oder Umbaues verpflichtet, … einen solchen Gehsteig herzustellen. Auch nach der BO 1883 habe eine solche Verp?ichtung bestanden. Da nun die Straße hergestellt werde, müsse ein solcher Gehsteig verlangt werden. Die Bedingungen seien auf Grund des § 54 Abs. 9 und 13 WBO vorgeschrieben worden.

B) Historische Genesis und Entwicklung

1.   Die Liegenschaft wurde mit dem nö Landesgesetz - und Verordnungsblatt LGBl 1905/1 als Teil der Gemeinde D. mit … neu vereinigt; gleichzeitig wurde ein neues Statut für die Reichshaupt-und Residenzstadt Wien erlassen (Wien war damals ein Teil von NÖ). Wieso hier die MA 37 auch alte, nur für außerhalb Wiens geltende nö. Vorschriften (BO f. NÖ) zitiert, ist daher unerfindlich. 1915 hat der Wiener Gemeinderat einen Regulierungsplan für das Gebiet des … Bezirkes südlich der F.-Straße und südlich der G.-Straße erlassen. Die bezogene Liegenschaft ist Teil dieses Gebietes. Im beiliegenden Plan (Beilage 2) ist sie grün markiert; für die C.-gasse war in diesem Bereich eine Straßenbreite von 15 m vorgesehen, somit im Sinne des § 61 BO 1883 2,5 m Gehsteigbreite (Beilage 2).

2.   Es war die Zeit des ersten Weltkrieges; Hungersnot, aber auch der Mangel an Wohnraum waren damals erdrückend. Wien schaffte mit dem nö Landesgesetz - und Verordnungsblatt Nr. 547 vom 17.6.1920 einen neuen § 90 a der Wiener BO 1883 für die Errichtung „Provisorischer Bauten“ (entspricht heute dem § 71 BO). Das waren Bauten für vorübergehende Zwecke, insbesondere auch Notstandsbauten für Wohnzwecke, die die Baubehörde auf bestimmte Zeit oder auf Widerruf unter Festsetzung von nach Lage des Falles erforderlichen Bedingungen - ohne an die sachlichen Vorschriften dieser Bauordnung gebunden zu sein - gestatten konnte.

3.   Was wurde also von der Baubehörde in concreto mit der Bewilligung vom 19.8.1920 bewilligt? Es steht zwar im Text ein Einfamilienhaus, aber ist das Vorhaben tatsächlich eines?

lm Bauplan (Beilage 3, leider schlecht kopierbar) wird ganz offensichtlich ein „Kriegswohnhaus“ genehmigt. Dieses Kriegswohnhaus muss laut Punkt 8 der zitierten Bewilligung über jederzeitiges Verlangen der Gemeinde Wien oder der Baubehörde ohne Anspruch auf Schadenersatz oder irgendwelcher Kosten binnen 4 Wochen abgetragen werden (Beilage 4).

Wenn man die Begriffe der Bauordnung näher prüft, so kann so ein Provisorium niemals ein Neubau und auch kein Gebäude im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen sein. Nach § 3 Einleitung BO 1883 ist, bevor um Baubewilligung für ein Gebäude angesucht wird, vorher zwingend die Parzellierung auf einen Bauplatz zu erwirken. Das ist bisher niemals erfolgt. In eben diesem Sinne spricht auch der § 61 leg. cit. vom Eigentümer des neuen Gebäudes, der in der ganzen Frontlänge des Bauplatzes das Trottoir herzustellen hat.

Wieso erwähnt dann der Bescheid, mit dem ein Provisorium bewilligt wird, eine Trottoirherstellung und eine Grundabtretung? Vermutlich war die Zeit zwischen der Gesetzwerdung des § 90 a und der alten Praxis (2 Monate) zu kurz, und es geschah damals wie auch leider oft heute, dass man sich bei Anstreichen vorgedruckter Texte („Schimmel“) nicht allzu viel Gedanken macht.

4.   Es fand niemals eine Bauplatzschaffung (mit Grundabtretung, Höhenlageherstellung und dgl.) statt. Das war auch damals für definitiv zu genehmigende Gebäude notwendig. Die Fläche ist aber nur mit einem Provisorium bebaut, sie ist auf Grund des von mir dargestellten Bewilligungsvorganges derzeit - bloße Baufläche, aber kein Bauplatz.

Wieso Herr OBR Dipl.-Ing. H. zu einem sog. Art. III Bauplatz kommt, sollte er tunlichst erklären. Man kann einen Bauplatz nicht ersitzen. ln der Folge wurde mit einem Teilungsplan vom 13.7.1924 eine Grundteilung ausgewiesen, aber es wurden nur neue Grundstücke geschaffen, aber auch keine Bauplätze.

Die C.-gasse wird bei dieser Teilung trotz dem bereits bestehenden Regulierungsplan (vgl. Beilage 2) mit dem damaligen Naturmaß von 4 m ausgewiesen (Beilage 5). Auch das ist keine Parzellierung im Rechtssinn (vgl. hiezu auch VwGH 6.9.2011, 2008/05/0178).

Der Art. III Abs. 2 WBO verlangt für eine Anerkennung als Art. III Bauplatz, dass die Grundstücke nach den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen durch eine rechtswirksam gewordene behördliche Abteilungsbewilligung ausdrücklich zum Zweck der Bebauung geschaffen worden sind. Bebauung ist hier im Sinne der Einhaltung der dafür maßgeblichen seinerzeitigen gesetzlichen Vorschriften gemeint, also nicht für Provisorien gegen jederzeitigen Widerruf.

Das, wenn auch nur programmatische Verlangen einer zukünftigen Grundabtretung und Trottoirherstellung hätte also eine Bauplatzschaffung vor Errichtung des gegen jederzeitigen Widerruf errichteten Bauwerks vorausgesetzt und war und bleibt daher trotz damaliger Rechtskraft des Bescheides rechtswidrig, hinsichtlich der textlichen Unbestimmtheit im Bescheid aber ohnehin unvollziehbar.

Die WBO 1930 hat das Problem in der Weise gelöst, dass sie in § 14 ausdrücklich Grundstücke, die mit Bauten auf jederzeitigen Widerruf bebaut sind, pro praeterito und pro futuro als unbebaut geltend erklärte. Das ist auch für die gegenständliche Liegenschaft als relevant anzusehen. Da die Liegenschaft als unbebaut gilt, ist es nach der Praxis der MA 64 auch ohne Belang, wenn durch eine Widerrufsbaulichkeit eine Grundgrenze geht, wie es auch im vorliegenden Fall so ist.

5.   Beigelegt sind diesem Gutachten auch zwei Plandokumentsausschnitte betreffend den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan für die gegenständliche Liegenschaft, das derzeit geltende mit der PD Nr. 6 und das vorhergehende mit der PD Nr. 7. Gerade aus letzterem vom 21.5.1970 ist ersichtlich, dass vor der Gültigkeit dieses PD über den nördlichen Teil der Liegenschaft auf eine Frontlänge von 35 m und eine Breite der Verkehrsfläche von 36 m (der das Widerrufsgebäude zur Gänze erfasste) eine Schnellstraße (Verkehrsband, wohl ein Autobahnzubringer) geplant war. Nur der südliche Teil der Liegenschaft mit einer Frontlänge von ca. 20 m war anders gewidmet, aber auch nicht Bauland, sondern Grünland - Epk. Damit war die Baulandwidmung zur Gänze beseitigt, samt den rechtlichen Konsequenzen hinsichtlich der nicht mehr bestehenden C.-straße (Beilage 6, Ausschnitt).

     Mit dem PD 7 wurde diese Widmung geändert. Die Liegenschaft fiel dann ins Betriebsbaugebiet, aber ohne Aufschließung durch eine Straße.

6.   Diese Widmung blieb dann lange Jahrzehnte bis zum 15.12.2006. Dieses Plandokument Nr. 6 beseitigte offensichtlich zunächst den gesamten bestehenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan Nr. 7 und legte teilweise eine total andere Widmung fest, die sich - gerade bei der gegenständlichen Liegenschaft - an der bestehenden Situation in natura hält. So gibt es wieder eine C.-gasse mit einer Wohngebietswidmung. Allein, die Baulinienführung und auch die Straßenbreite (statt früher 15 m jetzt 11 m) ist unterschiedlich (Beilage 7).

     Unabhängig von der Tatsache, dass bei einem Widerrufsbau mit fehlender Bauplatzschaffung keine Anliegerleistungen gesetzlich vorgesehen sind und daher auch nicht verlangt werden können, ergibt sich bei der jetzigen Baulinienführung zusätzlich zur unterschiedlichen Straßenbreite noch die Tatsache, dass ca. 64 m² im Wege einer Parzellierung zusätzlich zu einer im Falle einer Bauplatzschaffung fällig werdenden (§ 17 Abs. 4 lit. a bzw. § 50 Abs. 1 WBO) Anliegerleistung abzutreten bzw. zu entschädigen wären. Ein Liegenschaftseigentümer kann jedoch nicht gezwungen werden, dies selbst zu veranlassen (vgl. die Magistratsbeilage 8).

C) Ergebnis

1.   Es liegt, falls nicht überhaupt davon auszugehen ist, dass wie dargestellt die Baulandwidmung durch längere Zeit überhaupt beseitigt war und damit die Widerrufsbewilligung erloschen ist, ein Widerrufsbau vor, für den mangels Vorliegen eines Bauplatzes keine Anrainerpflichten im Baufall entstehen können. Dafür spricht auch § 54 Abs. 1 WBO, wonach entlang der Baulinien des Bauplatzes, auf dem der Neubau errichtet wurde, der Gehsteig herzustellen ist.

2.   Gemäß der Bestimmung des § 14 WBO gelten Grundflächen, die gegen Widerruf bebaut wurden, als unbebaut, ganz egal, wann die Bebauung erfolgte. Damit wurde auch eine klare Abgrenzung gegenüber der Bestimmung des Art. III Abs. 2 WBO gezogen, demnach nur dann Grundstücke, die nach den seinerzeitigen Bestimmungen vor dem 3.5.1930 durch eine behördliche Abteilungsbewilligung ausdrücklich zum Zwecke der Bebauung geschaffen wurden, als Bauplätze gelten. Eine solche Abteilungsbewilligung ist für die gegenständliche Liegenschaft nicht nachweisbar.

3.   Die Vorschreibung der Herstellung eines Gehsteiges für die gegenständliche Liegenschaft als Anliegerleistung erweist sich demnach als rechtswidrig.“

Dem gegenständlichen Verfahren liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:

Bei einer örtlichen Erhebung vom 26.7.2017 wurde festgestellt, dass vor der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft an der Front C.-gasse noch kein bauordnungsgemäßer Gehsteig besteht.

In dieser Angelegenheit wurde von der belangten Behörde am 25.8.2017 eine Büroverhandlung durchgeführt, in welcher weiters festgestellt wurde, dass auch zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes kein den Vorschriften entsprechender Gehsteig bestanden hat. Außerdem wurde erörtert, dass gleich den Bestimmungen des § 54 Abs. 1 der Bauordnung für Wien, EigentümerInnen eines Neubaus auch gemäß § 61 der Bauordnung für Wien aus dem Jahre 1883 verpflichtet waren, entlang der Baulinie(n) der betroffenen Liegenschaft einen Gehsteig nach den Anordnungen der Behörde herzustellen. Schließlich wurde erörtert, dass die betreffende Straße nunmehr hergestellt wird. Zur Herbeiführung eines geordneten Stadtbildes und zur Gewährleistung der Sicherheit der Fußgänger vor der gegenständlichen Liegenschaft müsse die Herstellung eines bauordnungsgemäßen Gehsteiges daher nunmehr verlangt werden.

In der Folge erließ die Behörde den bekämpften Bescheid vom 30.10.2017, Zl. …, wogegen die Eigentümerin des Gebäudes auf der gegenständlichen Liegenschaft in Wien, C.-gasse ONr. 11, EZ 3 der Kat. Gem. D., mit Schriftsatz vom 21.11.2017 fristgerecht Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien erhob.

 

Mit Schreiben vom 28.11.2017 legte die belangte Behörde dem Verwaltungsgericht Wien den behördlichen Verwaltungsakt und die eingebrachte Beschwerde zur Entscheidung vor.

Anschließend hob das Verwaltungsgericht Wien durch die zuständige Landesrechtspflegerin mit Beschluss vom 24.4.2019, GZ: VGW-211/026/RP23/15999/ 2017-10, den angefochtenen Bescheid auf und wies das Verfahren an die belangte Behörde zurück.

Mit Schriftsatz vom 9.5.2019 brachte die Beschwerdeführerin gegen die oben genannte Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien vom 24.4.2019 Vorstellung ein.

In der Vorstellung wurde vorgebracht, die Meinung der Landesrechtspflegerin, es liege ein Bauplatz vor, könne nicht geteilt werden. Diesbezüglich werde auf das Gutachten von Dr. E. (S. 3) vom 21.11.2017 verwiesen. Weiters habe die Landesrechtspflegerin das erstinstanzliche Ausgangsthema gewechselt; der antragsgegenständliche Sachverhalt der Magistratsabteilung 37 beziehe sich auf ganz andere Voraussetzungen als der Inhalt des § 54 Abs. 6 Bauordnung für Wien. Das Landesverwaltungsgericht könne nicht einen völlig anderen Sachverhalt für seine Entscheidung heranziehen, welcher bei der Verwaltungsbehörde (MA 37) nie Gegenstand von rechtlichen Überlegungen gewesen sei. Dies stelle eine „res alia“ (anderer Verfahrensgegenstand) dar. Eine Rückverweisung mit Verweis auf § 54 Abs. 6 Bauordnung für Wien sei daher, weil eine andere causa, rechtswidrig. Der Bescheid wäre vielmehr ersatzlos aufzuheben gewesen.

Weiters wies die Beschwerdeführerin in ihrer Vorstellung darauf hin, dass das Verwaltungsgericht Wien im angefochtenen Beschluss nicht die Tatsache gewürdigt habe, dass § 54 Abs. 6 Bauordnung für Wien ausdrücklich die Herstellung des Gehsteiges vor unbebauten Grundstücken verlangt. Wenn man das PD 6 jedoch in Ansehung der C.-straße prüft, falle auf, dass die Baulinie – nicht nur bei der Liegenschaft der Beschwerdeführerin – durch die bestehenden Liegenschaften und nicht an deren Rand verläuft. Das würde eine Parzellierung mit Abtretung dieser Flächen erfordern, weil die Bauordnung für Wien keine Bestimmung enthalte, wonach Liegenschaftsgrund unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden müsse. Der richtige Weg zu der benötigten Fläche zu kommen, wären Verhandlungen bzw. ein Enteignungsverfahren mit Entschädigung.

Mit Schreiben vom 29.5.2019 ersuchte das Verwaltungsgericht Wien die Magistratsabteilung 64 um Stellungnahme, ob die beschwerdegegenständliche Liegenschaft als Bauplatz genehmigt ist, bzw. sofern für die gegenständliche Liegenschaft bisher keine Bauplatzschaffung erfolgte, um Stellungnahme, ob diese allenfalls im Sinne des Art. III Abs. 2 Bauordnung für Wien als Bauplatz zu gelten habe.

In Folge wurde mit Schreiben der MA 64 vom 19.6.2019 eine grundstückstechnische Stellungnahme (zu der Anfrage des Verwaltungsgerichts Wien vom 29.5.2019) übermittelt, nach der die verfahrensgegenständlichen Grundstücke 1 und 2 der EZ 3 KG D. (C.-gasse 11) noch nie als Bauplätze, Baulose, Kleingärten oder als Teile von solchen genehmigt wurden. Ebenfalls liegen keine Bauplätze im Sinne des Art. III BO vor.

Dazu hat das Verwaltungsgericht Wien erwogen:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Zufolge Abs. 2 hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zufolge § 54 Abs. 1 VwGVG kann gegen Erkenntnisse und Beschlüsse des Rechtspflegers (§ 2) Vorstellung beim zuständigen Mitglied des Verwaltungsgerichtes erhoben werden.

Das Rechtsinstitut der Vorstellung kann jedoch nicht dazu führen, dass ein „innergerichtlicher Instanzenzug“ geschaffen wird, zumal dies eindeutig der Intention des Gesetzgebers zuwiderliefe, die Verwaltungsverfahren zu beschleunigen. Im Fall einer - wie hier vorliegend - rechtzeitigen und zulässigen Vorstellung ist vom zuständigen Richter/von der zuständigen Richterin des Verwaltungsgerichtes sohin zu überprüfen, ob die Beschwerdesache mit dem Erkenntnis oder dem Beschluss des Rechtspflegers sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht rechtsrichtig abgeschlossen wurde. Da eine Vorstellung nicht zwingend zu begründen ist und der Richter/die Richterin über die (wieder) offene Beschwerde zu entscheiden hat, kann die Vorstellung gemäß § 54 Abs. 1 VwGVG nicht dazu dienen, ein bereits vom Rechtspfleger erledigtes Rechtsmittel gegen eine behördliche Entscheidung außerhalb der gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG vorgesehenen Frist losgelöst von dem Erkenntnis oder Beschluss des Rechtspflegers zu ergänzen oder anders zu erweitern. Über das ursprüngliche Rechtsmittel hinausgehende Vorbringen und Anträge in einer Vorstellung sind daher nur soweit beachtlich, wie sie sich direkt mit der Begründung der damit bekämpften Entscheidung des Rechtspflegers auseinandersetzen beziehungsweise sich darauf beziehen.

Gemäß § 54 Abs. 1 BO sind die Eigentümer eines Neu-, Zu- oder Umbaues verpflichtet, in der vollen Länge der Baulinie(n) des Bauplatzes oder des Bauloses, in der von der Behörde bekanntgegebenen Breite, Höhenlage und Bauart einen Gehsteig herzustellen.

Gleich dieser Bestimmung des § 54 Abs. 1 BO hatte schon § 61 der BO für Wien 1883 (entspricht § 70 der BO für NÖ) die Eigentümer eines Neubaues verpflichtet, entlang der Baulinie(n) der betroffenen Liegenschaft einen Gehsteig nach den Anordnungen der Behörde herzustellen.

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Gebäudes auf der Liegenschaft Wien, C.-gasse ONr. 11, der EZ 3 (Grundstücke 1 und 2) der Kat.-Gemeinde D..

Mit Bescheid vom 19.08.1920 wurde Herrn J. K. mit Zustimmung der mj. L. M.als Eigentümerin der Liegenschaft EZ 4, K.P. 8 Grundbuch D., an der C.-gasse im … Bezirk die Bewilligung erteilt, die in den genehmigten Plänen ersichtlich gemachten Bauherstellungen (Einfamilienhaus) ausführen zu dürfen. Diese Baubewilligung wurde auf Widerruf erteilt.

Unter Punkt 8.) des Bescheides vom 19.08.1920 wurde bedungen, dass die nach den Baulinien etwa zu Straßenzwecken entfallenden Grundteile der Liegenschaft über jederzeitiges Verlangen der Baubehörde gemäß den einschlägigen Bestimmungen der Bauordnung für Wien abzutreten und in richtiger Höhenlage satz- und lastenfrei in den physischen Besitz der Gemeinde Wien zu übertragen sind. Unter Punkt 9.), dass das Objekt über jederzeitiges Verlangen der Gemeinde Wien oder der Baubehörde binnen vier Wochen ohne Anspruch auf Schadenersatz oder Ersatz irgendwelcher Kosten abzutragen ist. Punkt 10.) sah vor, dass entlang der Baulinien auf Verlangen der Baubehörde das vorschriftsmäßige Trottoir herzustellen ist.

Der genehmigte und dem Bescheid beigefügte Plan weist die Überschrift „Plan zum Bau eines Kriegswohnhauses für Herrn J. K., F.-straße O.N. 24, auf der P 9, E.Z. 4 Grundbuch D.“, auf.

Die verfahrensgegenständliche Liegenschaft (EZ 3, Kat. Gem. D.) bzw. die Gst. Nr. 1 und 2, wurden noch nie als Bauplätze, Baulose, Kleingärten oder als Teile von solchen genehmigt und sind auch keine Bauplätze im Sinne des Art. III Bauordnung für Wien. Etwaige Grundabteilungen oder Grundabtretungen sind nicht erfolgt.

Aus dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan 6 vom 15.12.2006 ist zu entnehmen, dass die Baulinien durch die Liegenschaft hindurch, also nicht an der Grundgrenze verlaufen.

Vor der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft an der Front C.-gasse bestand weder zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes, noch besteht zurzeit ein bauordnungsgemäßer Gehsteig.

Zu diesen Feststellungen gelangte das erkennende Gericht aufgrund folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, Würdigung des Beschwerdevorbringens, der vorgelegten „fachgutächtlichen und rechtlichen Überlegungen zum Bescheid der MA 37 vom 30.10.2017, …, mit dem ein Auftrag zur Gehsteigherstellung gemäß der im Anhang beiliegenden Stellungnahme der MA 28 erteilt wurde“ von Hon. Prof. Dr. E. vom 21.11.2017, den Baubewilligungsbescheid vom 19.8.1920, den Teilungsplan vom 13.7.1924, das Plandokument 7 vom 21.5.1970 sowie das Plandokument 6 vom 15.12.2006, der Beilage ./8 der Beschwerde sowie der übermittelten grundstückstechnischen Stellungnahme der MA 64 vom 19.6.2019.

Unstrittig ist, dass in der C.-gasse vor der gegenständlichen Liegenschaft weder zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes, noch zum jetzigen Zeitpunkt ein Gehsteig bestand bzw. besteht.

Aufgrund der eingeholten grundstückstechnischen Stellungnahme der MA 64 vom 19.6.2019 ergibt sich der Umstand, dass die verfahrensgegenständliche Liegenschaft (EZ 3 der Kat. Gem. D.) bzw. die Gst. Nr. 1 und 2, noch nie als Bauplätze, Baulose, Kleingärten oder als Teile von solchen genehmigt wurden und auch keine Bauplätze im Sinne des Art. III Bauordnung für Wien sind.

Der Umstand, dass die Baubewilligung auf Widerruf erteilt wurde, ergibt sich aus Punkt 9.) des Baubewilligungsbescheides vom 19.8.1920. Aufgrund eines Telefongesprächs der Landesrechtspflegerin mit Herrn Dipl.-Ing. Dr. N., Magistratsabteilung 37 - ..., am 11.4.2019 ist bekannt, dass für die verfahrensgegenständliche Liegenschaft keine weiteren Bewilligungen als die vorgenannte Baubewilligung aus dem Jahre 1920 existieren; somit auch keine Grundabteilungen oder Grundabtretungen erfolgt sind.

Rechtlich folgt daraus:

Für das Bestehen einer Verpflichtung zur Gehsteigherstellung sind die Vorschriften zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Baubewilligung maßgebend (VwGH 1.2.1971, 1436/70).

Die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung verjährt nicht. Zur Beurteilung der Frage, ob die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung erfüllt ist, sind die Vorschriften heranzuziehen, die in dem Zeitpunkt, in dem die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung entstanden ist, gegolten haben (VwGH 4.5.1955, 0786/54).

Vorerst ist im beschwerdegegenständlichen Fall somit festzuhalten, dass gemäß § 61 der Bauordnung für Wien 1883 der Eigentümer eines neuen Gebäudes verpflichtet ist, das Trottoir an der Seite des Hauses gegen die öffentliche Straße oder Gasse, und zwar auf der ganzen Länge des Bauplatzes, bis zu einem Sechstel der normierten Straßen- oder Gassenbreite (zwischen den beiderseitigen Baulinien) und höchstens bis zu 5,75 Meter Breite auf seine Kosten herzustellen und bis zum Tage der Übergabe an die Gemeinde zu erhalten, sowie auch jene Niveauregulierungen vorzunehmen, welche zur Herstellung des Trottoirs erforderlich erscheinen. Die Breite und Konstruktion des Trottoirs, die Zeit der Herstellung desselben und die Beschaffenheit des zu verwendenden Materials wird von der Baubehörde bestimmt. […]

Auch nach der Bauordnung für Wien 1883 bestand somit ex lege eine Gehsteigherstellungspflicht (VwSlg 3454 A – nur Rechtssatz), welche sich jedoch nur auf jene Baulinie erstreckt, an welcher ein Frontrecht in Anspruch genommen wurde (VwGH 1.2.1971, 1436/70).

Ebenso ist gemäß der aktuellen Fassung des § 54 Abs. 1 der Bauordnung für Wien bei Herstellung eines Neu-, Zu- oder Umbaues im Bauland oder einer fundierten Einfriedung an einer Baulinie der Eigentümer (Miteigentümer) des Gebäudes bzw. der Einfriedung verpflichtet, in der vollen Länge der Baulinien des Bauplatzes oder Bauloses, auf dem der Neu-, Zu-, oder Umbau bzw. die Einfriedung hergestellt wird, in der von der Behörde bekanntgegebenen Breite, Höhenlage und Bauart (Abs. 2) einen Gehsteig herzustellen. Als Gehsteig gelten auch Verkehrsflächen oder Teile einer solchen, die vorwiegend dem Fußgängerverkehr vorbehalten sind und deswegen entweder nicht befahrbar ausgestaltet oder von einem etwaigen Fahrstreifen baulich nicht getrennt bzw. durch Randsteine gegen andere Teile der Verkehrsfläche nicht abgegrenzt sind. Der Gehsteig ist, wenn der Bebauungsplan im Querschnitt der Verkehrsfläche nicht anderes bestimmt, an der Baulinie herzustellen. Bei Eckbildungen erstreckt sich die Verpflichtung auch auf die Eckflächen. Bei der Herstellung bloß einer nicht fundierten Einfriedung an der Baulinie ist nach den Grundsätzen dieses Absatzes ein Gehsteig in vorläufiger Bauart herzustellen.

Wenn auch bereits hergestellte Gehsteige nicht nach den neuen Vorschriften zu beurteilen sind, ist doch die Anwendung des § 54 Bauordnung für Wien zur Durchsetzung unerfüllt gebliebener Verpflichtungen zur Herstellung von Gehsteigen vor Baulichkeiten, die unter Geltung der früheren Bauordnung errichtet wurden, zulässig (VwGH 4.5.1955, 0786/54 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner älteren Judikatur (vgl. das Erkenntnis vom 21. September 1907, Slg. 5365) ausgesprochen, dass unter dem Bauplatz jene Grundfläche zu verstehen sei, die nach Maßgabe der Bestimmungen der Bauordnung erforderlich ist, damit das auszuführende Gebäude den Bestimmungen der Bauordnung entsprechend erbaut werden könne. Nach der Bauordnung für Wien ist als Bauplatz jene Grundfläche anzusehen, die in einem baubehördlichen Verfahren, sei es nach den Vorschriften der §§ 13 ff über die Abteilung, sei es nach § 66 im Zusammenhang mit einer Bauführung, mit Rücksicht auf ihre Lage, Gestalt und Größe als geeignet erkannt wurde nach Maßgabe der Bestimmungen der Bauordnung und der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne bebaut zu werden. Als Bauplätze haben zufolge Art. III Abs. 2 der Bauordnung für Wien auch die nach den vor Geltungsbeginn dieser Bauordnung maßgeblicher Bestimmungen durch eine rechtswirksam gewordene baubehördliche Abteilungsbewilligung geschaffenen "Baustellen" zu gelten. Ein Bauplatz kann daher ein oder mehrere Grundstücke oder einen oder mehrere Grundbuchskörper umfassen oder auch nur aus einem Teil eines Grundstückes oder Grundbuchskörpers bestehen (VwGH vom 15.9.1958, Zl. 1237/56).

Da die zitierten Bestimmungen vorsehen, dass der Eigentümer des betreffenden Hauses den Gehsteig an der gesamten Länge des Bauplatzes herzustellen hat, war als entscheidungswesentliche Vorfrage zu klären, ob auf gegenständlicher Liegenschaft überhaupt ein Bauplatz vorliegt, da bereits die Gehsteigherstellungsverpflichtung der Bauordnung 1883 an das Tatbestandsmerkmal des Bauplatzes angeknüpft hatte.

Die belangte Behörde hat sich in ihrem Ermittlungsverfahren jedoch nicht hinreichend mit dieser Tatbestandsvoraussetzung des § 61 der Bauordnung für Wien 1883, bzw. des § 54 Abs. 1 der Bauordnung für Wien auseinandergesetzt bzw. deren Maßgeblichkeit verkannt.

Wie bereits ausgeführt, ergibt sich aus der eingeholten grundstückstechnischen Stellungnahme der MA 64 vom 18.6.2019, dass die betreffende Liegenschaft (EZ 3, Kat. Gem. D.), bzw. die Gst. Nr. 1 und 2 noch nie als Bauplätze, Baulose, Kleingärten oder als Teile von solchen genehmigt wurden und auch keine Bauplätze im Sinne des Art. III Bauordnung für Wien sind.

Damit ist eine wesentliche Tatbestandsvoraussetzung nicht erfüllt, weswegen weder nach § 61 der Bauordnung für Wien 1883, noch nach § 54 Abs. 1 der Bauordnung für Wien eine gesetzliche Verpflichtung zur Gehsteigherstellung bestand. Demgemäß war auch die Auflage Pkt. 10) des Baubewilligungsbescheides vom 19.8.1920 schon im Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides nicht rechtmäßig und kann die Verpflichtung zur Herstellung eines Gehsteiges aktuell auch nicht auf diese Auflage Pkt. 10) gestützt werden, weil es wie festgestellt bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung 1920 an der Tatbestandsvoraussetzung eines „Bauplatzes“ für diese Verpflichtung mangelte.

Indem die belangte Behörde das Erfordernis eines „Bauplatzes“ als Voraussetzung für die ausgesprochene Verpflichtung zur Gehsteigherstellung verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts und war dieser schon deshalb aufzuheben, weswegen auf weitere Beschwerdepunkte hier nicht mehr einzugehen war.

Über den hg. Beschluss vom 24.4.2019, Zl. VGW-211/026/RP23/15999/2017-10, war gesondert abzusprechen (so auch Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11 Rz 950; Rath-Kathrein, § 54 VwGVG Rz 37 in Bumberger/Lampert/Larcher/Weber (Hrsg), VwGVG (2019), Grabenwarter/Fister, Verwaltungsverfahrensrecht5 276 und 367 sowie Fischer/Steiner, Verfahren Rz 120). Er war insoferne aufzuheben, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG der Primat der Sachentscheidung durch das Verwaltungsgericht betont wird und die gegenständliche Rechtssache im Sinne des nunmehr gefassten Erkenntnisses zur Entscheidung in der Sache selbst reif war. § 28 Abs. 3 VwGVG stellt demgegenüber die Ausnahmebestimmung dar, die überdies auch nicht dafür geschaffen ist, dass durch die Beschwerdeinstanz die Sache, die den Beschwerdegegenstand bildet, im Wege einer Zurückverweisung ausgetauscht werden darf. Insofern ist der Beschwerdeführerin hier zuzustimmen, dass durch die Zurückverweisung eine andere Sache geschaffen werden sollte, als jene, die Beschwerdegegenstand und Gegenstand der Erlassung des angefochtenen Bescheides war. Ein solcher Austausch der Sache des Beschwerdeverfahrens ist daher unzulässig.

Von einer mündlichen Verhandlung, die von der Beschwerdeführerin beantragt war, konnte aus nachfolgenden Erwägungen abgesehen werden:

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein), hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne.

Diese Grundsätze gelten auch in Ansehung des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, da zur Auslegung dieser Bestimmung die vom EGMR erarbeiteten Grundsätze zu Art. 6 Abs. 1 EMRK heranzuziehen sind.

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt hinsichtlich des Nichtbestehens eines Bauplatzes ist hier aufgrund der Aktenlage des unbedenklichen Behördenaktes, der hg. Gerichtsakte und der ergänzenden Erhebungen des erkennenden Gerichts geklärt, sodass zur Lösung der in der vorliegenden Beschwerde aufgeworfenen entscheidungswesentlichen Tat- und Rechtsfrage im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 24 Abs. 4 VwGVG getroffen werden.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Gehsteig; Neuherstellung; Verpflichtung; maßgebliche Rechtslage; Trottoir; Bauplatz; Tatbestandsmerkmal; Primat der Sachentscheidung; Entfall der mündlichen Verhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.211.026.6701.2019.VOR

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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